Was ist Erinnerung? – Gedanken zur Rolle des Museums für die Demokratie

Museen sind Speicher, die wie Bücher, Gemälde oder Archive genutzt werden können, um sich der Vergangenheit bewusst zu werden und an diese mit immer neuen Fragen heranzutreten. 

Wenn wir heute auf frühere Krisen zurückblicken, kommen wir also nicht an der Frage vorbei, wie die Informationen über diese überhaupt organisiert liegen. 

Die Erinnerungsforscherin Aleida Assmann macht darauf aufmerksam, dass die Externalisierung von Gedächtnis immer auch eine „Diskrepanz zwischen dem verkörperten Gedächtnis und dem extern Gespeicherten“ mit sich bringt. In diesem Text finden Sie ein Kurz-Manual bzw. einen Baukasten der aufklärerischen Erinnerung, das bzw. der die Genese dieser Diskrepanz ebenso umreißt wie Perspektiven in deren gegenwärtige und zukünftige demokratische Praxis. 

Bibliotheken oder Serverparks ermöglichen heute eine für das Individuum kaum zu durchdringende Fülle an Informationen und daraus gewebten Geschichten. Don DeLillo nennt diese Erscheinung die „Sandkörnchenunendlichkeit der Dinge, die keiner zählen kann.“ 

Die Entwicklung der systematischen Sammlung und Kategorisierung dieser Informationen, also des Wissens nicht nur über die „eigene“ Gesellschaft, sondern die ganze Welt, also die Praxis des Schlagens von Schneisen durch diesen Urwald der Zeichen – oder um im Bild zu bleiben, der Ausgrabung, des Durchsiebens der Wüste – geht dabei auf die Aufklärung zurück, die verzahnt ist mit der Bürokratie, der „Herrschaft der Schreibtische“ (frz. bureau = Schreibtisch, altgr. krátos = Herrschaft). 

Erste moderne Bürokratien entstanden in Europa im Zuge des Aufbaus und der Finanzierung großer Armeen seit dem 16. Jahrhundert, deren Kosten vor allem durch ihre gegenseitige Konkurrenz immer weiter anwuchsen. Gleichzeitig nutzen dieselben Bürokraten, die die Armeen organisierten, diese Informations-Instrumente dazu, ihre jeweiligen Bevölkerungen zu optimieren, etwa im Sinne des Humanismus, also für mehr Bildung zu sorgen, oder des Republikanismus, also der Schaffung eines Bewusstseins der Staatsbürgerschaft. Ob diese frühneuzeitlichen europäischen Herrscher ihre Ziele erreicht haben oder nicht, sie erschufen gewaltige Bürokratien. Zusammen mit dem gleichzeitigen Aufkommen des Handelskapitalismus und des Protestantismus, der das eigenständige Lesen forderte und förderte, führte diese Bürokratisierung schließlich zur Etablierung einer Druck-Kultur. Im 16. Jahrhundert, nach der Etablierung der Druckerpresse, die durch diese drei Prozesse gefördert wurde, da sie von diesen gebraucht wurde, wurden in Europa schätzungsweise zwischen 150 und 200 Millionen Bücher gedruckt, was einem Verhältnis von drei Büchern pro Einwohner*in entsprach, auch wenn diese natürlich an wenigen Knotenpunkten zentriert lagen. 

Der bürokratische, also kategorische, systematische Weltzugang veränderte die Bedingungen des Feudalismus, der keinen großen Plan hatte, der kein Ziel verfolgte, der eher situativ gewachsen war aus dem chaotischen Ende der Antike, grundlegend. Das neue Denk-System kann mit dem Begriff des „Rationalismus“ gefasst werden. Das ist der Ansatz der Aufklärung: die Vernunft auf die Realität anzuwenden; durch die Vernunft ein Modell, ein System der Realität zu erschaffen, das dem Verständnis und der Verbesserung der Welt dient. 

Nicht zuletzt durch diese stete Verfügbarkeit des Wissens entwickelte sich ein Bewusstsein der Zeitlichkeit der Welt, da die Gegenwart klar von einer Vergangenheit und dadurch einer Zukunft abgegrenzt werden kann. Oder in den Worten von John Stuart Mill, einem Philosophen des 19 Jahrhunderts: „The idea of comparing one’s own age with former ages, or with our notion of those which are yet to come, had occurred to philosophers; but it never before was itself the dominant idea of any age. It is an idea essentially belonging to an age of change. Before men begin to think much and long on the peculiarities of their own times, they must have begun to think that those times are, or are destined to be, distinguished in a very remarkable manner from the times which preceded them.“ (The Spirit of the Age, 1831)

Der zentrale Punkt liegt in der Eigenschaft des Mediums der gedruckten Schrift: sie kann leicht, und zwar identisch, vervielfältigt werden und ermöglicht daher den Austausch zwischen Gruppen von Expert*innen auch über eine große Distanz hinweg. Die Theorien und Modelle der Aufklärung konnten so leicht getestet werden. Das Aufkommen der wissenschaftlichen Gesellschaften des 17. Jahrhunderts und deren Journale ist eine zentrale Wegmarke in der Entwicklung der Systematisierung der Welt. Aufklärung ist stets Dialog, Austausch zur besseren Theorie, zum korrekteren Modell der Welt und ihrer Bestandteile. 

Das letzte Werkzeug im Baukasten der aufklärerischen Erinnerung ist dann noch der Index, denn all die Informationen, all die Millionen an Werken müssen schließlich auch gefunden werden. Dieser Index ist die Professionalisierung der Gesellschaft in die verschiedenen (und immer verschiedeneren) Berufe. Wenn niemand alle Bücher lesen kann, braucht es Menschen, die sich in verschiedenen Bereichen auskennen und die Informations-Knotenpunkte, etwa die Bibliotheken, verwalten. 

Ein Blick auf die Kolonialreiche und die Diktaturen der Moderne zeigt dabei gleichzeitig, dass das große Projekt der Sammlung und Systematisierung von Wissen über die Welt und deren Bewohner*innen immer auch ein ambivalentes Moment in sich trägt. Das System der massenweisen Aufbewahrung und Klassifizierung von Daten(-sätzen) kann zur Eindämmung von Krankheiten, etwa zur Zeit der Durchführung der Impfkampagnen gegen Covid-19, genutzt werden, aber auch zur Durchsetzung illegitimer Herrschaft wie im Fall der Kolonialreiche. Die Beamten des britischen Raj in Indien fertigten etwa Fotografien der Beherrschten an, auf denen die Vertreter*innen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen abgelichtet und diese Abbildungen mit entsprechenden Vermerken ihrer angeblichen Eigenschaften untertitelt wurden (etwa „von Natur aus ehrlich“ oder „von Natur aus kriminell“). Ins koloniale Nairobi hatte die afrikanische Bevölkerung in den 20er und 30er Jahren nur Zutritt, wenn sie einen entsprechenden Ausweis vorweisen konnte, der ihnen eine Arbeit in der Stadt bescheinigte. Beides sind Beispiele davon, dass ein Element der kolonialen Herrschaft immer dessen Informationsverwaltung war. Der Kolonialismus-Historiker Jürgen Osterhammel schreibt dazu: „Der koloniale Staat musste die Kontrolle über die unterworfenen Völker sichern und die Rahmenbedingungen für die ökonomische Nutzung der Kolonie schaffen. Dies waren seine beiden Hauptzwecke.“ Teilweise wurden sogar Elemente des bürokratischen Staates zuerst in den Kolonien erprobt und danach in Europa eingeführt. Osterhammel dazu weiter: „Ohne Zweifel wies während des 16. Jahrhunderts die spanische Regierungsform in Amerika einen höheren Organisationsgrad auf als die der iberischen Halbinsel; und im britischen Mutterland gab es zum Aufbau des Wohlfahrtsstaates nach 1945 keinen bürokratischen Apparat, der sich nach Umfang wie Professionalität mit der Administration Indiens […] hätten messen können.“ Es wird hier deutlich, dass in dem grenzüberschreitenden Projekt der Aufklärung schon von Beginn an die Ambivalenz liegt, diese Daten-Formationen auch für die europäische Herrschaft über den Rest der Welt nutzbar zu machen. Nicht zufällig flossen Untersuchungen der ersten Anthropologen in die Regierungspraktiken etwa der britischen Kolonialverwaltung im Sudan ein.

Im Fall des Stalinismus dann ergab eine erste gesamtsowjetische Volkszählung von 1926, die unter anderem die Nationalität erfasste, erstmals verlässlich, dass die ethnischen Russen in der Union in der Minderzahl waren. Die Ergebnisse der Untersuchung bestärkten die Machthaber in den 30er und 40er Jahren darin, die muslimischen Kulturen der asiatischen Republiken mit aller Kraft zu verändern bzw. deren Bewohner*innen „umzuerziehen“, was in letzter Konsequenz auch die gewaltsame Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen in die Steppen Zentralasiens während des 2. Weltkriegs bedeutete. 

Die Nationalsozialisten schließlich griffen auf eine lange Tradition der bürokratischen Durchdringung der Gesellschaft zurück und perfektionierten diese in der deutschen Vernichtungs-Maschinerie. Für eine Volkszählung griffen sie sogar auf eine Tabelliermaschine eines deutschen Tochterunternehmens von IBM zurück. Mit diesem frühen Rechner werteten sie Lochkarten aus, eine Karte pro Bürger*in. Eine der Informationen, die darauf vermerkt waren, war „Religion“. Das dritte Loch bedeutet hier „Jude“. Diese Informationen wurden während des Krieges herangezogen, um die Menschen in die Sammelstellen und weiter in die Vernichtungslager zu deportieren. Im Fall des Genozids an den Sinti und Roma nutzten die Behörden dagegen jene Archive, die die katholische Kirche (in welcher die meisten deutschen Roma und Sinti Mitglied waren) besaß und die diese in den meisten Fällen auch ohne Widerstand für diese Zwecke zur Verfügung stellte. 

Diese Beispiele machen deutlich, wie entscheidend eine demokratische Kontrolle über die Informationsmaschinerien ist, die einem jeden modernen, also auch bürokratischen, Staate massenweise zugrunde liegen (muss). 

Ein Museum, selbst wenn dies auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, spielt dabei eine Rolle, denn Erinnerung ist auch nichts anderes als eine Organisation von Informationen. Für eine demokratische Gesellschaft bedeutet das, dass all diese Daten und Erzählungen, auf die wir heute so leicht zugreifen können, auch genutzt werden müssen, und zwar sowohl individuell als auch kollektiv. Erinnerung ist eine Praxis, kein Zustand. Dabei prägt das, woran sich eine Gesellschaft erinnert und wie sie das tut, diese Gesellschaft in der Gegenwart. [Das zeigt nicht zuletzt die Debatte um Europas koloniales Erbe.] Assmann unterscheidet hier zwischen einem „Speichergedächtnis“, also der skizzierten (systematischen) Sammlung des Wissens, und einem „Funktionsgedächtnis“, worunter sie ebenjene Praxis des kontinuierlichen Auswählens aus diesen Speichern versteht. 

Erinnerung ist gleichzeitig immer ein Zusammenspiel von kollektiven und individuellen Praktiken, denn die Gesellschaft besteht aus Menschen und der Mensch ist immer Teil von Gesellschaften. Daher ist auch von Bedeutung, wie jede*r einzelne mit der Erinnerung, z.B. an Krisen-Momente, umgeht.

Maurice Halbwachs, einer der ersten Gedächtnis-Forscher, der in den 1920er Jahren zum „kollektiven Gedächtnis“ forschte, stellte sogar die These in den Raum, der Mensch erinnere sich grundsätzlich in „Gedächtnisgemeinschaften“, aus denen er auch nicht herauskönne, weshalb es kein rein individuelles Gedächtnis geben könne. Dieser Gedanke geht in gewisser Weise komplementär zu Ludwig Wittgensteins Überlegungen dazu, dass es keine Privatsprachen geben könne, weil Sprache etwas Soziales ist, das über Regeln funktioniert, die man überprüfen können muss; wer aber sollte überprüfen, ob jemand eine „Privatsprache“, die ein einzelner Mensch für sich erfunden haben will, „richtig“ anwendet? Wir sind und bleiben, ob wir es wollen oder nicht, soziale Wesen, die, selbst wenn sie es wollten, nicht einmal in eine eigene Sprache flüchten können, also auch in gewisser Weise nie wirklich einsam sein können. Erinnern können wir uns also auch nicht alleine. 

Um eine demokratische Externalisierung von Erinnerung (aber auch ganz allgemein Wissen) zu gewährleisten, kommt es also auf jede*n einzelne*n an. Eine wirklich globale Aufklärung muss sich der hier in aller Kürze angeschnittenen Ambivalenz der Wissensordnung bewusst sein und sie durch Begegnungen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe demokratisch zu nutzen suchen. Dazu ein letztes Mal Assmann: „Bis vor kurzem folgten die Regeln der Auswahl von Bezugspunkten der Vergangenheit dem, was Nietzsche als ‘monumentalische Geschichtsschreibung’ definiert hat; es ging darum, ein heroisches Selbstbild der Gruppe zu konstruieren und es mithilfe von Feindbildern mythisch zu überhöhen. Eine entscheidende Wende vollzog sich in der Vergangenheitspolitik seit den 1990er Jahren, als verschiedene Staaten damit begannen, ihre historische Schuld zu reflektieren und in Formen öffentlicher Bekenntnisse in ihr Selbstbild aufzunehmen.“ Der Weg ist also gezeichnet, es liegt an uns, ihn zu beschreiten/gestalten. 


Quellen: 

Marshal T. Poe: A History of Communications. Media and Society from the Evolution of Speech to the Internet, Cambridge University Press, New York 2011.

Jürgen Osterhammel, Jan C. Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, C.H. Beck, München 1995.

Aleida Assmann: Gedächtnis-Formen

Monströse Schreibtische – “Die Wannseekonferenz” von Matti Geschonnek

Die Maschine als Monster. Anders als das schuldlose Monstrum kann der Mensch nur monströs sein. Das ist er, wenn er allzu stark von einer Norm abweicht, sodass wir instinktiv auf ein Bild zurückgreifen, das eigentlich als Verarbeitung unerklärlicher Naturkräfte diente. Filmplakat zu Fritz Langs „Metropolis“, 1927, Entwurf: Kurt Degen.

Das hat man selten gesehen: ein Spielfilm über den Nationalsozialismus, frei von jeder dramatischen Formung des Stoffes; frei von der Figur des Widerständlers (der ein verschwindend geringer Prozentsatz der Bevölkerung war, aber in Filmen über die Zeit trotzdem omnipräsent ist); frei auch von jeder Musik oder überhaupt einer wirklichen Dramatisierung des Stoffs. Keine Dokumentation wohlgemerkt, sondern ein Spielfilm, in dem Schauspieler eine Konferenz nachspielen, die zwar im Ergebnisprotokoll, aber eben nicht im Wortlaut überliefert ist. In die Figurenrede sind Sätze aus diesem Protokoll eingeflochten, ansonsten unterliegt sie jedoch der „artistic license“, orientiert sich aber ungewöhnlich stark am nationalsozialistischen Duktus des Hasses.

Die Reaktionen auf dieses Werk fallen positiv aus, die schonungslose Darstellung findet breites Lob. Aber doch kursiert in der Rezeption des Films auch die Frage, ob die Schreibtischtäter eben nun kalte Bürokraten gewesen seien, denen es im Grunde egal gewesen sei, was für eine Aufgabe sie ausgeführt hätten, wie es in der Taz anklingt: „Denn diese Sorte Täter war und ist in ihrem Handeln auswechselbar,“ (Klaus Hillenbrand: „Ganz normale Bürokraten“, 23.01.2022) aber auch in der SZ, wo Alexander Gorkow und Joachim Käppner schreiben, der Film zeige die Täter “nicht als Monster. Das macht sie so monströs.“ („Ein vollkommen erstaunlicher Film“, 24.01.2022) Oder ob eine solche Beschreibung der Anwesenden lediglich als Bürokraten nicht verkennt, dass sie „Überzeugungstäter in der Sache“ waren, wie ein Nutzer unter der Taz-Rezension schreibt, was verkenne, dass all das ohne diese Überzeugungen eben nie passiert wäre. 

Diese Frage erinnert an eigentlich alte Debatten über die Funktionsweise des Nationalsozialismus, die sich von einer Distanzierung und Diabolisierung der Täter in den 1960er Jahren (der Täter als unter Minderwertigkeitskomplexen leidend) über eine „Distanzgewinnung durch Entpersonalisierung und Abstrahierung“ in den 1970er und 80er Jahren (der Täter als „interesseloser bürokratischer Vollstrecker“ und Betreiber von „Todesfabriken“) bis hin zur Wehrmachtsausstellung und dem Disput zwischen Goldhagens Betonung des spezifisch „böswilligen deutschen Antisemitismus“ und Brownings These von der „brutalisierenden Wirkung des Krieges“, also der Schwerpunktlegung auf Mechanismen des Gruppendrucks in den 1990er Jahren entwickelt hatten (vgl. Gerhard Paul: „Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung“). 

Zur Beantwortung erscheint es hilfreich, zwei Begriffen auf den Grund zu gehen, die der Verwirrung vielleicht abhelfen können: Was ist Bürokratie? Und was ist eigentlich ein Monster? 

Fangen wir mit der Bürokratie an. Diese ist ein Produkt der Frühen Neuzeit. Sie geht einher mit der Entwicklung der systematischen Sammlung und Kategorisierung von Informationen, also des Wissens nicht nur über die „eigene“ Gesellschaft, sondern prinzipiell die ganze Welt. Der Begriff stammt aus dem Französischen und bedeutet übersetzt „Herrschaft der Schreibtische“ (frz. bureau = Schreibtisch, altgr. krátos = Herrschaft). Erste moderne Bürokratien entstehen in Europa im Zuge des Aufbaus und der Finanzierung großer Armeen seit dem 16. Jahrhundert, deren Kosten vor allem durch ihre gegenseitige Konkurrenz immer weiter anwuchsen. Gleichzeitig nutzen dieselben Bürokraten, die die Armeen organisieren, diese Informations-Instrumente dazu, ihre jeweiligen Bevölkerungen zu optimieren, etwa im Sinne des Humanismus, also für mehr Bildung zu sorgen, oder des Republikanismus, also der Schaffung eines Bewusstseins der Staatsbürgerschaft. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Druckerpresse, die nicht nur von der Bürokratie, sondern auch vom zeitgleich aufkommenden Handelskapitalismus sowie dem Protestantismus gebraucht wird, der das eigenständige Lesen fordert und fördert und die deswegen von allen drei Akteuren gepusht wird (Marshall T. Poe: „A History of Communications. Media and Society from the Evolution of Speech to the Internet”, 2011). 

Der bürokratische, also kategorische, systematische Weltzugang verändert die Bedingungen des Feudalismus, der keinen großen Plan hat, der kein Ziel verfolgt, der eher situativ gewachsen ist aus dem chaotischen Ende der Antike, grundlegend. Das neue Denk-System kann mit dem Begriff des „Rationalismus“ gefasst werden. Das ist der Ansatz der Aufklärung: die Vernunft auf die Realität anzuwenden; durch die Vernunft ein Modell, ein System der Realität zu erschaffen, das dem Verständnis und der Verbesserung der Welt dient, wobei unter „Verbesserung“ natürlich je nach Perspektive unterschiedliches gemeint sein kann. 

Nicht zuletzt durch diese stete Verfügbarkeit des Wissens entwickelte sich ein Bewusstsein der Zeitlichkeit der Welt, da die Gegenwart klar von einer Vergangenheit und dadurch einer Zukunft abgegrenzt werden kann. Oder in den Worten von John Stuart Mill, einem Philosophen des 19 Jahrhunderts: „The idea of comparing one’s own age with former ages, or with our notion of those which are yet to come, had occurred to philosophers; but it never before was itself the dominant idea of any age. It is an idea essentially belonging to an age of change. Before men begin to think much and long on the peculiarities of their own times, they must have begun to think that those times are, or are destined to be, distinguished in a very remarkable manner from the times which preceded them.“ (The Spirit of the Age, 1831)

Der zentrale Punkt liegt in der Eigenschaft des Mediums der gedruckten Schrift: sie kann leicht, und zwar identisch, vervielfältigt werden und ermöglicht daher den Austausch zwischen Gruppen von Expert*innen auch über eine große Distanz hinweg. Die Theorien und Modelle der Aufklärung können so leicht getestet werden. Das Aufkommen der wissenschaftlichen Gesellschaften des 17. Jahrhunderts mit ihren Journalen ist eine zentrale Wegmarke in der Entwicklung der Systematisierung der Welt. Aufklärung ist stets Dialog, Austausch zur besseren Theorie, zum korrekteren Modell der Welt und ihrer Bestandteile. Gefunden werden die gesuchten Informationen schließlich durch den Index. Dieser ist die Professionalisierung der Gesellschaft in die verschiedenen (und immer verschiedeneren) Berufe. Wenn niemand alle Bücher lesen kann, braucht es Menschen, die sich in verschiedenen Bereichen auskennen und die Informations-Knotenpunkte, etwa die Bibliotheken, verwalten. 

Ein Blick auf die Kolonialreiche und die Diktaturen der Moderne zeigt, dass das große Projekt der Sammlung und Systematisierung von Wissen über die Welt und deren Bewohner*innen immer auch ein ambivalentes Moment in sich trägt. Das System der massenweisen Aufbewahrung und Klassifizierung von Daten(-sätzen) wird etwa von den Beamten des britischen Raj in Indien genutzt, indem sie Fotografien der Beherrschten anfertigen, auf denen die Vertreter*innen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen abgelichtet und diese Abbildungen mit entsprechenden Vermerken ihrer angeblichen Eigenschaften untertitelt werden (etwa „von Natur aus ehrlich“ oder „von Natur aus kriminell“). Im 20. Jahrhundert setzen sowohl der Stalinismus als auch der Nationalsozialismus Volkszählungen für ihre jeweiligen Bevölkerungsumbauten ein. Die Nazis greifen dafür sogar auf eine Tabelliermaschine eines deutschen Tochterunternehmens von IBM zurück. Mit diesem frühen Rechner werten sie Lochkarten aus, eine Karte pro Bürger*in. Eine der Informationen, die darauf vermerkt sind, ist „Religion“. Das dritte Loch bedeutet hier „Jude“. Diese Informationen werden während des Krieges herangezogen, um die Menschen in die Sammelstellen und weiter in die Vernichtungslager zu deportieren. 

„Die Wannseekonferenz“ zeigt die komplexen Strukturen der Bürokratie im NS-System so eindringlich wie selten. Was der Film besonders deutlich macht ist jene Seite der nationalsozialistischen Herrschaft, die in einem weit verbreiteten Bild der NS-Herrschaft, das diese absolut zeichnet, als eine Gesellschaft, in der „die Nazis“ als ein monolithischer Block die Gesellschaft beherrschen, meist fehlt. Dass eben trotz all der Willkür, trotz allem Diktatorischen bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ Gesetze galten, das will irgendwie nicht zusammenpassen. Einer der Anwesenden der Konferenz, Dr. Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, löst diesen scheinbaren Widerspruch im Film so auf, dass er erklärt, die „einfachen Menschen“, diejenigen, die aus „anderem Holz“ geschnitzt seien als die Anwesenden, wie es ein anderer Teilnehmer an anderer Stelle ausdrückt, die bräuchten eben Recht und Gesetz, um nicht die Orientierung zu verlieren. Vielleicht fällt es auch deswegen in den meisten Filmen über den Zweiten Weltkrieg so schwer, die inneren Widersprüche und Machtkämpfe des NS-Systems zu zeigen, weil sie im Kontrast zu den Kriegsgegnern eben nicht mehr so relevant erscheinen. 

Selten hat man das jedenfalls so eindrücklich gesehen wie in diesem Film. Und vielleicht kann ein Film das auch nur, wenn er quasi auf jegliches Drehbuch verzichtet, da er sich ja an dem überlieferten Protokoll orientiert. Denn Spielfilme wollen ja für gewöhnlich nicht nur finstere Bürokraten des Massenmords zeigen, sie wollen zumindest eine Figur einbauen, die ambivalent ist, mit der doch irgendwie zumindest noch ein bisschen Empathie möglich ist. Persian Lessons ist so ein Film. Lars Eidinger spielt darin den SS-Hauptsturmführer Klaus Koch, der einen Juden rettet, der sich als Perser ausgibt in der Absicht, dadurch am Leben zu bleiben, dass er Koch ein – fiktives – Persisch beibringt. Nachdem der SS-Mann die Lüge enttarnt, schickt er den Gefangenen zwar zunächst in den Steinbruch, entschuldigt sich dann aber bei ihm und rettet ihm das Leben, indem er ihn während eines Abtransports in einem Bauernhof versteckt. Am Ende desertiert Koch zusammen mit seinem falschen Lehrer. Koch wird „als Mensch“ gezeigt, also mit Stärken und Schwächen. Und es wird eine Entwicklung an ihm sichtbar. So wie das bei Oskar Schindler der Fall ist, der eben erst am Ende des berühmten Films „Schindlers Liste“ beklagt, dass er nicht noch mehr Menschen gerettet hat. Und dass eine Figur eine Entwicklung durchmachen muss, ist schließlich das kleine eins mal eins der Narratologie. Oder wer taucht am Ende von Roman Polańskis „Der Pianist“ auf? Ein deutscher Offizier, der ein gutes Herz besitzt und dem im besetzen Warschau untergetauchten Protagonisten etwas zu essen bringt. 

„Die Wannseekonferenz“ ist ein dokufiktionales Kammerspiel, das eindrücklicher wirkt als eine Dokumentation, vielleicht gerade weil es nichts dieser klassischen, immer auch unterhalten wollenden Spielfilme hat, auch überhaupt keine Filmmusik etwa. 

„Die Wannseekonferenz” erregt wohl deswegen eine so große Aufmerksamkeit, weil er eben so anders ist als diese klassischen Spielfilmen über das Thema. Diese neue Art der Darstellung erfüllt dabei in Bezug auf unser Verständnis dieser Zeit eine wichtige Rolle. Endlich sehen wir den Nationalsozialismus einmal eindrücklich in all seiner Geordnetheit, seiner Bürokratie eben. Endlich können wir einmal mit einem wirklichen Gefühl des Realismus scheinbar beiwohnen, wie höflich die Herren der „Endlösung“ miteinander umgehen. Dass das keine Fremden, keine ungewöhnlichen Menschen sind, die mit dem Rest der Bevölkerung nichts gemein hätten, wie es das genannte Täterbild der 1960er Jahre etwa vermitteln wollte, so sehr sie sich auch über die einfachen Menschen hinwegsetzen, sondern dass das Menschen sind, die ganz und gar aus der deutschen Kultur erwachsen sind und im Bewusstsein der Verteidigung dieser ihr furchtbares Tagwerk verrichten. Am eindrücklichsten aber zeigt es vielleicht eine der wichtigsten Erkenntnisse über den Nationalsozialismus überhaupt: dass die größte Gefahr nicht von den Schlägertrupps ausgeht, so sehr diese die Demokratie auch bedrohen und so wichtig sie auch für die Errichtung des Terrorapparats waren, etwa in Form der frühen Konzentrationslager. Nein, es sind die Herren mit den Doktortiteln, es ist die rechte Studentenschaft, die die über die Niederlage im Weltkrieg erzürnten und verbitterten Deutschen hervorgebracht haben, von denen die wahre Gefahr ausgeht. Es sind die Menschen, die in bester bürokratischer Manier ihr Handwerk erlernt haben, die fleißig sind, die sich tugendhaft fühlen, die ihre Taten zwar manchmal selbst „barbarisch“ nennen, nur um sie aber im gleichen Atemzug zu rechtfertigen, nein sie eben zu moralischen Taten zu erheben. Denn, wie Harald Welzer in seinem Text „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ ausführt: die wenigsten Menschen sehen sich oder stellen sich selbst als böse wahr, die Nazis gehörten jedenfalls nicht dazu. „Es scheint einen grundlegenden Widerstand von Menschen dagegen zu geben, als ‚schlecht‘ zu gelten, und noch der skrupelloseste Verbrecher scheint aller Erfahrung nach größten Wert darauf zu legen, in irgendeiner Facette seiner Persönlichkeit als ‚menschlich‘ wahrgenommen und nicht jenen Kategorien von Personen zugeordnet zu werden, die sich selbst verabscheuen.“ (Welzer S. 29f.) Die Figuren im Film betonen ja auch immer wieder, dass sie die Aufgabe, die “das Schicksal“ ihnen auferlegt habe, ausführen, weil es eben notwendig, also richtig sei, selbst wenn andere davor zurückschrecken würden. „Es geht hier um die Verkoppelung von Töten und Moral, und es ist diese Verkoppelung zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit unangenehmer Handlungen und dem Gefühl, diese als notwendig angesehenen Handlungen gegen das eigene mitmenschliche Empfinden auszuführen, die den Tätern die Möglichkeit gab, sich noch im Morden als ‚anständig‘ zu empfinden, als Person, die – um Rudolf Höß zu zitieren – ‚ein Herz hatte‘, die ‚nicht schlecht war.‘“ (Welzer S. 23)

„Sie sind ein Mann von Bildung“, meint ein Ministerialdirektor aus der Reichskanzlei anerkennend zu einem jungen Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Lettland, der dort an den Massenerschießungen beteiligt ist, als dieser weiß, wer Max Liebermann ist, der in der Nähe gewohnt hat: „Jüdischer Impressionist.“ Worauf dieser nur antwortet: „Und das überrascht sie. Angesichts meiner Aufgaben im Osten.“ 

Diese Höflichkeit hat Welzer “partikulare Moral” genannt: jeder Mensch braucht Moralvorstellungen, und gerade auch die Nazis wollen eben nicht unmoralisch oder unhöflich per se wirken, im Gegenteil. Sie entscheiden sich eben dazu, nur zu bestimmten Menschen alle Moralvorstellungen abzuschalten bzw. diese sogar insofern umzudrehen bzw. auf den Kopf zu stellen, als dass sie erklären, die einzig moralisch richtige Art und Weise, wie mit diesen Menschen umgegangen werden kann, sei die Ausgrenzung aus dem „Volkskörper”. Das wird etwa auch in einer Szene in der Fernsehserie “Babylon Berlin” deutlich, in der ein SA-Mann über einen Bahnsteig rennt, um zu einem Mob zu gelangen, der einen Juden anschreit. Als er aus Versehen eine Frau anrempelt, entschuldigt er sich höflich, nur um sich sofort wieder auf den Weg zu machen, seinen Hass auszuleben.

Gegen „Die Wannseekonferenz“ verblassen alle Bösewicht-Filme, so verständlich ihre Zeichnung des NS-Grauens auch sein mögen, als zwar stärkere Geschichten, aber eben weniger erklärmächtige Werke, die das Verständnis der deutschen Verbrechen mehr verhindern als ermöglichen, weil sie eben in die Falle tappen, die viele Schuldige den Nachgeborenen gelegt haben: wenn man die Täter der SS als Sadisten darstellt, die eben einfach ihre Gewaltfantasien ausgelebt haben: dann war der Nationalsozialismus doch eher eine Psychose, ein Verbrechen von geistig Kranken, und diese Kranken können ja nicht verantwortlich sein, da ihre Krankheit sie zu ihren Taten getrieben hat. 

„Die Wannseekonferenz” zeigt also eindrücklicher als Spielfilme es sonst vermögen, wie normal diese Herren waren. Dass sie effiziente, höfliche Geistesmenschen waren, die Projekte angehen und sich dabei ihrer geistigen Fähigkeiten bedienen und alle nur möglichen Ressourcen aufbringen, um ihr Ziel zu erreichen. In dieser Hinsicht sind sie absolut modern, denn sie denken nur in Kategorien der – aus ihrer Perspektive – Verbesserung der Gegenwart, also im klaren Bewusstsein der zeitlichen Veränderung, in einem Verständnis einer von ihnen selbst, nicht irgendeiner Gottheit, formbaren Zukunft. Und das ist natürlich das Bedrohliche an ihnen. Wir fühlen uns diesen Menschen zwar nicht in ihren Zielen nahe. Aber wir erkennen unser Denken in Projekten, unseren Anspruch auf Bildung, unseren Drang nach Effizienz in ihnen wieder. Aber – an dieser Stelle darf man eben nicht wie Hannah Arendt in die Falle tappen, die Eichmann gelegt hat, als er sich während des Prozesses in Jerusalem als unideologischen Bürokraten dargestellt hat – sie sind eben angetrieben von einem ganz und gar irrationalen Hass, der den Mythos sucht bzw. erfindet, weil die wahren Zusammenhänge zu schmerzhaft sind für das kollektive Ego der „Übermenschen“ und den sie sich selbst ausgedacht haben. 

Die Besonderheit dieser neuen deutschen Ästhetik der schonungslosen, vollkommen unromantischen Darstellung, die vielleicht als ein vorläufiger Höhepunkt der vielbeschworenen deutschen Erinnerungskultur gesehen werden kann, die sich gegen jene „heroische“ Geschichtsschreibung wendet, von der Nietzsche sprach und die eben die Nationalsozialisten in ihrem Märtyrerkult um die Weltkriegsgefallenen oder die Toten des Münchner Putsches begingen, wird umso deutlicher, je mehr man sie im weltweiten Vergleich sieht. Mit Christopher Nolans “Dunkirk”, einem der erfolgreichsten Filme über den Zweiten Weltkrieg der letzten Jahre, steht dieser Täterschau eine Durchexerzierung der besten Qualitäten des zeitgenössischen Kinos gegenüber, die das Publikum nicht zum Nachdenken anregt, sondern es überwältigen will, also eine alles andere als schonungslose Offenlegung des Grauens jener Zeit. Nolan spult mit einem hypnotisierend mitziehenden Soundtrack als einem seiner mächtigsten Hilfsmittel das Publikum in einer Geschwindigkeit durch die Strände der Kanalküste, die einem den Atmen verschlägt. Sein Film ist ein Schlachtengemälde, in dem man viele verschiedene Akteure beobachten kann, deren Vorgeschichten man aber kaum bis gar nicht erfährt und die daher ebenso wenig eine Entwicklung durchmachen wie es die Akteure in der Villa am Großen Wannsee tun. Nolan erzählt ein Heldenepos, er zeigt junge Männer, die so unschuldig und jung sind, dass jeder im Publikum sich wohl leicht in sie hineinversetzen und mit ihnen fühlen kann. Mit den Herren in der Villa am Wannsee will sich dagegen hoffentlich niemand identifizieren. 

Der entscheidende Unterschied aber ist natürlich nicht, wie leicht es fällt, sich mit den Figuren emphatisch zu zeigen, das liegt schließlich in der Natur der Wahl der zu inszenierenden Kriegspartei begründet. Nein, es ist die Geschwindigkeit, es ist die Überwältigung, die zu benutzen sich deutsche Filmemacher in Werken über Wehrmacht und SD zu benutzen wohl nie trauen würden. Wohl mit gutem Grund. 

Es hat lange gebraucht, bis mit einem solchen Film in deutschen Wohnzimmern der Ekel und die Abscheu vor den finster grinsenden deutschen Tätern einem Schaudern über die lächelnde Höflichkeit gewichen ist, mit der die Herren Doktoren in diesem schönen Haus mit den historistischen Wandgemälden sich, mit angenehmen „Frühstücks“-Pausen, über die Neugestaltung Europas austauschen, die fortan nicht nur auf ihren eigenen Schreibtischen stattfinden wird, sondern auch denen von Millionen normalen Deutschen, die ihr Werk mit derselben Präzision durchführen werden. 

Es stimmt irgendwie beides: einerseits brauchte es überhaupt erst Männer wie Heydrich, die diese Ideen entwickelten und diese mit ihrer außergewöhnlichen Energie in die Tat umzusetzen suchten. Geprägt waren diese Menschen von einer toxischen Verbindung: eine vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte Vorstellung des deutschen „Herrenmenschentums“, der Vorstellung deutscher Größe und Weltgeltung, deren reale Bezüge etwa in den deutschen Nobelpreisen in den Naturwissenschaften oder den Exportziffern der Maschinenbauer ablesbar waren, deren irrationale Phantasien gleichzeitig im entstehenden völkischen Antisemitismus und den unter anderem aus dem Kolonialreich abgeleiteten Vorstellungen der unterschiedlichen menschlichen „Rassen“ oder „Entwicklungsstufen“ zu finden sind; und schließlich der Widerlegung dieser angeblichen Überlegenheit, wofür irgendein Schuldiger gefunden werden musste – die Dolchstoßlegende war geboren, die in Italien, dem zweiten späten Nationalstaat aus den im Mittelalter starken Stadt- und Kleinstaaten, in der Rede vom „verstümmelten Sieg“ ihr Pendent hat. Andererseits mussten gar nicht alle Bürokraten aus Überzeugung handeln, solange die Spitzen ihrer Behörden ihnen entsprechende Befehle gaben und sie diese eben ausführten. Das kann man dann als den von Heinrich Mann so gelungen porträtierten deutschen Untertanengeist bezeichnen (“Wer treten wollte, musste sich treten lassen, das war das eherne Gesetz der Macht“, Der Untertan). 

Was uns zur zweiten Frage bringt: der über die Natur des Monsters.

Monster sind Kreaturen, deren Schuldfähigkeit überhaupt nicht gestellt werden kann, und folglich nie gestellt wird. Sie können einem insofern also fast Leid tun, da sie über keinen freien Willen zu verfügen scheinen, für den die Zurechnungsfähigkeit, also auch das zumindest theoretische Erkennen des Verbrecherischen, der Untat, ja eine Vorraussetzung ist. 

In der Literatur tauchen Monster nach ihrer „Geburt“ in den antiken Mythen vermehrt seit dem 17. Jahrhundert auf. „Sie sind in gewisser Weise Geschöpfe der europäischen Aufklärung, die den Menschen als Vernunftwesen definierte.“ (Sabine Kyora: „Die ganze scheußliche Kreatur“. Monster in der modernen Literatur und im Film, ApuZ 52/2013) Der Grusel vor ihnen stellt dabei laut Kyora ein ambivalentes Gefühl dar: man fürchtet sich vor den Monstern, weil sie die Vernunftordnung bedrohen, aber sie faszinieren auch, weil sie all dasjenige verkörpern, das die Vernunft ausschließt, das aber doch auch zum Menschen gehört. 

In einem der großen Epen der Moderne, Tolkiens „Herrn der Ringe“, in dem die guten Hobbits aus den natürlichen Höhlen gegen proto-industrielle böse Mächte kämpfen, die Bäume fällen, um sie als Rohstoffe für ihre Hochöfen zu nutzen, in denen sie die Rüstungen schmieden, mit denen ihre Monster zu Felde ziehen, sind Monster allgegenwärtig. Am präsentesten sind Kreaturen, die Orks und Uruk-Hai genannt werden. Sie kämpfen für ihre Herren, ohne dass sie deren Motive auch nur in Frage stellen könnten. Dieser fehlende Wille wird auch im Umgang der anderen Bewohner Mittelerdes gegenüber diesen Monstern deutlich: es gibt keinen anderen Weg als sie zu töten. In einer Szene in der Verfilmung von „Der Hobbit“, der Vorgeschichte zum „Herrn der Ringe“, wird ein gefangen genommener Ork vor den Elbenkönig Thranduil geführt. Der König verspricht dem Ork das Leben, wenn dieser ihm eine wichtige Information liefert. Obowhl dieser das tut, lässt der Elbenherrscher den Gefangenen köpfen. Ein Versprechen, ein moralischer Vertrag, besitzt keinen Wert, wenn er mit einem Monster getroffen wird. 

Tolkien hat sich immer wieder unterschiedlich zur Herkunft der Orks geäußert. Eine Assoziation, die er selbst dabei hergestellt hat, war die zum Golem, jenem Mythenwesen aus dem jüdischen Prag, das ebenso willenlos wie die Orks die Aufträge ausführt, die der Rabbi ihm in Form eines kleinen Schriftstücks in den Mund legt. Der Golem ist ein anschauliches Symbol jener Idee der Maschine, die lange vor der Erfindung der Dampfmaschine existierte (vgl. hierzu Martin Burckhardts „Philosophie der Maschine“, in der dieser die Maschinenmetapher als „Unterbewusstes der Philosophie, ja der abendländischen Kultur überhaupt“ beschreibt), nicht zuletzt in der Figur des „Deus ex machina“, jenes Gottes also, der im antiken Theater am Ende des Stücks vor den Vorhang tritt und die Geschichte auflöst. Es ist eine Idee jener Ambivalenz, die der Technologie und der Bürokratie innewohnt, denn während er zunächst erschaffen wird, um die jüdische Gemeinde vor Übergriffen zu schützen, kann er eben auch zerstörerische Kräfte entwickeln, etwa als eine Frau ihm aufträgt, Wasser ins Haus zu transportieren, was er so lange macht, bis das Haus überflutet ist. Ganz im Sinne von Goethes wahrscheinlich von dieser Episode inspiriertem Zauberlehrling, der die berühmte Formel prägte: “Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.“ 

Für die Nationalsozialisten waren „die Juden“ gerade nicht solche „Monster“, denn sie gaben ihnen ja die Schuld für alles mögliche, allem voran die Niederlage im Weltkrieg. Schuld kann man aber nur jemanden zuweisen, der sich auch schuldig machen, also willentlich handeln kann. Orks wären in diesem Bild für die Nationalsozialisten eher „naive“ Demokraten oder Sozialisten, die nicht verstehen, dass sie „in Wahrheit“ nur die „jüdische Weltverschwörung“ vorantrieben. Paradoxerweise – und über solche aus rationaler Sicht widersprüchlichen Thesen stolpert man ja ständig, man denke nur an die angebliche jüdische Kontrolle des Kapitalismus und des Sozialismus –, kann aus Sicht der Nazis aber nur diesen ihre „Sünde“ vergeben werden, wenn sie etwa aus einem Konzentrationslager entlassen werden, wo sie „gebüßt“ hatten. Diese Möglichkeit wurde den „rassisch“ Verfolgten in letzter Instanz nie gewährt, für sie war nur der Tod vorgesehen. Woran man wieder erkennen kann, wie der Rassismus der Nationalsozialisten alle Verhältnisse durchdringt und das Denken in „Rassen“ immer die letzte Instanz darstellt, Widerspruch hin oder her. 

Wenn das Monster also mit einer zerstörerischen Naturkraft, einem Erdbeben oder Tsunami gleichzusetzen ist, was ist dann eine monströse Tat, von der die Autoren des SZ-Artikels sprechen? 

Die Unterscheidung „Monster“ gegen „monströs“ etabliert sich tatsächlich in der Naturwissenschaft seit der Aufklärung: erstere werden endgültig als Wesen der Imagination abgetan, während letztere Bezeichnung etwa zur Beschreibung der Kategorie „Missbildung“ bei Menschen oder Tieren herangezogen wird. Die Monstrosität ist also der messbare Rest der unerklärlichen Naturschrecken, sie ist eine Abweichung von der beruhigenden, da unauffälligen Norm, die vielleicht daran erinnert, dass die Norm-alität immer ein sozial hergestellter Zustand ist, der einer steten Korrektur bzw. einem ewigen Eingriff in die Köpfe der Menschen bedarf, um fortzubestehen. Weicht etwas zu stark von der Norm ab, greift der Mensch zur Erklärung dieser Divergenz so eben manchmal instinktiv auf ein Bild zurück, das ursprünglich als Verarbeitung unerklärlicher Naturkräfte diente. 

Insofern ist die Kategorisierung der Taten der Herren aus dem Reichssicherheitshauptamt und ihrer Verbündeter in allen deutschen Instanzen als monströs dann auch irgendwie doch nachvollziehbar, denn der bereits erwähnte verlorene Weltkrieg hat in Kombination mit den ohnehin zerrüttenden, entwurzelnden und entfremdenden Kräfte der Moderne eben eine Jugend – oder genauer einen Teil der Jugend, der aber entscheidend war – hervorgebracht, denen die Werte der Aufklärung und des Humanismus, so wenig diese auch etwa den europäischen Kolonialismus haben verhindern können, nichts mehr bedeuteten, oder eben nur das, was sie daraus für ihr Weltbild und das daraus entstandene Projekt des sozialdarwinistischen „Rassenkampfes“ nutzen konnten. Die Vermittlung dieser Werte ist schließlich kein Selbstläufer, jede Generation müssen sie aufs Neue gelehrt werden. Die Rede vom „monströsen“ ist nachvollziehbar, weil die monströse Tat so verstanden eben ein Akt der Zerstörung ist, der einen so großen Abscheu hervorruft, weil sie so sehr von den eigenen Normen und Wertvorstellungen abweicht, dass man sich mit dem Hilfsmittel des Gegensatzes von „Gut“ gegen „Böse“ behilft. Mit dieser Dualität ist aber grundsätzlich nichts gewonnen, denn sie hat keinerlei erklärerischen Mehrwert. Er befreit uns vielmehr von der Aufgabe der Analyse, die Unangenehmes über die Conditia Humana offenlegen könnte, weil sie so wenig in das Muster unserer seit jeher erzählten Geschichten passt, den „Heldenreisen“ (Joseph Campbell), in denen ein Held in die Welt auszieht, mit einer Aufgabe betraut wird, nämlich eine böse Kraft zu zerstören, nur um am Ende auch tatsächlich gegen diese zu obsiegen. Er ist eine naheliegende Erklärung für die komplexen Strukturen, die der homo sapiens hervorgebracht hat. Aber dieser Gegensatz hilft uns nicht dabei, diese zu verstehen. Die Rede vom „Monströsen“ scheint insofern nur dann legitim, wenn sie eben als eine solche Metapher der Normabweichung verstanden wird, als einen instinktiven Rückgriff auf ein Bild, das eigentlich als Verarbeitung unerklärlicher Naturkräfte diente und insofern ein Ausdruck der Qualität des Schreckens über die Divergenz ist. 

In Kafkas „Der Verschollene“, jenem Fragment gebliebenen Roman, den Max Brod als „Amerika“ herausgegeben hat, gibt es eine Beschreibung eines Schreibtisches, der im Zimmer des erst vor kurzem aus Mitteleuropa nach New York gelangten Protagonisten steht. Es ist aber nicht irgendein Schreibtisch, nein: er hat beinahe magische Kräfte. Der Tisch hat “in seinem Aufsatz hundert Fächer verschiedenster Größe, und selbst der Präsident der Union hätte für jeden seiner Akten einen passenden Platz gefunden, aber außerdem war an der Seite ein Regulator, und man konnte durch Drehen an einer Kurbel die verschiedensten Umstellungen und Neueinrichtungen der Fächer nach Belieben und Bedarf erreichen. Dünne Seitenwändchen senkten sich langsam und bildeten den Boden neu sich erhebender oder die Decke neu aufsteigender Fächer; schon nach einer Umdrehung hatte der Aufsatz ein ganz anderes Aussehen, und alles ging, je nachdem man die Kurbel drehte, langsam oder unsinnig rasch vor sich.“

Ein schönes Sinnbild vielleicht für die Ambivalenz der sozialen Praktiken, die aus der Technologie-Sammlung hervorgehen können, die die Grundlage bilden für die „Herrschaft der Schreibtische“. In den Händen von Menschen wie den im Film Gezeigten dienen sie dazu, die Möglichkeitsräume der Moderne nach einem verlorenen Weltkrieg zu den Gedankenspielen ausreizen, den Topos der „Rassenhygiene“, wie die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit verbreitete Bewegung der Eugenik in Deutschland bezeichnenderweise hieß, in eine mörderische Konsequenz zu Ende zu denken und mit den Mitteln, die ihnen ebendiese Möglichkeitsräume bieten, auch auszuführen. Dann stecken in den sich drehenden Fächern immerneue Ideen der Ausgrenzung, der Grenzziehungen und der Architekturen der Überwachung und des „Todes durch Arbeit“, wie die Nationalsozialisten das nannten. Aber, so sehr die „Bürokratisierung“ heute als innovationshemmend oder – oft mit Verweis auf Kafkas „Process” – entmenschlichend kritisiert wird: der Sozialstaat ist ohne sie nicht denkbar. Der Schutz von Kindern etwa gegen gewalttätige Eltern ist ohne sie unmöglich. Der Kampf gegen neonazistische Bewegungen wird auf Schreibtischen und mit Aktenordnern – oder eben ihren digitalen Pendants – ebenso geführt wie jener gegen den Klimawandel. Es gibt kein Zurück hinter die Herrschaft der Schreibtische. Wer hinter ihnen herrscht, darauf kommt es an. Wie diese erzogen wurden, an welchen Werten sie sich orientieren. Denn, das hat der Fall der „Demokratie ohne Demokraten“ gezeigt, eine Verfassung alleine macht noch keine Demokratie. 

„Die Wannseekonferenz“ ist noch bis Anfang 2024 in der ZDF Mediathek zu sehen. 

Jeder macht mal Fehler – “Ich bin dein Mensch” von Maria Schrader

„Kunst und Technik – eine neue Einheit“. So beschrieb Walter Gropius, einer der Ehemänner von Alma Mahler-Werfel, Namesvetterin der Protagonistin von „Ich bin dein Mensch“, 1923 die Stoßrichtung des von ihm gegründeten Bauhauses. Aber gehört das nicht immer schon zusammen, Kunst und Technik? Ab wann aber ist oder vielleicht vielmehr schafft Technik Kunst? – Bauhaus-Gebäude in Dessau, Foto: Markus Hengelhaupt.

Jeder macht mal Fehler. So heißt es gerne, wenn man jemanden ermutigen will, nicht aufzugeben oder sich nicht zu sehr selbst zu verurteilen, wenn dieser etwas gemacht hat, das im Nachhinein als falsch angesehen wird. Irren ist menschlich geht in eine ähnliche Richtung. 

Und es stimmt natürlich, dass Menschen als biologische Wesen aus und wegen Fehlern entstanden sind, die wir heute als Evolution bezeichnen. Trial and Error eben. 

Dieser Mechanismus, die Abweichung vom Bekannten auf die Gefahr hin, etwas falsches zu tun und im schlimmsten Fall daran zugrunde zu gehen, beschränkt sich jedoch nicht auf die Biologie. Der Historiker David Bates beschreibt auch das Phänomen der Aufklärung als eine Methode der Wahrheitssuche, die den Fehler nicht zum Makel, sondern zum Kern der Wissenssuche erklärt: „Error assumed a significant role not just in the definition of knowledge but in the very search for knowledge itself.“ Der Konflikt sei dabei vorprogrammiert gewesen. „The boundaries of error, marked only by the borders of truth itself, were never given in advance. And yet the promise of truth demanded an attempt to forge a path, to cut through established zones of knowledge and interest, despite the lack of any foundational legitimation.“

Wenn schon der moderne Mensch also nur über Fehler sich aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ heraustesten kann, er also nur durch gelegentliches Versagen – und eben das Lernen daraus – seine Vernunftbegabung unter Beweis stellen kann, wie sollte es da verwundern, dass es bei Algorithmen nicht anders ist? 

Die Debatte darum, ob „Künstliche Intelligenz“ nun wirklich intelligent sein könne eines Tages, oder ob sie es in bestimmen Bereichen vielleicht sogar schon ist, wird nicht erst seit den letzten Jahren geführt. Es hilft dabei wohl, immer wieder auf den irreführenden Begriff der „künstlichen Intelligenz“ hinzuweisen, um zumindest ein Grundverständnis dessen zu entwickeln, was der Unterschied ist zwischen menschlicher Intelligenz und dem, was Maschinen tun können (schon Alan Turing präsentierte in den 1950er Jahren seinen berühmten Turing Test als kreative Antwort auf die damals schon gestellte Frage, ob Maschinen denken könnten.) 

Matteo Pasquinelli meint dazu: „Technically speaking, it would be more accurate to call Artificial Intelligence machine learning or computational statistics but these terms would have zero marketing appeal for companies, universities and the art market.“ (How a Machine Learns and Fails – a Grammar of Error for Artificial Intelligence, S. 4) Virtuelle Maschinen, wie „Künstliche Intelligenzen“ sinnvollerweise verstanden werden sollten, sind informationsverarbeitende Systeme (Margaret A. Boden: Artificial Intelligence, 2018, S. 3). Sie beschäftigen sich mit dem Erkennen von Mustern. Wenn Maschinen lernen, erstellen sie Statistiken darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass der Datensatz, den sie gerade vor sich haben, mit den Klassifikationen anderer Datensätze in ihrem System übereinstimmt. Wenn diese virtuellen Maschinen dabei Fehler machen, also etwa das Bild einer Katze mit der Klassifikation „Hund“ versehen, dann müssen sie darauf hingewiesen werden. 

Als „die Fähigkeit, komplexe Ziele zu erreichen“, definiert Max Tegmark Intelligenz. Als komplex mag man die Unterscheidung zwischen Katzen und Hunden, zumindest für uns Menschen, intuitiv nicht bewerten. Aber sie ist eben ein Schritt hin zu jenem Traum, der die Menschheit seit Jahrtausenden umtreibt: der Erweckung toter Materie zu etwas, das uns zumindest genauso vorkommt wie ein homo sapiens. 

Alma, die Protagonistin des Films „Ich bin dein Mensch“, muss gleich zu Beginn der Geschichte die Erfahrung machen, dass ein solches Wesen, das ihr in einer Bar voller tanzender und sich unterhaltender Hologramme vorgestellt wird, dieser elegante „Mann“ mit dem dezenten englischen Akzent, den die Wissenschaftlerin in den folgenden Wochen austesten soll, anfällig für Fehler ist. Mitten auf der Tanzfläche, wohin er die zurückhaltende, skeptische Alma bittet, tritt plötzlich eine cartesianische Störung auf, der Roboter ist gefangen in einer Sprachverarbeitungs-Schleife, in der er immer nur wieder die Worte „Ich bin“ wiederholen kann. Mitarbeiter müssen den so in der Sprache Gefangenen schließlich aus dem Raum tragen, um ihn einer Reparatur zu unterziehen, bevor sie ihn mit nach Hause nehmen kann. 

Tom, wie die Mensch-Maschine heißt, ist genau auf sie abgestimmt, die sprachliche Varianz kommt etwa daher, dass sie zwar das Fremde, das Andersartige reizt, aber dann auch wieder nicht allzu extrem, ein wenig vertraut soll es trotzdem noch sein: England. Vielleicht auch ein leiser Verweis auf Turing. 

Im Auto nach Hause kündigt er selbstbewusst an, dass bald alle Unstimmigkeiten zwischen Alma und ihm ausgeräumt seien. Es komme nur darauf an, dass er genügend Daten über sie sammeln kann, indem er eben ihre Reaktionen bewertet. Die Fehler, die er dabei macht, sind tatsächlich komisch geschrieben. So räumt er in der Nacht ihr chaotisches Wohnzimmer auf und sortiert ihre Bücher schön ordentlich nach Farben. Ihr Gesicht aber versteinert, als er ihr stolz seine Arbeit präsentiert. Sofort erkennt er, dass das wohl nicht gewünscht war und räumt alles in Windeseile zurück in den ursprünglichen Zustand. Nein, das Fenster kann dann doch ruhig sauber bleiben, meint sie noch, bevor sie zur Arbeit abrauscht. 

Als Alma ihn während ihrer Arbeit an einem Projekt auf der Museumsinsel, bei dem sie nach Anzeichen von Lyrik in antiken Schrifttafeln sucht – sein Angebot, ihr behilflich zu sein, lehnt sie mit dem Verweis ab, er könne zwar vielleicht in einem Sekundenbruchteil die alten Sprachen erlernen, aber Lyrik erkennen, das sei für ihn doch nicht möglich – in einem Café lässt, damit er ihr nicht auf die Nerven geht, wohnt er einer Szene bei, die er nicht versteht: zwei junge Menschen fallen fast von ihren Stühlen vor Erheiterung über Videos, in denen Menschen scheitern. Fails nennt man das. Die Frau am Platz neben Tom jedenfalls kann es auch nicht so recht erklären, warum das eigentlich so lustig sein soll. Es ist eben einfach komisch. 

Der Fehler ist also das Leitmotiv des Films und bestimmt folgerichtig auch den Verlauf der Handlung – wie vielleicht jede spannende oder lustige Storyline immer irgendeine Art von Fehler, von Unregelmäßigkeit enthält, eine Anomalie, die die Geschichte erst auslöst bzw. erzählenswert macht. Almas Plan, Tom im Laufe dieser zwei Wochen genauso kaltherzig zu begegnen wie in den ersten Stunden ihres Kennenlernens und sich auf das Ziel des Tests, nämlich sich in diesen Roboter zu verlieben, der genau dafür entworfen wurde, nicht einzulassen – sie hat schließlich zu arbeiten – geht nicht auf. Sie muss am Ende in einem emotionalen Gespräch mit ihm, das sie als Selbstgespräch erkennt, da er eben kein Mensch ist, feststellen, dass sie in die Falle getappt ist. Dass dieses künstliche Wesen es doch geschafft hat, ihr Innenleben komplett aufzuwühlen. All ihren Plänen zum Trotz hat sie Empathie entwickelt zu Tom. Es tut ihr ernsthaft Leid, als er ihr ruhig erklärt, dass er auseinandergebaut wird, nachdem sie ihn zurück in die Fabrik geschickt hat, weil sie erkennt, dass er ihr Leben durcheinander bringt. 

Der Name der Protagonistin ist vielleicht eine Anspielung auf einen der bekanntesten Spielfilme über die „Künstliche Intelligenz“, „Ex machina“ von Alex Garland aus dem Jahr 2015. Darin hängt in dem Zimmer, in dem die vom Protagonisten zu testende Roboter-Frau lebt, ein Gemälde, das Margarethe Stonborough-Wittgenstein zeigt, die Schwester von Ludwig Wittgenstein. Gemalt hat das Werk Gustav Klimt, der eine Zeitlang der Geliebte von Alma Mahler-Werfel war. Der Wittgenstein-Verweis dient in Garlands Film dazu, die Frage aufzuwerfen, was denn eigentlich der Unterschied sei zwischen einer menschlichen, insbesondere kommunikativen Handlung und deren Imitation. Denn Wittgenstein, für den Sprache immer nur als Praxis verstanden werden kann („Der Gebrauch des Wortes in der Praxis ist seine Bedeutung“, „Wir können sagen, dass Denken im wesentlichen eine Tätigkeit des Operierens mit Zeichen ist“), meint, „dass die Person, von der wir sagen ‚Er hat Schmerzen‘, nach den Regeln des [Sprach-]Spiels die Person ist, die schreit, das Gesicht verzerrt etc.“ Wir müssen dem Menschen im Alltag immer irgendwie glauben, dass er tatsächlich Schmerz empfindet, denn wir können außerhalb eines Labors schließlich nicht messen, ob wirklich die Schmerzrezeptoren in seinem Gehirn aktiviert sind. 

Wenn also der Roboter die Sprache und alle Kommunikation richtig anwendet, müssten wir ihn dann nicht aufnehmen in unsere Gemeinschaften? Wäre es nicht unethisch, anzusehen, oder etwa ein Kind ansehen zu lassen, wie ein solches Wesen, mit dem wir Empathie empfinden würden, wie Alma es tut, mit dem wir emotionale Verbindungen aufbauen würden – und das eben genau so aussieht wie wir, das ist ein entscheidender Zusatz – verschrottet wird? Wie ihm seine Gliedmaßen entfernt werden und sein Gesicht schmilzt? Aber stünde nicht andererseits einem Missbrauch solcher künstlicher Menschen Tür und Tor offen, die die Rechte eines Menschen bekommen, aber eben zu einem bestimmten Zweck programmiert werden, etwa um ein Verbrechen zu begehen? 

„Ich bin dein Mensch“ begegnet diesen Fragen etwa im tatsächlich überaus spannenden Bereich der familiären Beziehungen. Alma hat nämlich vor einigen Jahren im dritten Monat ein Kind verloren. Der Vater, der keiner geworden ist, ein Arbeitskollege von ihr, erwartet im Verlauf des Films mit seiner neuen Partnerin nun wieder ein Kind, was Alma tief trifft, selbst wenn sie sich das natürlich nicht anmerken lassen will. Anders als sie es Tom vorwirft, versteht dieser ihren Schmerz durchaus, wenn er auch nicht gerade sensibel damit umgeht. „Es ist sehr leicht zu verstehen“, erklärt er ihr etwas kalt. Ihr wird klar, dass sie, wenn sie doch noch die Erfahrung machen möchte, ein Kind zur Welt zu bringen, sich nicht auf ein Leben mit Tom einlassen kann. Zumindest nicht ohne künstliche Befruchtung, was für sie aber keine Option zu sein scheint. 

Der – wenn auch um einige Ecken angelegte – Verweis auf Alma Mahler kann aber auch in Bezug auf die Frage der „künstlichen Kunst“ gelesen werden, denn Mahler-Werfel, das merkt man ja dem Doppelnamen schon an, war mit gleich mehreren bedeutenden Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts verheiratet, neben dem Komponisten Gustav Mahler und dem Dichter Franz Werfel auch mit dem Architekten und Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Die Frage ist nicht nur in Almas Ablehnung von Toms Angebot der literaturwissenschaftlichen Hilfeleistung sichtbar, sondern auch in ihrer Reaktion darauf, dass Tom ihr einen Artikel anderer Wissenschaftler mit denselben Ergebnissen zeigt, der bald veröffentlicht werden wird, weshalb ihre eigene Arbeit für sie plötzlich sinnlos scheint. Es ist ein egoistischer Schmerz, muss Tom lernen, der Alma da zum Weinen bringt: zumindest ein Teil ihrer Bemühungen hat mit persönlichem Prestige zu tun. Ist das nicht vielleicht einer der Gründe für die menschliche Kreativität? Dass die oder der Kunstschaffende (oder in diesem Fall -dechiffrierende) auch immer irgendwie einen persönlichen Vorteil daraus zieht? Und könnten Maschinen ein solches Verlangen wirklich „entwickeln“? 

Der Robotik-Wissenschaftler Hans Moravec hat für die Veranschaulichung dieses Problems die Metapher der „Landschaft menschlicher Kompetenz“ entwickelt. In dieser sind verschiedene Fähigkeiten an verschiedenen Positionen innerhalb einer Berglandschaft angesiedelt. Weit unten im Tal steht etwa die Arithmetik, etwas höher das Spiel „Go“ und Kunst und Wissenschaft thronen auf den Gipfeln. Die Fortschritte des Maschinenlernens sind in diesem Bild eine Flut, die immer weiter ansteigt. Relativ früh können die virtuellen Maschinen Rechenaufgaben gleich gut bzw. bald schneller lösen als die Menschen. Jahre später folgt der Sieg einer Maschine über einen Menschen im Go, einem der kompliziertesten Spiele überhaupt. Ob das Wasser aber einmal die Gipfel fluten wird, das steht noch nicht fest. Denn dazu gehört eben auch die Frage, ab wann das Werk einer virtuellen Maschine tatsächlich kreativ ist. Ada Lovelace, eine Pionierin auf diesem Feld, die sich diesen Fragen schon im 19. Jahrhundert widmete, hat dazu ein Äquivalent des Turing-Tests entwickelt: sie meinte, dass künstliche Kreativität dann gegeben sei, wenn die Programmierer, die das Werk „in Auftrag gegeben“ haben, nicht verstehen können, wie genau es entstanden ist. Aber es bleibt auch hier die bereits genannte Frage: reicht das Resultat, also in diesem Fall der Genuss des Kunstwerks? Oder gehört für uns Menschen nicht doch immer die Intention dazu; also die Sicherheit darüber, dass der „Künstler“ das eigene Werk doch „verstehen“, also „wertschätzen“ kann? Und wie stellt man das fest, wenn es sich um ein Programm auf einem Rechner handelt? 

Gegen Ende des Films begegnet Alma einem Kollegen, der ganz verwandelt ist angesichts der Roboter-Frau an seiner Seite, die er hat testen dürfen, und die er nun zu „behalten“ sich anstrengt (der Aspekt des Besitzes, der im Titel des Films ja auch anklingt, ist ein weiteres Thema des Werks). „Ich bin dein Mensch“ bewahrt sich so eine gewisse Ambivalenz im Blick auf das Phänomen der künstlichen Begleiter von Menschen, die ohne diese unter Einsamkeit leiden würden und das schließlich alles andere als eine Frage der Zukunft ist, denn Care-Roboter insbesondere für alte Menschen existieren ja bereits. 

Der intelligente Film, der zu vielerlei Fragen anregt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer nicht-menschlichen Begleiter, aber auch über die Bedeutung von Fehlern im Mensch-Sein, ist noch bis zum 25. Juni in der ARD Mediathek verfügbar. 

Klima und Kunst – “Down to Earth” im Martin-Gropius-Bau

Alexander von Humboldts berühmtes “Naturgemälde”. Humboldt beschreibt die Natur in seinem Werk “Kosmos” als eine Kraft, die nur in ihrer Gesamtheit analysiert werden kann: “Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Mischung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein lebendiges Ganzes.” – Tableau physique des Andes et pays voisins, Peter H. Raven Library/Missouri Botanical Garden (CC BY-NC-SA 4.0), Biodiversity Heritage Library.

Die Dichotomien scheinen klar. Vergangenheit und Natur auf der einen Seite, Zivilisation, Moderne und Gegenwart auf der anderen. Dennoch verbirgt sich in dieser Beschreibung einer Reise von Europäern in den Kongo aus Joseph Conrads „Heart of Darkness“, einem der großen Klassiker der Kolonial-Literatur, eine andere Lesart der Welt. Einer, in der Bäume zwar keine Könige, aber gleichberechtigte Mitglieder im „Parlament der Dinge“ sind, ohne die oder besser deren Erhalt – wie uns heute mehr als je bewusst ist – die vermeintlich der Natur gegenüberstehende Menschheit mit ihrer Kultur nicht überlebensfähig ist. 

„Going up that river was like traveling back to the earliest beginnings of the world, when vegetation rioted on the earth and the big trees were kings. An empty stream, a great silence, an impenetrable forest. The air was warm, thick, heavy, sluggish. There was no joy in the brilliance of sunshine.“ 

Diese Formel, die Welt, oder gleich der Kosmos, als „Parlament“, stammt vom französischen Philosophen Bruno Latour, dessen These, dass der Mensch nicht nur auf die Natur angewiesen, sondern gar nicht getrennt von dieser gedacht werden sollte bzw. kann, die Ausstellung „Down to Earth“ im Martin-Gropius-Bau begleitet auf eine Erkundungsreise, an dessen Ende aber nicht der stille und undurchdringliche Anfang der Welt liegt, sondern Ideen ihrer Zukunft. 

Latour hat die Schau dabei nicht allein mit seinen Werken inspiriert, sondern war bzw. ist an dessen Konzeption aktiv beteiligt. Diese kann dementsprechend gelesen werden als Abarbeitung an zwei seiner zentralen Kritik-Punkte an unserer Moderne, bzw. vielmehr dem, was wir dafür halten. Zum einen bestünde das „Projekt Moderne“ (Habermas) in der Praxis der „Reinigung“, also eben der steten Abgrenzung von Mensch und Natur, zum anderen betreibe die Moderne – und zwar gerade durch diese Praktiken – eine „Übersetzung”, also eine Vermischung dieser beiden Zonen, wodurch „Hybriden, Mischwesen zwischen Natur und Kultur“ entstünden. Da die Moderne aber diese Vermischung nicht als solche begreifen und benennen konnte, weil diese eben dem Gedanken der Trennung entgegen läuft, seien wir – so paradox das klingen mag – bisher nie modern gewesen. 

Leitthema der Ausstellung „Down to Earth“ ist also das Klima, und wie es gedacht werden kann, sind also wir als Teil eines Systems, das die Natur immer mit einschließt. Die verschiedenen Beiträge gehen dafür oftmals tief zurück in die Vergangenheit, besonders der europäischen Imperien. Welche Bedeutung diese anfangs literarisch zitierte Epoche für die Auseinandersetzung um Wissenschaft, Politik und Klima besitzt, wird etwa in der Installation von Filipa César und Louis Henderson deutlich. Die beiden haben auf einem Tisch Bilder und Texte versammelt, die die Verbindung von optischen Technologien mit kolonialen Praktiken in einem breiten zeitlichen Bogen bis in die Gegenwart beschreiben. Durch die darüber gelegten, oft in Fragmente geschnittenen Glas-Linsen wird dem Werk zudem der Aspekt der Erkenntnistheorien der Aufklärung hinzugefügt, deren Verbindung mit den europäischen Entdeckungsreisen und Expansionen so geschickt zur Debatte gestellt wird. Wobei wir wieder bei der neu-modernen Wahrnehmung wären: der Ozean darf, so wird es in einem mit CO2-sparender Algae Ink gedruckten Begleitheft aus Recyclingpapier erklärt, nicht als Trennendes verstanden werden, sondern als Verbindendes: „Die Meere dienten als flüssige Oberfläche, über die sich koloniale Absichten rund um den Globus ausbreiten.“ 

Dazu passen die auf Satellitenaufnahmen basierenden Bilder des atlantischen Ozeans des Fotographen Andreas Gursky, die so gedreht sind, dass unsere gängige Darstellung um 45 Grad verschoben erscheint, wodurch das Wasser ganz plastisch in den Mittelpunkt rückt, ins Zentrum der Wahrnehmung, wie es das eben in der Klimawandel-Debatte tut. 

Einen ähnlichen Effekt rufen die Fotos von Agnes Denis hervor, in denen wir unter der Skyline New Yorks Weizenfelder rauschen sehen, ohne die die Wolkenkratzer eben in Latour’scher Lesart nicht denk-bar sind. Die Künstlerin hatte in den 80er Jahren auf einem zwei Hektar großen Stück Land das Getreide ausgesät, die Ernte wurde anschließend in die ganze Welt geschickt. 

Dass „Down to Earth“ nicht einfach eine Kunst-Schau ist, wird am deutlichsten aber in einem „Working Space“ betitelten Raum im Zentrum der Ausstellung. Hier liegt neben Lektüre- und Arbeitstischen ein Interview in Plakat-Größe zum Mitnehmen aus, in dem Lautour und die französische Theaterregisseurin Frédérique Aït-Touati, die gemeinsam an der Ausstellung gearbeitet haben, ihre Ideen vorstellen. 

Als eine ihrer Inspirationsquellen benennen sie darin Brechts „Das Leben des Galilei“. Das 1939 im dänischen Exil verfasste Stück zeigt den Wissenschaftler zwar, ganz entgegen des Latour’schen System-Denkens, als großen Mann, als individuelles Genie. Wichtiger aber ist, dass Brecht hier die Verflechtung von Politik und Wissenschaft deutlich macht und gleichzeitig, in der Menschheit dunkelster Stunde, doch den Glauben an die Vernunft des Menschen erhält, aber eben nur wenn erstritten. Als Galileo gefragt wird, ob sich die Wahrheit nicht „ohne uns“ durchsetze, lässt Brecht ihn antworten: „Nein, nein, nein. Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein.“ 

Ob die Erkenntnisse der Wissenschaft ernst genommen werden, ist, daran werden wir hier erinnert, nicht erst beim Klima-Wandel eine Frage danach, wie sich politische Akteure positionieren bzw. verhalten, etwa die Republikanische Partei in den Vereinigten Staaten, die Noam Chomsky bekanntermaßen als „most dangerous organisation in human history“ bezeichnet. Denn das ist natürlich der entscheidende Unterschied zu Galileo, dessen Erkenntnis nicht den Fortbestand der Menschheit an sich tangiert hat. 

Deutlich weniger bekannt als Brecht und Galileo ist das in der Schau und Latours Denken ebenfalls omnipräsente Konzept von „Gaia“, der Mutter Erde. In besagtem Interview heißt es: „Wir sind in Gaia eingebettet, aber wir müssen einen Brecht’schen, nicht immersiven Weg finden, um den Menschen zu demonstrieren, dass sie eingetaucht sind.“ 

Dieser Ansatz, dieses Zeigen mit den Mitteln der Kunst, durchzieht tatsächlich die gesamte Ausstellung und macht sie so erstaunlich greifbar. Femke Herregravens Installation „Malleable Regress“ veranschaulicht das besonders deutlich. Schwere Gummiblöcke sind da zu sehen auf großen Textblöcken. Das Werk bezieht sich auf Tjipetir-Gummiblöcke, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts in der damals niederländischen Kolonie Indonesien hergestellt wurden, um Unterwassertelegraphenkabel zu isolieren. Einige dieser Blöcke werden, hundert Jahre nach dem Sinken eines Transportschiffs mit dieser kostbaren Ladung an Bord, an die Küsten verschiedener Länder gespült, drei sind in der Ausstellung zu sehen. Die Textblöcke schließlich stellen die direkte Verbindung zu uns Betrachtenden mit unseren Smartphones in der Tasche dar, denn auf ihnen ist das Patent für ideale Serverstandorte in der Arktis abgedruckt. 

Der Bogen zu all den kolonialen Bezügen in der Ausstellung schließt sich letztendlich natürlich auch in der Frage, wer welchen Beitrag zur Bewältigung des Klima-Wandels zahlt. Es dreht sich also nicht um eine rein ideelle oder moralische Frage, sondern um eine Politische. Das war übrigens, hier sind wir wieder bei César und Henderson, schon im Zeitalter des Imperialismus der Fall. Wissenschaft in Form von kolonialem Wissen, so der Kolonialismus-Historiker Jürgen Osterhammel, war nämlich „weniger theoretisches als handlungsleitendes Wissen.“ Selbst wenn sich der Westen im 19. Jahrhundert nicht der Auswirkungen der Industrialisierung auf das Klima bewusst war, meinte etwa der postkoloniale Theoretiker Dipesh Chakrabarty während eines Vortrags auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin letztes Jahr, trage er dennoch eine größere historische Verantwortung für die Folgen dieses Prozesses. Chakrabarty bezog sich damals übrigens auch auf Latour, er zitierte dessen Idee der „ghost acres“, also derjenigen Flächen an Land, die der Westen für die Aufrechterhaltung seines Lebensstandards benötigt, die aber nicht im Westen selbst liegen. 

„Down to Earth“ ist eine erstaunlich umfangreiche Schau. Trotz seiner sich durch verschiedene Performances steten Wandlung ein Gesamtkunstwerk vielleicht, denn im Raum steht hier immer auch, wie im Begleitheft minutiös nachzulesen, die eigene Klimabilanz der Ausstellung, deren Mitwirkende etwa alle nur mit dem Zug angereist sind. 

Auf jeden Fall ist es dem Martin-Gropius-Bau, wo einst das Kunstgewerbemuseum beheimatet war, gelungen, einen Ort zu erschaffen, der dieser Tradition des Nachdenkens über den Zusammenhang von Kunst und unseren Alltagsgegenständen und dadurch -praktiken gerecht wird. „Down to Earth“ lädt dazu ein, über das inzwischen glücklicherweise stark präsente Thema des Klimawandels doch nochmal, oder besser immer wieder, neu nachzudenken. 

Vielleicht schaffen wir es ja, wenn wir den hier angestoßenen Denkwegen weiter folgen, doch noch, modern zu werden, wobei wir am besten die Aufklärung gleich mit von deren aus unserer Sicht nicht-modernen Elementen bereinigen („Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen“ – Kant). Es wäre uns zu wünschen, denn so wie die Macher*innen von „Down to Earth“ den Begriff verstehen, bleibt uns dazu eigentlich, wie wir längst wissen, gar keine Alternative. Und vielleicht können wir uns so auch der Geister entledigen, die nicht nur im Schatten jener noch immer so wirkmächtigen, von den Glühbirnen des Fortschritts hell leuchtenden Vorstellung der westlichen Moderne spuken, sondern auch auf den Feldern der Gegenwart. 

Andernfalls bleibt eben niemand zurück, der sich erfreuen könnte an der „brilliance of sunshine.“ 

Afro-marxist modernity. Ghana and Angola in comparison

“All that is solid melts into air, all that is holy is profaned, and man is at last compelled to face with sober senses his real conditions of life, and his relations with his kind.”[1]

“It was commonly thought that the time had come for the world, and particularly for the Third World, to choose between the capitalist system and the socialist system. The underdeveloped countries […] must, however, refuse to get involved in such rivalry. [They] must endeavour to focus on their very own values as well as methods and style specific to them. […] The choice of a socialist regime, of a regime entirely devoted to the people […] will allow us to progress faster in greater harmony.”[2]

Marx’ depiction of change in a modern, capitalist society – evoked, he argues, by the constant revolutionising of the instruments of production – is part of a theory, which, in its various manifestations in the 20th century, provided the basis for a modernity radical opposed to the prescribed one. The Cold War between the two opposing political and economic systems, of which Fanon speaks, can indeed be regarded as a competition between these two versions of modernity propagated by Washington and Moscow, respectively. Fanon’s directive for Africa, reflecting the truly global dimension of this contestation, may seem contradictory at first sight, but, as will be shown, is referring to a distinct version of the modernity propagated by the latter, an Afro-Marxist modernity, which will be the topic of this essay. Using Africa as one common geographical frame bears risks, given the massive differences in social and political developments throughout the 19th and 20th century. Still, the combining colonial experience and the later discussed Pan-African movement, closely intertwined with Marxism, justify the common analysis. After defining modernity as well as its Marxist and, finally, Afro-Marxist notions, the proliferation of these ideas is outlined, both in the form of the Soviet Union’s as well as Cuba’s ties to the various African movements and independent states and the education of Africans outside Africa. Finally, the realization of these ideas and the differing manifestations are described, using Ghana and Angola as two case studies contrasting a non-violent nation-building project, and a radical, militant struggle. Sources by Kwame Nkrumah, leader of the Ghanaian independence movement and the MPLA, one of the parties in the Angolan war against the Portuguese and the subsequent civil war help to show that the manifestation of spread ideas depended heavily on single African actors as well as the Cold War geopolitical situation. In order not to overcomplicate the terminology and to find a depth of the ideological differentiation appropriate to the length of the essay, Marxism is used in a broad sense as relating to the basic Marxist claim for the control of the means of production by the working class (even in their absence as in many developing countries at the time) or, in broader terms, a mass-based politics with an anti-capitalist stance.

To begin with, modernity, in general terms, is understood as an overall approach to or concept of life in the modern age, in ideological terms defined as post-enlightenment era and, to differentiate it from post-modernity, based on the first and second industrial revolutions. “As the basic characteristic and embodiment of the developmental process of modern society, modernity manifests itself in all aspects of social life.”[3] Following Marshall Berman, we find the crucial phase of modernisation, i.e. the striving for a – more or less radical – changing of society, based on new ideas, in the time after the “great revolutionary wave of 1790s”, in which an abruptly emerged modern public “shares the feeling of living in a revolutionary age”, but at the same time remembers the material and spiritual conditions of the pre-revolutionary era.[4] Modernity also “entailed some very distinct shifts in the conception of human agency, and of its place in the flow of time. It carried a conception of the future characterized by a number of possibilities realizable through autonomous human agency”[5]. This striving for another organization of society, however, we have to understand as split into a global multitude with overlapping similarities, but also clear local distinctions.

Marxism constituted the most radical form of this new understanding of human agency. By developing an alternative, but all the more enthusiastic, model of a just, industrialized society, enjoying the benefits of modern technology and industrial goods, Marx delivered a blueprint for the reorganization of societies which enjoyed unforeseeable popularity in the 20th century. Even more important for our case was, however, the realization of this rather vaguely defined concept of modernity by the Bolsheviks and the perception of this experiment in the rest of the world. Soviet modernity was a way of the engagement of the masses – including women – in the ideological vision of the party. In its refutation of Marx’ idea, that the socialist revolution could only be successful in developed, capitalist societies, the Soviet Union constituted a form of modernization based on mechanisation, industrialisation and overall-control of the economy and society by a vanguard party which came to power only by means of militancy and violence.[6] In the Cold War context after 1945, finally, “modernity came in two stages: a capitalist form and a communal form, reflecting two revolutions – that of capital and productivity, and that of democratization and the social advancement of the underprivileged.” In this above described rivalry for notions of modernity, both sides had to prove “the universal applicability of their ideologies” by exporting them to the not yet developed world. [7] Marxism thus became a concept of development and, paradoxically – given Marx’ idea that nations would vanish after the realization of communism – nation-building and therefore became a popular approach to modernity. For this essay, we distinguish between three forms of dissemination of this Marxist modernity: material support, ideological connections and the loose spread of ideas.

Afro-Marxist modernity, finally, can be seen as an adaptation of these ideas to the African context. Pan-Africanism, i.e. the idea that the liberation of one country is only the first step towards the liberation and unification of the whole of Africa, played a crucial role in many anti-colonial movements, most prominently in Nkrumah’s concept of African socialism. Despite being Marxist in word and deed, Afro-Marxist movements stressed that they were “departing in significant ways” from classical Marxism.[8] This also meant that Afro-Marxism did not necessarily entail any form of political alignment with Moscow in the Cold War. In fact, the non-aligned-movement was very popular among anti-capitalist African governments.[9] “The eclectic nature of Afro-Marxism allowed adoptive regimes a certain autonomy with regard to Moscow while still being allowed to present themselves as ‘progressive’.”[10]

Despite this non-necessity of direct links to Moscow, the Soviets played a crucial role for many Afro-Marxist movements. While the Bolsheviks took an anti-imperialist stance from the beginning on, which they tried to spread through the Comintern, the actual support as well as the strength of Marxist movements in Africa was relatively poor initially. In the 1930s, the support increased even further due to the common fascist threat with the imperial powers.[11] In the decade after 1945, then, sub-Saharan Africa was considered “relatively unimportant in terms of geopolitics.”[12] After Khrushchev dropped Stalin’s two-camp theory, a more pragmatic approach defined Moscow’s relationship with Africa. Even countries without a distinct anti-capitalist stance received material supply, which was regarded as an anti-Western investment.[13] In general terms, one can distinguish between two phases of Soviet influence in Africa: after supporting newly-independent countries, especially Guinea, Mali and Ghana from 1958 onwards, the USSR, as well as Cuba, intervened in several armed conflicts or civil wars in the 1970s, most importantly in Angola, Mozambique, and Ethiopia.[14]

While the USSR was also the host for students from – not only anti-capitalist – African countries, most prominently at the People’s Friendship University in Moscow[15], and thereby tried to actively propagate Soviet modernity among Africans, the education of Africans in the West was even more important in many cases. Often already “dedicated to such staples of modernity as technology and systematization”[16] through colonial education, links to communist parties especially in Britain, France and Portugal helped African elites to develop their Afro-Marxist ideas of how to gain political as well as economic independence from the West and to build a just and progressive society thereafter. The Western education also helps to explain the focus on science and education, “which were at the heart of the project to build modern states in the Third World.”[17] The links to European and Soviet communists, however, must not be overestimated. Afro-Marxist leaders “were out to win power for themselves rather than to place their movements and countries under external communist domination.”[18]

The actual Afro-Marxist nation- and state-building can be distinguished, like the Soviet support, in two phases: “During the late 1950s and early 1960s countries such as Ghana, Guinea, Mali, Tanzania and Zambia, claimed to have adapted socialism to their own national circumstances, producing territorial variants of what was vaguely described as ‘African Socialism’, or ‘Populist Socialism’”, which favoured “broad-based hegemonistic mass movements of the anti-colonial struggle” over Leninist vanguard parties. Since the realization of their socialist programs failed, these first Afro-Marxist regimes faced deep troubles in the late 1960s and many fell victim to military coups. The result was, however, no retreat from the Marxist path of modernization. Rather, a more radical Marxist approach was presented as an answer to the failure of these regimes. The first African “People’s Republic” in Congo (Brazaville), established in 1969 after a putsch by radical soldiers, is the first example of this more radical Marxist state model. Yet, a Marxist-Leninist party was only established years after the acquisition of power. The same is true for Somalia, Benin and Ethiopia. This more radical Marxist approach was even “used by political dissidents to challenge the legitimacy of established Marxist rulers.”[19] The most radical and militant manifestation of Afro-Marxism, however, could be seen in the former Portuguese colonies and the civil wars resulting from the late decolonization process.

The history of Ghanaian, and indeed African independence cannot be written without the person of Kwame Nkrumah. The leader of the independent movement and first president of the newly independent country “became a symbol of hope for other colonised people around the world”[20], especially in Africa, and most important advocate of Pan-Africanism. Through his western education, both in the US and the UK, he came into contact with Marxist ideas as well as communist and African organisations. He also played a key role in the 1945 Manchester fifth Pan-African Congress, where he discussed his ideas with other key African politicians like Frantz Fanon.[21] In 1947 he was invited to become head of the United Gold Coast Convention (UGCC).[22] He “arrived in a country facing serious postwar difficulties. Unemployment was rampant, prices had soared and the all-important cocoa crop was threatened by disease”[23], which in 1948 led to riots and demonstrations. Nkrumah, more radical than the other UGCC members, founded the Convention People’s Party (PCC) in 1949, which “demanded ‘Self-Government Now’ and began to mobilise trade unionists, farmers, youth and ex-servicemen’s associations”[24] and thereby channelled the anti-colonial mood in the country. In 1951, while in prison for organising demonstrations, he won the general election with over 90 percent. During this campaign his party propagated a resolute modern programme, including “free education and medical care, the introduction of heavy industry, railroad electrification [and] the mechanization of agriculture”[25] and were thus already promoting a modernity with a Marxist stance. Following his appointment as prime minister of the Gold Coast in 1952, he and the CPP led the country peacefully to “internal self-government” and, finally, to independence in 1957, when Nkrumah became first president of renamed Ghana.[26] Having already determined the discourse about the future of the country in the late colonial era, the term “development” became ubiquitous after 1957. “Development, the objective good, was the one tenant upon which the Cold War powers in the United Nations, as well as the Third World powers at Bandung, could all agree.” The introduction of annual development plans, focusing on industrialisation and infrastructure projects led the county on a modernization path established first in the Soviet Union. Development also included a focus on, especially technical, education and technology.[27]

These symbols of modernity in the first independent sub-Saharan African country were not established in an explicit Marxist framework at the beginning. Indeed, Nkrumah’s foreign policy swayed between East and West several times while officially being part of the Non-Aligned Movement, which illuminated the “cultivation of an enlightened, humanist, and morally and socially reforming modernity”.[28] Soviet material assistance for Ghana started in 1960, when an agreement was signed providing for cultural and technological cooperation as well as the exchange of teachers and students. In another agreement following soon after, the exchange of Soviet industrial products for Ghanaian raw materials was arranged.[29] This cooperation, however, was only one part of Ghana’s foreign aid, albeit presenting the educational, technological and industrial modernity more symbolically than the US loans. It was not until 1964, that Ghana in word and deed ultimately moved closer to a Soviet-Marxist modernity, although Nkrumah never fully accepted it while being president.[30]

At this point it is worth looking closer at one of Nkrumah’s most important publications, “Africa Must Unite”[31] from 1963. In a chapter titled “Building Socialism in Africa”, he describes his vision of an African socialism. Although he names different parts of Marxist modernity like “industrialisation”, “public ownership of the means of production”, a government-controlled economy as well as the role of the PCC, which is “entirely Ghanaian in content and African in outlook, though imbued with Marxist socialist philosophy”, he denies the Soviet Union as the role model of this modernization and states, that “there is no universal pattern for industrialization that can serve as an absolute model for new nations emerging out of colonialism.” Two things become clear in Nkrumah’s view: Afro-Marxist modernity is perceived as a distinct African adaptation of the spread ideas of Marxist theory, and the Soviet role model is denied, despite the mentioned material support for the realization of this modernity. Nkrumah’s more radical Marxist or rather anti-Western course caused his downfall in 1966, when a military coup overthrew his government while he was on a piece mission in Vietnam.[32] While in exile, he continued publishing and reverted to a more radical Marxist, which made his ideology, “Nkrumahism”, a source of inspiration even for Marxist Afro-Americans, as evident in a pamphlet published by the “All-African People’s Revolutionary Party” in Washington in 1982, where his Pan-Africanism is extended to the idea of an African nationhood and one – centuries old – common, as well as global and anti-capitalist struggle all Africans around the world are part of. “Scientific socialism” is presented as an answer and “historical necessity”, realized by a vanguard party formed out of the – male and female – intelligentsia of Africans in Africa and in the diaspora.[33] His ideology thus became a means of dissemination of a specific notion of modernity itself.

Angola presented a quite different case, both in the type of the colonial rule and, resulting from it, the way the decolonization process took place. For the Portuguese governments, especially after the erection of Salazar’s Estado Novo in 1926, Angola and its other colonial possessions constituted overseas departments of the Portuguese nation and played a crucial part in the Portuguese economy. In the 1960s, large-scale development plans and an increase in the settler population emphasized Angola’s importance for the regime. At the same time, violence – remaining the only viable expression of anti-colonial opposition due to the government’s stance on the colonial question – broke out between the government and different nationalist movements which, one the one hand, consisted of the so-called mestiços (mixed) and assimilados (Westernized), which were parts of the urban population and felt increasingly threatened in their position by the growing number of settlers and, on the other hand, of mostly rural Africans hardly affected by the colonial modernity. This split in terms of class (and, to an extent, race) in the anti-colonial movement also features the two main factions in the civil war, the MPLA and the FNLA. The former emerged from contacts between Angolan students in Portugal and the Portuguese Communist Party – which acted as an intermediary of Soviet modernity due to their close links to Moscow[34] – and became more and more radical Marxist. While these movements also represented different ethnic groups, these splits were not the reason for the civil war. Quite on the contrary, the territorial integrity of the Angolan “nation”, defined by the Portuguese imperialists, remained unquestioned by the anti-colonial movements.[35]

Already during the anti-colonial, but most importantly during the following civil war resulting from the “Carnation Revolution” in 1974, Angola became a Cold War proxy war with a multitude of players involved. While the US, South Africa, China and Zaire supported MPLA’s opponents, UNITA and the FNLA, the Angolan Afro-Marxists received large-scale military aid from the Soviet Union (as well as its European allies), various African countries, including Ghana and Congo Brazaville (where the MPLA had its base prior to the declaration of independence in 1975) as well as the supply of 12,000 Cuban troops in late 1975, which proved crucial for the survival of the MPLA during Pretoria’s invasion.[36] These ideological connections to the communist world, however, were the result of a quest for international supply initially in the West, which was denied due to their Marxist reputation despite the initial refusal of the leadership of a clear Marxist stance. In 1964, finally, the MPLA positioned itself in the Socialist Camp and established the connections which guaranteed its victory in the civil war.[37] Apart from the overt Marxist program, the anti-imperialist struggle of other movements, especially in Vietnam and Algeria, became crucial for the MPLA’s understanding of being part of a global struggle.[38]

Modernity in the Angolan case was closely connected to the term “national liberation”. In a speech over Radio Tanzania from 1968, the leader of the MPLA, Agostinho Neto, outlined his stance on the war against the Portuguese, which he regarded as part of a global, anti-capitalist struggle. It becomes clear, that militancy is part of modernity, the armed action is a “school” for the warriors which shall lead the nation in the struggle for full independence, i.e. from the Portuguese and the foreigners owning the natural resources. Unlike Nkrumah, Neto did not propagate Pan-Africanism, but stressed the “anti-racial” stance of his movement, a reference to the racial background of the MPLA. He also addresses modernity in a direct manner when speaking of the MPLA’s strive for the “liquidation of ignorance, disease and primitive forms of social organization” and the need for industrialisation, all implemented by a strong “vanguard party” which “must control the life of the country during every moment.”[39] Although Neto didn’t address the links to the Soviet Union in this speech, the MPLA was transformed into a Marxist-Leninist ‘vanguard worker’s party’ after the proclamation of the People’s Republic of Angola in 1975 and a visit of Neto in Moscow in 1976.[40] In the new program, “there was no mention of ‘African socialism’, a formula which Moscow distrusted as unscientific.”[41] Despite these close ties, the Angolan economy remained oriented towards the West.[42]

A triptych from about 1975, depicting the three leaders of the Marxist struggle in Angola (Castro, Neto, Brezhnev), exhibited in London in 2016 (red4.jpg), marks not only the cultural implementation of Afro-Marxist modernity in Angola, realized through global Marxists cooperation, it also shows the post-modern reception of the topic in the post-colonial metropolis.[43] As we have seen, Afro-Marxist modernity manifested itself in different ways throughout time. In Ghana, ideological links as well as the material support in form of Ghanaian-Soviet cooperation, were only established during the end of Nkrumah’s reign. However, the spread of Marxist ideas was influential for his entire thinking, beginning with his Western education, and, consequently, the implementation of a form of Afro-Marxism in Ghana, closely linked to the idea of Pan-Africanism, and shaped the discourse around the term “development”. Angola presents a different picture: the proliferation of modernity happened most importantly in the form of military assistance as a means of material support. Moreover, ideological connections with communists in Portugal, Cuba and the Soviet Union defined the movement from the beginning on. The inevitability of radical militancy made the MPLA leaders use these ties to manifest an Afro-Marxist modernity which in ideological and military terms relied much more on non-African Marxist powers than in Ghana. The dissolution of the Warsaw Pact, however, as well as the on-going UNITA insurgency and the failure of the implemented economic system made the MPLA finally open the country towards a market-oriented model and a multi-party system.[44] Has Afro-Marxist modernity thus “melted into air” and been replaced by a neoliberal, universal postmodernity, in which it is reduced to the topic of a post-modern exhibition?

Primary Sources

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Ractliffe, Jo: “Mural portraits depicting Fidel Castro, Agostinho Neto and Leonid Brezhnev, painted on the wall of a house in Viriambundo, Angola, circa 1975.” Triptych, part of: Courtesy of Stevenson, Cape Town/Johannesburg. URL: http://calvert22.org/images/uploads/pages/Red_Africa/slideshow1/_element_slideshow/red4.jpg. Published in the exhibition “Red Africa” of the Calvert 22 Foundation, London, 4 Feb – 3 Apr 2016. URL: http://calvert22.org/red-africa/.

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[1] Marx, Karl: The Communist Manifesto, edited by Frederic L. Bender (New York: Norton & Company, 1988), p. 58.

[2] Fanon, Frantz: The Wretched of the Earth (New York: Grove Press, 2004), pp. 55-56.

[3] Ziyi, Feng: A contemporary interpretation of Marx’s thoughts on modernity, Frontiers of Philosophy in China, 1 (2006), pp. 254-268, here p. 255.

[4] Berman, Marshall: All That Is Solid Melts Into Air. The Experience of Modernity (New York: Penguin Books, 1988), p. 17.

[5] Eisenstadt, S.N.: Multiple Modernities, Daedalus, 129/1 (2000), pp. 1-29, here p. 2.

[6] Westad, Odd Arne: The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), pp. 52, 92.

[7] Ibid., pp. 4, 40.

[8] Nugent, Paul: Africa Since Independence. A Comparative History (New York: Palgrave Macmillan, 2004), p. 138.

[9] Westad: Global, p. 107.

[10] Hughes, Arnold: The appeal of marxism to Africans, Journal of Communist Studies, 8 (1992), pp. 4-20, here pp. 17-18.

[11] Ibid., p 5.

[12] Mazov, Sergey: A Distant Front in the Cold War. The USSR in West Africa and the Congo, 1956-1964 (Standford: Standford University Press, 2010), p. 11.

[13] Hughes: Appeal, p. 16.

[14] Schmidt, Elizabeth: Foreign Intervention in Africa. From the Cold War to the War on Terror (Cambridge: Cambridge University Press, 2013), p. 26.

[15] Kret, Abigail Judge: ‚We Unite with Knowledge‘. The Peoples’ Friendship University and Soviet Education for the Third World, Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East, 33/2 (2013), pp. 239-256.

[16] Westad: Globa,, p. 74.

[17] Ibib., p. 93.

[18] Hughes: Appeal, p. 6.

[19] Ibid., pp. 10-14.

[20] White, Evan: Kwame Nkrumah: Cold War Modernity, Pan-African Ideology and the Geopolitics of Development, Geopolitics, 8 (2003), pp. 99-124, here p. 100.

[21] Poe, D. Zizwe: Kwame Nkrumah’s Contribution to Pan-Africanism. An Afrocentric Analysis (New York: Routledge, 2003), p.2.

[22] Adi, Hakim; Sherwood, Marika: Pan-African History. Political figures from Africa and the diaspora since 1787 (London: Routledge, 2003), p. 144.

[23] Howell, Thomas A.; Rajasooria, Jeffrey P.: Ghana & Nkrumah (New York: Facts on File, 1972), p. 7.

[24] Adi: History, p. 144.

[25] Howell: Ghana, p. 12.

[26] Adi: History, p. 144.

[27] White: Nkrumah, pp. 105-106.

[28] Ibid., pp. 111-112.

[29] Howell: Ghana, pp. 62-63.

[30] White: Nkrumah, p. 113.

[31] Nkrumah, Kwame: Africa Must Unite (London: Heinemann Educational Books, 1963).

[32] Adi: History, p. 145.

[33] Pamphlet found in the African Activist Archive. URL: http://africanactivist.msu.edu/document_metadata.php?objectid=32-130-1C55.

[34] Webber, Mark: Angola: Continuity and change, Journal of Communist Studies, 8 (1992), pp. 126-144, here p. 127.

[35] Guimarães, Fernando Andresen: The Origins of the Angolan Civil War. Foreign Intervention and Domestic Political Conflict. (London: Macmillan Press, 1998), pp. 4-32.

[36] Gleijeses, Piero: Conflicting Missions. Havana, Washington, and Africa, 1956-1976 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2002), pp. 246-272.

[37] Guimarães: Origins, p. 72.

[38] Webber: Angola, pp. 127-128.

[39] Speech found in the African Archivist Archive. URL: http://africanactivist.msu.edu/document_metadata.php?objectid=32-130-1188.

[40] Guimarães: Origins, p. 170.

[41] Steele, Jonathan: Soviet relations with Angola and Mozambique, in: Cassen, Robert (Ed.): Soviet interests in the Third World. The Royal Institute of International Affairs (London: SAGE Publications, 1985), pp. 284-298, here p. 289.

[42] Ibid.

[43] „Red Africa“, Calvert 22 Foundation, London, 4 Feb – 3 Apr 2016. URL: http://calvert22.org/red-africa/.

[44] Webber: Angola, pp. 130-137.

Das Krakauer Ghetto im Zweiten Weltkrieg – ein Fallbeispiel der Shoa

1939-1941: Verfolgung

Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Krakau beginnt bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn und der Besatzung der Stadt am 06. September. Viele Juden fliehen anfangs vor den deutschen Besatzern in den Osten Polens, viele in den sowjetisch besetzten Teil des Landes, von wo viele jedoch nach kurzer Zeit wieder zurückkehren, da sie lieber das bekannte Übel wählen als die Fremde.[1] Halina Nelken, eine damals 17-Jährige Krakauer Jüdin, schreibt dazu in ihrem Tagebuch, das den Krieg und die Shoa ebenso wie sie selbst überlebt hat: „Wir beschlossen, sofort nach Hause zu fahren. Im Osten war mir alles fremd, besonders die Rote Armee. Vor den sowjetischen Soldaten in ihren langen Mänteln hatte ich Angst, auch wenn sie so schön sangen.“[2]

In der Stadt bleiben überwiegend Händler, Handwerker und Angestellte zurück, da es Teilen der assimilierten oder zionistisch orientierten Intellektuellen entweder unmittelbar vor Kriegsausbruch oder kurz danach gelingt, die Stadt und auch Polen zu verlassen. Außerdem bleiben so gut wie alle orthodoxen Juden in Krakau.[3]

Bereits zwei Tage nach der Besetzung der Stadt, am 08. September, ergeht durch SS-Oberscharführer Paul Siebert der Befehl zur Errichtung eines Judenrates. Die Auswahl der Mitglieder und die anschließende Leitung wird dem zuvor in der jüdischen Fürsorge aktiven Marek Bieberstein aufgezwungen. Der in den folgenden Tagen errichtete Judenrat stellt das Bindeglied zwischen den Besatzungsorganen und der jüdischen Bevölkerung dar, die dem Rat unterstellt ist, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass er von den Besatzern, also dem Judenreferat der Gestapo, komplett abhängig ist. Für die Mitglieder des Judenrates beginnt eine Gratwanderung zwischen den deutschen Befehlen und dem Schutz der jüdischen Bevölkerung. Schnell wird eine weitverzweigte jüdische Verwaltung aufgebaut und 1940 eine eigene jüdische Polizei ausgehoben, der sogenannte Ordnungsdienst, der für Ordnung und den Streifendienst zuständig ist. Die Tatsache, dass die Teilnahme daran freiwillig und unbesoldet ist, ist mit dafür verantwortlich, dass der Ordnungsdienst zusammen mit dem gesamten Judenrat als Verräter im Zentrum der jüdischen Kritik steht.[4]

Die Vertreibung von Juden aus den direkt in das Deutschen Reich integrierten Teilen Polens führt dazu, dass auch in Krakau Wohnungsnot herrscht. Der Judenrat organisiert Notunterkünfte in Synagogen und Schulen. Trotz der Not und den bereits in den ersten Tagen vollhängten antijüdischen Verordnungen, die sich im Laufe der Besatzungszeit immer weiter verschärfen, geht für die Juden im besetzten Krakau, das nun „Hauptstadt“ des von den Deutschen errichteten Generalgouvernements ist, das Leben weiter. Gegen die immer weiter ansteigende, aus den Verordnungen resultierende Armut der jüdischen Bevölkerung werden Volksküchen eingerichtet. Besonders die ab Mitte November 1939 vollzogene Sperrung von jüdischen Konten, das Verbot des Gebrauchs des Hebräischen, das Konfiszieren von Autos und die Kennzeichnungspflicht mit dem Davidsstern machen das Leben der Juden immer schwieriger und beschwerlicher. Im Dezember 1939 kommt es zu den ersten Plünderungen und Razzien in Kasimierz, dem jüdischen Viertel von Krakau.

Es folgen weitere Verordnungen wie eine nächtliche Ausgangssperre für Juden, das Einfrieren von Renten und dem Verbot der Ausübung von intellektuellen Berufen. Besonders letztere Verordnung führt zu einer Verarmung der jüdischen Bevölkerung und raubt den Intellektuellen vor allem später im Ghetto die Lebensgrundlage bzw. verändert die komplette Sozialstruktur, in der nun handwerkliche bzw. allgemein praktische Fähigkeiten einen viel höheren Stellenwert haben.[5]

Seit Oktober 1939 herrscht zudem Arbeitszwang, Juden können nun zu jeder Arbeit gezwungen werden. Das vom Judenrat gegründete Arbeitsamt soll der jüdischen Bevölkerung Arbeit vermitteln und sorgt in manchen Fällen dafür, dass sich reichere Juden vom Arbeitszwang freikaufen können.

Die Pläne der deutschen Besatzer in Form von Generalgouverneur Hans Frank sehen für Krakau eine Vertreibung der meisten Juden vor. Vorgesehen ist, dass die 65.000 zur Jahreswende 1939/40 in Krakau lebenden Juden auf 5.000, maximal 10.000 reduziert werden sollen, die als Handwerker dringend benötigt werden, später jedoch ebenso vertrieben werden sollen.

Dem Judenrat wird daher im März 1940 befohlen, die Umsiedlung zu organisieren. Denjenigen, die bis Mitte August freiwillig gehen würden, wird zugesprochen, ihre Habe mitnehmen und einen eigenen Wohnort wählen zu können. Nach Ablauf der Frist haben jedoch „lediglich“ 22.000 Juden „freiwillig“ die Stadt verlassen. Für viele bedeutet dies nach der Vertreibung aus den annektierten Gebieten Polens die zweite Vertreibung.[6]

Halina Nelken beschreibt die Umsiedlung in ihrem Tagebuch folgendermaßen: „8. März 1941: […] In einigen Tagen sollen wir aus dem Ghetto gehen. Ich bin hier geboren, meine Mama auch. Ich schaue mich in den hellen, freundlichen und anheimelnden Räumen um … und es tut mir so leid! Wenn ich dieses Haus verlasse, werde ich, das weiß ich, unwiederbringlich etwas zurücklassen, von dem ich noch nicht genau weiß, was es ist: einen Teil meines Lebens, die sorglosen Jahre der Kindheit und das ‚Flegelalter‘?“[7] Und am 20. März beschreibt sie den Tag des ‚Umzugs‘ mit folgenden Worten: „Der Eintrag von vorgestern zeigt, wie durcheinander ich am Tag des Umzugs ins Ghetto war. Ich kämpfte mit Wehmut und Tränen, und gleichzeitig rissen Felek und ich voller Galgenhumor Witze angesichts der ‚Völkerwanderung‘. Offene Lastwagen und Möbelwagen, die mit Gerümpel überladen waren, zogen in die eine Richtung, und in der Gegenrichtung waren Polen unterwegs, denn die Bewohner dieses Teils von Podgórze mußten für uns ihre Wohnungen freimachen. Kazimierz würde auf einmal voller ‚Arier‘ sein! Felek und ich fanden das Tohuwabohu des Umzugs irrsinnig komisch.“[8]

1941/42: Im Ghetto

Die angestrebte Vertreibung geht für die Besatzer lange nicht schnell genug voran, und so geht die Vertreibung ab November 1940 besonders aggressiv von statten. Das Arbeitsamt bestimmt durch Kennkarten, wer bleiben darf. Diese Selektion ist ein wichtiger Teil der Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung und wird bis zur Auflösung des Ghettos ein Repressionsmittel der Besatzer bleiben.

Das Scheitern der deutschen Pläne zur Vertreibung fast aller Juden aus Krakau führt schließlich im März 1941 zur Errichtung eines „Jüdischen Wohnbezirks“, also eines Ghettos im gegenüber dem jüdischen Viertel gelegenen, jedoch durch die Weichsel getrennten ärmlichen Stadtteil Podgórze, aus dem nun alle nichtjüdischen Bewohner gehen müssen. 15.000 Menschen müssen nun in einem Stadtteil leben, in dem zuvor 3.000 Platz fanden. Die dadurch hervorgerufene Wohnungs- bzw. Platznot verschlimmert sich sogar nach und nach noch. Anfang April, genau während des Pessach-Festes wird mit dem Bau einer Mauer um das Ghetto begonnen. In Form von jüdischen Grabsteinen kündigt sie den Eingeschlossenen von der nahen Vernichtung. [9]

Im Ghetto ändert sich nicht nur die Familienstruktur, in der nun beispielsweise Kinder und auch Frauen nach der Flucht vieler Väter nach Ostpolen eine immer wichtige Rolle einnehmen. Neben der sich veränderten Sozialstruktur, hervorgerufen durch das Arbeitsverbot intellektueller Berufe, herrscht auch vor allem durch die Wohnungsnot, durch die mehrere Familien in kleinen Wohnungen auf engstem Raum zusammenleben müssen, keine homogene und solidarische Gemeinschaft im Ghetto.

Trotz dieser Konflikte und der schwierigen Lage aller Ghettobewohner entwickelt sich ein Alltagsleben mit Cafés, Geschäften oder Konzerten, und auch der Talmud-Unterricht wird im Geheimen fortgesetzt.

Der Armut wird durch von der ‘Jüdischen Sozialen Selbsthilfe’ organisierte Volksküchen und einem Krankenhaus im Ghetto versucht beizukommen. Zur finanziellen Unterstützung für sozial Schwache und die Versorgung von Flüchtlingen reichen jedoch oft die Mittel nicht aus.

Im Herbst 1941 wird das Ghetto gegenüber der Außenwelt weiter abgeschottet. Juden, die sich ohne Genehmigung außerhalb der Ghettomauern aufhalten, werden erschossen. Durch eine Vertreibung von ca. 6.000 bis dahin in der näheren Umgebung Krakaus lebenden Juden ins Ghetto verschlimmert sich die Lage im Ghetto nochmals. Die Einteilung des Wohnraums geschieht durch die Anzahl der Fenster pro Raum. Oft müssen 15 Personen in einen kleinen Raum mit nur einem Fenster zusammenleben. Ende 1941 leben 18.000 Menschen im Ghetto.

Die ersten Deportationen aus dem Ghetto beginnen im November 1941. Die Besatzer erklären die Deportation durch die Überbevölkerung im Ghetto und aus Angst vor der Verbreitung von ansteckenden Krankheiten. Deportiert werden vor allem Alte und Arbeitslose, also der Teil der Ghettobewohner, die keine der begehrten, vom Arbeitsamt ausgestellten Kennkarten besitzt. 2.000 Juden werden in einen kleinen Ort im Distrikt Lublin gebracht.

Die Selektion der Ghettobewohner wird währenddessen fortgesetzt. Zur Jahreswende 1941/42 müssen alle zwischen 14 und 25 Jahre Alten eine körperliche Untersuchung über sich ergehen lassen, bei der sich wieder die Willkür der deutschen Besatzer zeigt, die zwar von Anfang an in institutionelle Bahnen gelenkt wurde, jedoch neben dieser gesetzlichen Verfolgung immer parallel weiterbesteht.

1942/43: Vernichtung

Am 30. Mai 1942 werden die Menschen im Ghetto durch Plakatanschläge über die nächste Selektion informiert, die durch einen Stempel auf den Kennkarten stattfinden soll, den lediglich 50% der Bewohner erhalten. Wer keinen Stempel erhalten hat, also wessen Arbeit nicht als kriegswichtig eingestuft wurde oder der aus anderen Gründen von den oft willkürlich selektierenden deutschen Behörden als nicht berechtigt eingestuft wurde, im Ghetto zu bleiben, soll sich am folgenden Tag auf dem Umschlagplatz versammeln. Durch vom jüdischen Ordnungsdienst und der SS durchgeführte Razzien werden etwa 2.000 Juden aus ihren Wohnungen geholt und ins Vernichtungslager Belzec deportiert, wo sie sofort nach ihrer Ankunft ermordet werden.

Weitere Selektionen folgen wenige Tage darauf statt, am 06. und 07. Juni. Wer den nötigen Schein nicht erhält, wird sofort festgenommen und am Tag darauf deportiert. Mindestens 3.000 Menschen werden an diesem Tag nach Belzec in den Tod geschickt. Innerhalb einer Woche deportieren die Deutschen 7.000 Menschen, ein Drittel der Ghettobevölkerung. Der Ordnungsdienst setzt die deutschen Befehle bei den Razzien und den Deportationen unter dem neuen Vorsitzenden des Judenrates, David Gutter, sofort und rücksichtslos durch. [10]

Am 20. Juni wird das Ghetto verkleinert, wodurch die Wohnbedingungen sich noch weiter verschlechtern.

Im selben Monat, im Juni 1942, erhält die Sicherheitspolizei die Verantwortung für die „Judenfragen“ und löst damit Hans Frank in diesen Belangen ab.

Die nun folgende Auflösung des Ghettos und die damit verbundene Errichtung des KZ Plaszow ist auf einen Beschluss Himmlers zurückzuführen, der am 19. Juli die Prämisse vorgegeben hatte, dass sich außerhalb der fünf Sammellager Warschau, Krakau, Radom, Tschenstochau und Lublin im Generalgouvernement keine Juden mehr aufhalten sollten.[11]

Der nächsten Deportation Ende Oktober 1942, bei der auch das jüdische Waisenhaus im Ghetto aufgelöst wird, fallen 7.000 Menschen zum Opfer. Viele verzweifeln angesichts der immer aussichtsloser werdenden Situation und nehmen sich das Leben. Trotzdem versuchen die Zurückgebliebenen, ein normales Leben weiterzuführen, was jedoch nur teilweise gelingt.

Nach einer erneuten Verkleinerung des Ghettos nach der Oktober-Deportation wird es schließlich im Dezember 1942 in ein Ghetto A und B aufgeteilt. In Ghetto A leben alle von den Besatzern als arbeitsfähig eingestuften Juden, in Ghetto B jene, die keinen Arbeitsnachweis haben oder erst vor kurzem aus der Krakauer Umgebung ins Ghetto gebracht worden sind.[12]

Im Zusammenhang mit der Aufteilung des Ghettos steht Himmlers oben bereits erwähnter Befehl: Alle ab 1941 bereits im Ghetto wohnenden Juden sollen nach und nach ins „Judenarbeitslager“ Plaszow „verlegt“ werden. „Dies betrifft die jüdischen Arbeitskräfte, die für die Rüstungsinspektion, die Heeresdienststellen, die Betriebe des Wehrkreisbefehlshabers und private Firmen, die kriegswichtige Aufträge ausführten, tätig waren.“[13]

Die Arbeit der Ghettobevölkerung regelt nun die SS direkt, das jüdische Arbeitsamt wird aufgelöst. Die Arbeitsnachweise müssen von den Firmen selbst eingereicht werden. Die als arbeitsfähig Eingestuften werden vielfach von ihren Familien getrennt und müssen Baracken im nahen KZ Plaszow bauen. Spätestens jetzt ist allen Juden in Krakau bewusst, welches Schicksal sie erwartet und was mit ihren deportierten Mitmenschen geschehen ist.

Die Hoffnungslosigkeit der im Ghetto eingeschlossenen wird in Halinas Tagebuch sehr deutlich. Am 15. Januar 1943 – inzwischen wohnt sie in einer Baracke außerhalb des Ghettogeländes und arbeitet auf einem Flugplatz –  schreibt sie: „Das Ghetto wird langsam, aber sicher liquidiert. Alle wissen es, und dennoch retten sich die Leute nicht. Wozu auch und wie? Wohin fliehen? Die Jüngeren können es noch riskieren, obwohl es ohne Papiere, Geld und Beziehungen schwierig ist. Die Menschen sind erschöpft, durch ihre Familien und die Kollektivhaftung gefesselt – es scheint, als warteten sie tatenlos, willenlos, resigniert, verachtungswürdig. ‚Er zittert vor Angst wie ein Jude‘, – aber es ist doch nicht nur die Angst um einen selbst, wenn jemand zittert. Ich war zweimal in einem kurzen Besuch im Ghetto, und jedesmal stelle ich verzweifelt fest, daß meine Eltern immer elender aussehen. Ich wäre so gerne wieder bei ihnen!“[14]

Die Auflösung des Ghettos findet am 13. März 1943 statt. Das Ghetto wird umstellt und die Übergänge zwischen den beiden Teilen versperrt. Alle als arbeitsfähig eingestuften müssen mit ihren Kindern über 14 Jahren ins KZ Plaszow, alle übrigen ins Ghetto B. Heillose Panik bricht aus, einigen wenigen gelingt noch die Flucht.

Am Tag darauf werden alle Kindern im Ghetto B erschossen. (Manche Mütter erfahren im KZ vom Tod ihrer eigenen Kinder, wenn sie zufällig deren Kleider verarbeiten müssen.) Die Gewalt, welche an diesem Tag von den Besatzern ausgeht, übertrifft alles bisherige. Viele Menschen werden nicht einmal mehr in ein Vernichtungslager deportiert, sondern sofort im Ghetto erschossen. Vielen wird nach einer letzten Demütigung und Erniedrigung auf dem zentralen Umschlagplatz ins Genick geschossen.

An diesen zwei Tagen deportieren und ermorden die Deutschen 3.000 Menschen, 2.000 Männer, Frauen und Kinder ermorden sie direkt im Ghetto.

Quellen

Nelken, Halina: Freiheit will ich noch erleben, Krakauer Tagebuch. Vorw. von Gideon Hausner. Aus dem Poln. von Friedrich Griese, Gerlingen 1996

Löw, Andrea; Roth, Markus: Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939-1945, Göttingen 2011

Der Ort des Teorrors: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Płaszów, Kulmhof/Chelmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka, hrsg. von Wolfgang Benz,Barbara Distel,Angelika Königseder, München 2008

[1]Löw, Andrea; Roth, Markus: Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939-1945, Göttingen 2011

[2]Nelken, Halina: Freiheit will ich noch erleben, Krakauer Tagebuch. Vorw. von Gideon Hausner. Aus dem Poln. von Friedrich Griese, Gerlingen 1996, S. 73

[3]Der Ort des Teorrors: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Płaszów, Kulmhof/Chelmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka, hrsg. von Wolfgang Benz,Barbara Distel,Angelika Königseder, München 2008, S. 236

[4]Löw; Roth: Juden in Krakau, S. 18ff.

[5]Löw; Roth: Juden in Krakau, S. 27ff.

[6]Ebd., S. 30ff.

[7] Nelken: Freiheit will ich noch erleben, S. 103

[8] Ebd., S. 105

[9]Löw; Roth: Juden in Krakau., S. 52ff.

[10]Löw; Roth: Juden in Krakau: S. 129ff.

[11]Der Ort des Terrors, S. 237

[12]Löw; Roth: Juden in Krakau, S. 154ff.

[13]Der Ort des Terrors, S. 238

[14] Nelken: Freiheit will ich noch erleben, S. 247

Die „proletarisch-revolutionäre“ Literatur und die KPD

„Proletarisch-revolutionäre Literatur ist nicht Armeleutepoesie oder Mitleidsdichtung, sie bewimmert nicht tränenbeflissen das Elend des Proletariats […]. Im Trommelfeuer und in Straßenkämpfen ist sie geboren, sie ist unter dem Druck der Zensur groß geworden. Die Antwort, die sie auf die Ausbeutung und auf den Krieg gibt, ist eine aktive Lösung.“[1] Dieses Zitat Johannes R. Bechers aus dem Jahre 1929 beschreibt beispielhaft die Haltung der KPD zu Fragen der Literatur. Die „proletarisch-revolutionäre“ Literatur – der Begriff steht im Kontrast zur sozialdemokratischen ‚Arbeiterliteratur‘ – ist aus Sicht der KPD gegen Ende der Weimarer Republik eine Waffe im Klassenkampf und, wie Alfred Döblin es treffend sarkastisch auf den Punkt bringt, „im Besitz der Unfehlbarkeit“[2], was allein schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass Bechers seine Proklamation nicht einmal mehr mit einer ‘soll’ oder ‘muss’-Form verkleidet, sondern sie als feststehende Tatsachen darstellt.

Bechers Aufsatz steht jedoch nur beispielhaft für die KPD-Kulturpolitik in der Endphase der Republik. Bis 1929 hat die Partei bereits andere Ansichten verworfen und durch ihre Macht als größte kommunistische Organisation bereits Einfluss genommen auf die vielseitigen Ausdrucksformen der neuen Literatur in der ersten Demokratie auf deutschem Boden; und sie wird es auch in den letzten Jahren bis 1933 weiter tun.

Die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung positioniert sich um den Kulturbegriff der KPD in den verschiedenen Phasen der Weimarer Republik. Gefragt werden soll nach der Beziehung zwischen der Partei und den „linken“ Schriftstellern. Vor allem anhand der Theaterszene soll festgestellt werden, wie groß der Einfluss der Partei auf die jeweiligen Organisationsformen proletarischen Theaters war und wie die Wechselwirkung zwischen den beiden Polen zu bewerten ist: Richten sich die Autoren, Spielgemeinschaften und Inszenierungen nach den Parteivorgaben oder propagieren die Parteivorgaben nicht eher nur die bereits vorhandenen Kunstformen?

Da die Fragestellung ein sehr breites Themenfeld betrifft, sollen in dieser Arbeit wie bereits gesagt vor allem die Spielgruppen und allgemein die Theaterszene betrachtet werden, jedoch sollen auch allgemeine kultur- bzw. kunstpolitische Entwicklungen mitberücksichtigt werden.

Nach einer Einführung in die kulturpolitischen Positionen der KPD in der Frühphase der Weimarer Republik werden verschiedene Tendenzen des kommunistischen Theaters betrachtet bzw. die Einflussnahme der Partei darauf, um im Zweiten Teil auf den BPRS, die Agitprop-Bewegung und die sich gewandelte Einstellung der KPD einzugehen.

Die Auftrennung in zwei Blöcke rührt von den großen Unterschieden in der Kulturpolitik der KPD zum Anfang und Ende der Republik her.

Anfangsphase der Weimarer Republik

Haltung der KPD

Die Haltung der KPD zur Kultur ist anfangs noch stark von den Vorkriegspositionen der SPD geprägt. Franz Mehrings Ansicht, eine eigene Kultur der Arbeiterklasse dürfe erst nach dem „ökonomisch-politischen Siege des Proletariats“ entstehen, kann man in den Anfangsjahren auch in den KPD-Leitlinien in Fragen der Kultur wiederfinden.[3] Bestärkt wird diese Linie nicht nur von Leo Trotzki, der 1923 in mehreren in der „Prawda“ veröffentlichten Artikeln die Ablehnung einer proletarisch-revolutionären Literatur im kapitalistischen System proklamiert, da eine solche klassenspezifische Literatur dem Endziel, also der Zerstörung der Klassengesellschaft entgegenwirke und somit konterrevolutionär sei.[4] Zwar widerspricht beispielsweise Clara Zetkin bereits 1911 dieser Haltung mit dem Argument, Kunst müsse als Ausdruck eines revolutionären Bewusstseins die Vorherrschaft der bürgerlichen Ideologie herausfordern[5], jedoch kann man eine kulturkonservative Linie innerhalb der KPD bis in die 20er Jahre hinein beobachten.[6]

Die Anfangsjahre der Weimarer Republik sind indes von den verschiedensten literarischen Formen geprägt. Die Position der KPD, vorerst das Erbe der bürgerlichen progressiven Schriftsteller des 19. Jahrhunderts gegen die modernen Tendenzen des Expressionismus, Aktivismus und Dadaismus zu bewahren, wirkt wie ein verzweifelter antimodernistischer Versuch, die Kontrolle über eine vielschichtige und sich stark verändernde Literaturszene zu erlangen, in der die Zugehörigkeit zu den linken Kräften nicht so leicht auszumachen war.

So fallen in die Frühphase der Weimarer Republik neben die erwähnte KPD-Position auch ganz andere Proklamationen an „das Proletariat“. Kurt Eisner beispielsweise verfasst einen Monat vor seiner Ermordung, im Januar 1919, eine Schrift, in der er die Freiheit als Voraussetzung für das Gedeihen einer proletarischen Kunst darstellt. Der ideale Staat lässt für Eisner den Künstler frei seinen Trieben folgen, schränkt ihn also nicht in seiner Kreativität ein.[7] Vor allem im Kontrast zur Parteilinie in der Spätphase oder gar zur späteren Kulturpolitik der SED – auch wenn dies freilich kein Teil dieser Arbeit ist – gewinnt dieser Aufsatz an Relevanz.

Einfluss auf die Theaterszene

Das erste Beispiel der aktiven und erfolgreichen Einmischung der KPD in die Theaterszene findet sich bei der Bekämpfung des „Proletarischen Theaters“, einer Gegengründung zur sozialdemokratischen Volksbühne. Die ca. 5000 Mitglieder des „Proletarischen Theaters“ entstammen zwar kommunistischen Vereinigungen, jedoch solchen, welche die KPD ablehnt.[8] An einer Kritik an der Aufführung des Stückes „Rußlands Tag“ unter Erwin Piscator 1920 anlässlich des dritten Jahrestages der Oktoberrevolution wird die kulturkonservative Sicht der KPD in dieser Phase der Republik deutlich. Die KPD-Kulturkritikerin Gertrud Alexander kritisiert die Bezeichnung Kunst anstatt Propaganda. Theater verlange künstlerische Leistung, weshalb die bürgerliche Kunst dem vorzuziehen sei.[9]

Die ablehnende Haltung der KPD führt schließlich dazu, dass die Zuschüsse vonseiten der Partei ausbleiben und eine ausreichende Massenbasis gar nicht erst geschaffen werden kann. Dies führt 1921 zur Auflösung des „Proletarischen Theaters.“

Ebenso wird der 1919 gegründete „Bund für proletarische Kultur“ von der KPD-Presse stark kritisiert.[10] Obwohl KPD-Mitglieder zu den Initiatoren des Bundes gehören, erscheint im KPD-Presseorgan „Freiheit“ eine vernichtende Kritik.

Aber auch Kritik an Stücken wie Tollers „Die Wandlung“ oder „Freiheit“ von Herbert Kranz, die in der KPD-Presse als gegenrevolutionär beschrieben werden, sind in diese Reihe einzufügen. Diese seien in ihrer Tendenz ‘bürgerlich’ und ‘pazifistisch’.[11]

Wichtig für die Fragestellung sind zudem die „Leitsätze zur Bildungsarbeit der KPD“ anlässlich der ersten Reichsbildungskonferenz 1922. Darin werden „proletarische Sport- und Gesangvereine, dramatische Klubs, Freidenker- u. Proletkultbestrebungen, freie Schulgesellschaften, Volksbühnen, proletarische Theater usw.“[12] als Leitlinien der Kulturpolitik vorgegeben. Es handelt sich dabei also „zunächst lediglich um den Zugriff auf bereits existente kulturelle, bzw. subkulturelle Zusammenhänge und nicht um eigene Konzeptionen.“[13]

Entwicklung des Sprechchores

Bereits 1922 kann man jedoch auch Tendenzen erkennen, die hin zu einer neuen Kultur führen sollen. Im Bereich des Sprechchores kann man bereits einen starken Einfluss der Partei erkennen. Der Wandel in der Kulturpolitik verläuft dabei parallel mit dem Beginn der wirtschaftlichen Stabilisierung der Republik. In den im Januar 1922 herausgegebenen „Leitsätzen zur Bildungsarbeit der KPD“ wird die Notwendigkeit eines kulturpolitischen Kampfes proklamiert.[14] Zetkins Vorkriegsposition scheint sich nun doch durchzusetzen: zum Zwecke der Gewinnung größerer Teile der Bevölkerung soll der bürgerlichen Kultur nun doch eine Arbeiterkultur entgegengesetzt werden. Vor allem der Sprechchor und generell das Theater soll dabei die bevorzugte Rolle spielen.

Von der bereits erwähnten, im Allgemeinen ‘kulturkonservativen’ Gertrud Alexander finden sich über den Sprechchor lobende Worte. Ihrer Meinung nach gebe er dem Proletariat die „Möglichkeit einer gefühlsmäßigen Präsentation des Kampfwillens; die individuelle Leistung eines Künstlers werde durch die kollektive Darbietungsform aufgehoben, was qualitativ eher dem Bewusstsein der Arbeiterklasse entspräche.“[15]

Der erste Sprechchor der Partei, der „Zentrale Sprechchor der KPD“, wird im Frühjahr 1922 gegründet. Die Form des Sprechchores war jedoch weder von der KPD erfunden worden noch wird er nur von „proletarisch-revolutionären“ Gruppen verwendet. Etwa im Stück „Der Moloch“ von Bruno Schönlank aus dem Jahre 1923 wird ebenfalls die Form des Sprechchores verwendet, hier sogar in ein Konzept des Bewegungssprechchores eingebettet. Und das, obwohl sowohl Schönlank als auch die Aufführung dem sozialdemokratischen Arbeitertheater zuzurechnen sind.[16]

Durch den Sprechchor erlangt die KPD nun nicht nur Einfluss auf die Zuschauer, sondern auch auf wichtige Autoren. Von Wangenheim und ab 1924 auch Piscator sind dafür sicherlich die bekanntesten Beispiele.

Erwin Piscator

Anhand der Person Erwin Piscators lässt sich die sich verändernde Sicht der KPD in Kulturfragen exemplarisch ablesen. Wurde er in den Anfangsjahren der Republik noch für sein Wirken im „Proletarischen Theater“ kritisiert, bekam er schon 1924 einen Parteiauftrag zu einer Propagandaveranstaltung anlässlich der Reichstagswahlen.[17] Diesen Auftrag kann man als Brückenschlag in die Zweite Phase der KPD-Kulturpolitik ansehen, die innerhalb der sich stabilisierenden wirtschaftlichen Verhältnisse einerseits die Arbeiterkorrespondentenbewegung[18] durchzusetzen sucht, und zum anderen beispielsweise im Bereich des Theaters nun auch eine eigene „klassenspezifische“ Kunst zulässt bzw. sie fördert.

Den Höhepunkt des Einflusses der KPD auf zumindest bestimmte Theatergruppen und Inszenierungen, man könnte auch sagen der Verbindung von Politik und Kunst, sind in der Anfangsphase der Republik Erwin Piscators Aufführungen „Roter Rummel“ 1924 und seine Inszenierung beim Parteitag 1925. Letztere Aufführung ist ein riesiges Massenspektakel, bei dem insgesamt mehr als 2000 Personen mitwirken. Die Organisation, also zum Beispiel das Zusammenbringen der vielen verschiedenen mitwirkenden Gruppen – die Schauspieler rekrutieren sich unter anderem aus dem Rotfrontkämpferbund, dem kommunistischen Sängerbund sowie proletarischen Sprechchören und Spielgemeinschaften – wird direkt von der Partei übernommen.[19]

„Oppositionelle“ Tendenzen

Der hier beschriebene Einfluss der Partei auf bestimmte Theatergruppen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Bereich der linksgerichteten Kunst besonders in der Frühphase Tendenzen gegen die Parteilinie und auch parteikritische Werke gibt. Beispielsweise im 1924 verfassten Gedicht Oskar Kanehls unter dem Titel „Antreten zum Kommunismus“ wird der Ordnungswahn der Partei angegriffen. Nicht die Sipo (Sittenpolizei) oder Reichswehr  stellt nach Demonstration, Hungerrevolte und Arbeitslosigkeit die Ordnung wieder her, sondern die Genossen selbst.[20]

Eine Gruppe junger bürgerlicher Intellektueller, die sich dem Kommunismus immer weiter zuwendet, lehnt die Parteipositionen ab und verwirklicht sich in Formen wie „Spontaneismus und Massenaktion“[21]. Durch schnell auftretende Konflikte mit der KPD gründet die Gruppe um Wieland Herzfelde eigene Organisationen. Vor allem die KPD-Position der Bewahrung von Teilen des bürgerlichen Kulturerbes lehnt die Gruppe ab und wendet sich neben Spontaneismus auch dem russischen „Proletkult“ zu.[22]

Endphase der Weimarer Republik

Bestimmend für die Endphase der Republik ist eine zunehmende Institutionalisierung und Kontrolle der Partei über die verschiedenen Spielgemeinschaften und Bühnen. Und auch hier ist die Rolle der Partei – vor allem in der Selbstsicht – wichtig für die Kulturpolitik der KPD. Die Gründung des BPRS (Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller) 1928 fällt kurz vor die Weltwirtschaftskrise und soll bürgerliche, sich der KPD zugewandte Schriftsteller mit neu zu gewinnenden Arbeiterschriftstellern zusammenbringen.

In der Weltwirtschaftskrise wird durch den BPRS zudem die Vorgabe, Literatur nur für Proletarier zu schaffen, ausgeweitet, sodass nun auch die Mittelschicht für die Parolen der KPD gewonnen werden soll, was eine Ausweitung des Themenspektrums der Literatur über die des Arbeitskampfes hinaus bedeutet.[23]

Kontrolle über andere Kulturorganisationen

Jedoch kann man sogar bereits vor der Gründung des Bundes Tendenzen der Partei zur Kontrolle anderer Kulturorganisationen erkennen. Nicht nur dass auf dem Parteitag der KPD 1927 eine „Rote Kulturfront“ gegründet wird, die auf ein Zusammenwirken der KPD mit bereits bestehenden proletarischen Kulturorganisationen abzielen soll und aus der der BPRS quasi hervorgeht, sondern auch die seit den Anfangsjahren der Republik von der Sozialdemokratie kontrollierte Volksbühne wird seit 1926 immer mehr von der KPD unterwandert.[24] In diesen beiden Punkten, besonders in der „Roten Kulturfront“, kann man also eine Bewegung von der Partei aus zu bereits bestehenden Kultureinrichtungen hin erkennen. Zu der Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von Parteilinie und Kunst sind also bis jetzt verschiedene Aspekte deutlich geworden: Einerseits greift die Partei in manche Bereiche, wie im Fall des „Proletarischen Theaters“, aktiv in die Kulturszene ein und verändert diese aus ihren parteipolitischen Kulturvorstellungen heraus. Andererseits gibt es aber auch eine Bewegung hin zur Kontrolle oder zumindest zu einer institutionellen Einbindung von bestehenden Organisationen.

Bertolt Brecht

Die in dieser Arbeit beschriebenen Tendenzen treffen natürlich nicht auf alle Autoren zu. Bertolt Brecht beispielsweise kann man erst ab ca. 1927 als „Sozialisten“ bezeichnen (obwohl er beispielsweise von Thomas Mann schon viel früher als ein solcher bezeichnet wird), und selbst in den letzten Jahren der Republik kann man ihn nie auf die Parteilinie beschränken. Er ist weder Parteimitglied noch im BPRS aktiv. Dennoch ist sein Theater für die zu untersuchende Gruppe eminent wichtig. Nicht nur dass beispielsweise sein Stück „Die Maßnahme“ 1930 vom „Arbeiterchor Groß-Berlin“, also einer Laienspielgruppe uraufgeführt wird, sondern auch sein theoretisches Konzept des Epischen Theaters, dessen Elemente auch in vielen anderen linken Theatergruppen und Inszenierungen zu finden sind, bezeugen seine Rolle im „linken“ Kulturleben der Weimarer Republik. Brechts Werke in der Spätphase der Weimarer Republik lassen zwar eine starke Hinwendung zur kommunistischen Propaganda erkennen, dennoch ist Brecht vor allem an der Umsetzung seiner theoretischen Überlegungen und seines Konzeptes des Epischen Theaters gelegen.

Johannes R. Becher und die Kulturpolitik der KPD in der Endphase der Republik

Klare Richtungsweisungen zur Art und Weise der neu zu schaffenden „proletarisch-revolutionären“ Kunst finden sich unter anderem in „Die Linkskurve“, der Zeitschrift des BPRS, die sich bis zum Ende ihres Bestehens 1932 zum zentralen kulturpolitischen Organ der KPD entwickelt.

In einem Beitrag darin unter dem Titel „Unsere Front“ macht Johannes R. Becher seine Ansichten der proletarischen Kultur deutlich. Der Aufsatz betont durch den Titel sowie die durchgehaltene Wir-Form die Einheit und Geschlossenheit der proletarischen Klasse und auch Literatur und stellt die proletarisch-revolutionäre Literatur als Kampfmittel gegen die bürgerliche Klasse und gegen den Kapitalismus dar. Besonders betont er die Abgrenzung zur bürgerlichen Literatur, die die „Tatsachen“ als „Schicksal beschwatze“ und darauf verzichte, „Geschichte mitzuschaffen.“

Die neue proletarische Literatur dagegen singe „Klassenliebe und Klassenhaß. Sie marschiert mit unter der Parole ‘Krieg dem Krieg!’“.

Der Aufsatz steht beispielhaft für die Kulturpolitik der KPD gegen Ende der Weimarer Republik: Die anfangs beschriebene Ansicht, klassenspezifische Kunst sei im Kapitalismus abzulehnen oder die kulturkonservativen Ansichten etwa Gertrud Steins zur Bewahrung des bürgerlichen Kulturerbes sind nun ersetzt durch eine Absage an bürgerliche Kunst und durch die Propagierung der Einbindung von Kunst in den Klassenkampf und die revolutionären Bemühungen. Nicht umsonst endet der Artikel mit den Worten „UdSSR funkt die rote Melodie der Welt.“[25]

Auf die Theaterebene bezogen betont er durch den Anspruch an Realismus, die Negierung des Schicksals und die Absage an „Maskeraden“ und andere Verklärungen sowie durch den Aufruf zur Tat durch die Mittel der Kunst die Richtlinien des Agitprop, des propagandistischen Theaters und letztendlich auch des Epischen Theaters Bertolt Brechts.

Die Tendenzen des Artikels machen den Anspruch der Partei in der Endphase der Republik deutlich. Nicht nur dass nun eine eigene proletarische Kunst gewollt ist, sie ist von der Parteiseite aus – Becher hatte innerhalb der KPD, vor allem in Fragen der Kultur, eine wichtige Rolle inne – die einzige akzeptierte Kunst im Sinne des Klassenkampfes und stellt somit ein Bestreben zur Kontrolle oder zumindest Einflussnahme dar sowie den Wunsch, die normsetzende Rolle in der proletarischen Kunst zu sein – entgegen beispielsweise dem anfangs erwähnten, in der Vorkriegs-SPD einflussreichen Kurt Eisner, der für eine Freiheit der Kulturschaffenden und ihrer Ausdrucksformen plädiert. Diese kontrollierenden Bestrebungen werden auch in den Zielen des BPRS deutlich, der durch Anwerbung und Schulung potentieller Arbeiterschriftsteller Einfluss vor allem in den noch nicht etablierten Kulturkreisen erlangen möchte.[26]

Einfluss auf Agitprop-Bewegung

Im Bereich des Theaters wird dies 1928 deutlich, als sich die Zentrale der KPD Einfluss auf die Agitprop-Bewegung sichert. Die Agitprop-Bewegung existiert seit den frühen 20er Jahren, erfolgreich und massenwirksam wird das Konzept jedoch erst unter Anleitung der KPD 1926/27.[27]

Dies reiht sich in die anderen Beobachtungen ein, nämlich dass die Partei in organisatorischen Fragen in der kommunistischen Kunstszene großen Einfluss besaß, jedoch im Theaterbereich eher wenig bis gar keine künstlerischen Vorgaben schuf.

Durch Unterwanderung und Reorganisation des „Deutschen Abeitertheaterbundes“ (DAThB) erlangt die Partei in der von ihr zum „Arbeiter-Theater-Bund Deutschlands“ (ATBD) umbenannten Organisation die Kontrolle oder zumindest Einfluss auf wichtige Agitproptruppen. Zusammen mit dem „Internationalen Arbeiter-Theater-Bund“ in Moskau werden auf gemeinsamen Konferenzen wichtige Beschlüsse zur Agitprop-Bewegung gefasst. Auch durch Schulungen und Wettbewerbe soll die Bewegung gestärkt werden.[28]

Auf die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung bezogen heißt das, die Partei versucht in der Spätphase der Republik einerseits, durch Stellungnahmen wie die Bechers eine klare Leitlinie in der Arbeiterkultur vorzugeben, verschafft sich andererseits aber auch Einfluss auf bereits bestehende Kultureinrichtungen, etwa im zuletzt beschriebenen Fall der Zusammenfassung der Agitproptruppen.

Nun bleibt jedoch die Frage, wie stark der Einfluss der Parteivorgaben auf die Literatur bzw. die Literaturschaffenden war. Anders gefragt, ob sich die Leitlinien wie die Bechers nicht doch in die bereits bestehende Tendenz des klassenbewussten Schreibens einbetten und somit nur mit dem Strom der Zeit schwimmen und sich trotzdem stilschaffend gebärden.

Der Einfluss der Partei bzw. der Parteilinien auf einzelne Schriftsteller ist schwer auszumachen. Neben der organisatorischen Unterstützung für manche Bereiche der Kultur ist hier vor allem die Schulung bzw. Ausbildung von Arbeiterschriftstellern im BPRS wichtig. Im Fall der Agitpropbewegung kann man feststellen, dass die Partei dieser durch ihre Unterstützung zum großen Erfolg verhilft, ebenso wie sie anderen Tendenzen durch Kritik oder ausbleibende organisatorische Unterstützung schadet. Von der Parteilinie weitgehend unabhängig agieren literarische Größen wie Bertolt Brecht, der zwar mit seinen Lehrstücken klar zum kommunistischen Theater tendiert, jedoch nie Parteimitglied ist.

Allein die zunehmende Zahl an Publikationen und auch Bühnen gegen Ende der Weimarer Republik macht eine macht eine komplette Kontrolle der Partei über alle linksgerichteten Theater- und allgemein Kunstprojekte unmöglich.

Fazit

Festzuhalten ist, dass die Partei in organisatorischen Fragen durchaus Einfluss auf die Literatur-, besonders auf die Theaterszene hatte, nicht nur im Bereich der Theaterorganisationen, sondern auch in der Anwerbung und Schulung von Arbeiterschriftstellern im BPRS. Deutlich wird dies am Beispiel des „Proletarischen Theaters“, das durch die Bekämpfung durch die KPD untergeht.

Im künstlerischen Bereich kann man dies nicht so stark beobachten, hier schwimmt die Partei mehr mit dem Strom, als dass sie tatsächlich künstlerische Akzente setzt. Beispiele sind die Agitprop-Truppen, die zwar erst durch die organisatorische Hilfe der Partei zu ihrem großem Erfolg gelangen, jedoch auch – sogar in der SPD, man denke an Bruno Schönlank – schon vor der Inanspruchnahme der KPD existieren.

Und natürlich gibt es neben den Parteipositionen auch immer abweichende Meinungen und Organisationen wie jener erwähnte Kreis junger Intellektueller in den Anfangsjahren der Republik oder die großen Namen der Literaturszene, die ebenfalls dem linken (Brecht oder auch Tucholsky) oder einfach dem gesellschaftskritischen Spektrum der Literatur angehörten.

Primärquellen

Alfred Döblin: Katastrophe in einer Linkskurve. In: Das Tagebuch 11 (2. Mai 1930) H. 18

Kurst Eisner: Der sozialistische Staat und der Künstler. In: „Die Republik 2, Nr. 17, 17. Januar 1919

Johannes R. Becher: Unsere Front. In: Die Linkskurve 1 (Agugust 1929), Nr. 1

Alle Primärquellen nachzulesen in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, hrsg. Von Anton Kaes, Stuttgart 1983

Sekundärquellen

Bendel, Oliver: Das revolutionäre Arbeitertheater der Weimarer Zeit. Theater als Instrument kommunistischer Propaganda, Konstanz 2004

Burns, Rob: Theorie und Organisation der proletarisch-revolutionären Literatur in der Weimarer Republik, In: Bullivant, Keith (Hrsg.): Das literarische Leben in der Weimarer Republik, Königstein/Ts., 1978

Hartung, Günter: Der Dichter Bertolt Brecht: zwölf Studien, Leipzig 2004

Hein, Anna Elisabeth; Hein, Peter Urlich: Kunstpolitische Konzepte der deutschen Arbeiterbewegung. Eine Darstellung am Beispiel von Literatur und Theater, Münster 1983

Safranski, Rüdiger; Fähnders, Walter: Proletarisch-revolutionäre Literatur. In: Literatur der Weimarer Republik 1918-1933. Herausgegeben von Bernhard Weyergraf, München 1995

Stieg, Gerald: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, In: Stieg, Gerald/Witte, Bernd: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, Stuttgart 1977

[1]Zitiert nach: Johannes R. Becher: Unsere Front. In: Die Linkskurve 1 (Agugust 1929), Nr. 1, S. 1-3. Der Artikel findet sich auch in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, hrsg. Von Anton Kaes, Stuttgart 1983, S. 610

[2]Alfred Döblin: Katastrophe in einer Linkskurve. In: Das Tagebuch 11 (2. Mai 1930) H. 18, S. 694-698

[3]Burns, Rob: Theorie und Organisation der proletarisch-revolutionären Literatur in der Weimarer Republik, In: Bullivant, Keith (Hrsg.): Das literarische Leben in der Weimarer Republik, Königstein/Ts., 1978, S. 224

[4]Burns: Theorie und Organisation, S. 222

[5]Auch ein 1905 in Russland veröffentlichter Aufsatz Lenins mit dem Titel „Partei und Proletariat“, der eine der klarsten Formulierungen der Notwendigkeit und der Bedingungen einer proletarischen Literatur darstellt, ändert diese Haltung anfangs nicht. Dies könnte auch daran liegen, dass der Aufsatz erst 1924 übersetzt und in Deutschland publiziert wurde; nachzulesen in: Burns: Theorie und Organsiation, S. 223

[6]Safranski, Rüdiger; Fähnders, Walter: Proletarisch-revolutionäre Literatur. In: Literatur der Weimarer Republik 1918-1933. Herausgegeben von Bernhard Weyergraf, München 1995, S. 184

[7]Wörtlich heißt es darin: „Der Staat kann dem Bürger nichts anders raten, als dass er frei und unabhängig seinem innersten Triebe folgt, und das ist die größte Förderung, die der Staat der Kunst angedeihen lassen kann: dass er dem Künstler die vollkommene Freiheit seiner künstlerischen Betätigung gibt.“. Die zitierte Schrift „Der sozialistische Staat und der Künstler“ erschien in: „Die Republik 2, Nr. 17, 17. Januar 1919, S. 1-2

[8]Bendel, Oliver: Das revolutionäre Arbeitertheater der Weimarer Zeit. Theater als Instrument kommunistischer Propaganda, Konstanz 2004, S. 14

[9]In der Kritik heißt es wörtlich: „Im Programm steht […] dies solle keine Kunst sein, sondern Propaganda. Man wolle die proletarische, kommunistische Idee auf der Bühne zum Ausdruck bringen, um propagandistisch und erzieherisch zu wirken. Man will nicht „Kunst genießen“. Dazu ist zu sagen: Dann wähle man nicht den Namen Theater, sondern nenne das Kind bei seinem rechten Namen: Propaganda. Der Name Theater verpflichtet zu Kunst, zu künstlerischer Leistung! […] Kunst ist eine zu heilige Sache, als daß sie ihren Namen für Propagandamachwerk hergeben dürfte! […] Was der Arbeiter heute braucht, ist eine starke Kunst […] solche Kunst kann auch bürgerlichen Ursprungs sein, nur sei es Kunst.“ Nachzulesen in: Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 21

[10]Safranski; Fähnders: Proletarisch-revolutionäre Literatur, S. 179

[11]Hein, Anna Elisabeth; Hein, Peter Urlich: Kunstpolitische Konzepte der deutschen Arbeiterbewegung. Eine Darstellung am Beispiel von Literatur und Theater, Münster 1983, S. 40

[12]Hein: Kunstpolitische Konzepte, S. 40

[13]Ebd., S. 40

[14]Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 24

[15]Hein: Kunstpolitische Konzepte, S. 39f.

[16]Stieg, Gerald: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, In: Stieg, Gerald/Witte, Bernd: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, Stuttgart 1977 , S. 100

[17]Nach: Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 37

[18]Diese Bewegung stellt den Versuch dar, Arbeitern die Möglichkeit zu geben, selbst journalistisch tätig zu werden und ist verbunden mit der allgemeinen Parteistrategie, sich in „Betriebszellen“ umzuorganisieren

[19]Stieg: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, S. 110

[20]Nachzulesen in: Safranski; Fähnders: Proletarisch-revolutionäre Literatur, S. 189

[21]Burns: Theorie und Organisation, S. 225f.

[22]Burns: Theorie und Organisation, S. 225f.

[23]Burns: Theorie und Organisation, S. 236

[24]Stieg: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, S. Ca. 99

[25]Zitiert nach: Johannes R. Becher: Unsere Front. In: Die Linkskurve 1 (Agugust 1929), Nr. 1, S. 1-3. Der Artikel findet sich auch in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, hrsg. Von Anton Kaes, Stuttgart 1983, S. 610

[26]Burns: Theorie und Organisation, S. 227f.

[27]Hartung, Günter: Der Dichter Bertolt Brecht: zwölf Studien, Leipzig 2004, S. 138

[28]Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 67f.

Der Weg zum “normalen” Staat. Die Außenpolitik der UdSSR vor dem Hitler-Stalin-Pakt

„Doch alles verblasste und wurde ausgelöscht vor dem Eindrucke eines winzigen Viadukts in der Tiefe, der sich über den Schienenstrang Leningrad-Reval plötzlich auf freier Strecke erhob: die Triumphpforte des roten Erdteils, das Tor, das die zwei Welten auf diesem Planeten trennt. Es durchzuckte das Schiff wie ein elektrischer Schlag, die einen mit Freude, die andern mit Haß. […] Die Grenze – jene unsichtbare Linie, die deutlicher als der Äquator, unseren Planeten in zwei Hälften teilt, zog auch durch das Schiff.“[1] Dieser Auszug aus dem Bericht des Journalisten Arthur Koestler von der 1931 mit einem deutschen Luftschiff durchgeführten Expedition in die sowjetische Arktis vermittelt die – mehr ideologische als geographische – Entfernung zwischen der UdSSR und dem kapitalistischen Rest der Welt zu Beginn der 30er Jahre.

Die Überbrückung dieser Schlucht, die Annäherung an das kapitalistische Ausland, das Drängen in das internationale Gefüge, die Errichtung eines Sicherheitssystems, das den ersten sozialistischen Staat der Geschichte vor einem gemeinsamen antikommunistischen Kreuzzug der kapitalistischen Staaten schützen sollte, also all jene Ziele der sowjetischen Außenpolitik in den 30er Jahren bis zum vieldiskutierten Hitler-Stalin-Pakt, sind jedoch undenkbar ohne die Etablierung und Selbstdarstellung der UdSSR als Staat unter Staaten. Wie die Polarforscher bei ihrem Zwischenstopp in Leningrad mit militärischen Ehren empfangen wurden, so sollten nun auch Botschafter und Politiker aus dem Ausland im Staate der Weltrevolution empfangen werden. Die Weltrevolution wurde aufgeschoben, diplomatische Kontakte geknüpft und schließlich erfolgte 1934 der Eintritt in den Völkerbund, der zunächst größte Erfolg des neuen Außenkommissars Litvinov. Zwar zerbrach der anschließend geschlossene Pakt mit Frankreich und der Tschechoslowakei durch die Appeasement-Politik Frankreichs im Münchner Abkommen, jedoch konnte sich die Sowjetunion bis zum Beginn der deutschen Aggression in den Jahren 1938/39 erfolgreich in das internationale System einfügen.

Im Rahmen dieser Arbeit soll die sowjetische Außenpolitik dieser Zeit unter dem Gesichtspunkt der Etablierung der UdSSR als in außenpolitischer Hinsicht den westlichen kapitalistischen Nationen angeglichener Staat betrachtet werden. Nach der für das Verständnis der sowjetischen Außenpolitik überaus wichtigen Darstellung von Stalins Staats-und Revolutionsverständnisses, dem sogenannten Konzept des „Sozialismus in einem Land“ sollen auf diese Weise zum einen einige der wichtigsten Ereignisse wie der bereits erwähnte Eintritt in den Völkerbund und das Bündnis mit Frankreich betrachtet werden. Zum anderen sollen auch allgemeine Tendenzen wie die Selbstdarstellung der UdSSR im Völkerbund sowie die Politik der Komintern und der außenpolitische Gehalt der neuen „Stalin“-Verfassung von 1936 analysiert werden, um zum Schluss einen Ausblick auf das Ende des maßgeblich durch Litvinov geschaffenen „Systems der kollektiven Sicherheit“ zu geben und kurz die verschiedenen Forschungsthesen um das Münchner Abkommen 1938 und vor allem den Hitler-Stalin-Pakt 1939 zu geben.

Die Zielsetzung dieser Arbeit ist also, die Außenpolitik des ersten sozialistischen Staates unter dem Gesichtspunkt zu analysieren, wie sich dieser immer weiter fortbewegte vom Ziel der Weltrevolution und zu einem etablierten Staat im internationalen Gefüge wurde, der sich lediglich durch seine innere Struktur und seine Staatsideologie von anderen Großmächten unterschied. Dieser Fokus liefert eine neue Sichtweise auf die beschriebene Epoche der sowjetischen Außenpolitik und ergänzt somit die bisherige Forschung, die sich vor allem mit der Zielsetzung der stalin’schen Außenpolitik sowie deren inneren Strukturen beschäftigt, um eine neue Perspektive.

Vorgeschichte

Auch wenn die Anfänge der sowjetischen Außenpolitik in den 20er Jahren nicht mehr in den in dieser Arbeit betrachteten Zeitraum fallen, so ist es doch sinnvoll, in einigen wenigen Sätzen zwar nicht die Ausgangslage der sowjetischen Politik, doch zumindest die für das Thema der Arbeit wichtigen Aspekte zu umreißen. Diese sind vor allem die diplomatische bzw. völkerrechtliche Anerkennung der Sowjetunion als Staat bzw. der Bolschewiki als rechtmäßige Regierung und das Litvinov-Protokoll, also das vorläufige Inkrafttreten des Briand-Kellog-Paktes zwischen der UdSSR und seinen europäischen Nachbarstaaten als ersten Schritt zu einer Eingliederung in das Staatengefüge.

Die diplomatische Anerkennung

Spätestens nach dem Scheitern des Aufstandes der KPD im deutschen Reich im Jahre 1923, dem ‚deutschen Oktober‘, stand die Führung der Bolschewiki vor einem scheinbar unlösbaren Problem: in keinem anderen Staat der Welt[2] hatten Kommunisten die Macht erringen können, die von Marx beschworene Weltrevolution hatte nur in Russland gesiegt, ausgerechnet im unindustrialisiertesten und deshalb laut Marx dafür ungeeignetsten aller europäischer Staaten[3]. Nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland 1918/19, auf der die größten Hoffnungen gelegen hatten, nahmen die Bolschewiki zu ebenjenem Staat Kontakt auf, allerdings nicht wie erhofft mit ihren deutschen Genossen, sondern mit einer bürgerlichen Regierung. Der 1922, also ein Jahr vor dem vorerst letzten Revolutionsversuch, abgeschlossene Vertrag von Rapallo normalisierte die Beziehungen zwischen den beiden aus dem Völkerbund ausgeschlossenen und international isolierten Staaten.[4]

Da 1923 für die Bolschewiki die erhoffte Weltrevolution vorerst weit entfernt schien, musste ein Ausweg aus dem dauerhaften Dilemma gesucht werden. „Ein modus vivendi musste deshalb gefunden werden, der es unter diesen Umständen ermöglichte, dauerhaft ein Nebeneinander von sozialistischem und kapitalistischem System, eine Art ‚friedliche Koexistenz‘, zu gewährleisten.“[5] Der Schlüssel dazu war die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit Großbritannien im Jahre 1924, was eine ganze Folge von Anerkennungen anderer Staaten zur Folge hatte.[6]

Die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen war nicht allein aufgrund der damit verbundenen Aufhebung der internationalen Isolierung von Nutzen, sondern diente vor allem der wirtschaftlichen Entspannung und schaffte einen Zugang zu den für die Neuordnung der Wirtschaft im Rahmen der NEP (=Neue Ökonomische Politik) nötigen Waren.[7]

Während diese Wirtschaftsbeziehungen weiter ausgebaut wurden, kam es im Laufe der 20er Jahre zu immer größeren Spannungen zwischen der UdSSR und den westlichen Mächten, was schließlich nach Schauprozessen gegen britische Spezialisten in der UdSSR 1927 zum vorläufigen Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit London durch die konservative britische Regierung führte.[8]

Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit London 1929 war vor allem durch die sowjetische Industrialisierung und die Weltwirtschaftskrise begründet. Die britische Verhandlungsseite sah sich bereit, Stalins Forderung nach einer sofortigen Wiederanerkennung nachzugeben und angesichts der Lage der eigenen Wirtschaft in der Krise[9] über das noch immer ungeklärte Schuldenproblem zwischen den beiden Staaten[10] hinwegzusehen. Die diplomatischen wie wirtschaftlichen Beziehungen mit der UdSSR wurden also wiederaufgenommen, was von deren Seite her wie gesagt vor allem unter dem Gesichtspunkt der Industrialisierung und der dafür benötigten westlichen Güter und Investitionen vorangetrieben wurde.[11] Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten blieben dennoch überaus angespannt, was ein Vorfall im Jahre 1933 zeigt, als mehrere britische Angestellte von Metro-Vickers in der UdSSR festgenommen und der Spionage und Sabotage angeklagt wurden, was eine neue anti-sowjetische Kampagne in Großbritannien hervorrief und ein Handelsembargo gegen sowjetische Güter zur Folge hatte.[12]

Die wichtigste nun noch fehlende Anerkennung, nämlich durch die USA, erfolgte 1933 und stellte einen der größten diplomatischen Erfolge des sowjetischen Außenkommissars Litvinov und des NKID[13] dar[14]. Jedoch dauerten die guten Beziehungen nicht lange an, und auch der von amerikanischer Seite erhoffte Export-Boom in die UdSSR, für den eigens die Export-Import-Bank gegründet worden war, blieb aus.[15]

Der erste und in gewisser Weise damit wichtigste Schritt hin zur Etablierung der UdSSR als „Staat unter Staaten“ und zu ihrer Einführung in das internationale Mächtesystem, die diplomatische Anerkennung als Nachfolgestaat des Zarenreiches, war also einerseits stark von Wirtschaftsinteressen dominiert, was die schlechten Beziehungen zu London, aber auch Washington zeigen, und löste in gewisser Weise das Grundproblem der russischen Kommunisten nach dem Scheitern der Revolution vor allem in Deutschland, indem sie dem ersten und vorerst einzigen sozialistischen Staat der Erde die Möglichkeit bot, in einen ‚modus vivendi‘ mit den kapitalistischen Staaten einzutreten.

Das Litvinov-Protokoll

Das 1929 von der UdSSR, Polen, Rumänien, Lettland, Estland, etwas später auch von Litauen und der Türkei unterzeichnete Abkommen, das den Verzicht auf Gewalt in zwischenstaatlichen Konflikten bedeutete, kann als erster Schritt hin zu Litvinovs „System der kollektiven Sicherheit“ gesehen werden und wird stets als sein erster großer Erfolg angesehen. Ohne auf die genauen Hintergründe des Vertrages einzugehen, wie dies beim Eintritt in den Völkerbund gemacht werden wird, liefert der Vertrag doch ein bedeutendes Ergebnis für diese Arbeit.

Wichtig im Zusammenhang mit diesem Pakt ist die viel beschriebene Kriegsangst Stalins und generell großer Teile der Parteiführung am Ende der 20er Jahre. Ein Vertrag mit den europäischen Nachbarstaaten zum gegenseitigen Gewaltverzicht kann somit als Reaktion auf die Angst vor der Einkreisung und einem antikommunistischen Kreuzzug gesehen werden.[16]

Die Initiative des neuen Außenkommissars Litvinovs[17] zum vorläufigen Inkrafttreten des Briand-Kellogg-Paktes ist nicht nur von sicherheitspolitischer Relevanz, sondern stellt auch den ersten Kontakt mit Rumänien und Polen, also den Staaten des französischen Bündnissystems her. Mit Rumänien bestanden vormals keine diplomatischen Beziehungen aufgrund der ungelösten Bessarabien-Frage, und damit war auch der Kontakt zur „Kleinen Entente“ (Rumänien, Tschechoslowakei und Jugoslawien) zuvor unmöglich gewesen. Litvinovs Verdienst besteht also nicht nur in der Etablierung eines Sicherheitssystems, sondern auch in der Durchbrechung der internationalen Isolierung und einem ersten Schritt in Richtung des späteren Paktes mit Frankreich und der Tschechoslowakei, denn man hatte in Moskau eingesehen, „dass der Weg nach Warschau [als damaligem Hauptziel der europäischen Sicherheitspolitik der UdSSR] zu jener Zeit noch über Paris führen musste.“[18]

Dem Abschluss des Litvinov-Protokolls folgten die Paraphierung eines Nichtangriffspaktes mit Frankreich im August 1931 und anschließend die gewünschten Nichtangriffspakte mit Finnland, Estland und vor allem mit Polen. Mit der Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes mit Frankreich 1932 wurde ein „Frontwechsel zu einer antirevisionistischen Politik vollzogen und eine neue internationale Konstellation in Mitteleuropa vorbereitet.“[19]

Entscheidend für das Thema der Arbeit sind vor allem zwei Punkte: die Initiative für das Litvinov-Protokoll und die Nichtangriffspakte gingen von sowjetischer Seite aus und zeigen somit das Bedürfnis nach Sicherheit des sowjetischen Staates als vordergründiges außenpolitisches Ziel. Zudem kommt es zu einer Akzeptanz des vorher so verhassten Versailler Systems, zu einer Annäherung an die Staaten des „Cordon Sanitaire“ und damit letztlich auch an Frankreich, also dem späteren Partner von 1935.

Das Konzept des „Sozialismus in einem Land“

Die Idee bzw. das Konzept des „Sozialismus in einem Land“ existiert offiziell zwar erst ab 1926, jedoch beschreibt es Stalins Vorstellungen bereits vor dem Tode Lenins recht gut. Bereits 1924 hatte er diesen Gedanken zum ersten Mal formuliert. Isaac Deutscher stellt den Prozess der Entwicklung dieser Theorie in seiner Stalin-Biographie jedoch als reine Abgrenzung zu Trockijs Konzept der „Permanenten Revolution“ und Stalin als in dieser Frage im Grunde zunächst unentschlossen dar, was sich in einer Broschüre Stalins noch Anfang 1924 zeige, in der er feststelle, „dass das Proletariat zwar in einem bestimmten Lande die Macht an sich reißen könne, dass es aber keine sozialistische Wirtschaft in diesem eigenen Lande schaffen könne.“[20] Der Umschwung hin zum Konzept des „Sozialismus in einem Land“ bedeutete also die angestrebte Verwirklichung des Ziels der sozialistischen Wirtschaft als Wirtschaft des Überflusses durch eine Industrialisierung innerhalb der UdSSR, die für Stalin aufgrund der Kontrolle der proletarischen Regierung über Industrie und Banken und die natürlichen Reserven des Landes möglich sei. Da Marx‘ Analysen sich in der Praxis nicht bewahrheiteten, die Revolution setze sich in den fortschrittlichsten und am weitesten industrialisierten Staaten durch und ermögliche durch die Nutzung dieser Industrie durch eine proletarische Herrschaft den Kommunismus, mussten diese Voraussetzungen eben nun mit eigenen Anstrengungen geschaffen werden.[21]

In einer Rede vom 9. Juni 1925 schließlich spricht Stalin über die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande. Darin stellt er den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR nicht nur als durchführbar, sondern als „notwendig und unausbleiblich“ dar. Zwar gesteht er zu, dass der bereits angelaufene sozialistische Aufbau durch den „Sieg des Sozialismus im Westen“ erleichtert würde, jedoch werde dieser Sieg nicht so schnell erreicht. Der Erfolg der Errichtung einer sozialistischen Wirtschaft hänge dabei von der „Stärke bzw. Schwäche unserer Feinde und unserer Freunde außerhalb unseres Landes ab.“ Nur wenn die „Periode der ‚Atempause‘“ verlängert werden könne und es zu keiner Intervention komme bzw. diese erfolgreich abgewehrt werden könne, könne das Projekt Erfolg haben.“[22]

Das Verwerfen von Trockijs Konzept der „permanenten Revolution“ und der Fokus auf den wirtschaftlichen Aufbau ist nicht nur für das weitere Selbstverständnis des ersten sozialistischen Staates als ‚sowjetischer Nationalstaat‘ mit einer vorerst nicht auf Weltrevolution, sondern auf Konsolidierung ausgerichteten Außenpolitik immanent, sondern bildet auch die Grundlage für die Eingliederung der UdSSR in die internationale Staatengemeinschaft. Zwar schwor auch Stalin dem Endziel der Weltrevolution nicht ab, und durch die Komintern und die Kontakte zu den KP anderer Staaten besaß die sowjetische Außenpolitik in den 30er Jahren trotzdem noch eine internationalistische Komponente, jedoch ermöglichte die neue Zielsetzung, – nicht zuletzt durch die Botschaft, die die neue Losung an die kapitalistischen Staaten sandte – den Kontakt mit im Grunde genommen feindlichen Staaten aufzunehmen und schuf dadurch auch die Voraussetzung für die unter anderem von Stalin in seiner Rede geforderte „Atempause“.

Mit dem Konzept des „Sozialismus in einem Land“ sind aber wie oben dargestellt nicht nur die Aufschiebung der Revolution und die Ausrichtung der sowjetischen Außenpolitik verbunden, sondern vor allem die gewaltigen inneren Umwälzungen, die sogenannte „Revolution von oben“. Konkret sind damit also die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Industrialisierung gemeint, die im Rahmen des ersten Fünf-Jahresplans vorangetrieben wurden und eng verbunden waren mit den Repressionen gegen die sowjetische Bevölkerung. Letztendlich festigten diese Maßnahmen, der sowjetische ‚große Sprung nach vorne‘, nicht nur Stalins Macht, sondern auch die des sowjetischen Staates insgesamt, festigen somit auch das Konzept des sowjetischen ‚Nationalstaates‘ und ermöglichen die spätere Hegemonie über die anderen Staaten des Warschauer Paktes.

Der Eintritt in den Völkerbund

Ziele und Konzeption des Eintritts in den Völkerbund

Zunächst soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Ziele hinter dem Eintritt in den Völkerbund standen und somit ein erster Entwurf der Zielsetzung bzw. der Konzeption der sowjetischen Sicherheitspolitik ausgearbeitet werden, der im folgenden Kapitel über den Pakt mit Frankreich, erweitert werden soll.

Jonathan Haslam betont in seiner Analyse des sowjetischen Bestrebens nach einem System der kollektiven Sicherheit in Europa in den 30er Jahren die sowjetische Kriegsangst als entscheidenden Faktor für den Eintritt in den Völkerbund.[23] Der Frieden war in seiner Lesart nicht allein Voraussetzung für das Fortbestehen des sowjetischen Staates bzw. Systems insgesamt, sondern insbesondere für die Industrialisierung. Der erste Fünf-Jahresplan war zwar bis 1932 in nur vier Jahren vorläufig beendet worden, jedoch war dies erst der erste Schritt des Wandels vom Agrar- zum Industrieland, also einem der großen Ziele der stalin’schen Politik und wie bereits dargestellt ein wichtiger Teil der ‚Staatswerdung‘ im Zusammenhang mit dem Konzept des „Sozialismus in einem Land“. Da bis 1938 Probleme bei der Mobilisierung auftraten und die Industrialisierung im Bereich der Rüstung erst langsam Erfolge zeigte, wurde von Litvinov ein System propagiert, in dem durch gegenseitige Absicherung der Existenz des anderen, also Nichtangriffspakte mit anderen Staaten sowie eine Forcierung der internationalen Abrüstung, die Existenz der UdSSR als unabhängiger Staat gesichert werden könne.[24]

Die Annäherung an den Westen war in wirtschaftspolitischer Hinsicht jedoch nicht allein deshalb wichtig, weil somit der für die Industrialisierung notwendige Frieden länger aufrechterhalten werden konnte, sondern vor allem brauchte die sowjetische Wirtschaft Ausrüstung und Güter aus dem Westen, wofür die Weltwirtschaftskrise aus sowjetischer Sicht die Voraussetzung war.[25]

Neben der wirtschaftlichen Situation ist aber auch die internationale Situation bzw. das Mächtegerüst 1933/34 wichtig für das Verständnis der Beweggründe und Ziele des Eintritts in den Völkerbund bzw. das dahinter stehende sicherheitspolitische Konzept. Natürlich nimmt Deutschland hierbei eine Sonderrolle, wenn nicht gar die alles entscheidende Rolle ein. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 stellt ein einschneidendes Ereignis für die sowjetische Außen- und Sicherheitspolitik dar. Zwar betonte Hitler Anfang 1933 mehrmals, er wolle die Beziehungen zur UdSSR nicht verändern, jedoch wurde nach einigen Monaten das Ende der Rapallo-Beziehungen deutlich, worauf gleich näher eingegangen wird. Ein erstes Anzeichen hierfür stellen zum Beispiel die Übergriffe auf sowjetische Botschaften und Handelsvertretungen dar.[26]

Die Forschung liefert mehrere mehr oder weniger konträre Thesen bezüglich des deutsch-sowjetischen Verhältnisses nach 1933. Umstritten ist, wie stark die sowjetischen Bemühungen um eine Annäherung an Deutschland nach dem mehr oder weniger sichtbaren Bruch 1933 waren, der durch den Abschluss des deutsch-polnischen Nichtangriffspakts 1934 seinen deutlichsten Ausdruck fand.[27] Eine Reihe von westlichen Historikern widersprach der offiziellen sowjetischen Geschichtsschreibung, die in der sowjetischen Außenpolitik der 30er Jahre ein ernsthaftes und aufrechtes Vorgehen gegen die deutsche Aggression sahen. Aus Sicht dieser Historiker[28] „[…] the real foreign policy of the USSR is not to be found in the impassioned speeches of Litvinov at Geneva, but rather in the covert contacts with Berlin by Karl Radek, David Kandelaki, Sergei Bessonov and others. In this light, the Nazi-Soviet Pact is seen not as a regrettable alternative necessitated by the failure of the Collective Security campaign, but as the ultimate achievement of the real aim of that campaign.”[29]

Der eben zitierte Teddy Uldricks sieht das Verhältnis zu den faschistischen Staaten weder als Abwendung aus ideologischen Gründen noch als geheime Diplomatie zwecks der Vorbereitung eines gemeinsamen Paktes oder Bündnisses. Den oft nicht ganz eindeutigen Charakter der sowjetischen Außenpolitik der 30er Jahre macht er am Beispiel der Politik gegenüber Japan deutlich: „Soviet policy in that arena contained both measures of resistance to Japanese aggression and elements of appeasement of Tokyo. The USSR shipped considerable military aid to Nationalist China, but refused to sign a mutual assistance pact with Nanking; it massively reinforced the Sino-Soviet Border, but also sold the Chinese Eastern Railway to Japan.“[30] Aber auch im Falle Italiens widerlegt er einen konsequenten Antifaschismus der sowjetischen Politik, ebenso wie beim vorläufigen Ende der guten Beziehungen mit Deutschland, das nicht etwa in einer – moralisch bzw. ideologisch begründeten – Abwendung vom Nationalsozialismus begründet liegt, sondern in der Zurückweisung der sowjetischen Angebote durch Berlin. Die Autorisierung der neuen Strategie der „Kollektiven Sicherheit“ erfolgte demgemäß auch erst am 20. Dezember 1933.[31] Die bereits erwähnten Geheimkontakte und die damit verbundene Kritik an der traditionellen sowjetischen Deutung bzw. Geschichtsschreibung leugnet er zwar nicht, gewährt ihnen aber keinen so großen Stellenwert wie die oben erwähnten Historiker, vor allem aufgrund des gewaltigen personellen Unterschiedes: „The problem with this contention is that three unoffficial and tentative feelers [gemeint sind damit die Geheimkontakte Radeks, Kandelakis und Bessonovs mit Berlin] can scarcely tip the scales against the weight oft he Collective Security campaign pursued with vigour from late 1933 to 1939.“[32]

Ebenso wie ins Uldricks Analyse enden auch für den bereits mehrfach zitierten George Haslam die deutsch-sowjetischen Beziehungen 1933 vorerst und sind der Hauptgrund für die Hinwendung zum Westen: „Ultimately, and despite the oppostion aroused in Moscow at the mention of any dramatic change, it was growing German hostility that drove the USSR in a direction that many mistrusted.“[33] Das Ende der guten Beziehungen stellt in seiner Analyse eine Rede Hugenbergs auf der Weltwirtschafskonferenz am 14. Juni 1933 dar, bei der er deutschen Lebensraum im Osten und gleichzeitig ein Ende der Lebensbedingungen in der UdSSR forderte. Kurz darauf wird die am 20. Juni des Jahres verstorbene Clara Zetkin medienwirksam auf dem Roten Platz beigesetzt und die militärische Zusammenarbeit im Rahmen des Rapallo-Vertrages beendet.[34]

Das Ende der Rapallo-Politik ist für die sowjetische Außenpolitik von enormer Bedeutung. Von Lenin entworfen, stellte sie einen der Grundpfeiler der Außenpolitik bis zum Machtwechsel in Deutschland 1933 dar. Interessanterweise nimmt die Politik der beiden ehemaligen Rapallo-Partner bezüglich des internationalen Systems die genau entgegengesetzte Richtung an. Während Hitler 1933 aus dem Völkerbund austritt, entschließt sich die UdSSR dazu, die internationale Isolation zu durchbrechen und ins internationale Staatengefüge einzutreten.

Die Verhandlungen

Nachdem nun die Motive der sowjetischen Führung für einen Eintritt in den Völkerbund als wichtigstes Zeichen einer Annäherung an den Westen und eine Einbindung in das internationale Mächtesystem beschrieben wurden, ist es nun auch wichtig, die vorhergehenden Verhandlungen zu betrachten. Dabei fällt zunächst auf, dass die Aufnahme in den Völkerbund mit dem sowjetischen-französischen Pakt des Jahres 1935 parallel verläuft. Wie im folgenden Kapitel über diesen Pakt soll hier nun anhand einiger ausgewählter Quellen der Quellensammlung „Politbjuro ZK RKP(b) – BKP(b) i Evropa. Reschenie ‚osoboj papki‘ 1923-1939“, also einer Aktensammlung aus den Sondermappen des Politbüros, die Aufnahme in den Völkerbund näher beleuchtet werden, um so diesen für diese Arbeit eminenten Punkt besser zu verstehen.

Nachdem in den ersten Jahren nach 1930 vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen mit England, Frankreich, Deutschland und Italien im Zusammenhang der beschriebenen Materiallieferungen und Investitionen für die sowjetische Industrialisierung die Politbürobeschlüsse zur Europapolitik dominieren, findet sich in diesen sogenannten „Sondermappen“ auch die Zustimmung zum schließlich gescheiterten Projekt eines „Pan-Europa“, also ein erster Versuch der Eingliederung in ein internationales System. Dieses Projekt ging vom französischen Außenminister Briand aus und war kurz ausgedrückt die Idee einer föderalen Vereinigung der europäischen Völkerbundsmitglieder. Obwohl die UdSSR und die Türkei somit von dem Projekt ausgeschlossen wurden, gab es einen deutsch-italienischen Vorschlag, diese beiden Nationen trotzdem in die Verhandlungen mitaufzunehmen.[35] Die sowjetische Führung stimmte der Teilnahme an der entsprechenden Kommission am 10. April 1931 zu.[36] Obwohl das Projekt letztendlich scheiterte, zeigt es doch die sowjetische Bereitschaft, nach dem Litvinov-Protokoll einer Einbindung in ein gesamteuropäisches System zuzustimmen, auch wenn hierbei die Initiative nicht von der sowjetischen Seite aus ging.

Wie bereits dargestellt, kann man die sowjetisch-französische Annäherung und die Aufnahme in den Völkerbund nicht voneinander trennen. Die beiden Seiten hatten bereits 1932 wie bereits erwähnt einen Nichtangriffspakt abgeschlossen und ab August 1933 regelte ein geheimes französisch-sowjetisches Protokoll die Wirtschaftsbeziehungen und erlaubte französische Kredite für den Ankauf französischer Industriegüter zum Zwecke der bereits erwähnten Industrialisierung sowie der Ankurbelung der krisengeschüttelten französischen Wirtschaft.[37] Die Zusammenarbeit erhält jedoch 1933 durch den Machtwechsel in Deutschland eine neue Qualität.

Davon zeugt ein Dokument vom 19. Dezember 1933, worin dem Polpred[38] in Frankreich, Valerian Saveljevič Dovgalevskij, Direktiven für die Antwort an den französischen Außenminister Paul-Boncour gegeben werden. Dieser hatte nach dem deutschen Völkerbundsaustritt im Oktober 1933 Dogalevskij über die Möglichkeit einer gemeinsamen Zusammenarbeit der beiden Staaten informiert. Die französische Seite bestand jedoch auf dem Abschluss eines Paktes im Rahmen des Völkerbundes.[39] Laut des Dokuments sollte Dovgalevskij der französischen Seite unter anderem mitteilen, die UdSSR sei einverstanden mit einer Aufnahme in den Völkerbund, mit dem Abschluss einer regionalen Vereinbarung über gegenseitige Verteidigung im Falle eines Angriffs Deutschlands und mit der Aufnahme von Belgien, Frankreich, der Tschechoslowakei, Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland oder einiger dieser Staaten in diesen Pakt, aber auf jeden Fall von Frankreich und Polen. Außerdem sollten sich die Vertragsparteien unabhängig von den Bestimmungen der Abmachung verpflichten, sich gegenseitig diplomatisch, moralisch und wenn möglich materiell zu helfen bei einem Angriff, den der Vertrag nicht einschließt.[40] Am 18. September 1934 kam es dann schließlich zur offiziellen Aufnahme in den Völkerbund. Ein weiterer Schritt aus der Isolierung war gegangen.

Die Verbindung der beiden Punkte, dem Eintritt in den Völkerbund und dem Pakt mit Frankreich, macht ein Schreiben eines 1934 in der französischen Botschaft in der UdSSR arbeitenden Paillards[41] an Litvinov deutlich, in dem er ihn an die unauflösliche Verbindung der Aufnahme in den Völkerbund und der sich in Verhandlung befindenden Pakte erinnert.[42]

Deshalb soll im nächsten Kapitel diese Betrachtung fortgesetzt werden und anschließend ein gemeinsames Ergebnis in Bezug auf das Thema der Arbeit und die ihr zugrunde liegende These formuliert werden.

Die wichtigste Erkenntnis aus der Analyse des Eintritts in den Völkerbund ist wohl, dass die Aufnahme in den Völkerbund zwar den sowjetischen Sicherheitsinteressen diente und sie die auf Wirtschaftskontakte mit dem Westen basierende Industrialisierung – also das wohl wichtigste Projekt der Sowjetführung – sicherte, die Initiative zur Aufnahme in den Bund – also nicht mehr nur der Teilnahme von sowjetischen Vertretern bei Abrüstungsverhandlungen in Genf – von Frankreich aus ging, was wiederum nur aus dem Machtwechsel in Deutschland und dem damit verbundenen deutschen Austritt aus dem Völkerbund resultierte.

Bündnisse mit kapitalistischen Staaten

Freilich ist das Bündnis bzw. der Pakt mit Frankreich und der Tschechoslowakei von 1935 nicht die erste Annäherung an einen kapitalistischen Staat, denkt man an den Vertrag von Rapallo von 1922 mit dem Deutschen Reich, der die beiden „Außenseiter“ im internationalen System, die beiden aus dem Völkerbund ausgeschlossenen Staaten einander annäherte. Jedoch beschränkte sich dieser Vertrag auf die Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Selbst wenn man die militärische Zusammenarbeit dazurechnet, die im Rahmen dieses Vertrages stattfand, gleicht dieser Vertrag nicht dem militärischen Pakt für gegenseitige Hilfe, der 1935 mit Frankreich abgeschlossen wurde. Dieser Pakt ist also ein Novum in der sowjetischen Geschichte und stellt somit auch nach dem Eintritt in den Völkerbund eine wichtige Kehrtwende dar: zum ersten Mal geht die kommunistische Sowjetunion ein militärisches Bündnis mit zwei kapitalistischen Staaten ein. Dies kann man als einen der wichtigsten Schritte hin zur Etablierung der UdSSR im internationalen System ansehen, da das Bündnis mit kapitalistischen Regierungen im Grunde aus revolutionärer Sicht einen Widerspruch darstellte. Nicht nur, dass die sowjetische Führung im Völkerbund und auf diplomatischem Wege Kontakt zu den kapitalistischen Staaten aufnahm, nun befand sie sich im offenen Bündnis mit diesen.

Zunächst soll die Vorgeschichte des Paktes betrachtet werden, die die Bemühungen der Sowjetregierung um ein festes sicherheitspolitisches Bündnis aufzeigt und schließlich das Ergebnis dieser Verhandlungen, der Pakt von 1935, betrachtet werden.

Das Projekt „Ostpakt“

Wie bereits bei der Analyse des Dokuments vom 19. Dezember 1933 deutlich wurde, war der Pakt mit Frankreich und der Tschechoslowakei, wie er 1935 abgeschlossen wurde, nicht als Pakt zwischen explizit diesen drei Staaten geplant gewesen, sondern entwickelte sich gewissermaßen aus Gesprächen bzw. Verhandlungen über einen Regionalpakt in Europa, die wie gesehen von 1933 bis 1935 andauerten.

Wichtig für die Analyse der sowjetisch-französischen Verhandlungen ist zunächst eine Rede Stalins auf dem 17. Parteikongress im Januar 1934, in der er sowohl eine Orientierung auf Deutschland als auch eine Orientierung auf Polen und Frankreich verneint. Die Orientierung in der Vergangenheit und in der Gegenwart liege allein auf der UdSSR. Noch am Tag der Rede bezeichnete die Direction politique des französischen Außenministeriums die Aussage, Paul-Boncour strebe einen Beistandspakt an, als falsch.[43] Dass Frankreich dennoch vorerst die einzig verbliebene Macht für ein Sicherheitsbündnis in Europa war, wurde nach der Zurückweisung eines sowjetischen Vorschlags der beiderseitigen deutsch-sowjetischen Erklärung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten durch Berlin klar: „Having once more tested the water to see whether Rapallo could be resurrected in some form, the Russians recoiled from Berlin, aware that the French option was all that was now open to them.“[44] Und tatsächlich kam im April die französische Zustimmung zu weiteren Verhandlungen. Die Schwierigkeiten lagen nun darin, dass die sowjetische Seite Paris dazu bringen wollte, ganz Osteuropa in den Pakt miteinzubeziehen. Die Franzosen wollten dagegen ihre Verpflichtungen so gering wie möglich halten und widerriefen ihre zu Beginn der Verhandlungen gemachte Zusage, die baltischen Staaten in den Pakt aufzunehmen, aufgrund ihres Verbündeten Polen.[45]

Im Juni 1934 stimmt die sowjetische Führung dann dem britischen Wunsch zu, in die Planungen um das Projekt „Ostpakt“ – im westlichen Sprachgebrauch auch als „östliches Locarno“ bezeichnet – sowie in die bilateralen Verhandlungen zwischen der UdSSR und Frankreich auch Deutschland einzuschließen.[46]

Das Scheitern des Projektes „Ostpakt“ liegt schließlich auch in der deutschen und polnischen Absage begründet. Bereits Ende September 1934 wurde deutlich, dass sich der deutschen Absage auch die polnische Regierung anschließen werde, um die polnisch-deutschen Abmachungen, also konkret den im Januar desselben Jahres abgeschlossenen bereits erwähnten Nichtangriffspakt zwischen den beiden Staaten, nicht zu gefährden.[47] Als Reaktion auf diese negative Haltung der deutschen und polnischen Regierung zu dem geplanten Pakt beschloss das Politbüro schließlich am 23. November 1934, die Gespräche auch ohne Deutschland und Polen weiterzuführen, auch wenn die Initiative dazu nicht überhastet geschehen solle.[48]

Gerade die Bereitschaft, wenn auch nicht Initiative, Deutschland in ein Sicherheitssystem einzubinden, zeigt, dass die Zielsetzung der sowjetischen Außenpolitik in den Jahren 1933 bis 1935 nicht etwa allein auf der Ausgrenzung des potentiellen deutschen Aggressors lagen, sondern die Aufrechterhaltung des Friedens und damit des Systems von Versailles in Europa das oberste Ziel darstellte. Dafür war die sowjetische Führung bereit, Sicherheitspakte nicht nur mit kapitalistischen Staaten, sondern auch mit dem nationalsozialistischen Deutschland einzugehen bzw. sah diese Pakte als Teil des „Systems der kollektiven Sicherheit“ an und förderte sie.

Der Pakt mit Frankreich und der Tschechoslowakei 1935

Kurz nach der erwähnten Absage der deutschen und polnischen Seite an das Projekt „Ostpakt“ kam auf die sowjetischen Verhandlungsführer eine weitere Herausforderung zu: Das Attentat auf den französischen Außenminister Barthou am 9. Oktober 1934 in Marseille bedeutete zunächst einen Rückschlag für die Verhandlungen um den Beistandspakt, da Barthous Nachfolger Pierre Laval ein Abkommen mit Deutschland als für den Frieden in Europa überaus wichtig erachtete, worunter die Gespräche mit Moskau über den nun um Deutschland und Polen reduzierten Pakt deutlich litten.[49]

Im zuletzt betrachteten Dokument vom 23. September 1934 wurde bereits die sowjetische Zustimmung dazu deutlich, den geplanten Sicherheitspakt auch ohne Deutschland und Polen durchzuführen, dies jedoch nicht zu überstürzen. Nur ein paar Tage später schließlich, am 02. November, wurde vom Politbüro auf Anfrage des NKID entschieden, auch einen kleineren Pakt abzuschließen, also ohne Berlin und Warschau, wenn Frankreich und die Tschechoslowakei oder auch nur Frankreich dem zustimmten.[50]

Was auf diese Entscheidung folgte, war eine längere, mehrere Monate lang andauernde Phase, in der das Projekt nicht recht vorankam, da Paris versuchte, die Zusagen an Moskau möglichst gering zu halten. Schließlich wurde ein Kompromiss geschlossen und der Pakt am 2. Mai 1935 unterzeichnet. Dem folgte am 16. Mai die Unterzeichnung des sowjetisch-tschechoslowakischen Paktes, der sich nur in dem Punkt von dem französisch-sowjetischen Pakt unterschied, dass die Hilfe für die Tschechoslowakei oder die UdSSR durch die jeweils andere Vertragspartei davon abhing, ob Frankreich zuerst handelte bzw. wie Frankreich sich entschied zu handeln.[51] In Moskau wurde der Pakt mit Frankreich mit großem Unmut aufgefasst und bei vielen als Enttäuschung empfunden.

Jonathan Haslam, dessen Analyse der sowjetischen Bemühungen um ein System der kollektiven Sicherheit für die Analyse der Verhandlungen um den Pakt mit Frankreich in dieser Arbeit neben der Betrachtung einiger weniger Akten des Politbüros die Grundlage bildet, schließt das Kapitel über den Pakt mit Frankreich mit folgender These: „Instead of removing Soviet anxieties, the signature of the pact only whetted the Soviet appetite for further guarantees; thus the pact did not substitute for attempts to revive Rapallo. Instead it became a bargaining counter held in reserve for future negotiations with Berlin.“[52]

Der Abschluss des sowjetisch-französischen Paktes für gegenseitige Unterstützung war also keineswegs ein von beiden Seiten gleichermaßen gewolltes und mit gleicher Energie und den gleichen Zielen vorangebrachtes Projekt. Vielmehr zeigt die Geschichte der Verhandlungen um den Pakt, dass sich die sowjetische Sicherheitspolitik nach dem Machtwechsel in Deutschland nicht nur auf die Eingliederung in das internationale Mächtesystem, also den Völkerbund, stützte, sondern eine Partnerschaft mit einem der stärksten kapitalistischen Staaten als Sicherheitsgarant für die Verhinderung eines antikommunistischen Kreuzzuges und des Aufbaus des „Sozialismus in einem Land“ angestrebt wurde, was jedoch wiederum von französischer Seite aus nur durch den Eintritt in den Völkerbund möglich war.

Selbstdarstellung der UdSSR nach außen

Litvinovs Reden im Völkerbund

Die Selbstdarstellung der UdSSR nach außen hin geschieht neben den Botschaftskontakten zu einem hohen Grad durch die Institution des Völkerbundes. Bereits vor dem Eintritt in denselben 1934 konnten sowjetische Delegationen an vom Völkerbund einberufenen Konferenzen teilnehmen[53]. In den frühen 20er Jahren entsprechen die offiziellen Äußerungen sowjetischer Politiker jedoch der negativen sowjetischen Auffassung des Völkerbundes als „Koalition von Kapitalisten“.[54]Ab 1927 ist im Zusammenhang mit der anfangs beschriebenen Öffnung nach Westen auch eine Annäherung an den Völkerbund erkennbar. Zu diesem Zeitpunkt trat die UdSSR auch der „Vorbereitenden Kommission für die Abrüstungskonferenz“ bei, was Litvinov, damals an der Spitze der sowjetischen Delegation, die erste Möglichkeit bot, wortgewandt für Frieden und Abrüstung zu werben und ein positives Bild der Sowjetunion zu zeichnen.[55] Diese Bemühungen werden teilweise natürlich durch die oben erwähnten Prozesse gegen ausländische Ingenieure und die außenpolitische Wirkung der antikapitalistischen Propaganda zunichte gemacht. Dennoch gelingt es, zumindest in Frankreich die antikommunistische Einstellung vieler Politiker zumindest abzuschwächen und nach der Kontaktaufnahme mit den meisten westlichen Staaten sich selbst so gut darzustellen, dass ein Pakt und eine Aufnahme in den Völkerbund möglich werden. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass die Losung des „Sozialismus in einem Land“ auch eine starke außenpolitische Wirkung besaß und eine friedliche Koexistenz, also auch Kooperation zwischen kapitalistischen Staaten und der sozialistischen UdSSR ermöglichte.

Nach dem Eintritt in den Völkerbund kann Litvinov wie bereits erwähnt in den Sitzungen des Völkerbundrates durch seine Reden das Bild der friedliebenden Sowjetunion ausbauen und seine Ideen des unteilbaren Friedens und des Systems der kollektiven Sicherheit verbreiten. Die geringe Wirkung von Litvinovs Appellen, „sich zum Schutze der Unabhängigkeit der Bundesmitglieder und gegen eine Ausbreitung der faschistischen Aggression zusammenzuschließen“ [56], am sichtbarsten an der Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft im spanischen Bürgerkrieg oder in der Abessinien-Krise, kann eine Erklärung sein für den nächsten Schritt der Annäherung an den Westen, die neue Verfassung von 1936.[57]

Stalin-Verfassung 1936: Annäherung durch „Assimilation“

Der Beschluss der neuen Verfassung fand ein Jahr nach Unterzeichnung des Paktes mit Frankreich statt, die Ausarbeitung wurde bereits kurz zuvor, am 6. Februar, beschlossen.[58] Nachdem der Pakt wie gezeigt am Ende nicht ganz den sicherheitspolitischen Vorstellungen der sowjetischen Führung entsprochen hatte, kann man die neue Verfassung als weiteren Annäherungsversuch an den Westen sehen. Die Bedrohung durch Japan in der Mandschurei und das nationalsozialistische Deutschland hatte durch den 1936 zwischen diesen Staaten abgeschlossenen Antikomintern-Pakt noch zugenommen, vor allem durch die während der Verkündung des Paktes durch die Führer der Achsenmächte stattfindenden Zusammenstöße an der sowjetisch-japanischen Grenze.[59]

Der neue, scheinbar demokratische und liberale Charakter der neuen Verfassung liegt vor allem in der starken Rolle des Parlaments, des Obersten Sowjets, begründet. Zudem tritt der starke Föderationscharakter der Union zutage. Den sowjetischen Bürgern wird das Wahlrecht und auch andere demokratische Rechte zugesprochen. Die politische Realität wird jedoch im Artikel 126 widergespiegelt, in dem es heißt, dass sich die Bürger in der Kommunistischen Partei vereinigen können, die „[…] der Vortrupp der Werktätigen in ihrem Kampf für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft ist und den leitenden Kern aller Organisationen der Werktätigen, der gesellschaftlichen sowohl wie der staatlichen, bildet.“ Außerdem heißt es in Artikel 141, dass lediglich die Partei die Kandidaten für die Wahl aufstellen kann. Nach außen hin lieferte die neue Verfassung also demokratische Rechte und ein demokratisches Wahlsystem, genauer betrachtet bildet die Verfassung aber in den beiden benannten Artikeln die Wirklichkeit recht gut ab.[60]

In liberalen und linksgerichteten Kreisen im Westen wurde die generelle Tendenz der sowjetischen Außenpolitik ab 1935 positiv aufgefasst, von der neuen Ausrichtung der Komintern über die offene Parteinahme der sowjetischen Regierung für die spanische Republik bin hin zur neuen Verfassung.[61]

Volksfronttaktik der Komintern – verschobene Revolution

Die Rolle der Komintern wird in der Forschung als für die sowjetische Außenpolitik nicht allzu groß bzw. bedeutend angesehen. Vielmehr wird betont, dass sie ein reines Werkzeug Stalins war und ihre internationale Rolle auf eine Unterstützung der übrigen außenpolitischen Instrumente des sowjetischen Apparats degradiert wurde. Die Abhängigkeit der in Moskau sitzenden Organisation von ihrem ‚Gastland‘ wird besonders in den ‚Großen Säuberungen‘ deutlich, unter denen die Komintern „als Hort trotzkistischer Feinde“ besonders zu leiden hatte.[62] Unter dem Begriff der ‚Bolschewisierung‘ wurde ab dem V. Weltkongress 1924 die Tendenz der völligen Abhängigkeit der Komintern-Parteien von der KPdSU deutlich.[63]

Die ab 1928 geltende Losung der Komintern für die kommunistischen Parteien im kapitalistischen Rest der Welt war ebenjene berüchtigte These des „Sozialfaschismus“, welche die Sozialdemokratie als den größeren Feind als den aufkommenden Faschismus ansah und den vor allem für Deutschland so folgenschweren Grabenkampf zwischen KPD und SPD bis 1933 zur Folge hatte.

Eine erste Ausnahme von dieser Losung wurde aufgrund besorgniserregender Vorgänge in Paris am 6. Februar 1934 gewährt: Nachdem faschistische Kräfte im Zuge des Stavinsky-Skandals die linke Regierung abzusetzen drohten, beteiligte sich die Kommunistische Partei Frankreichs nach einem Entschluss in Moskau an einem Generalstreik der Sozialistischen Partei; gleichzeitig, ebenso im Februar 1934, kam es zum Aufstand sozialistischer Milizen gegen die Installation des Dollfuss-Regimes in Österreich.[64] Die Einheitsfront-Regierung in Frankreich, deren Zustandekommen auf diesen Ereignissen fußte, bildete ein deutliches Zeichen für einen Umschwung in der Kominternpolitik.[65]

Der einflussreiche Kominternpolitiker und ab 1935 Generalsekretär der Organisation, der Bulgare Georgij Dimitrov, der nach diesen Ereignissen von der Notwendigkeit einer Kurskorrektur der Kominternpolitik überzeugt war, konnte seine Ansichten erfolgreich dem sowjetischen Politbüro vorschlagen. Auch wenn Stalin anfangs noch wenig überzeugt war, stimmte das Politbüro schließlich für die neue Strategie und ebnete Dimitrov daraufhin auch den Weg zur Führung der Komintern.[66]

Der VII. Komintern-Kongress im Jahre 1935 brachte dann schließlich die richtungsweisende Veränderung für die – mehr ideologisch als tatsächlich in der Politik der einzelnen Staaten erfolgreiche – kommunistische Internationale. Die ultralinke Richtung, der Aufruf zum Kampf gegen die Sozialdemokratie als wichtigste Stütze der Bourgeoise, wurde fallen gelassen für eine neue Losung, die den Kampf gegen den Faschismus an oberste Stelle rückte und die Bildung von Volksregierungen als wünschenswertes Ziel anstrebte, was faktisch einen Aufschub der revolutionären Bemühungen der einzelnen kommunistischen Parteien bedeutete.

Auch wenn der Entschluss für die neue Losung sicherlich mit den Ereignissen in Frankeich und Österreich, vor allem natürlich aber auch der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 zusammenhing, passte das neue Konzept perfekt zum parallel stattfindenden Aufbau von Litvinovs „System der kollektiven Sicherheit“. „Both the Narkomindel and the Comintern’s strategy were a response to the same threat; collective security and Popular Front were twins.“[67]

Die Kurskorrektur in der Kominternpolitik und damit auch der Beziehungen der Sowjetunion zu den anderen kommunistischen Parteien ist neben dem Eintritt in den Völkerbund und dem Pakt mit Frankreich ein weiterer maßgeblicher Einschnitt in die internationalistische Politik der UdSSR. Von nun an stand auch die Politik der Kommunisten außerhalb der sowjetischen Grenzen ganz unter dem neuen Ziel der Friedenssicherung, und damit auch der von der kommunistischen Bewegung bisher so bekämpften Friedensordnung von Versailles. Wie verhängnisvoll die „Sozialfaschismus“-Losung auch besonders im Falle Deutschlands war und wie sinnvoll die Kursänderung für uns heute erscheinen mag, so stellt sie doch definitiv die Abkehr von Lenins Konzept des internationalistischen Kampfes für die Weltrevolution dar. „World revolution was put off for better times.“[68]

Ausblick: München 1938 und Moskau 1939: Das Scheitern der Westbindung

Der Ribbentrop-Molotov-Pakt, der hier nur in einem Ausblick betrachtet werden soll, stellt in vielen Punkten einen Bruch in der sowjetischen Außenpolitik dar: das Bündnis mit dem nationalsozialistischen und erklärten antikommunistischen Diktator des „Dritten Reiches“, die Expansion in der Zusammenarbeit mit demselben in die ehemaligen Gebiete des Zarenreiches, die Ersetzung Litvinovs durch Stalins treuen Gefolgsmann Molotov als Außenkommissar, der „Verrat an der Sache“.

Auf einer anderen Ebene aber kann man den Pakt auch als Kontinuität betrachten: die neue Großmacht UdSSR, die den Weg des Sozialismus eingeschlagen und die Weltrevolution vertagt hat, die in den Völkerbund eingetreten ist und Beistandspakte mit kapitalistischen Staaten abgeschlossen hat, die ihre Industrialisierung unter anderem durch ein auf die Friedensordnung von Versailles gestütztes „System der kollektiven Sicherheit“ und Kredite, Ingenieure und Material aus den kapitalistischen Staaten ermöglicht hat, die sich im Völkerbund als friedliebend und durch die neue Verfassung sogar demokratisch dargestellt hat, geht gewissermaßen den letzten Schritt. Sie sieht die beste Möglichkeit des weiteren Friedens für die UdSSR und den gleichzeitig größten Machtzuwachs in einem Pakt mit Deutschland und holt sich das „verloren gegangene“ ehemalige russische Gebiet zurück, nun vollständig in die Arena der anderen Großmächte eingetreten, die sich jedoch immer noch in einigen markanten Punkten von diesen unterscheidet.

Der Pakt mit Hitler liegt naturgemäß im Mittelpunkt zahlreicher Forschungsarbeiten. Da der Fokus dieser Arbeit auf der Zeit vor dem Pakt liegt, dieser aber dennoch als Abschluss der betrachteten Phase eminent ist, sollen die wichtigsten Forschungsrichtungen, Ansätze und Thesen vorgestellt werden, ohne dabei den Anspruch an Vollständigkeit der Zusammenfassung der, wie gesagt, zahlreichen Literatur zu dem Thema zu erheben.

Die Beurteilung des Hitler-Stalin-Paktes schließt stets die vorhergehenden Jahre mit ein und erstellt so ein Gesamtkonzept der Außenpolitik unter Stalin. Dabei geht es vor allem um die Bewertung des Systems der „kollektiven Sicherheit“. Wie bereits in Kapitel 4) über den Eintritt in den Völkerbund dargestellt, hält eine Denkrichtung alle hier teilweise vorgestellten Bemühungen um die Sicherung des Friedens und die Annäherung an die Westmächte für die Tarnung der eigentlichen Bemühungen der sowjetischen Außenpolitik, einem Bündnis mit Deutschland. Für Vertreter dieser Richtung, darunter Robert C. Tucker oder Gerhard Weinberg[69], bestand die wahre sowjetische Außenpolitik dieser Jahre aus Geheimkontakten zum Deutschen Reich und nicht in den pazifistischen Reden Litvinovs vor dem Völkerbund oder dem Sicherheitspakt mit Frankreich. In dieser Sichtweise ist schließlich der Pakt mit Hitler kein Fehltritt einer auf den Westen und den Friedenserhalt ausgerichteten Außenpolitik, sondern der Erfolg der in Wahrheit verfolgten Ziele. Teil dieser Theorie ist auch die These, der Große Terror habe die Ausschaltung des antideutsch bzw. antifaschistisch eingestellten Teils des sowjetischen bürokratischen Apparates zum Ziel gehabt und sollte somit den Weg zum Pakt mit Hitler ebnen. Dieser Deutung der Säuberungen widerspricht u.a. Teddy Uldricks und kritisiert, die Opfer des NKVD-Terrors seien keinesfalls allein unter den antideutsch eingestellten Teilen des sowjetischen Apparats zu finden.[70]

Auch die Sudetenkrise 1938 ist für das Verständnis des Paktes von 1939 wichtig. Silvio Pons sieht in der Krise nicht nur ein Scheitern der westlichen Außenpolitik, sondern betont ebenso die Passivität der sowjetischen Politik in der Krise: „The Czech crisis soon proved that the Soviet Union lacked the will and the means to play a significant role in European affairs: Moscow retreated still further from the international stage.“[71] Gestützt durch die Beschlüsse des Paktes von 1935 habe die sowjetische Führung nach der in der Angst vor einem neuen Krieg in Europa begründeten französischen Absage keine Eigeninitiative ergreifen wollen. Zwar habe Litvinov bis zuletzt versucht, einen europäischen Krieg zu verhindern, in den seiner Meinung nach die UdSSR unwillkürlich mit hineingezogen werden würde, wie ein Telegramm an Stalin zeigt, in dem er ihn zur Mobilisierung als wirkungsvolle Maßnahme gegen Hitlers Expansionsdrang bewegen wollte.[72] Jedoch lag die Entscheidungsgewalt nicht in seiner Hand und sein Drängen auf aktive Unterstützung Prags wurde nicht in Taten umgesetzt.

Donald O’Sullivan sieht in der sowjetischen Politik während der Sudetenkrise keine allein durch die französische Haltung motivierte Passivität. In seiner Analyse der sowjetischen Außenpolitik vom Münchner Abkommen bis zum deutschen Angriff 1941 sieht er die Zielsetzung der sowjetischen Führung in einer militärischen Auseinandersetzung Deutschlands mit Prag und den Westmächten, was er vor allem durch eine geheime Rede Ždanovs in Prag im August 1938 begründet, in der dieser vor kommunistischen Funktionären die positiven Folgen eines möglichen Krieges erläutert, nämlich das Ende von Faschismus wie Kapitalismus. In einem solchen Kampf stünde die Rote Armee dann auf Seiten der tschechoslowakischen Genossen.[73] Der französische Vertragsbruch erleichtere laut O’Sullivan diese Haltung lediglich.

Ein weiterer Streitpunkt ist das Interesse Stalins oder genereller der sowjetischen Führung am Feld der Außenpolitik. Viele frühere Arbeiten betonen das außenpolitische Desinteresse Stalins an Themen der Außenpolitik und die Fixierung auf die in den 30er Jahren viel wichtigeren Themen wie Industrialisierung, Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und schließlich Sicherung der totalen Macht durch die Säuberungen ab 1936/37.[74]

Um die Jahrtausendwende entstanden eine Reihe weiterer Forschungsarbeiten zum Thema der sowjetischen Außenpolitik, darunter die hier oft zitierten Arbeiten von Donald O’Sullivan oder Viktor Knoll. Diese betonen zum einen die Handlungsmöglichkeiten der Beamten des NKID und Litvinovs, zum anderen widerlegen sie die These der Außenpolitik als wenig beachtetes oder hinter der Innenpolitik weit zurückstehendes Feld der Politik, wie auch Robert Service in seiner 2004 erschienen Stalin-Biographie[75]. Durch die Analyse neu zugänglicher Dokumente machen sie deutlich, dass sich Stalin über jede noch so kleine außenpolitische Begebenheit stets informieren ließ und über die Außenpolitik bestens informiert war[76]. In den spannungsgeladenen Jahren 1938/39 sehen sie eine große Flexibilität der sowjetischen Außenpolitik. „Weniger langfristige und detaillierte Planungen bestimmten die sowjetische Außenpolitik zu der Zeit, sondern die kontinuierlichen Neueinschätzung des internationalen Kräfteverhältnisses und die ständige Anpassung des eigenen Instrumentariums an die wechselnden Umstände.“[77], schreibt O’Sullivan. Der Pakt mit Hitler ist hier weder das über Jahre verfolgte Ziel noch bedauerlicher Fehler einer langfristig auf eine Annäherung an den Westen festgelegten Politik, sondern Ergebnis eines Abwägens zwischen einem Bündnis mit den Westmächten oder mit Hitler. Nach monatelangen parallel geführten Geheimverhandlungen mit beiden Seiten entschloss sich Stalin schließlich für Hitler, der ihm die von den Westmächten versagten baltischen Staaten und Ostpolen zusicherte.

Fazit

Die Eingliederung in das internationale System und der Prozess der Anpassung der Außenpolitik an westliche oder auch nur ‚traditionelle‘ Maßstäbe lief wie in dieser Arbeit gezeigt in mehreren Schritten ab. Nachdem durch die diplomatische Anerkennung der meisten Staaten ab 1924 zum einen die Grundlage für den Kontakt mit den kapitalistischen Staaten gelegt wurde und der wirtschaftliche Aufbau durch Investitionen und Güter aus diesen Staaten gewährleistet war, gelang schon 1929 durch das Litvinov-Protokoll und die darauf folgenden Nichtangriffspakte ein erster sicherheitspolitischer Vertrag und eine Annäherung an die europäischen Nachbarstaaten. Das Konzept des „Sozialismus in einem Land“ bildet dann die ideologische Grundlage für die Verschiebung der Weltrevolution, die staatlich durchgesetzte massive Industrialisierung und Kollektivierung der Landwirtschaft im ersten Fünf-Jahres-Plan. Außerdem werden durch dieses Konzept des ‚sowjetischen Nationalstaates‘ die Einbindung in das internationale Mächtesystem und die Pakte mit kapitalistischen Staaten legitimiert. Der erste sozialistische Staat der Geschichte nimmt somit einen seinen eigenen Weg, nähert sich aber außenpolitisch nach der revolutionären Phase immer weiter den traditionellen Maßstäben an.

Der Eintritt in den Völkerbund 1934 und damit verbunden der Pakt mit Frankreich und der Tschechoslowakei 1935 bilden schließlich die Fortführung der ersten beiden Punkte und schließen – mit der Ausnahme von Rapallo – die nach der Revolution entstandene Schlucht zwischen den kapitalistischen Staaten und ihrem ersten sozialistischen Pendant. Der prowestliche Litvinov konnte die UdSSR dem Westen annähern und durch den Kontakt mit den ausländischen Regierungen das von ihm präferierte „System der kollektiven Sicherheit“ etablieren. Die langen und komplizierten Verhandlungen im Zusammenhang um den Völkerbundseintritt und den Pakt zeigen klar den Fokus der sowjetischen Außenpolitik auf dem Erhalt des Friedens und damit auch des zuvor bekämpften Versailler Friedenssystems, wodurch der Erhalt der Wirtschaftsbeziehungen und damit der Aufbau des Sozialismus ermöglicht und ein Angriff auf die UdSSR verhindert werden sollten. Dieses Ziel spiegelt auch die 1935 an die Verhältnisse in Europa angepasste Komintern-Politik wider, die den Aufruf zur Weltrevolution durch die Forderung von Volksregierungen zusammen mit den zuvor bekämpften Sozialdemokraten bzw. gemäßigten Sozialisten zum Erhalt des Friedens und der Eindämmung des Faschismus ersetzte. Die friedensliebende Selbstinszenierung im Völkerbund und die scheinbare Demokratisierung durch die neue Verfassung von 1936 ergänzen dieses Bild und zeigen den starken Wunsch nach Annäherung an den Westen nach der ‚Einkreisung‘ durch die faschistischen Mächte Deutschland und Japan.

Quellen

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[1] Koestler, Arthur: Von weißen Nächten und roten Tagen, Wien 2013, S. 28

[2] Mit Ausnahme der auf internationaler Ebene eher unbedeutenden Mongolei

[3] Siehe hierzu das Vorwort zu: Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie, In: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke, Berlin 1971

[4] Creuzberger, Stefan: Stalin. Machtpolitiker und Ideologe, Stuttgart 2009, S. 209 ff.

[5] Ebd., S. 220

[6] Großbritannien folgen noch 1924 Italien, Österreich, Griechenland, Norwegen, Schweden, China, Dänemark, Mexiko, Frankreich und Japan. Siehe: Der Große Ploetz, Die Enzyklopädie der Weltgeschichte. 35., völlig neu bearbeitete Auflage, Freiburg im Breisgau 2008, S. 1134 f.

[7] Kennan, George F.: Sowjetische Außenpolitik unter Lenin und Stalin, Stuttgart 1961, S. 265 ff.

[8] Knoll, Viktor: Das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten im Prozess außenpolitischer Entscheidungsfindung in den zwanziger und dreißiger Jahren, In: Zwischen Tradition und Revolution. Determinanten und Strukturen sowjetischer Außenpolitik 1917-1941, herausgegeben von Ludmila Thomas und Viktor Knoll, Stuttgart 2000, S. 125

[9] Kennan: Sowjetische Außenpolitik, S.309

[10] Die Bolschewiki weigerten sich, die Schulden der zaristischen Regierung in Großbritannien zu übernehmen; Siehe Kennan: Sowjetische Außenpolitik, S. 310, S. 316 f. und S. 274 oder Niedhart, Gottfried: Die Sowjetunion in der britischen Urteilsbildung 1917-1945, In: Niedhart: Der Westen und die Sowjetunion. Einstellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und in den USA seit 1917, Paderborn 1983, S. 107

[11] Хлевнюк, Олег: 1930.1933 гг., In: Политбюро ЦК РКП(б) – ВКП(б) и Европа. Решения «особой папки» 1923 – 1939, Moskau 2001, S. 209

[12] Haslam, Jonathan: The Soviet Union and the struggle for Collective Security in Europe, 1933-39, London und Basingstoke 1984, S. 17 ff.

[13] Narodny kommissariat innostrannych del (Volkskommissariat für äußere Angelegenheiten)

[14] Knoll: Das Volkskommissariat, S. 139

[15] Schröder, Hans-Jürgen: Von der Anerkennung zum kalten Krieg. Die USA und die Sowjetunion 1933-1947, In: Niedhart, Gottfried (Hrsg.): Der Westen und die Sowjetunion. Einstellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und in den USA seit 1917, Paderborn 1983, S. 180 f.

[16] Knoll: Das Volkskommissariat, S. 127

[17] Maksim Maksimovič Litvinov löste 1930 Čičerin als Außenkommissar ab

[18] Markert, Werner: Von der Oktoberrevolution zur „Revolution von oben“. Zur politischen Struktur des Stalinismus, In: Vierteljahrsheft für Zeitgeschichte, 2 (1954), S. 70

[19] Ebd., S. 70 f.

[20] Deutscher, Isaac: Stalin. Eine politische Biographie, Berlin 1989, S. 366

[21] Ebd., S. 369 f.

[22] Stalin, J.W.: Fragen und Antworten, Rede am 9. Juni 1925, In: Werke, Bd. VII, Berlin (Ost) 1952 ff., S. 173 ff.

[23] Haslam: The Soviet Union, S. 1

[24] Ebd., S. 1 f.

[25] Хлевнюк, Олег: 1930.1933 гг., In: Политбюро ЦК РКП(б) – ВКП(б) и Европа. Решения «особой папки» 1923 – 1939, Moskau 2001, S. 209

[26] Haslam: The Soviet Union, S. 11

[27] Creuzberger: Stalin, S. 225

[28] Siehe beispielsweise Tucker, Robert C.: Stalin in Power: The Revolution from above, 1928-1941, New York 1990

[29] Uldricks, Teddy J.: Soviet Security Policy in the 1930s, In: Gorodetsky, Gabriel (Hrsg.): Soviet Foreign Policy, 1917-1991. A Retrospective, London 1994, S. 66

[30] Ebd., S. 66

[31] Ebd., S. 67

[32] Ebd., S. 68

[33] Haslam: The Soviet Union, S. 11

[34] Ebd., S. 19 f.

[35] Политбюро ЦК РКП(б) – ВКП(б) и Европа. Решения «особой папки» 1923 – 1939, Moskau 2001, Dok. 140, S. 235 f.

[36] Ebd., Dok. 149, S. 245

[37] Girault, René: Wirklichkeit und Legende in den französisch-sowjetischen Beziehungen 1917-1945, In: Niedhart, Gottfried (Hrsg.): Der Westen und die Sowjetunion. Einstellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und in den USA seit 1917, Paderborn 1983, S.127 f.

[38] Polpred = Polnomočnyj Predstavitel (=bevollmächtigter Vertreter) entspricht einem Botschafter

[39] Политбюро ЦК РКП(б) – ВКП(б) и Европа, S. 306, zitiert nach: „Documents Diplomatiques Francais, 1932-1939, I Serie. V. Paris 1970. Doc. № 84, P. 165“

[40] Ebd., Dok. 207, S. 305 f. Hier lässt sich beispielshaft das oben beschriebene Prinzip der Ausarbeitung durch das NKID und die Beschlusskraft des Politbüro aufzeigen: am 12. Dezember fällt das Politbüro eine Resolution für die kollektive Sicherheit. Daraufhin wird das Narkomindel beaufragt, einen entsprechenden Entwurf vorzulegen, der am 19. Dezember schließlich angenommen wird, wodurch schließlich Litvinovs ursprüngliche Idee angenommen wurde. Siehe hierzu: Haslam: The Soviet Union, S. 29

[41] Aus dem Dokument sind keine näheren Informationen zu dieser Person ersichtlich, auch die französische Schreibweise kann hier nur erraten werden (original Пайяр)

[42] Ebd., S. 314, zitiert nach: Dokumenty vneshnej politiki SSSR, T. XVII., S. 495

[43] Haslam: The Soviet Union, S. 34 f.

[44] Ebd., S. 37

[45] Ebd., S. 38

[46] Политбюро ЦК РКП(б) – ВКП(б) и Европа, Dok. 214, S. 313

[47] Ebd., S. 318

[48] Ebd., Dok. 218, S. 318

[49] Haslam: The Soviet Union, S. 43 f.

[50] Политбюро ЦК РКП(б) – ВКП(б) и Европа, Dok. 219, S. 318

[51] Ebd., S. 49 ff.

[52] Ebd., S. 51

[53] Bereits 1922 kam es zur Teilnahme einer sowjetischen Delegation an der Internationalen Konferenz über Fragen der Hygiene und Seuchenbekämpfung in Warschau, die vom Völkerbund einberufen worden war. Siehe dazu: Pfeil, Alfred: Der Völkerbund. Literaturbericht und kritische Darstellung seiner Geschichte, Darmstadt 1976, S. 92 f.

[54] Ebd., S. 92

[55] Ebd., S. 122 f.

[56] Plettenberg, Ingeborg: Die Sowjetunion im Völkerbund 1934 bis 1939. Bündnispolitik zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen in der internationalen Organisation für Friedenssicherung: Ziele, Vorraussetzungen, Möglichkeiten, Wirkungen, Köln 1987, S. 515

[57] Ebd., S. 513 ff.

[58] Deutscher: Stalin, S. 460 f.

[59] Ebd., S. 538

[60] Zum Text der Verfassung siehe: Bodo Dennewitz, Die Verfassungen der modernen Staaten, Gildenverlag Hamburg 1947, S. 191-214

[61] Kennan: Sowjetische Außenpolitik, S. 395 ff.

[62] O’Sullivan, Donald: Stalins „Cordon sanitaire“. Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1939 – 1949, Paderborn, München u.a. 2003, S. 56

[63] Weber, Hermann: Die Kommunistische Internationale. Eine Dokumentation, Hannover 1966, S. 20

[64] Haslam: The Soviet Union, S. 35

[65] Albertini, Rudolf von: Zur Beurteilung der Volksfront in Frankreich (1934-1938), In: Vierteljahrsheft für Zeitgeschichte 7 (1959), S. 1 f.

[66] Haslam: The soviet Union, S. 54

[67] Ebd., S. 59

[68] Ebd., S. 59

[69] Siehe Tucker, Robert C.: Stalin in Power. The Revolution from above. 1928-1941, New York 1990 oder Weinberg, Gerhard: The Foreign Policy of Hitler’s Germany, Vol. I, Diplomatic Revolution in Europe 1933-1936 und Vol. II, Starting World War II, 1937-1939, Chicago 1980

[70] Uldricks: Soviet Security Policy, S. 69

[71] Pons, Silvio: Stalin and the inevitable war, 1936-1941, London 2002, S. 126

[72] Pons: Stalin and the inevitable war, S. 132 f.

[73] O’Sullivan: Je später man uns bittet, S. 161 f.

[74] Über diese Denkrichtung siehe: O’Sullivan: Stalins “Cordon Sanitaire“, S. 49

[75] Service, Robert: Stalin, A Biography, London, Basingstoke und Oxford 2004, S. 381

[76] O’Sullivan: Je später man uns bittet, S. 166

[77] Ebd., S. 173

Abortion in Britain and the Soviet Union in the interwar period – an intertwined history

“The decree of November 1920 for the RSFSR, which has since been copied in the other constituent republics, substituted, in the case of abortion, for the age-long policy of prohibition of a practice that could not be stamped out by repression, the unprecedented policy of converting it into a social service under strict public control.”[1] This extract from a travel report of two British Fabians, Beatrice and Sidney Webb, from 1936 about their journey to the Soviet Union is but one example of the interest the Soviet legalization of abortion created in the West. Being part of a broader interest in the Soviet experiment at the time, this particular issue was discussed in the context of the discourse about birth control in interwar Britain. This interest manifested itself even in a concrete transnational medical cooperation, both in the form of British Physicians working or travelling in the USSR and Field Offices of the Soviet Union’s National Health Department in Britain as well as other Western countries.[2] In this essay, it will be analysed how the Soviet practice of abortion influenced the discourse about birth control by looking at how it was depicted in the British Medical Journal (BMJ), the official publication of the British Medical Association (BMA) and “Britain’s largest circulation medical journal.”[3] In order to understand how the Soviet experience could serve as a projection screen for the British physicists, the practices of and debates about abortion in Britain and the Soviet Union as well as the transnational connections, thus the broader international interwar discourse about the topic, have to be portrayed first. This essay is telling thus two stories: one about changing notions of abortion in medical as well as political terms, and another about the transfer of knowledge and ideas across the boundary separating two distinctively different economic and political systems. While military and economic cooperation across this border in the interwar period are well explored, aspects like medical history still require research. Julie Thomas has already presented the links between Soviet and American scientists in the field of birth control as well as its international aspect. This essay extends this research to the British case.[4] Although contraceptives are rather absent in the discourse presented in the Journal, abortion will be regarded as one aspect of the broader topic of birth control, including the different types of contraceptives, throughout the essay.

At the end of the 19th century, the British discourse on birth control was shaped by the falling birth rate, which dropped from 36 births per thousand inhabitants in 1876 to 15 in 1930, to a large degree due to increased contraceptive practice.[5] The “population question” this tendency created added an explicit class aspect to the older Malthusian fear “of unchecked population growth geometrically exceeding the arithmetical ability of a nation to provide adequate subsistence for its mushrooming numbers.”[6] With the criminalisation of abortion in 1861, “public law became more clearly involved in the private sexual and reproductive practice of women.” Both tendencies were accompanied by a growing interest in – especially working-class – motherhood, whereby the maternal (and thus patriotic) abilities of the lower classes were questioned by its middle-class observers.[7] The world’s first organization advocating birth control – presented as a solution to the “overpopulated” lower classes – was the Malthusian League, founded in 1877. In the interwar period the relatively small organisation turned to eugenics for “racial improvement”, just as earlier advocates of a “qualitative” improvement of the population had done since the Boer War. Eugenic views were popular in different parts of the British society as well, from the imperial administration to the radical Left.[8] These ideas, as well as Marie Stopes’ – supposedly the most famous British birth control advocate at the time – publications, most famously “Married Love” from 1918, created a new environment in which changing ideas about women’s rights and female sexuality were openly discussed. One aspect of this new discourse was the campaign for the legalisation of abortion, which became a crucial issue for the feminist movement at the time. Abortion was, especially among the working-class, still a widespread means of birth control, but it involved a high mortality rate, a popular fact in the birth control discourse.[9] The Abortion Law Reform Association, a “feminist pressure group” formed in 1936, campaigned for the legalisation of abortion as a means of the improvement of working-class women. The campaign “saw maternalism and reproductive control not in opposition but as complementary”, but also stressed abortion as a means of women’s self-determination and control over their own body. For some, the legalisation in the Soviet Union was an inspiration for their further striving.[10] The British Left in general, however, unlike their German comrades, never focused on the issue. The Labour party refused to consider the issue some of their female party members advocated for, “arguing that birth control was a matter of private conscience outside the realm of politics.”[11] While the discourse was opened, especially on the feminist Left, to full access to all kinds of birth control, actual changes remained small in the interwar period. In 1930, the government at least allowed to distribute birth control information in maternal clinics of the public health service, if a further pregnancy “was deemed to be detrimental to health”, which gave birth control at least a degree of respectability. The “population scare” of the late 1930s, however, shifted the debate again towards the quantity of the population and stopped the government to take any further steps.[12]

In the Soviet Union, the Bolsheviks realized, in many respects, an gender order of society alternative to the capitalist one, at least in the first decade up to Stalin’s full seizure of power in the 1930s. Most importantly, this meant a critique of “the conventional family and its household economy”[13], which had already been apparent in socialist theory before the revolution. The emancipation of women would follow the abolition of private property and sexual relations would become a “purely private affair.” Although reality did not entirely accord with these ideas, communal facilities like dining rooms, nurseries or kindergartens, which should transfer former household labour to the public sphere, as well as the establishment of civil marriage and divorce were first steps towards this goal.[14] The discussion of sexuality in the first socialist state was mostly directed towards the question of the upbringing of children in a sexually free society, which should again happen in a communal manner. The most momentous measure, however, was the already mentioned legalisation of abortion in 1920. Prior to the Revolution, “the practice of abortion had been widespread in Russia.”[15] The law should abolish illegal abortion by offering every women a free and legal abortion up to the third month of pregnancy, “provided it was carried out by a doctor in a hospital”[16], which was the first legal opportunity to terminate pregnancy worldwide. Yet, the law stated that abortion was no woman’s right, but an “evil” that was legalized to decrease maternal mortality originating in illegal abortions. Once the described communal facilities would be available to every woman, there would be no more need for abortion, so the belief of the Soviet officials.[17] The law generated an enormous demand which could not be supplied by the hospital accommodations and the special “abortaria” in the bigger cities. To limit numbers, priority was given especially to those who had already several children.[18] The legalisation was considered a success by the government: the number of illegal abortions and thereby the rate of maternal mortality was reduced significantly. Abortion, however, was a controversial topic and opposed by many in the medical profession, the same way other aspects of the new gender politics were not endorsed by many male party members.[19] As in Britain, this discourse also included eugenic ideas, although without any racial aspect due to the multi-ethnic identity of the Soviet Union.[20] The fact that until 1917 Western publications determined the Russian eugenic discourse shows the truly transnational character of the broad topic of population policies in the first half of the 20th century.[21] In the course of the general drawback of many revolutionary achievements and the erection of Stalin’s dictatorship, finally, the 1920 law was reversed in 1936 and all eugenic thinking and research prohibited. This measure was part of a general “effort to control women’s bodies.”[22] After the criminalisation, abortion was depicted as opposite to “the happiness of Soviet women and children.”[23] Contraceptives remained, as in the 1920s, not legislatively regulated, but very hard to obtain[24], which is also why they barely appear in Western writing about birth control in the Soviet Union.

The two national discourses on medicine and birth control were in many ways linked between each other. One example is the Socialist Medical Association (SMA), an organisation linked to the Labour Party and aimed at establishing a “socialist programme for health.” Several of its members used the Soviet example, especially in times of the economic depression, to propagate this aim and met Soviet delegates at the “Second International Congress of the History of Science and Technology, held in London in 1931”, whose speeches impressed them deeply. Somerville Hastings, a founding member of the SMA, even travelled the Soviet Union himself, which shaped him decisively. Back in Britain, he stressed the efficiency and organization of the Soviet health and birth control system. His positive views on the Soviet system of maternity policy influenced the SMA’s founding statement on this issue and its subsequent policy.[25]  Many SMA members were also influenced by a book by the “American socialist doctor and medical historian” Henry Sigerist titled “Socialised Medicine in the Soviet Union.”[26] Margaret Sanger, however, was probably the most influential international figure of the interwar birth control movement and discourse. The American nurse, birth control activist and socialist was active not only in the US, but also in Britain, where she co-founded two international organisations centred in London, which collected and distributed information on birth control from and to different countries and “encouraged the exchange of medical research on birth control internationally.” Although she herself had only little contact with Soviet scientists, the international conferences on the issue of birth control she organized served as a ground for Soviet and Western physicians to meet and exchange their ideas. These conferences are examples of a vital scientific exchange of birth control information between Western and Soviet scientists in the interwar period. The USSR was “the site of an active exchange of artists, workers, and scientists”, including physicians. While the majority of Soviet medical texts on birth control relied heavily on Western research and even contraceptive devices and chemical formulas were imported in the USSR, Western scholars, on their part, used Soviet statistics and the clinical experience for their writings, as we will see later. The Soviet Government even “encouraged the visits of scholars, artists, engineers, and workers in the first years following the revolution”, which fascinated many in the West.[27] It was exactly the different situation in Britain or the West and the Soviet Union in terms of birth control which made the country so interesting and special.

As mentioned earlier, the British Medical Journal was an important media for the discourse inside the medical profession, which was, in general terms, rather opposed to the radical demands of the British birth control movement.[28] A large share of the weekly papers (about 24,000 in 1918, compared to 43,000 in 1939) went to the members of the BMA.[29] While it had been silent on the issue of birth control in the Victorian period, following the “medical profession’s virtual conspiracy of silence on the subject”, it became a platform for an open debate on the issue after the First World War.[30] Still, many members of the BMA remained hostile to birth control. All the more astonishing is the way the Soviet practice of abortion was used for the debate in the Journal from the second half of the 1920s onwards. Although many of the following articles were not written by BMJ authors themselves, but only publications of other sources, the journal still served as a distributor of these ideas and played thereby an important part in the discourse.

Throughout the 1920s and 1930s, it is striking how differently the Soviet Union as well as their abortion practices are depicted. The Soviet reference, it can be stated, was primarily used to underline the different positions already apparent in the above described British discourse. For example, in a report about a meeting of scientists in January 1927 on the “medico-legal and ethical aspects of abortion”, the Soviet legalisation is rejected as purely ideologically motivated, while, according to the report, “medical indications alone should be considered in deciding on the induction of abortion.” The Soviet example, together with the demand for the legalisation of abortion in the UK, is thus rejected for ideological reasons. The report is even directly referring to the above described transnational distribution of ideas by stating that “the spread of loose views in the profession regarding its responsibility must tend towards a similar state of affairs in this country.”[31] Only one month after this report was published, however, W. Horsley Gantt, “Chief of the Medical Division of the American Relief Administration, Unit Leningrad”, gives a positive impression of the Soviet medical system from his own stay in the country. Although the civil war had created a difficult situation for Soviet physicians, the government “had done what they could” to improve the medical system and guarantee freedom of research. The legalisation of abortion is, according to him, reducing the actual number of abortions, due to the state regulation. He also mentions educational films on the issue, “explaining the dangers of irregular abortions.” Although he does not explicitly state that this practice should be applied to the British case, the note that the number of abortions is “fewer than in other countries” implies that the Soviet system is achieving a better result than the British one and thus makes a statement in favour of the legalisation for the reader.[32]

Apart from these rather personal views on the question, the Journal also refers to the international level and publishes the Report of the Health Section of the League of Nations on “Abortion as a cause of maternal mortality” in 1930, in which we can find the earlier mentioned interest in maternity. This aspect of abortion, according to the report, “has only gradually been appreciated” and is presented as an argument for a reform of the legislation of abortion in the member states. The Soviet reference is crucial in this argumentation, as it serves as a positive example. The presented statistics are used to show, as Gantt did earlier, that the legalisation decreased the maternal mortality, not only by carrying out the abortions professionally, but also earlier than illegal abortions, which are “frequently practised at a late stage of pregnancy, adding considerably to the maternal danger.” The total number of abortion do, according to further statistics, “not necessarily increase as a result of legalization, while the decline in secret abortions during the last few years and the performance of the operations in hospital have been accompanied by a corresponding decrease in maternal mortality.” The argument presented in the report is based entirely on scientific ground and supposedly neutral or unpolitical: “Whatever arguments may be urged on moral or other grounds against the legalization of abortion in [the] USSR it appears to have been effective in preventing the shocking waste of maternal life.”[33] The argument of the 1927 meeting is thus questioned by stating that the Soviet example is achieving a positive result notwithstanding the ideological implications behind it.

Shortly after, another report is published, this time about the “impressions of medical tourists in Russia”, presented at a meeting “under the auspices of the Society for Cultural Relations between the Peoples of the British Commonwealth and the [USSR]” at the London School of Tropical Medicine and Hygiene. The reporting doctors draw a positive picture of the Soviet medical system, much like the Webbs or Gantt. They stress the professionalism of the procedure of abortions and the information given to the women before and afterwards. This shows how influential the Soviet reference was among at least a part of the British medical profession, given that a pro-Soviet organisation could organise a meeting headed by the Editor of the Lancet, alongside the BMJ probably the most influential medical publication.[34] Another publication, a speech held at the Edinburgh Obstetrical Society in 1932 titled “Abortion – a discussion on its social, legal, and ethical aspects” even includes an implicit demand for a change of the abortion law – albeit not in every case – in a report on the Soviet abortion practice, “so as to allow these unfortunate, desperate women to place their cases before some authority who could, upon sufficient cause being shown, authorize the termination of pregnancy under decent conditions, instead of, as at present, forcing her to place herself in the hands of an ignorant abortionist.”[35] In other cases, the transnational character of the issue is stated: “We must also remember that today no nation stands alone. Owing to the ease of communication through the agency of the Press, broadcasting, and the interchange of ideas at conferences, and so forth, there is a very great tendency for peoples of different nationality to act in concert. […] What is approved by one people today is likely to influence very largely the policy of another nation tomorrow.”[36] As the first example shows, however, the Soviet reference was not only used in a positive way, but also to justify the current legislation by defining medical reasons for abortions as the only legitimate justification, as a debate at a meeting of a sub-division of the BMA shows, in which the different views on abortion and the Soviet reference are presented by the different speakers. The report contains a positive depiction of the Soviet system by another member of the meeting, who points out that British physicians should study the Soviet “unique experiment” carefully, since “Russia [has] one great advantage – it [is] not, like ourselves, tied down by tradition.” Yet another speaker uses the Soviet reference to demonstrate the dangers of abortions which, in his sight, were misrepresented by many: “If the truth were known about the Russian cases it would open many eyes.” Others also questioned the positive picture presented of Soviet abortion clinics and still others warned that “political prejudice against Russia was warping the judgement.”[37] The issue thus remained controversial and part of the general debate about the issue of abortion in interwar Britain, in the public as well as in the medical profession.

This cross-cultural analysis of the abortion question, a central issue in the history of sexuality, helps us to understand the relationship between sexuality and modernity. It shows us how two so distinctively different ideological systems like the British and the Soviet ones both struggled to find answers to the question of how a more open, especially female sexuality – a transnational phenomenon in the interwar period – was compatible with the challenges of modernity and modern life. Their cooperation in this issue thus reveals similarities of the two otherwise so different systems. The Soviet reversion of the legalisation in 1936, moreover, demonstrates how limited a feminist stance on the issue of birth control was at the time. The fact that abortion was not legalised when the Labour party established the NHS after the Second World War, although the Soviet-friendly SMA members “had a crucial part to play in the formation of Labour Party health policy in the decade culminating in the foundation of the NHS”[38], proves not only the ignorance of the British Left about this topic, but also the limited scale of the Soviet reference in the long run. In fact, it was not until 1967 that the Abortion Act “opened up access to legal and safe abortion on a variety of grounds and established freedom of choice as a cornerstone of ‘second wave’ feminism.” The Labour party, which passed the law, albeit only “by means of a private member’s bill sponsored by a Liberal”[39], thus finally fulfilled the demand of the feminist groups who had campaigned for its legalisation since the interwar period. At the end of the Cold War, when the Soviet abortion statistics were published in 1988 as part of Gorbachev’s glasnost, the topic again captured the British attention, as articles in the Lancet show. Meanwhile, however, the discourse had shifted, the Communist country was no longer regarded as a positive example. On the contrary, a “serious shortage of contraceptives” was seen as the reason for the tremendously high amount of abortions.[40] The fascination for or rejection of the unique situation of legalized abortion in the USSR from 1920 until 1936 in the British medical profession was thus but an expression of an interest in an experiment yet too revolutionary for their own country.

Primary Sources

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Gantt, W. Horsley: A Medical Review Of Soviet Russia. V. The Medical Profession, Soviet Science, And Soviet Sanitation, in British Medical Journal, 05.02.1927, pp. 244-245 and 19.02.1927, p. 339.

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[1] Webb, Sidney; Webb, Beatrice: Soviet Communism. A New Civilisation (London: Victor Gollancz, 1937), p. 829.

[2] Thomas, Julie: International Intercourse: Establishing a Transnational Discourse on Birth Control in the Interwar Era (ProQuest Dissertations Publishing, 2004), p. 1-2.

[3] Bartrip, P.W.J.: Mirror of Medicine. A History of the British Medical Journal (Oxford: Oxford University Press, 1990), p. 216.

[4] Thomas: Intercourse, p. 44.

[5] Brooke, Stephen: ‚A New World for Women‘? Abortion Law Reform in Britain during the 1930s, American Historical Review, 106 (2001), pp. 431-459.

[6] Soloway, Richard Allen: Birth Control and the Population Question in England, 1877-1930 (Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 1982), pp. xi-xii.

[7] Brooke: New World, p. 435.

[8] Lewis, Jane: The ideology and politics of birth control in inter-war England, Women’s Studies Int. Quart., 2 (1979), pp. 33-48.

[9] Loudon, Irvine: Death in Childbirth: An International Study of Maternal Care and Maternal Mortality 1800-1950 (Oxford Scholarship Online, 2011), pp. 3-4.

[10] Brooke: New World, pp. 432-442.

[11] Graves, Pamela: Introduction, in Gruber, Helmut; Graves, Pamela (Ed.): Women and Socialism. Socialism and Women. Europe between the Two World Wars (New York: Berghahn Books, 1998), p. 173.

[12] Lewis: Birth control, pp. 34-42.

[13] Kaminsky, Lauren: Utopian Visions of Family Life in the Stalin-Era Soviet Union, Central European History, 44 (2011), pp. 63-91.

[14] Goldman, Wendy Z.: Women, the State and Revolution. Soviet Family Policy and Social Life, 1917-1936 (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), p. 3.

[15] Ibid., p. 254.

[16] Loudon: Childbirth, p. 19.

[17] Goldman: Women, p. 256.

[18] Loudon: Chilbirth, p. 19.

[19] Buckley, Mary: Women and Ideology in the Soviet Union (New York: Harvester Wheatsheaf, 1989), pp. 37-39.

[20] Hoffmann, David L.: Modern State Practices and Soviet Socialism, 1914–1939 (Ithaca, Cornell University Press, 2011), p. 133.

[21] Krementsov, Nikolai: From ‚Beastly Philosphy‘ to Medical Genetics. Genetics in Russia and the Soviet Union, Annals of Science, 68 (2011), pp. 61-92.

[22] Hoffmann: Socialism, pp. 140-142.

[23] Thomas: Intercourse, p. 162.

[24] Ibid. P. 154.

[25] Stewart, John: Socialist Proposals for Health Reform in Inter-War Britain. The Case of Somerville Hastings, Medical History, 39 (1995), pp. 338-357.

[26] Stewart, John: ‚Science Fights Death‘. David Stark Murray, Science, and Socialism in Interwar Britain, Annals of Science, 57 (2000), pp. 143-161.

[27] Thomas: Intercourse, pp. 2-14, 44, 96-97, 164, 176.

[28] Ibid., pp. 34-35.

[29] Bartrip: Mirror, p. 216

[30] Ibid., pp. 229-232.

[31] Reports of Societies. Abortion: Medico-legal and ethical aspects, in British Medical Journal, 29.01.1927, p. 188.

[32] Gantt, W. Horsley: A Medical Review Of Soviet Russia. V. The Medical Profession, Soviet Science, And Soviet Sanitation, in BMJ, 05.02.1927, pp. 244-245 and 19.02.1927, p. 339.

[33] Abortion As A Cause Of Maternal Mortality. Report Of The Health Section Of The League Of Nations, in BMJ, 04.10.1930, p. 566.

[34] Soviet Medicine And Hygiene: Impressions Of Medical Tourists In Russia, in BMJ, 05.12.1931, p. 1043.

[35] Reports of Societies. Law and Ethics of Abortion, in BMJ, 07.05.1932, p. 844.

[36] Beckwith Whitehouse: A Paper on the indications for the induction of abortion, in BMJ, 20.08.1932, p. 336.

[37] British Medical Association. Clinical and scientific proceedings, in BMJ, 26.11.1932, pp. 968-969.

[38] Stewart: Science, p. 161.

[39] Brooke: New World, p. 432.

[40] USSR. Abortion and Contraception, in The Lancet, 18.11.1989, p. 1208.

Mau Mau and the discourse of modernity

„The violence which governed the ordering of the colonial world, which tirelessly punctuated the destruction of the indigenous social fabric, and demolished unchecked the systems of reference of the country’s economy, lifestyles, and modes of dress, this same violence will be vindicated and appropriated when, taking history into their own hands, the colonized swarm into the forbidden cities.”[1]

The decolonization process in Kenya, Britain’s East African settler colony, was indeed, as Frantz Fanon stated in 1961, a story of violence, starting with the forceful “transformation of Kenya from a polyglot of strangers into a coherent state”[2] by the British in 1895 and the introduction of an economic system based on the violent acquisition of most of the land by British settlers. The formation of the nationalist movement, finally, is closely linked to the violence of the Second World War, in which Kenyans fought side by side with the British. Yet, Fanon’s “forbidden cities” have to be understood more in a metaphorical way in the case of Kenya, since the radicalisation of one part of these nationalists, which became known as “Mau Mau”, took place to a large extent in Nairobi itself. Rather, one can interpret these “cities” as an African modernity. Decolonization, however, was not only a history of anti-colonial resistance and violence, but also a discourse between a moderate and a militant part of the African population in Kenya about the shape of this modernity, which will be discussed in this essay. In order to understand the context of this discourse, the different African modernities during the process of decolonization will be examined at the beginning. Then, the discussion of the social background of the emerging Kenyan nationalist discourse and the way it was conducted in the press will lead to the comparison between two nationalist pamphlets from 1945 and 1948, respectively, representing the two competing fractions inside the nationalist movement. This essay thus focuses on the prehistory of the Mau Mau uprising. By putting two voices of the Kenyan discourse, which was less directly shaped by the Cold War than in other African countries, in the context of other African modernities, it intends to show that these voices can be seen as part of a general, double-edged quest for modernity in Africa during the process of decolonization, albeit less articulated in the ideological language of the Cold War.

To begin with, modernity, understood “as the basic characteristic and embodiment of the developmental process of modern society, […] manifests itself in all aspects of social life”[3] and is thus an all-embracing concept of the study of societies in a post-enlightenment age. This concept is understood as split into a global multitude with overlapping similarities, but also clear local distinctions.[4] Since the era of decolonization was a time of searching for new identities for colonized societies in Africa and Asia, it is a revealing lens to study the various anti-colonial or nationalist movements of the time. Decolonization also always has to be understood as closely linked to the Cold War, in which “modernity came in two stages: a capitalist form and a communal form, reflecting two revolutions – that of capital and productivity, and that of democratization and the social advancement of the underprivileged”[5], represented by the two anti-colonial superpowers which emerged from the Second World War, the US and the USSR, respectively. In Africa, these role-models were, however, mostly not addressed as such directly, since the different nationalist movements wanted to stress their independence from non-African powers and their distinct African ideologies.[6] Indeed, the Non-Aligned Movement, which illuminated the “cultivation of an enlightened, humanist, and morally and socially reforming modernity”[7], was very popular among newly African governments. Socialism and Capitalism – albeit often with a rather socialist rhetoric due to the association of capitalism with colonialism[8] – manifested themselves in very different forms in Africa, some in a non-violent way like in Ghana, but also through violence like in the civil war in Angola in the 1970s, in which the USSR, Cuba, China, the US and South Africa intervened. Many countries received financial and material aid from the West and the East, regardless of their official ideological position.

The origins of these different African modernities lie in the respective colonial background as well as the Western (and, later, Eastern) education of African elites. The Pan-African ideology, established and shaped by Africans in London, Paris or Lisbon[9], often studying at the metropole’s best universities, and at the five Pan-African congresses, met with different discourses of development after 1945, in which the colonial states “were redefined as the engines of social transformation directing a three-pronged process of ‘political’ progress, economic development, and educational and social advance’”[10], but in a different constitutional context. While the British had established a clear distinction from its colonies, the Portuguese regarded their colonies as overseas provinces of their nation, like the French did with regard to its settler colony Algeria, which led the nationalist movements in these countries no choice but to use violence to achieve their aims, similar to Kenya. The geopolitical background had thus a large influence on the different articulations of African modernity. Although some nationalist movements referred to a pre-colonial past, decolonization never simply meant “the negation of colonization – a return to what had existed before”[11] and was therefore always some kind of adaptation of either the colonial or one of the both Cold War modernities, or a mixture of them, expressed, however, in a distinct African voice. Like the different European modernities all dealt primarily with capitalist industrialisation in the 19th century and its manifold consequences, its African equivalents were built primarily around colonialism as the primary driving force of history, which, albeit its negative influences, brought technological change African modernities were adapted to.

In Kenya, the nationalist movement, which in the late 1940s split more and more into two competing camps, was primarily occupied with the land question and the political representation of African Kenyans. Both issues had its origin in the white settlers who had started to move to Kenya in 1902 and took the largest share of the most fertile land. Until 1952, 29,000 Europeans had moved to Kenya and dominated 97,000 Asians and 5 million Africans, who failed to gain any meaningful form of political representation. After 1945, the settlers opposed “enhanced political representation for Africans, pushed themselves into key roles in the management of the colonial economy, and tightened their grip over local and municipal government.”[12] At that time, one-eighth of the Kikuyu population, the largest tribe in Kenya, living mostly in the Central Highlands, worked as tenants, so-called “squatters”, on the European farms.[13] The land question even increased due to a population growth. These tensions led to a split within the African communities, which in 1950 can be divided in three political blocks: conservative chiefs, basically interested in the small benefits they gained from the British rule, moderate nationalists, which were westernized in attitudes, and militant nationalists, who won support among the Kikuyu evicted from European farms as well as urban workers and unemployed, most importantly in Nairobi, which became the centre of militant politics closely connected to its radical trade union movement. The latter “were the people who would take a lead in the Mau Mau movement.”[14] The cleavages in the Kikuyu society, however, do not simply reflect the division “between wealthy and poor”, but also other splits between religions or the degree of influence in the British administration.[15]

These political and economic impacts of colonialism “hit the Kikuyu with greater force and effect than any other of Kenya’s peoples, setting off new processes of differentiation and class formation”[16], which made them also the most active in the nationalist movement, which always vacillated between the Kikuyu and the Kenyan nation.[17] Both nationalist fractions, however, arose from the Kenya African Union (KAU), a successor of the Kikuyu Central Association (KCA), which had started to operate in the 1920s.[18] The KAU was founded in 1944 and constituted the first attempt of a “pan ethnic ‘national’ political organization”, committed to “moderate constitutional politics which accepted the premises of the colonial state’s version of modernization and nation-building.”[19] Their failure to achieve any reforms, however, resulted in increased popularity of the radical fraction of the nationalist movement.[20] After Kenyatta became head of the movement in 1947, it found it more and more “difficult to control their mass following.”[21] Kenyatta and his supporters, although opposing the conservative chiefs, did not follow the radicalisation of the militants who used the notorious practice of oathing to achieve unity among their clientele which led to the formation of two opposing factions in the nationalist camp.[22]

This competition was part of a broader discourse at the time “over the meaning of Kikuyu-ness, the nature of the community, the value of tradition, the involvement in new forms of production and exchange, and the degree of acceptance of and assimilation to European culture.”[23] This discourse was shaped by the new socio-economic conditions in Kenya after 1945, since only now “large numbers of non-Europeans could afford to buy newspapers which reflected their own concerns more than those of settlers and European officials.”[24] Even before 1945, however, the KCA had published a Kikuyu-language journal, Muigwithania (“The Reconciler”), edited by Kenyatta. [25] It was an outlet for the new Christian African elites and one of the first anti-colonial publications in Africa. The KAU, contrarily, published its journal, Sauti Ya Mwafrika (“The African Voice”) in Swahili.[26] After the oathing began to reach mass bases, the inner-Kikuyu struggle took place increasingly in print, mainly in Henry Muoria’s weekly journal Mumenyereri with 10.000 copies.[27] This increase in African publications was part of a general “efflorescence of African literature, artistic and political, all over the continent”[28] resulting from an awakening of African elites and was crucial for the process of decolonization. In Kenya, this new African public, especially in the vernacular press, was seen as a “menace to the future of the Colony”[29] by the administration, which soon started attempts to censor these papers.

All these developments, however, required “a deliberate investment by creative, innovative individuals”[30] in order to flourish. Henry Muoria was one of them, representing the moderate fraction in the nationalist movement which he joined in 1938 by entering the KCA. Since he did not know “’whether he was a socialist or a conservative’, he later ‘decided to express the ideas of the KAU’” and published several of Kenyatta’s speeches.[31] Contrary to Fanon’s insist on violence as the means of getting rid of the European rule, Muoria followed Kenyatta in his attempt to achieve independence through non-violent pan-Kenyan unity. In January 1945, he published the first ever political pamphlet in Kikuyu, Tungika Atia Iiya Witu? (“What Can We Do for Our Own Sake?”). It was sold at the Church Missionary Society and was a great success, encouraging Muoria to continue political writing.[32] In this pamphlet, he describes a vision of a future Kenya in which the African population catches up to the settlers, who, as he writes, “came to stay, and they are staying.” Instead of criticizing the economic and political structures of the colonial rule which, as we have seen, caused the split in the Kikuyu society and the radicalisation of the militants, he blames the “attitudes” of “us Africans” for their situation and states that poverty is only caused by laziness. While the British are described as clearly progressive and as a role-model, the Africans are “midway between the old ways and the modern ways”, thus in the midst of a modernization process which can only be successful if the current generation changes its attitudes to life and work and takes care of the education of their children. The personal wrongdoings are thereby closely linked to the wellbeing of the nation. The same way he predicts the settler to be part of future Kenya, also their economic structure, wage labour, will remain to dominate Kenya in his view. His solution to the British domination and the situation especially the Kikuyu were living in was not the expulsion of the settlers or the nationalisation of foreign companies, but to establish a severe African competition to them. Therefore, hatred of the British, “who brought us so many good and useful things which enhance our lives” is only obstructive for his prescribed path of development and also simply useless since “we are not so strong as the white people”. Apart from hard work and education, unity among Africans (he uses both the terms “Africans” and “Kikuyu” to refer to his readers, which shows again the ambivalent and difficult relationship between the two nations) is crucial for achieving his goals. This unity is described as basis for concrete common achievements. For instance, people should come together and “subscribe money for a large-scale farming project such as buying new land or hiring a farm or buying ploughs which could be pulled by oxen or tractors in order to farm a large area.” Although these technological advancements only play a minor role in the pamphlet, tractors as well as movies and hospitals form part of the modernity Muoria describes. Also, Christian religion, i.e. also a British import, in his view forms the basis for all other knowledge, while “established customs used to be an obstacle that prevented the people from doing anything new in many aspects of life in the past.” The British rule, to sum up, should be used as a benefit on the road to full “enlightenment”. Since there “is no African education”, it can only be the British who can help the Africans in their modernization process.[33] Interestingly, the revenue of his writing enabled him to be the first Kenyan owning a printing press and a car, two of the most significant symbols of modernity.[34]

A quite different picture is drawn in Gakaara wa Wanjau’s Mageria no mo Mahota (“The Spirit of Manhood and Perseverance for Africans”) from 1948, originally published in Kiswahili and translated into Kikuyu in 1952. After being expelled from an elite Christian school in Kenya for participating in a student strike, he joined the army in 1940 and fought in North and East Africa, where he “learned much […] about the hunger and yearning for freedom of colonized peoples.” After the war, he became part of “African Book Writers Ltd”, the first firm of both African and Kenyan writers, and, shaped by his wartime experiences, became a political writer. In the pamphlet’s 1952 preface, written in the immediate prelude of the Emergency and after he became acquainted with the Mau Mau radicals in Nairobi – he even took the Mau Mau oath, renounced Christianity and his Christian name[35] –, Gakaara intends to create a counter-narrative, or counter-truth, to the “white man’s strategy of lies.” Unlike Muoria, he calls for the “restitution of our land” and requests “each and every one of us to become actively involved in the struggle” to end “our slavery” and “grave impoverishment”, in which national independence is only one, but an insufficient step. He shows no patience with those Kikuyu (Gakaara refers more often specifically to the Kikuyu, which shows his affiliation to the militants) who refuse to acknowledge this “truth”. The pamphlet itself, written only three years after Muoria’s praise of the British and in the immediate aftermath and as an answer to the violent expulsion of a large amount of Kikuyu squatters in 1948[36], is nonetheless radical. In the form of rhetorical questions, the reader is shown how the British created lies about “us” in order to strengthen their rule. By refusing these lies, Gakaara intends to create pride and patriotism in the reader. The analysis of the relationship between the British and the Africans is based clearly on class-lines: “We only need to realize that the logic operating in our relationship with the white man is the logic between a poor man and a rich.” Yet, it is not only the British, but all “alien races” that have “established dominance over him in his whole land”, which can be seen as a precursor of the exclusion of the Asian community after independence. Both these “alien races” make huge profits of the hard labour of the “black man”, an analysis which one could read as a popular or un-dogmatic form of Afro-Marxism, which in its different forms also intended to break the rule of foreign capital. Not only the financial exploitation of the Africans, however, is a means of the British rule, but also its colonial modernity, also referred to as “colonial contradiction”[37]:

The African finds himself in the sad situation where the carrot of modern attainments is cunningly dangled in front of him while he is insidiously denied the means and wherewithal of ever achieving the good things of modern living. He must needs [sic!] engage in hard struggle to obtain even a small portion of the good things.

The exploitative labour and the false promises, however, do not only increase the wealth of the oppressors, but they also distract the exploited from realizing and reflecting their own situation. What makes this oppression even worse is the humiliating way in which the British treat the “black man” as children. The solution he presents, finally, is highly symbolic: his ability to print and the readers’ ability to read are to reveal the “white man’s secret”, which in turn shall lead to an engagement of the readers in their own struggle, which, like in Muoria’s pamphlet, has to be fought in unity. Gakaara presents an ambivalent picture of modernity: on the one hand, he describes the slums many Africans were living in as a consequence of the “advent of the white aliens”. On the other hand, he states that “the African has accepted as his own the material and cultural aspiration of modern life” and thus shows, that colonial modernity became part of an African modernity imagined in the text, which he describes at the end more clearly: the independent future will bring modern buildings and modern means of transport, “the latter serving our need to fly out our children to great schools in foreign lands. It will then dawn on the white man that he is no better than ourselves.”[38] The struggle he propagates is, in contrast to Muoria, a militant one, albeit in a non-violent rhetoric (“We do not want to resort to violent struggle”): the white man should be sent home to his own country and unpatriotic Africans “were better dead”. This rhetoric was probably part of the reason why he was arrested for the pamphlet in October 1952. The war, finally, following the increased tensions between the administration and the militant nationalists as well as inside the Kikuyu society is “most usefully conceptualised as a helix, with the strands of anti-colonial and civil war violence intertwined”[39] and was thus the violent manifestation of the prewar discourse and cleavages.

After the war and the subsequent negotiation for independence, “the time of forgetting soon set in”[40], both about the British war crimes and the prewar discourse about different ways to achieve independence and thereby different modernities. Kenyatta, during his inauguration as first president of independent Kenya, made clear that he and his moderate nationalists wanted to get rid of the association with the militants: “Some of them [the British] have misunderstood us and it’s only by our actions that they will know we mean business.”[41] Here we find again Gakaara’s insistence on a new, counter-truth, which in fact also characterizes Muoria’s later pamphlets, which develop a more critical stance in general terms. Truth, or the predominance in the discourse about African nationhood and modernity, is thus a general theme characterizing all paths taken towards modernity in the era of decolonization. This explains the importance of education in both fractions of the nationalist camp: it not only helps the country in an economic way to develop and modernize itself, it also enables Africans to oppose the British narration of African backwardness, which stands in the way of an own, African modernity. The manifestation of this modernity, in its general duality (as apparent in the two fractions of the nationalists), depended heavily on the geopolitical situation. If it were not for the British decision to refuse independence for such a long time and to fight the Mau Mau militarily, the Mau Mau or militant modernity would have likely been the dominant one or at least part of a post-colonial discourse. Instead, the new political culture, in which the vocabulary of class struggle was excoriated, excluded the voices of large parts of the landless, many of whom had supported the Mau Mau[42], while the white settlers were not expelled forcefully, but were given a “choice between selling up at attractive prices or remaining on the land.”[43] The Western-oriented, capitalist and moderate nationalist modernity had thus gained the upper hand in a discourse which had started in the interwar-period, underwent a split after 1945 and was finally reduced to one dominant strand in the course of the war.

Primary Sources

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Muoria, Henry: Gakaara wa Wanjau’s Mageria no mo Mahota (“The Spirit of Manhood and Perseverance for Africans”), in ibid.: I, the Gikuyu and the White Fury (Nairobi: East African Educational Publishers, 1994), pp. 85-123.

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[1] Fanon, Frantz: The Wretched of the Earth (New York: Grove Press, 2004), pp. 5-6.

[2] Ochieng, W.R.; Atieno-Odhiambo, E.S.: Prologue. On Decolonization, in Ogot, B.A.; Ochieng, W.R.: Decolonization & Independence in Kenya. 1940-93 (London: James Currey, 1995), p. xii.

[3] Ziyi, Feng: A contemporary interpretation of Marx’s thoughts on modernity, Frontiers of Philosophy in China, 1 (2006), pp. 254-268, here p. 255.

[4] Eisenstadt, S.N.: Multiple Modernities, Daedalus, 129/1 (2000), pp. 1-29.

[5] Westad, Odd Arne: The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), p. 40.

[6] Nugent, Paul: Africa Since Independence. A Comparative History (New York: Palgrave Macmillan, 2004), p. 139.

[7] White, Evan: Kwame Nkrumah: Cold War Modernity, Pan-African Ideology and the Geopolitics of Development, Geopolitics, 8 (2003), pp. 99-124, here pp. 111-112.

[8] Nugent: Africa, p. 139.

[9] Eckert, Andreas: Panafrikanimus, afrikanische Intellektuelle und Europa im 19. Und 20. Jahrhundert, Journal of Modern European History, 4 (2006), pp. 224-240, here p. 226-227.

[10] Berman, Bruce J.: Nationalism, Ethnicity, and Modernity: The Paradox of Mau Mau, Canadian Journal of African Studies, 25 (1991), pp. 181-206, here pp. 188-189.

[11] Nugent: Africa, p. 8.

[12] Anderson, David: Histories of the Hanged. Britain’s Dirty War in Kenya and the End of Empire (London: Weidenfeld & Nicolson, 2005), p. 3, 9.

[13] Ibid., p. 23.

[14] Ibid., p. 13.

[15] Branch, Daniel: Defeating Mau Mau, Creating Kenya. Counterinsurgency, Civil War, and Decolonization (Cambridge: Cambridge University Press, 2009), p. 13.

[16] Berman: Nationalism, p. 196.

[17] Ogot, Bethwell A.: Mau Mau & Nationhood. The Untold Story, in Odhiambo, E.S. Atieno; Lonsdale, John (Eds): Mau Mau & Nationhood. Arms, Authority & Narration (Athens: Ohio University Press, 2003), p. 11.

[18] Pugliese, Cristiana: Complementary or Contending Nationhood? Kikuyu Pamphlets & Songs 1945-52, in Odhiambo: Mau Mau & Nationhood, p. 97.

[19] Berman: Nationalism, p. 198.

[20] Ibid.

[21] Nugent: Africa, p. 35.

[22] Berman: Nationalism, pp. 200-201.

[23] Ibid., p. 197.

[24] Frederiksen, Bodil Folke: Print, Newspapers and Audiences in Colonial Kenya. African and Indian improvement, protest and connections, Africa, 81 (2011), pp. 155-172, here p. 158.

[25] Berman: Nationalism, p. 197

[26] Frederiksen: Colonial Kenya, pp. 156-158.

[27] Ibid., p. 161.

[28] Lonsdale, John: Henry Muoria, Public Moralist, in Muoria-Sal, Wangari; Frederiksen, Bodil Folke; Lonsdale, John; Peterson, Derek: Writing for Kenya. The Life and Works of Henry Muoria (Leiden: Brill, 2009), p. 25.

[29] Frederiksen: Colonial Kenya, p. 155.

[30] Barber, K.: I.B. Akinyele and early Yoruba print culture in Peterson, D. and Macola, G. (Eds): Recasting the Past: History writing and political work in modern Africa (Athens: Ohio University Press, 2009), p. 47.

[31] Pugliese: Kikuyu Pamphlets, p. 98-99.

[32] Ibid., pp. 98-100.

[33] Muoria, Henry: I, the Gikuyu and the White Fury (Nairobi: East African Educational Publishers, 1994), pp. 85-123.

[34] Lonsdale: Henry Muoria, p. 4.

[35] Ibid., p. 110.

[36] Pugliese: Kikuyu Pamphlets, pp. 105-107.

[37] Nugent: Africa, p. 10-12.

[38] Gakaara Wa Wanjau: Mau Mau Author in Detention. An Author’s Detention Diary (Nairobi: English Press Limited, 1988), pp. 227-243.

[39] Branch: Defeating Mau Mau, p. 8.

[40] Lonsdale, John; Odhiambo, E.S. Atieno: Introduction, in Odhiambo: Mau Mau & Nationhood, pp. 3-4.

[41] Nairobi, 27.05.1963. URL Video: https://www.youtube.com/watch?v=W4rxnT_X0M4.

[42] Lonsdale: Introduction, p. 4.

[43] Nugent: Africa, p. 154.

The Rif War and French interwar imperial modernity

Paris possessed a twofold identity in the modern era: it was the “capital of modernity”[1], which was inseparably linked to the French revolution and the consequences it had on European politics and thought and, at the same time, already during the revolution also an “(Anti-) Imperial Metropolis”[2], governing parts of every continent and home of people from all over the world, especially so in the interwar period, when it became both the centre of anti-imperialism and an empire which had even increased its global influence. In the following, two sides of the changing national and at same time imperial identity, or imperial modernity, of this French metropolis in the interwar period will be analysed. The first one we call “banal imperialism”, following Billig’s concept of “banal nationalism”[3]. It manifested itself in the different ways the citizens of the metropole could come in contact with their colonial empire: they could taste it in the form of food from the colonies; they could see it in the form of posters, adverts and colonial cinema or in forms of the pavilions of the 1931 exhibition, which will be a constant throughout the essay; they could hear about it in the radio; they could follow Tintin to his adventures to Africa; or they could experience it with all five senses by travelling the colonies themselves. This colonial experience, however, is connected to the politics concerning the most striking influence of the colonies on the metropole, immigration, which will serve as a transition to the second part, the political debate about the Rif war of 1925-26, thus the discourse about the most obvious and most violent side of French imperialism. Here we will compare four different views from the press to show the different positions French politics and the public had on this topic. Both sides of this imperial modernity are, however, closely connected and, as will be our argument, also linked to the specific political situation of the time and what we call the “multiple interwar modernities”, which resulted from the political turmoil WWI had created and the subsequent manifestations of ideological alternatives, i.e. fascism in Italy, and, most importantly, bolshevism in the former Russian Empire. Consequently, the Rif war was of major importance for both the French communists and the anti-imperialists from the colonies living in France, because it showed the – at least for a time – successful realization of an alternative, anticolonial world order, which was, in their view, part of the broader anti-capitalist and anti-imperialist vision realized in the Soviet Union. The interwar period was thus a time in which the French national and imperial identity underwent fundamental change: the first signs of anti-colonial resistance were interpreted in the metropole in a highly polarized debate shaped by global discourses about self-determination and anti-colonial resistance and made the French adapt the “mission civilisatrice” and its underlying racism to the metropole, either in the surveillance of colonial immigrants or Josephine Baker’s Revue nègre. The colonial Other was thereby made an essential and inseparable part of French identity and modernity in the interwar period.

Our journey through the “colonial subconscious” begins with the supposedly most profane part: colonial food. While exotic food from the colonies had already been available before 1914, the wartime necessities, caused by the loss of the agricultural self-sufficiency, changed the Parisian culinary world. The colonial lobby used these shifts to portray the colonies “as necessary to sustaining life in the metropole.” Although some of these new foodstuffs were rejected by the population, the volume, availability and interest in older colonial products – sugar, chocolate, and coffee – increased after the war and came more and more from the French colonies in particular, due to protectionist trade policies. Moreover, foods like rice, bananas and pineapples became easily available only after the war and changed eating habits permanently, unlike whole dishes from the colonies. Besides, the loss of livestock in the war made the French import non-exotic frozen meet, a way new technology was introduced in the colonial trade. The Colonial Exhibition from 1931, finally, presented the visitors a dual impression of colonial food: exotic goods were contrasted with Algerian wine and agricultural products symbolizing the progress the French had brought to their overseas departments.[4] All these developments helped introduce the colonies in everyday life, the same way adverts with colonial imagery did, which used racist stereotypes already prominently featured in postcards and jokes about the West African troops serving in France.[5]

The 1931 exhibition, however, was the most successful and prestigious presentation of the colonies in the metropole. Both in terms of visitors and money invested, the exhibition outside Paris celebrating the anniversary of the seizure of Algiers in 1830 surpassed its precursors, despite the economic crises. It offered its eight million visitors a virtual tour through the colonies, each being represented by its own pavilion. While the 1889 Paris Exhibition, marking the centenary of the Revolution, had been a symbol of France’s republican identity, this imperial show should cement France’s imperial identity, and, as Marshall Lyautey, head of the exhibition, put it, “intensify the loyalty of the metropolitan population to the colonial empire.”[6] The leitmotiv of the show was to contrast French progress in form of modern technology with the colonial, exotic Other, as already seen in the Algerian pavilion. The best symbol of this was undoubtedly the electric illumination of the reconstruction of the “Khmer temple of Angkor Wat, the chief attraction of the fairground”. The availability to reach the exhibition with modern means of transport like the metro line built only for this purpose was part of this French imperial modernity.[7] The French visitor was thereby reminded of the insurmountable line which separated him from, but at the same time connected him to the colonial world, which could only with the help of the French become modern, albeit only to a certain degree. This show, however, constitutes only the peak of a constant propaganda effort of the government and the colonial lobby to promote the colonies to the French. Apart from the memorialization of colonial conquest in street names or metro stations, which had already been a prewar propaganda tool, the colonies became a subject of the secondary school curriculum in 1925.[8] Moreover, the colonial lobby tried to propagate the importance of the colonies for the metropole by publishing a vast amount of books and articles about their wartime participation. What is more, the government tried to make entrepreneurs invest in the colonies and import raw materials from France’s own possessions.[9]

Another way the French came in contact with their empire were new technological advancements: radio broadcasts and movies. The former reached an ever increasing number of listeners in forms of state-controlled news broadcasts about the empire as well as through private-owned plays set in the colonies. These plays, unlike the state programs, did not present the colonies in a positive light, but rather exhibited disappointment in the colonial project and stressed both the dangers and the boredom French experienced in their empire. French culture was depicted as clearly superior to the native ones, the colonies were thus only an economic advantage and “all of the cultural and social advantages travelled in the other direction.” After all, the shows were more about French identify than about a realistic depiction of life in the colonies, which “could only show a poor reflection of the best that was France, and make the metropole and French home more glorious in comparison.”[10] For many French in the metropole, these shows, however, were the only way to experience far-away places like Indo-China or Sub-Saharan Africa and therefore crucial for the French imperial identity by presenting a clear cultural hierarchy and racial stereotypes to their listeners. “Cinéma colonial” presented a similar picture. While documentaries showed the colonies in moving pictures to the French already since 1897, the interwar period saw the rise of colonial movies, which were shot mostly in North Africa and influenced by the colonial administration as the price for their financial backing of the shootings. These movies borrowed themes and images from the earlier films as well as orientalist paintings, magazines, dioramas or postcards. Like the radio shows, they stressed racial and cultural superiority of the French colonisers and legitimised the French rule, especially the Foreign Legion. What is more, “by disseminating colonial mythology, film helped Frenchmen transcend narrow identities and redefine themselves as bearers of civilisation to the colonized”[11] and thereby also to overcome class differences, since both the French working-class and the bourgeoisie were part of this civilisation. The later discussed Rif War, finally, marked the end of the shootings in Morocco.

Although available only to a minority of the French, visiting the colonies as tourists also played an important part in consolidating the top-down relationship between colonisers and colonised in the French national and imperial identity. Also pushed by the colonial lobby and propagated at the 1931 exposition, colonial tourism was represented as a duty for French citizens, a vehicle for tourists to educate themselves about the ‘facts’ of colonialism and the ‘good news’ of France’s civilizing mission through first hand experiences.” Adverts for the organized tours, especially to North Africa and Indochina, stressed the exotic experience and the difference between France and “’timeless’ peoples and landscapes.” Also, tourism stressed again the technological superiority for instance by focusing on steamships in its posters. These ships transported over 300,000 tourists from France to Algeria and Tunisia in 1923.[12] Again, colonial governors like Lyautey promoted colonial tourism, which shows the connection between the private companies and the government officials in the creation of the imperial identity.

The last analysed aspect of “banal imperialism” is the négritude of the 1920s. Being only one part of the “remarkable affinity for the things of the colonial world”[13] of cultural modernism in interwar France, this phenomenon is inseparably linked to the success of Josephine Baker in the Revue Nègre and her subsequent career as a star of cinéma colonial. This fascination with black culture was a “particular form of cultural primitivism that developed out of earlier exoticist discourses in the French intellectual tradition.”[14] For Carole Sweeney, this phenomenon, which “emerged out of a profound social and cultural crisis around modernity and empire in metropolitan France”, is “revealing an epochal desire for an alternative temporal and geographical space in which the increasingly alienated subject of modernity sought historical and aesthetic refuge in a process of racial re-imagination.” For our analysis this means, that it is a cultural manifestation of the racial barrier which is part of the imperial modernity created in interwar France, even if presented as fascinating and modern. We can thus state so far that “French culture had indeed devoured colonial culture, making it an integral part of itself.”[15]

Another aspect of the interwar imperial identity is the relationship between the state and the colonial immigrants. In the interwar period, France had the highest level of foreigners worldwide, roughly 3 million or 7% of the population in 1931. Of these, North Africans, especially Algerians, the largest share of colonial migrants, constituted only a small percentage, but aroused a disproportionate degree of public attention.[16] This migration as well as the attitude of the French public and administration towards it was closely connected to the French rule in Algeria. Not only was the double standard of humanity, which denied the universality of the ideals of the Revolution, developed in Algeria, but the French also created the poverty which made Algerians leave their homeland. Due to the high demand for labour in 1914 the government opened the borders for migrants from Algeria. The losses in the war together with a low fertility rate even increased this demand after the war. The vast amount of publications on the “Arab problem” following this immigration was an expression of the need the metropolitan society felt “to define itself in relation to an immediate, visible minority presence which was perceived as threatening, a barbaric intrusion into the heart of Empire.”[17] This discourse reproduced racist stereotypes already present before the war and linked them to a perceived threat of a Communist “infection” of the colonial workers. This racism mixed with anti-communist fear also shaped the surveillance of the government, which the North African migrants faced more than any other immigrant group. A coalition of leading national politicians and right-wing municipal councillors in Paris created a surveillance system which shaped the attitude of the French state towards migrants from the Maghreb for decades to come. A joint institution was established, manned by Europeans from Algeria, “who introduced into the metropole colonial attitudes and techniques of control” and combining police surveillance and some kind of “welfare” institutions including mosques, worker hostels, and a Muslim hospital at the outskirts of Paris, which most migrants refused to go to. These measures were aimed at segregating the migrants from the rest of the society and their dangerous influences like Communism. They gained support from “across the political spectrum, from the right-wing leagues to the left wing of the Socialist Party.”[18] What made the situation of the North African migrants even worse was the absence of any consular representation, which helped Italian or Polish migrant workers when they faced problems.

As already indicated at the beginning, the migrants from – not only the French – colonial world used Paris to share their visions of independence for their respective countries and developed an anti-colonial network closely linked to the Parti communiste français (PCF) and the Comintern-funded Anti-imperialist League. “The French capital functioned as a vantage point that clarified the contours of a global system.”[19] Soon after the war, the first anti-colonial newspapers were published by colonial migrants and university students, who even organized an “anti-exhibition” to the 1931 colonial show, presenting colonial oppression.[20] The cooperation between the French left and the anti-imperial movement was, however, ambivalent, as the case of the Algerian Etoile nord-africaine shows. It was founded in 1926 by the PCF, but tensions rose both with the Front populaire government over its colonial policy and the Communists. After it was dissolved in 1937, its leadership moved to Algiers, turned to radical nationalism and cut its connections to the French left.[21]

The Rif War, finally, shows the cleavages in the French society and entailed a highly charged discourse over one of the first threats to the French imperial rule, which, as we have seen, had become a crucial part of French culture. The war was only one of four uprisings at the time, the others being rebellions in Syria, Vietnam and the Congo, which were, however, too far away from France to attract as much attention.[22] The Rif war was the “by-product of a much longer struggle between Rif Berber tribes and the Spanish”[23], which had divided Northern Morocco between themselves and the French in 1912. Under their leader Abd el-Krim, however, several Berber tribes resisted the Spanish conquest and formed the Rif Republic, an independent Islamic State. In 1924, Rif troops started an offensive on French Morocco as well to further their influence and liberate the whole of Morocco. Being challenged by this attack, which even threatened the French position in Algeria, the French coordinated their effort to drive el-Krim’s forces back with the Spanish, and ultimately the two armies managed to crush the resistance and consolidated their rule in Morocco in 1926. This colonial war, fought with modern weaponry and even poison gas on the Spanish side caused heavy left-wing resistance in France, which was, however, only the most extreme form of the general criticism of the colonial project articulated in varying intensity.[24] The protests, which culminated in a general strike in October 1925, were led by the PCF, which had very close links to the Comintern in Moscow, although the latter constantly reminded the former to pay more attention to the anticolonial struggle. The campaign started in late 1924 following the Spanish defeat with a fraternisation letter of the party leadership with el-Krim in l’Humanité, the party newspaper, and the demand for independence of the Rif Republic. While the majority of the governing socialists in the Cartel des gauches – which was divided over the issue – did not join the anti-imperialist campaign, other radical left-wing groups like Clarté, a pacifist group emerging from the bloodshed of WWI as an “International of the Mind” and a group of left-wing and surrealist intellectuals joined in a press war with the socialists and conservatives, which we will now have a closer look at.[25]

In July 1925, at the height of the war, Henri Barbusse, leader of Clarté, published a letter in l’Humanité, headed “Les travailleurs intellectuels aux côtés du prolétariat contre la guerre du Maroc”, in which he and the other signatories, forced by the events in Morocco, protest against “cette nouvelle grande guerre qui se déploie et s’allonge sept ans après le massacre du dix-sept cent mille Français et de dix millions d’hommes dans le monde“ and demand independence for the Rif as part of the right for self-determination of every people. They see its origin in imperialism and the secret treaty between France and Spain. Yet, they argue in favour of French honour, which is, other than the government claims, not violated by anti-war protest, but by the new bloodshed, which shall be ended by the League of Nations.[26] The reaction to this letter we find five days later in Le Figaro, in an open letter entitled “Les Intellectuels aux côtés de la Patrie”, signed by, inter alia, members of the Académie française. They claim that the majority of intellectuals was on the side of “la patrie” and accuse the writers of the former letter of hypocrisy, because they didn’t protest against the violence against intellectuals in Soviet Russia. The French are depicted as bringing peace, progress and humanity to North Africa, which has ended an eternal, inter-tribal war. In the same issue, an article entitled “Les réalités du Maroc” depicts the Rif rebellion as threatening the entire empire and consequently France’s position as a great power. The author finds the reason of the rebellion in “certaines imprudences de notre politique islamisante” as well as in the disorder WWI has left behind in Europe, a reference to the Communist Opposition.[27] This anticommunism was, as we have already seen in the case of the colonial immigrants, deeply rooted in the political elite and the driving force behind efforts for colonial modernisation, which should, according to Colonial Minister Albert Sarraut, serve as an anti-communist security measure.[28]

Call for fraternisation of French and Rif soldiers in L'Humanité, 07.07.1925, p.1. The text reads: “La Fraternisation dans la mort”. Subtitle: “Le capitalisme vous fait frateriser DANS LA MORT ; soldats français et riffains, fraternisez DANS LA VIE!”
Call for fraternisation of French and Rif soldiers in L’Humanité, 07.07.1925, p.1. The text reads: “La Fraternisation dans la mort”. Subtitle: “Le capitalisme vous fait frateriser DANS LA MORT ; soldats français et riffains, fraternisez DANS LA VIE!”

On the same day, l’Humanité published a call for fraternisation of French and Rif soldiers. The whole country is described as rising against the imperialists, who have brought war in the country they pretend to cultivate. Interestingly, they too draw a line between Communism and anti-imperialism by citing the resistance of French soldiers to intervene in the Russian civil war as an example for successful fraternisation.[29] The socialist newspaper Le Populaire presents a forth position. Like Barbusse, they call for the League of Nations to solve the situation, but at the same time they consider the war necessary, although “le Parti socialiste n’assume aucune responsabilité du passé pour l’occupation militaire du Maroc.” Therefore, they condemn the propagated fraternisation, which would make the soldiers victims both of French militarism and “de la politique étrangère de bolchevisme.” The evacuation of Morocco would only worsen the situation and has therefore to be opposed.[30] Yet, even the Communist resistance and attitude towards the colonial question was ambivalent, as we have seen already in the case of the Algerian nationalists. In the course of the 1930s, the party, whose base “had never been entirely committed to the rights of colonial people”, refrained from its anti-racist stance and “amounted to a tacit defence of the empire.”[31]

The Maghreb, this essay has shown, “marked France’s passage through the twentieth century.”[32] It formed a decisive part of the French inseparably linked national and imperial modernity by creating a constant duality and hierarchy of culture and humanity. The colonial Other was thereby imprinted on French culture and politics, visible in the Négritude or the racist surveillance practices. The discourse around the Rif war, the first real threat to the imperial world order, was closely linked to the rather inner-European contestation of varying vision of modernity. If we look further into the history of Western Europe in the 20th century, we find that the Rif war was of great importance for the dark side of modernity in both France and Spain, the two countries fighting the Rif Republic hand in hand: it is the same figures that lead or partake in the suppression of the first at least for some years successful African struggle for independence that will later lead the fight against the French and Spanish republics, Francisco Franco and, after Lyautey’s removal in 1925, Philippe Pétain. Part of this dark side of modernity was also the “colonial holy alliance”, which was apparent at the participation of fascist Italy at the 1931 colonial exhibition. At the same time, el-Krim’s guerrilla tactics inspired Che Guervara to create his version of an anti-imperial modernity[33], which had been imagined in interwar Paris, the place where Algerian, Chinese and Vietnamese anti-imperial fighters met who should change history so dramatically in the era of decolonization. The city thus remained the “capital of modernity” in the first half of the 20th century.

Primary Sources

Barbusse, Henri: “Les travailleurs intellectuels aux côtés du prolétariat contre la guerre du Maroc”, in L’Humanité, 02.07.1925, p. 1.

“Devant La Tuerie. Fraternisation!”, in L’Humanité, 07.07.1925, p. 1.

“Les Intellectuels aux côtés de la Patrie”, in Le Figaro, 07.07.1925, p. 1.

“Paix immédiate! Evacuation! Tout le Maroc se soulève contre l’envahisseur”, in Le Figaro, 07.07.1925, p. 1.

“Pour la paix au Maroc. Une Conférence socialiste internationale”, in Le Populaire, 01.08.1925, p.2.

“Résolution sur le Maroc. Votée à l‘unanimité”, in Le Populaire, 31.07.1925, p. 1.

Romier, Lucien: “The realities of Morocco”, in Le Figaro, 07.07.1925, p. 1.

Secondary Sources

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[1] Harvey, David: Paris, Capital of Modernity (New York: Routledge, 2006).

[2] Goebel, Michael: Anti-Imperial Metropolis. Interwar Paris and the Seeds of Third World Nationalism (Cambridge: Cambridge University Press, 2015).

[3] Billig, Michael: Banal Nationalism (London: Sage Publications, 1995).

[4] Janes, Lauren Rebecca Hinkle: The Taste of Empire: Colonial Food in Interwar Paris (Pro Quest Dissertations Publishing, 2011), pp. 1-20, 333.

[5] Thomas, Martin: The French empire between the wars. Imperialism, politics and society (Manchester: Manchester University Press, 2005), pp. 190-191.

[6] Lebovics, Herman: True France. The Wars over Cultural Identity, 1900-1945 (Ithaca: Cornell University Press, 1994), p. 53.

[7] Ibid., pp. 57-59.

[8] Thomas: Empire, pp. 188-189.

[9] August, Thomas G.: The Selling of the Empire. British and French Imperialist Propaganda, 1890-1940 (Westport: Greenwood Press, 1985), pp. 54-64.

[10] Neulander, Joelle: Airing the exotic: Colonial landscapes on French interwar metropolitan Radio, Historical Journal of Film, Radio and Television, 27 (2007), pp. 313-332.

[11] Slavin, David Henry: Colonial Cinema and Imperial France, 1919-1939. White Blind Spots, Male Fantasies, Settler Myths (Baltimore: John Hopkins University Press, 2001), pp. xi-4.

[12] Furlough, Ellen: Une leçon des choses: Tourism, Empire, and the Nation in Interwar France, French Historical Studies, 25 (2002), pp. 441-473.

[13] Lebovics: France, p. 94.

[14] Sweeney, Carole: La Revue Nègre: négrophilie, modernity and colonialism in inter-war France, Journal of Romance Studies, 1 (2001), pp. 1-13.

[15] Ezra, Elizabeth: The Colonial Unconscious. Race and Culture in Interwar France (Ithaca: Cornell University Press, 2000), p. 3.

[16] MacMaster, Neil: Colonial Migrants and Racism. Algerians in France, 1900-62 (New York: St. Martin’s Press, 1997), p. 4.

[17] Ibid.

[18] Rosenberg, Clifford: The Colonial Politics of Health Care Provision in Interwar Paris, French Historical Studies, 27 (2004), pp. 637-668.

[19] Goebel: Metropolis, p. 3.

[20] Thomas: Empire, pp. 186-201.

[21] Aissaoui, Rabah: Algerian nationalists in the French political arena and beyond: the Etoile nord africaine and the Parti du peuple algérien in interwar France, The Journal of North African Studies, 15 (2010), pp. 1-12.

[22] Thomas: Empire, p. 211.

[23] Ibid., p. 212.

[24] Daughton, J.P.: Behind the Imperial Curtain. International Humanitarian Efforts and the Critique of French Colonialism in the Interwar Years, French Historical Studies, 34 (2011), pp. 503-528.

[25] Drake, David: The PCF, the Surrealists, Clarté and the Rif War, French Cultural Studies, 17 (2006), pp. 173-188.

[26] L’Humanité, 02.07.1925, p. 1.

[27] Le Figaro, 07.07.1925, p. 1.

[28] Thomas, Martin: Albert Sarraut, French Colonial Development, and the Communist Threat, 1919-1930, The Journal of Modern History, 77 (2005), pp. 917-955.

[29] L’Humanité, 07.07.1925, p. 1.

[30] Le Populaire, 01.08.1925, p.2 and 31.08.1925, p. 1.

[31] Slavin: Cinema, pp. 4, 73-74.

[32] Ibid.

[33] Er, Mevliyar: Abd-el-Krim al-Khattabi: The Unknown Mentor of Che Guevara, Terrorism and Political Violence, 0 (2015), pp. 1-23.

Vichy and Budapest under the swastika – a comparison

Contrary to a reading of the German occupation of Europe and the history of the Shoa as one linear process, one can explain the mechanism of extermination as full of contradictions and pragmatic decisions held together by the leitmotiv of the national socialist ideology. The initial German preference for moderate forces in Croatia after the invasion of Yugoslavia instead of the Ustaše as well as the support for Antonescu in Romania instead of the Iron Guard are examples of this policy. Likewise, the history of the Shoa in France and Hungary is one of immense contradictions. Both countries became part of the German sphere of influence, but under somewhat different conditions: While France was divided into two zones after the German invasion with a neutral and sovereign state in the unoccupied south, Hungary became officially part of the Tripartite Pact in November 1940, gained territories of its neighbours from 1938 to 1941 thanks to its proximity to Berlin and joined the German attacks on Yugoslavia and the Soviet Union. In terms of both states’ policy towards the “Jewish question”, the two countries dealt in a very different way with the German demand for the deportation of the Jewish population. While the Hungarian government refused to hand over the Hungarian Jews, despite its antisemitic laws and an intense “homegrown” antisemitism, the French government accepted the German demands and deported non-French Jews from the southern, unoccupied zone to the North, from where they were sent to Auschwitz, despite the long French tradition of Jewish emancipation and liberal democracy.

In the following, these seeming contradictions shall be analysed based on the question of the background of the decisions made by the two governments. Therefore, this essay focuses on the time before the occupation of the French southern zone in November 1942 and Hungary in 1944, respectively. Since the decisions of the two unoccupied governments shall be compared, the focus will thus be on the deportations from the French south rather than on the roundups in northern France, although they were organised by the French police as well. In the first part of the essay, the long-term ideological backgrounds, especially the nature of antisemitism in both countries before and after the First World War, will be examined. Based on this background, in the second part specific documents will be analysed in order to determine the scope of action of the two governments. The primary sources are documents from the German Foreign Office and the German occupation authorities in France. Robert Paxton has shown in his sensational book “La France de Vichy”[1] that the use of German documents can be a sufficient and even revealing source-base for an analysis of the history of the participation of an allied government in the extermination of the Jewish population. Still, we have to take into account that the solely German perspective has its limits; since the analysis is about the negotiations, though, they tell us enough about the decisions the two governments took.

The comparison between France and Hungary reveals the importance of the connection between the different long-term history of Antisemitism and Jewish Emancipation and the antisemitic policies in the Second World War in each state. Also, a comparison between the two countries shows the possibilities the German allies had under its predominance and the alternative decisions they took.

To begin with, the two countries developed a different definition of Jewish citizenship in the 19th century. In France, enlightened circles were pressing for the Jewish emancipation already by the 1780s.[2] The French revolution then made France the first European country to grant Jews “full political, legal, and social equality, eliminating all former barriers to their participation in every aspect of life”[3] in 1790 and 1791. Emancipation, from Enlightenment perspective, should strip Jews of their Jewish identity and make them socially and culturally indistinguishable from other – Christian – citizens. During the 19th century the French state held to the “civic definition of membership of the French nation state”[4]. This situation made Jewish life flourish and the new Jewish citizens believe in and feel part of the republic.

In Hungary, by contrast, the emancipation of Jews was not the result of a revolutionary idea, but closely linked to the political situation of the Habsburg Dual Monarchy. Since ethnic Magyars made up only about half of the population of Transleithania, the Magyar leadership welcomed the largely voluntary Magyarization of Jews. In their eyes, Jewish emancipation served the national cause, “both as enthusiastic new members of the Magyar nation and as the group with the most capability for modernizing the Hungarian economy”[5]. Hence the two definitions differed from the beginning on: While France regarded Jews who committed to the republic as full members of the democratic, political unity (in absence of a national question), emancipation in Hungary became a weapon in the conflict between the Magyar leadership and the ethnic minorities in the Hungarian half of the dual monarchy and a means of modernizing the economy. This rather pragmatic approach to the “Jewish question” in Hungary we will find again later in the interwar-period and the Second World War.

The history of antisemitism in both countries took a quite different course. In France, the Dreyfus-Affair is certainly the most important incident in this respect. It occurred in a time when, beginning in the 1880s, antisemitism grew due to the catastrophic military defeat against the Prussian army, a fundamental constitutional change and a Europe-wide economic depression. The arrest and accusation of treason and espionage for the German enemy of the Alsatian Jew Alfred Dreyfus became the perfect occasion for all opponents of the Third Republic and the liberal state in general to express their criticism. In their minds, all Jews were in the enemy camp because of their mentioned gratitude to the Republic. Yet, his final triumph in 1906 discredited antisemitism in France for the next two decades.[6] In a broader perspective, however, Dreyfus and with him all French Jews became a symbol of a rational, Enlightenment and republican modernity.[7] This association then became important again in the 1930s, when a new wave of antisemitism, caused to a big extent by the world economic crisis, was linked to anticommunism. In this mood, a strong chauvinistic attitude emerged, which was directed not only against Jews. Still, orthodox Jewish immigrants from Eastern Europe who often only spoke Yiddish were the most visible among the 2,45 million foreigners in France in 1935.[8] The Jewish and socialist head of the Popular Front government, Leon Blum, finally became the symbol of the failure of the republican, capitalist system for all opponents of the liberal state. The phoney war then entailed an increase in antisemitic expressions. “For many, the foreigners and the Jews in general, had dragged France into a hopeless and unnecessary war for personal reasons.”[9]

In Hungary, the First World War was a true watershed in the history of antisemitism. Although one of the first antisemitic movements occurred in Hungary in the 19th century, before 1914 the government considered antisemitism “an attack on one of the central pillars of the Magyar national cause”[10] and thus challenged it. The situation worsened dramatically after the war and Béla Kun’s short-lived Hungarian Soviet Republic, in which Jews had played an important role and which was associated with Jewish Marxism by its opponents after its suppression by the Romanian army and Horthy’s counter-revolutionary forces. What is more, in post-Trianon Hungary the Jews were no longer needed to achieve a Magyar majority since Budapest did not rule the former national minorities of the Habsburg monarchy any more. Instead, the “community of interest” was now based most of all on economic terms.[11] The association of the Jewish population with the “national enemy”, Bolshevism, explains the first antisemitic law enacted in the 20th century, an anti-Jewish Numerus Clausus. Yet, the next antisemitic laws started only in 1938, when the proportion of Jewish employees in certain professions was reduces to 20 per cent.[12] A second law in 1939 went even further and provided for the removal of Jews from the public service by means of an exacerbated quotation of twelve or six percent for certain professions and an even stricter Numerus Clausus of six percent. A third law prohibited marriage between Jews and non-Jews in 1941.[13] In the justification of this law the government stated for the first time the aim of “racial purity of the Hungarian Nation” and expressed the will to segregate Jews from the rest of society. In addition, it contained an extension of the definition of the term “Jew”.[14] This third law was, as the second one to an extent, without doubt based on German pressure.[15]

These laws and the general emergence of antisemitism was one part of a political radicalisation and the rise of fascism in the 1930s following the economic crisis and the fall of agrarian prices, which hit the still predominantly rural society of Hungary particularly hard.[16] Different national socialist parties like the Arrow Cross movement used this situation to explain Hungary’s problems with their antisemitic propaganda and received together about 25 percent in the 1939 election.[17] The antisemitic laws were often justified by politicians as countering this wide-spread antisemitism. What is more, the radicalisation expressed in the three antisemitic laws was part of the rapprochement with Nazi-Germany, which was seen as the power able and willing to re-draw the borders of central Europe in favour of Hungary.[18]

This brings us to the second part of our analysis, the two different relations to Germany culminating in the two varying reactions to the German exterminatory policy. In both cases it is important to state that the antisemitism which made the exclusion of the Jewish population possible was not imported from Germany, but had its own roots. Also, however, in both cases the governments did not share the German exterminatory antisemitism[19], their final aim was not the complete and systematic extermination of all European Jews, although both governments played their part in this process. Still, the situation of Vichy differed in many respects. The disastrous defeat against the Germans explains the need for a scapegoat, which was found in the “decadence” of the Third Republic and the Jews who were, as shown above, associated with the liberal, Enlightened, republican modernity by its opponents who came to power in 1940. Besides, the French government in Vichy dealt with a different military situation than rather autonomous Hungary: although the south was not occupied by the Germans, the threat to do so remained. In addition, the French POWs in Germany were a means of pressure and a remainder of the German supremacy. Yet, the first antisemitic laws were passed without any direct German pressure.[20] Some of them were not directed at Jews only, but at foreigners in general, like a “law limiting employment in the public sector to individuals born of French fathers”[21]. Vichy also annulled two pre-war laws with serious consequences for Jews living in France: a liberal naturalisation law of 1927 and a decree from 1939 which had prohibited attacks in the press “based on race or religion”[22]. In October 1940 a “Statut des Juifs” followed these measures which defined the term “Jew” and excluded Jews from public service, the army and other important professions like journalism. “The timing suggests that the statute had been in preparation well before the publication of the German decrees. The surprising priority awarded to the ‘Jewish question’ cannot be explained as a result of direct German pressure.”[23] In the following, Vichy issued “26 laws and 24 decrees on the Jews”.[24] Most importantly, in July 1941 a census was ordered in the southern zone. “This was a breach with the Republican tradition confining questions of religion and ethnic origin to the private sphere; it had grave consequences when Jews started to be rounded up in 1942.”[25] These laws, in a broader perspective, are a perfect example of the initially mentioned contradictions of the Vichy policy: their definition of the term “Jew” was even more radical than the German one, but, “unlike the Germans, [they] allowed some people to escape the full consequences of its anti-Semitic policy”.[26] Another example is the yellow badge, which was not introduced in the south despite the German demand to do so.

Without these laws, the deportation of foreign, non-French Jews from the southern zone would not have been possible. The negotiations preceding the handing over of 41,951 Jews in 1942 started already in 1941. A report of a meeting between the German military commander of France, Otto von Stülpnagel, and the new “Commissioner-General for Jewish Questions” of Vichy, Xavier Vallat, on 5 April 1941 shows the still sceptical attitude of the French government towards a deportation, since, as Vallat stated, “there were few countries left which were willing to receive Jews.” He advocates the French autonomy by presenting the intensified anti-Jewish guidelines Pétain instructed him to elaborate. What is more, one can see the distinctions Vichy made between different groups of Jews: Vallat tried to justify the exception of some 6000-7000 bereaved of world war combatants from the anti-Jewish measures. Since the French people would interpret such an act as German pressure against war veterans, it would be better to leave them alone and advance on the other Jews “all the more radical”.[27] The willingness of the French government to deport Jews from the south then seems to have changed in less than a year. A document from February 1942 cites a German consul general, Krug von Nidda, who believed that the French would even provide Jews from the south if there were clear proposals. Von Nidda also is quoted as believing the French government would be happy to get rid of the “the Jews” in any way after many talks with French politicians, among them François Darlan.[28] This shows that there were talks about this issue between German and French authorities, but on the same time it proves that inside the French leadership intentions had changed.

A document from September 1942 referring back to talks in May even shows that René Bousquet, secretary general of the Vichy police, asked Heydrich in a meeting about the deportation of Jews form the northern zone if also stateless Jews from the south could be deported, which was refused because of transportation difficulties.[29] In July 1942, finally, two documents show the distinction Vichy made between “foreign” and “French” Jews. In the first one, Bousquet tells several SS-officers the preference of his government to deport the foreign Jews “at first”. As the Germans accepted this, he agreed to arrest a number of foreign Jews in the whole of France which was determined by the Germans.[30] In a second one, Laval is quoted as having accepted this deal. In addition, he proposed to deport the children under 16 years together with their parents. “The question of Jewish children (“Judenkindern”) remaining in the occupied part does not interest him.”[31] This shows that the distinction must not be overrated: many of these children had become French citizens at birth and are thus, by definition, not foreign.[32]

These documents show that the French government acted without direct German pressure and even in part on their own initiative. At this point, the French definition of citizenship may help us understand these – contradictory – decisions: The antisemite Vichy-leadership still stuck to the old idea that Jews could be part of the nation by assimilation, rather than stripping all Jews of the French citizenship, although it changed it to a system of different grades of citizenship in which Jews were strongly discriminated against and could not be part of the state apparatus. Foreign Jews Vichy did not care about and handed them over to the Germans, although it has to be remarked that Vichy, although aware of the horrible conditions these people were sent to, probably did not know that their extermination was the final aim of the Germans, at least not when the deportations started.[33] The case of the French children, however, shows the limits of this explanation.

In the Hungarian case, the negotiations had a different frame. Since the country was a German ally, there were no occupation authorities. Besides, unlike in the case of Slovakia, Bulgaria and Rumania, the independent governments in Budapest refused to accept a German “Judenberater” in their country. Therefore, the negotiations about the deportation of the Hungarian Jews took place via the diplomatic channels. The following documents show the attempt of the Hungarian government to avoid the deportation of their Jewish population to the Germans. In the record of a talk between the Hungarian legate, Döme Sztójay, and Martin Luther, a central figure of the Jewish policy of the German Foreign Office, on 6 October 1942, the latter suggested further measures against the Hungarian Jews in and outside Hungary, most importantly the introduction of the yellow badge, as well as deportations. Sztójay’s reaction was rather sceptical. He wanted to know if the measures against Jews living in Germany and the occupied territories applied for Italian Jews as well. Since Luther assured him this would be the case he agreed. In the case of deportations, however, Sztójay stated that it would be very difficult to deport all Jews because of their large number. Also he asked Luther if the Jews would have “further existence” after the “evacuation to the East”, since his prime minister was very interested in this question and there would be rumours that unsettled him. Luther’s answer that the Jews would live in a “Jewish preserve” seem to have calmed him.[34] Although Sztójay gave in to the German pressure in the case of Hungarian Jews living abroad at this meeting, both this issue and the deportations remained points of conflict. In fact, Sztójay protested in dozens of note verbales against the deportation of Hungarian Jews living abroad to the extermination camps.[35]

The record of a talk between the prime minister, Miklós Kállay, and the German legate in Budapest a few days later reveals the insistence to deal with the “Jewish question” independently, since it would be a domestic issue. He referred to an antisemitic speech he held recently and again to the vast number of the Jews as an obstacle to remove them.[36] The sovereignty of Hungary in this issue we can find in another document as well, a letter from the Hungarian legation in Berlin, where, interestingly, economic reasons were stated which made a removal of the Jews from Hungary impossible. The legation even claimed the removal of all Jews from the economy would be against German interests since 80 percent of the Hungarian economy was working for the German war effort. Also, the yellow badge could not be introduced because it would jeopardize the social and lawful order.[37] The last analysed document from December 1942 shows the delaying game Budapest played. Kállay telled von Jagow again he would soon have an answer for him, but the situation would be more difficult in Hungary than in other countries. The government even had to show consideration for the parliament where rumours about the “treatment of the Jews in the East” were discussed.[38] Indeed, Hungary had a functioning parliament until the German occupation in 1944, in which even social democrats participated. Maybe this played a part in the decision-making. In France, by contrast, there could be no open discussion about the deportations, which were decided by the dictatorship.

The obvious contradiction between the antisemitic laws passed between 1938 and 1941 and this policy towards the Germans may be explained by both the long-term, rather pragmatic and economic relationship between the Hungarian state and its Jewish inhabitants shown above and the military situation of the war which increasingly seemed to develop in the disadvantage of Germany. After the fall of fascism in Italy and the defeat of the Hungarian army at the Don in 1943, Kállay’s government made serious considerations of how to leave the axis powers and the war.[39] In this situation, it was considered better to stop all further antisemitic measures to have a better stand in negotiations with the Western Allies.

To conclude, one thing seems clear: the cultural or civilizational split of Western and Eastern Europe fails in the explanation of the different reactions of Budapest and Vichy to the German demands. To give an exact answer in this history of contradictions seems quite difficult. The Vichy government built its legitimacy among others on the exclusion of the Jewish population from the public life, but it did not strip all of them of their citizenship, i.e. it did not completely change the relationship between the state and the Jews, but it made them to second class citizens and, for the first since the revolution and emancipation, defined and counted them based on their “difference” from Christian French. In the talks with the Germans it offered the Jews it did not care for at all and which did not even match this definition since they were foreign. In Hungary, by contrast, the old basic (economic) relationship between State and Jews also remained intact, but – as in France – Jews became more and more second class citizens. The Hungarian government(s) did not radicalise itself enough (maybe because it was no full scale dictatorship) to made the final step towards deportation. It’s higher degree of independence from Germany made it possible to hold out the radical German antisemites and its Hungarian national socialist allies until 1944.

Bibliography

Primary sources

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Secondary sources

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[1] Paxton, Robert O.: La France de Vichy, Paris 1973; originally published as Vichy France: Old Guard and New Order (New York: Columbia University Press, 1972).

[2] Beller, Steven: Antisemitism. A Very Short Introduction, Second Edition (Oxford: Oxford University Press, 2015), p. 25.

[3] Susan Zuccotti: The Holocaust, the French, and the Jews (New York: BasicBooks, 1993), p. 7.

[4] Beller: Antisemitism, p. 26.

[5] Ibid., p. 20.

[6] Zuccotti: The Holocaust, pp. 12-16.

[7] Beller: Antisemitism, pp. 23-24.

[8] Zuccotti: The Holocaust, pp. 24-25.

[9] Ibid., p. 41.

[10] Beller: Antisemitism, p. 20.

[11] Katzburg, Nathaniel: Hungary and the Jews. Policy and Legislaiton 1920-1943 (Ramat-Gan: Bar-Ilan University Press, 1981), p. 214.

[12] Gerlach, Christian; Götz, Aly: Das letzte Kapitel. Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden 1944/1945 (Stuttgart: DVA, 2002), p. 38.

[13] Ibid., pp. 46-48.

[14] Ibid., pp. 48-49.

[15] Katzburg: Hungary and the Jews, p. 218.

[16] Carsten, F. L.: The Rise of Fascism, Second Edition (Berkeley: University of California Press, 1980), p. 173.

[17] Hanebrink, Paul A.: In defense of Christian Hungary. Religion, Nationalism, and Antisemitism, 1890-1944 (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 2006), pp. 164-65.

[18] Ibid., p. 166.

[19] Marrus, Michael R. and Paxton, Robert O.: Vichy France and The Jews (Stanford, California: Stanford University Press, 1995), p. xvii.

[20] Ibid., p. 5.

[21] Zuccotti: The Holocaust, p. 53.

[22] Ibid., p. 53.

[23] Ibid., p. 56.

[24] Jackson, Julian: France: The Dark Years, 1940-1944 (Oxford: Oxford University Press, 2001), p. 356.

[25] Ibid., pp. 356-57.

[26] Vinen, Richard: The Unfree French. Life under the Occupation (London: Allen Lane, 2006), p. 141.

[27] Doc. XXIV-15: The German military commander in France; Administration office, Paris 05.04.1941, in Klarsfeld, Serge: Vichy – Auschwitz. Die “Endlösung der Judenfrage in Frankreich (Darmstadt: WBG, 2007), pp. 387-389.

[28] Doc. LXXI-84: Zeitsche: Notes for legate Schleier, Paris 28.02.1942, In: Klarsfeld: Vichy, pp. 400-01.

[29] Doc. 283, Paris 11.09.1942, in „Akten zur deutschen auswärtigen Politik“, Serie E, Bd. III: 01.10.-31.12.1942.

[30] Doc. XXVI-40: File note, Paris 04.07.1942, in Klarsfeld: Vichy, pp. 422-425.

[31] Doc. XLIX-35: Letter to the RSHA, Paris 06.07.1942, In Klarsfeld: Vichy, pp. 427-28.

[32] Zuccotti: The Holocaust, p. 99.

[33] Zuccotti: The Holocaust, pp. 100-01.

[34] Doc. 12 („Notes of Unterstaatssekretär Luther“), Berlin 06.10.1942, in ADAP, E III, 01.10.-31.12.1942.

[35] Gerlach; Aly: Das letzte Kapitel, p. 81.

[36] Doc. 100 (“The legate in Budapest von Jagow to the Foreign Office”), Berlin 27.10.1942, in ADAP, E III, 01.10.-31.12.1942.

[37] Doc. 245 (“The Hungarian legation in Berlin to the Foreign Office”), Berlin 02.12.1942, in ADAP, E III, 01.10.-31.12.1942.

[38] Doc. 250 („Notes of Unterstaatssekretär Luther“), Berlin 03.12.1942, in ADAP, E III, 01.10.-31.12.1942.

[39] Ránki, György: Unternehmen Margarethe. Die deutsche Besetzung Ungarns (Budapest: Corvina Kiadó, 1978), pp. 9-11.

Georg Heyms “Der Irre” – Wahnsinn und Konsum

„Der Mond tritt aus der gelben Wolkenwand. Die Irren hängen an den Gitterstäben, Wie große Spinnen, die an Mauern kleben. […] Plötzlich schreit der Wahnsinn auf. Das Brüllen pflanzt sich weit, daß alle Mauern von dem Lärme beben. […] Der Haufe Irrer schaut vergnügt. Doch bald enthuschen sie, da fern die Peitsche knallt, Den Mäusen gleich, die in die Erde krochen.“

Der Wahnsinn erscheint in diesen Zitaten aus dem Gedicht „Die Irren“ von Georg Heym als Teil der Natur, als von vom Menschen errichteten Mauern eingesperrte Naturgewalt, die sich jedoch auch dem Menschen (in Form der Personifikation der Peitsche) beugt.

Anders in der fast gleichnamigen Erzählung „Der Irre“ aus dem Jahre 1911. Hier kehrt sich das Setting um, ist der Irre nicht eingesperrt, sondern wird in eine ihm fremde Welt entlassen, um an ihr zugrunde zu gehen.

Die Darstellung des Wahnsinns ist in Heyms Erzählung zentral. Mithilfe und anhand der Erzähltheorie Gérard Genettes[1] soll diese herausgearbeitet und analysiert werden.

Die Erzählung nimmt ebenso wie die gesamte Prosa Heyms in der Forschung eine eher untergeordnete Rolle ein und steht etwas im Schatten der Arbeiten zu seiner Lyrik. Umso interessanter ist die Betrachtung der Erzählung mithilfe der Genett’schen Analysewerkzeuge, da die bisherigen Aufsätze darüber ohne diese arbeiten.

Die Gliederung der Arbeit orientiert sich an den drei Kategorien der genettschen Erzählanalyse: der Zeit, dem Modus und der Stimme. In einem vierten Teil soll aus den Ergebnissen eine eigene Interpretation des Textes erfolgen, die insbesondere auch auf die Interpretationen anderer Forschungstexte eingehen soll und dadurch auch die Vorteile der genettschen Theorie beispielhaft aufzeigt.

Zeit

Die Zeitstruktur der Erzählung ist ziemlich eindeutig. Bis auf einige Erinnerungen an sein Leben in der Irrenanstalt und eine kurze Erinnerung an die Zeit davor – die jedoch nur das Verhältnis zu seiner Frau und damit verbunden den Grund für die Einlieferung beinhaltet – gibt es weder Pro- noch Analepsen, die Handlungen des Tages werden diachron erzählt. Diese Erinnerungen als Formen einer ‚indirekten‘ Analepse sind jedoch von immanenter Bedeutung, wie sich später bei der Interpretation zeigen wird.

Das Geschehen umfasst den Nachmittag eines nicht näher bestimmten Tages. Anhand der Szenen in den Feldern ist lediglich rückzuschließen, dass die Erzählung im Sommer spielt (beispielsweise brennt die Sonne auf seine Schläfen).

Die gesamte Erzählung beinhaltet keine genauen Zeitangaben, weshalb die genaue Dauer nicht zu bestimmen ist. Lediglich die Ellipse auf Seite 22 lässt vermuten, dass sich die Zeitdauer über den gesamten Nachmittag oder einen großen Teil davon hinzieht.

Die meiste Zeit über wird das Geschehen bzw. die Gedanken des ‚Irren‘ im dramatischen Modus wiedergegeben. Vor allem gegen Ende hin, wenn der ‚Irre‘ von seinem früheren Haus in die Stadt flieht und ins Kaufhaus gelangt, gibt es jedoch auch einige raffende Passagen, die auch durch das Vokabular das Erzähltempo stark vorantreiben und sich vom Anfang der Erzählung in der Erzählzeit  unterscheiden.

Interessanter sind jedoch die Stellen des Textes, in denen der Leser Einblick in die Innenwelt des ‚Irren‘ erhält (auf welche Art und Weise das geschieht, wird später beschrieben werden). Bereits zu Beginn, gleich nachdem er die Anstalt verlassen und sich in die Felder begeben hat, bekommt der Leser Einblick in seine Vorgeschichte. Die Erinnerungsfetzen sind jeweils nur kleinere Textabschnitte. Durch die erlebte Rede – so viel sei hier schon vorweggenommen – sind sie per Definitionem zeitdeckend. Da der Erzählung wie gesagt jegliche Zeitangaben fehlen, kann man ohnehin nicht feststellen, wie viel Zeit in der fiktiven Welt währenddessen verstrichen ist.

Die auch in den meisten anderen Fällen zeitdeckende Erzählung ist in den Abschnitten der Phantasien des ‚Irren‘ nicht genau zu definiert. Bereits die erste Phantasie, der Gang über die Totenschädel, ist – wieder aufgrund der fehlenden Zeitangaben – nicht klar als zeitdehnend oder zeitdeckend zu bestimmen.

Obgleich man diese Stellen zur Erzählzeit nicht genau ins Verhältnis setzen kann, so gibt es doch eindeutig Szenen, denen sehr viel mehr Erzählzeit gewidmet ist als anderen. Jene Textstellen, in denen keine Innensicht vorliegt, werden zwar nicht stark raffend, aber doch in deutlich kürzerer Zeit erzählt, beispielsweise nachdem er die Kinderleichen zurücklässt und Richtung Stadt aufbricht: „Er bog in eine Landstraße ein, die auf die Vorstadt zuführte. Er sah sich um. Die Straße war leer. In der Ferne verlor sich der Weg. Oben auf einem Hügel hinter ihm saß ein Mann vor einem Leierkasten. Jetzt kam über den Hügel eine Frau herauf, die einen kleinen Handwagen hinter sich herzog.“[2]

Werner Sulzgruber sieht in der Zeitstruktur ein „System des Weglassens“[3]; Heym lasse „vielfach Konkretes und damit Hinweise bzw. Anhaltspunkte für eine Orientierung bzw. Erklärung weg, wodurch das Werk erst expressionistisch werde und „zur Herausbildung der Wahnsinnskonstellationen“[4] diene. „Dies geschieht insbesondere in Bezug auf das Verhalten und die Aktionen des Irren […]“[5] Darunter fasst er beispielsweise die fehlenden Ort- und Zeitangaben, die erst später in der Erzählung nachgereicht werden (die Zeitangaben wie oben beschrieben nur auf die Zeit vor der Entlassung bezogen). Zeitangaben sind für Sulzgruber gar nicht notwendig, dass und wie ‚er‘ (der Irre) es tue reiche vollkommen aus.[6] Auf dieses Konzept bzw. seine Legitimation in den genettschen Kategorien wird bei der Betrachtung von ‚Modus‘ und ‚Stimme‘ eingegangen werden.

Die Ebene der Zeit, besonders die fehlenden Zeitangaben und die Unsicherheit darüber, ob sich die Phantasien des ‚Irren‘ zeitdeckend oder zeitdehnend zur Erzählzeit verhalten, ebenso wie die raffenden und durch das verwendete Vokabular das Erzähltempo steigernde Passagen spielen in der Darstellungsperspektive des Protagonisten eine große Rolle. Wie später festgestellt werden wird, unterstützt sie die Erzeugung der Atmosphäre, in der das zentrale Motiv des Wahnsinns entpsychologisiert wird.

Modus

Distanz

Im Bereich der Erzählung von Worten überwiegen die Formen der erlebten Rede und des Bewusstseinsberichts. Die wenigen Zeilen in direkter Rede stechen daraus hervor. Formen des direkten Gedankenzitats sind dagegen häufiger anzutreffen.

Die erlebte Rede, die in der Erzählung einen sehr eigenen Effekt erzielt, tritt nicht nur wie die anfänglichen Erinnerungssequenzen als Texteinheit auf, sondern gerade auch nur am Ende eines Absatzes. („Er riß in seiner Wut von dem Feldrande ein Büschel Kornähren ab und schwenkt es wie einen Stock in der Hand. Dann stand er auf, und nun wehe ihr.“[7]). Dieses Muster der erlebten Rede als Abschluss eines Absatzes ist oft zu erkennen. Vielfach sind diese Textelemente durch Partikel wie „So“, „Und“ oder „Ach“ eingeleitet („So, nun saß er erst einmal.“; „Ach, es war wunderschön.“[8]).

Die verschiedenen Formen wechseln in manchen Abschnitten nahtlos und sind manchmal alle in einem einzelnen Absatz anzutreffen: „Er glaubte, sie zu kennen. (Bewusstseinsbericht) War das nicht die Grünkramfritzen von der Ecke? (Erlebte Rede) Er wollte sie ansprechen, aber er schämte sich. (Bewusstseinsbericht) Ach, die denkt, ich bin ja der Verrückte aus Nr. 17. (direktes Gedankenzitat ohne Anführungszeichen) […]“[9]

Die Form des Bewusstseinsberichts ist an vielen Stellen von einer Nullfokalisierung begleitet. Dies erzeugt ebenso wie die wechselnde Fokalisierung und der Mangel an Informationen zu den Motiven der Morde erst das ‚Bild‘ des Wahnsinns in der Erzählung, lenkt jedoch auch, was später noch genauer festgestellt werden wird, den Fokus weg von der Psychologisierung der Thematik des Wahnsinns.

Manche Stellen sind nicht genau der erlebten Rede oder dem Bewusstseinsbericht zuzuordnen. So kann man den Gang durch das Schädelfeld im Kopf des ‚Irren‘ zwar als erlebte Rede lesen, jedoch deutet vor allem der Anfang der Passage („Es war ihm, als wenn er über einen weiten Platz ginge.“[10]), der Vergleich „Er sagte das wie eine mächtige Beschwörungsformel“ und die scheinbar ‚objektive‘ Darstellung seiner Gedanken auch auf eine Lesart als Bewusstseinsbericht hin. Einzelne Stellen der Passage sind dann aber wieder unzweifelhaft als erlebte Rede zu identifizieren („Da setzte er erst ganz vorsichtig auf und wippte erst ein paarmal zur Probe, so, so, so. Und dann trat er zu, knax, […]“[11]).

Der erste Textabschnitt ohne erlebte Rede ist der Kindermord. Hier decken sich die Übergänge der thematischen Abschnitte mit denen der Distanz und fast auch denen der Fokalisierung. Nach der scharfen Trennung, nämlich einer Ellipse, die durch das Einschlafen des Protagonisten zustande kommt, erfährt der Leser sehr viel weniger aus dem Innenleben des ‚Irren‘ als im ersten Textabschnitt, der in großen Teilen in erlebter Rede abgefasst ist (bzw. wie beschrieben auch einer längeren Passage eines Gedankenberichts mit einzelnen Elementen der erlebten Rede). Der Mord an den beiden ihn weckenden Kindern stellt einen starken Kontrast zur vorherigen Szene dar: Nicht nur die Kontraste ‚Untat‘ – ‚Tat‘, Leben (durch die Entlassung aus dem in der Erinnerung als martialisch beschriebenen Anstalt) – Tod (der Kinder) oder Anfang (neues Leben nach der Anstalt) – Ende (des Lebens der Kinder) kennzeichnen den Wechsel bzw. den – auch durch die Ellipse deutlich gemachten – ersten Schnitt in der Erzählung; ist sein Innenleben im ersten Teil in den Erinnerungssequenzen und beim imaginären Gang über das Schädelfeld durch erlebte Rede und eine detailreiche Beschreibung seines Innenlebens gekennzeichnet, erfährt der Leser über die Motive oder auch nur Gedanken des ‚Irren‘ beim Mord an den Kindern relativ wenig. Lediglich die Information, weinen könne er „[…] überhaupt nicht vertragen.“ weist auf die ‚Beweggründe‘ des Mordes hin, während sie gleichzeitig den Protagonisten als Wahnsinnigen kennzeichnet, der aus einem Unmut über weinende Kinder und einer Wut heraus, deren Ursachen gar nicht beschrieben werden, einen Mord begeht. Diese Beobachtung der unterschiedlichen Distanz bzw. generell der unterschiedlichen Erzählweise in den verschiedenen Abschnitten ist zentral für die Interpretation der Erzählung, denn nur durch den Wechsel, also dadurch, dass seine Gedanken mal genauestens, mal überhaupt nicht beschrieben werden, wird beim Leser jene Unsicherheit geschaffen über die Hintergründe des Wahnsinns, über die Art der ‚Krankheit‘ und vor allem über seine Vergangenheit und das ‚Wahnsinnig-Werden‘, was sowohl auf rein inhaltlicher wie auf interpretatorischer Ebene wichtig erscheint. Wie später bei der Betrachtung der Fokalisierung muss sich der Leser allein mit den gegebenen Informationen ein Bild des Protagonisten bilden, der bis zur Unterhaltung mit dem ‚Alten Mann‘ nur durch den Titel explizit als ‚Irrer‘ bezeichnet ist.

An dieser Stelle führt Sulzgrubers „System des Weglassens“ durchaus zu einer naheliegenden Interpretation der Szene: Durch die uns fehlenden bzw. nur spärlich gegebenen Motive wird der Mord zu einer unbegreiflichen, per definitionem wahnsinnigen Tat bzw. bekommt erst das irrational-Wahnsinnige. Dies wird freilich durch Luthers Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ und die expressionistischen Vergleiche („Er begann wie in einer Verzückung um die beiden Leichen herumzutanzen. Dabei schwang er seine Arme wie ein großer Vogel, und das Blut daran sprang um ihn herum wie ein feuriger Regen.“[12]) noch verstärkt.

Die auf die ersten Morde folgende Reue findet sich an anderen Stellen der Erzählung und bildet eine Art Muster: auf die Wut, die hin zur Tat führt, folgt die Reue. Nach den ersten beiden Morden an den Kindern beweint er nach einem plötzlichen (und wieder unerklärten) Stimmungsumschwung die Kinderleichen und versucht, diesen wieder Leben einzublasen. Getrieben wird er hier von einem „[…] unbezwinglichen Mitleid mit den beiden armen Kindern […]“, das ihm „[…] von innen heraus fast den Hals ab[schnürte].“[13]

Dem Mord an der Frau folgt keine Reue, jedoch wird der ‚Irre‘ hier auch als Tier dargestellt und nach dem Mord erfolgt ein Perspektivwechsel hin zum ‚Alten Mann‘, sodass die Reue möglichweise nicht geschildert wird. Lassen wir diese Vermutung jedoch beiseite und betrachten die nächste Szene, in der das Verhalten wieder auftritt: Nach dem Gespräch mit dem ‚Alten Mann‘ findet der ‚Irre‘ in einem Feld einen Weiher, in den er auch sogleich eintaucht. Urplötzlich und ebenso unbegründet wie beim Mitleid den Kindern gegenüber kommt ihm der Gedanke, „[…] daß er etwas Unanständiges täte. Er zog sich schnell an, machte sich klein und kroch in das Korn.“[14] Diese Stelle wird in Interpretationen angeführt, um den gesellschaftskritischen Gehalt der Erzählung zu belegen[15]: das peinigende Gewissen der Gesellschaft, die neben dem Mord (‚Du sollst nicht töten‘) auch das Nacktbaden verurteilt, holt sogar den Wahnsinnigen ein und macht ihn so (und durch die fehlenden Informationen zu den Hintergründen des Umschwungs) zu einem Repräsentanten der Gesellschaft.

Die Wahl des Irren als „Träger der Utopie“ schließt für Edith Ihekweazu die übrigen Mitglieder der Gesellschaft dadurch aus. Zudem deuten für sie auch die Orte der Gesellschaft (einerseits das Irrenhaus als in der Beschreibung des ‚Irren‘ grausamer und menschenverachtender Ort der Repression und andererseits die Stadt als Ort der Beängstigung für den ‚Irren‘ auf den gesellschaftskritischen Gehalt der Erzählung hin.

Auch auf den (vermutlich stattfindenden) Morden an den Männern in seiner Wohnung folgt die Reue. Und wie bei den Kindern beginnt er zu Weinen. Was sich von Mal zu Mal unterscheidet ist also die Distanz und die Fokalisierung.

Fokalisierung

Die Frage der Fokalisierung ist in „Der Irre“ von entscheidender Bedeutung. Sie trägt neben den anderen bereits erwähnten Faktoren, vor allem der Distanz, dazu bei, die Ungewissheit des Erzählten zu erzeugen ebenso wie die allgemeine Atmosphäre des Wahnsinns.

Das Besondere an der Erzählung ist der vielfache Wechsel nicht nur in der Distanz, sondern vor allem auch in der Fokalisierung. Dabei kann man die verschiedenen Fokalisierungsebenen ziemlich klar abgrenzen, wobei jedoch einzelne Sätze oder auch nur Teilsätze aus diesem Schema wieder herausfallen. Dies sind oft die oben beschriebenen Teilstücke oder letzten Sätze bzw. Teilsätze eines Absatzes, die in erlebter Rede verfasst sind. Jedoch gibt es auch an manchen Stellen punktuelle Einschübe von oft nur einzelnen Sätzen, die definitiv von einem nullfokalisierten Erzähler stammen („[…] und ein seliges Lächeln flog über sein Gesicht.“, S. 21, „Und im Vorgefühl seiner Rache leuchtete sein Gesicht wie eine purpurne Sonne“, S. 24) in unmittelbarer Nähe zu intern fokalisierten Abschnitten bzw. inmitten dieser.

Die interne Fokalisierung ist zwar nicht in jedem, aber doch in dem meisten Fällen mit der Form der erlebten Rede verbunden. Sie nimmt neben der Form der externen Fokalisierung den größten Platz in der Erzählung ein. Formen der Nullfokalisierung treten meistens als mehr oder weniger wertende, auf jeden Fall jedoch nicht neutrale Beschreibungen auf und treten wie beschrieben eher punktuell auf.

Die Annahme eines durchgängigen nullfokalisierten Erzählers, der lediglich in großen Teilen der Erzählung aus der Sicht des ‚Irren‘ berichtet, ist deshalb unwahrscheinlich, weil der Erzähler – mit der Ausnahme des alten Mannes – nicht in die Gedanken anderer Personen hineinblicken kann. Zudem ist die Form der erlebten Rede viel zu oft verwendet, um davon auszugehen, dass uns das ganze Geschehen von einem nullfokalisierten Erzähler präsentiert wird.

Die bereits erwähnten Erinnerungssequenzen und der Gang über das Schädelfeld sind, allein schon durch die Form der erlebten Rede, intern fokalisiert. Der bereits im Kapitel ‚Distanz‘ beschriebene Kontrast zwischen den beiden ersten inhaltlichen Abschnitten ist auch in der Fokalisierung zu erkennen. Sind seine Erinnerungen und seine Imagination vom Schädelfeld intern, so wird der Mord extern fokalisiert und nur in einzelnen punktuellen Einschüben wird Einblick in das Innenleben des ‚Irren‘ gewährt. Dass in diesem Abschnitt keine interne Fokalisierung auf den Protagonisten mehr vorliegt, ist auch daran zu erkennen, dass teilweise aus der Perspektive der Kinder erzählt wird („Als die [Kinder] seine Schritte hörten, fingen sie an zu schreien und liefen schneller. Der kleine Junge zog sein Schwesterchen hinter sich her. Das stolperte, fiel hin und fing an zu weinen.“). Da an diesen Stellen keine Gedanken wiedergegeben werden, sind diese Szenen (mit Ausnahme des alten Mannes) jedoch nicht intern auf die entsprechenden Personen fokalisiert.

Bei seinem zweiten Mord erfahren wir dagegen weitaus mehr aus seinem Inneren, auch während des Mordes. Hier wird auch der Übergang vom ‚Normalzustand‘ hin zum Zustand des irrationalen, triebgeleiteten Mörder beschrieben: „Er fühlte, daß in ihm wieder die Wut aufkommen wollte. Er fürchtete sich vor dieser dunklen Tollheit. […] Plötzlich sah er das Tier wieder, das in ihm saß. Unten zwischen dem Magen, wie eine große Hyäne. Hatte die einen Rachen. Und das Aas wollte raus. […] Jetzt war er selbst das Tier […]“[16].

Im Laufe der ‚Verwandlung‘ vom Menschen zum Tier gibt es zwei Fokalisierungswechsel: Ist sein Erkennen des Tieres in ihm noch intern auf den ‚Irren‘ fokalisiert – z.B. sichtbar an der erlebten Rede –, so wird er nach der Verwandlung entweder aus Sicht der Frau oder nullfokalisiert beschrieben (daran erkennbar, dass sein ‚wirres Haar‘ in dem ‚dicken Gesicht‘ genannt ist, was er selbst nicht sehen kann), um dann anschließend wieder in die interne Fokalisierung zurück zu wechseln. Diese Annahme impliziert jedoch, dass wir es im Allgemeinen mit verschiedenen Erzählertypen zu tun haben, denn nun wird der ‚Irre‘ während des Mordes nur noch als „das Tier“ beschrieben. „Es“ beschränkt sich auch nicht darauf, die Frau zu töten, sondern vervollständigt das Bild des wilden Tieres, der Hyäne, indem „es“ das Blut der Frau trinkt, und zwar aus der Kehle, denn „da ist das beste Blut; man trinkt immer aus der Kehle.“[17] Auch der Wechsel ins Präsens kennzeichnet die Besonderheit in der Erzählweise dieser Szene. Die hier wieder viel verwendete erlebte Rede erzeugt ein Paradoxon, indem einerseits aus der Sicht eines wilden Tieres geschrieben wird, andererseits dieses ‚Tier‘ aber menschlich ausgeformte Gedanken hat. Das Problem kann man nur lösen, indem man die Stelle als intern fokalisiert definiert. Die Rolle des Erzählers in Heyms Geschichte ist schwierig. Es gibt an dieser Stelle keine Inquit-Formel mehr, wie sie es noch beim Gang über das Knochenfeld gegeben hatte, der bisher einzigen anderen irrationalen und intern fokalisierten Textstelle. („Es war ihm, als wenn […]“). Beim Mord an der Frau „war er [jetzt] selber das Tier“. Die Rolle der Erzählers wird jedoch im Kapitel ‚Stimme‘ genauer behandelt.

An diese bereits aus dem bisherigen Erzählmuster fallende Szene folgt die einzige Stelle in der Erzählung, die intern auf eine andere Person als den ‚Irren‘ fokalisiert ist. Die folgende kurze Szene wird aus der Perspektive eines „alten Mannes“ erzählt. An dieser Stelle wird der Protagonist, zuvor immer nur als „Er“ bezeichnet, das erste Mal (ausgenommen im Titel) als „der Verrückte“ bezeichnet.

Hier zeigt sich wieder, dass thematische Abschnitte und Fokalisierung nicht gleichzeitig wechseln: Nachdem der „Alte Mann“ weggerannt ist, erfährt man doch noch die Gedanken des „Irren“, der hier nullfokalisiert so genannt wird. Auch erfahren wir von ebendiesem nullfokalisierten Erzähler, dass er „wie ein furchtbarer Teufel“ aussehe. Und wieder schließt die Szene mit erlebter Rede in interner Fokalisierung.

Dies ist ebenfalls eine generelle Tendenz. Neben die Beschreibung des Innenlebens des ‚Irren‘ tritt auch immer wieder die Beschreibung des äußeren Eindrucks des ‚Irren‘, entweder aus der Sicht anderer Personen in der Erzählung oder durch den Erzähler selbst. Dies lässt sich perfekt auf die drei Fokalisierungsebenen übertragen, die durch alle drei möglichen Formen ein breites Bild des ‚Irren‘ liefern, ohne dass dabei zugleich über Motive und Vergangenheit des Protagonisten viele Informationen gegeben werden.

Interessant wird die beschriebene Schichtung der verschiedenen Erzählebenen bei der letzten Szene, dem Gang durch das Kaufhaus (Wertheim[18]): Die Beschreibung des riesigen Kaufhauses und seiner modernen Bestandteile, vor allem des Fahrstuhls, erfolgt aus der Perspektive des ‚Irren‘, wodurch die Bedrohlichkeit und das Massenhafte an den damals hochmodernen Kaufhäusern als sozialkritisches oder auch einfach nur ‚modernisierungskritisches‘ Element deutlich wird.

Stimme

Genettes Kategorie der ‚Stimme‘ führt bei Heyms Erzählung vor allem bei der Beziehung des Erzählers zum Geschehen zu interpretatorisch wichtigen Ergebnissen. Zeitpunkt und Ort des Erzählens sind relativ leicht zu bestimmen:

Bis auf die erwähnten zwei kürzeren Textstellen, in denen das Geschehen im Präsens wiedergegeben wird, ist die Erzählung im Präteritum erzählt. Der also im Rest der Erzählung anzutreffende spätere Zeitpunkt des Erzählens wechselt an diesen beiden Stellen zu einem gleichzeitigen Erzählen, was aber hauptsächlich der Spannungssteigerung dient.

‚Der Irre‘ ist bis auf die wenigen erwähnten Textstellen in direkter Rede in extradiegetischer Erzählweise verfasst. Metadiegetisches Erzählen ist gar nicht vorhanden.

Spannender bzw. für die Erzählanalyse aufschlussreicher ist die Betrachtung der Stellung des Erzählers zum Erzählten. Deren Betrachtung legt jedoch zuerst die Frage nahe, wie viele Erzähler es in Heyms Erzählung überhaupt gibt. Wie bereits im Kapitel ‚Fokalisierung‘ festgestellt, wird mal in interner Fokalisierung (oft in Form von erlebter Rede) aus der Sicht des ‚Irren‘ erzählt, mal in Nullfokalisierung der ‚Irre‘ von außen betrachtet und sein Äußeres beschrieben, mal das Geschehen und die Bewegungen des Protagonisten extern fokalisiert und sachlich ‚neutral‘ wiedergegeben, und an einer Stelle kommt sogar eine zweite Figur, der alte Mann, intern fokalisiert zu Wort.

So gesehen kann man von einem einzelnen Erzähler eigentlich nur bedingt sprechen. Wenn man von einem nullfokalisierten, ‚allwissenden‘ Erzähler ausgeht, der immer wieder in die Sicht des Betrachteten wechselt (um dessen Innenleben nicht analytisch zu beschreiben, sondern relativ neutral darzustellen), so verwundert andernorts die fehlende Innensicht in den ‚Irren‘, die an entscheidenden Stellen einem externen Erzähler weicht. Die Analyse in Form der oft auftauchenden punktuellen nullfokalisierten Einschübe bildet dabei die Ausnahme.

Um den (oder die) Erzähler als homo- oder heterodiegetisch zu bestimmen, muss also erst geklärt werden, wie homogen die Erzählung (unabhängig von den verschiedenen Fokalisierungsebenen) vermittelt wird. Den Schlüssel dazu kann man in den vielen Vergleichen sehen, die über den ganzen Text verteilt immer wieder auftauchen und eine Einheit der ‚verschiedenen Erzähler‘ herstellen: Das Besondere an den Vergleichen ist die in vielen Fällen auftretende Unsicherheit darüber, wer sie ausspricht. Während Vergleiche wie: „Er wurde im Gesicht rot wie ein Krebs.“ (S. 22) oder „Er sah aus wie ein furchtbarer Teufel.“ (S. 26) eindeutig nicht vom Protagonisten selbst stammen können, also keine Form der direkten Rede darstellen können, sind andere Vergleiche wie „Er verkroch sich darein, wie in einen dicken grünen Teppich.“ (S. 19), „Und dann knackten die Schädel; es gab einen Ton, als wenn jemand eine Nuß mit einem Hammer entzweihaut.“ (S. 21) oder „Die Ähren trug er noch in seiner Hand, und er schwenkte sie vor sich her wie eine goldene Fahne.“ (S. 22) nicht so genau zuzuordnen.

Die Vergleiche schaffen quasi eine Verbindung zwischen Erzähler und Protagonisten, da sie – wie die Beispiele gezeigt haben – mal nur aus Sicht des ‚Irren‘, mal nur aus Sicht des Erzählers und mal nicht genau bestimmbar in den Text eingebaut sind. Bezogen auf Genettes Kategorie der Stimme heißt das, dass der Erzähler zwar eindeutig heterodiegetisch ist, denn er selbst tritt in keiner Weise in der erzählten Welt als Figur auf. Auf metaphorischer Ebene aber verbinden sich die verschiedenen Perspektiven zu einem großen expressionistischen Erzählganzen. Darin wird mal intern fokalisiert in den ‚Irren‘ hineingeblickt, mal wird er nullfokalisiert als „furchtbarer Teufel“ beschrieben, mal wird sein Handeln extern fokalisiert beschrieben. Die unterschiedlichen Fokalisierungsstufen und damit einhergehend die unterschiedliche Art der Information schaffen eine Atmosphäre, die das zentrale Thema der Erzählung, den Wahnsinn, als psychologisch greifbare Größe in den Hintergrund stellt und den Protagonisten als Opfer und Täter in einer für ihn fremden Welt darstellt. Das Vermeiden des Aufgreifens der psychologischen Perspektive wird dadurch deutlich, dass sie durch Einblicke eingeweihter Personen zum Zustand des ‚Irren‘ oder durch Erzählerkommentare eines nullfokalisierten Autors leicht hätte eingebracht werden können. Stattdessen wird diese Herangehensweise an das Thema Wahnsinn vermieden, was sich in die expressionistische Betrachtungsweise des Themas einreiht.

Die Stilmittel und Bilder des Expressionismus (in Heyms Geschichte werden viele der zentralen Themen wie Natur, Stadt, Religion und andere angeschnitten) fungieren als Bindeglied zwischen den Erzählstufen und kitten den Widerspruch der verschiedenen Fokalisierungsstufen, ohne dass – wofür es keine Anhaltpunkte gäbe – der Erzähler wechselt.

Waltraut Schwarz stellt in ihrem Aufsatz „Von Wittenau ins Kaufhaus Wertheim. ‚Der Irre‘ von Georg Heym. Expressionismus durch Weglassen“ das Fehlen der Ortsbezeichnungen als Lösung dar. Für sie funktioniert der „Zauber“ nur, wenn die Welt, in der der ‚Irre‘ unterwegs ist, nicht genau bestimmt ist. Ebenso wie das Konzept des ‚Systems des Weglassens‘ wird also auch in ihrer Analyse der Informationsmangel als Zeichen dafür angeführt, dass es sich hier nicht um eine analytische, gar medizinische bzw. psychologische Studie handelt. Der ‚Irre‘ erscheint nicht als Patient, als Kranker, sondern er ist „ohne menschliches Gesicht. Ohne menschliche Gestalt. Folglich: Ohne Namen, ohne Alter. Ohne Beruf. Ohne Vorgeschichte. Ohne Herkunft.“[19]

Interpretation

Die bereits erwähnten Interpretationen, in denen Heyms Erzählung als sozialkritische Darstellung der Zeitumstände gelesen wird, sehen in der Figur des ‚Irren‘ den perfekten Repräsentanten einer Zeit, die, so führt Waltraut Schwarz an, von Heym selbst als „vor Wahnsinn knallend“[20] bezeichnet wurde.

Anhand der Ergebnisse dieser Arbeit lässt sich diese These durchaus vertreten, denn der ‚Irre‘ wird nicht durch ein psychologisches ‚Portrait‘ präsentiert; die Erzählweise, die unterschiedlichen Perspektiven schaffen eine einzigartige Atmosphäre, in der dem Leser keine eindeutige Haltung dem Protagonisten gegenüber nahegelegt wird: der Titel, die Morde und auch sein ansonsten oft merkwürdiges Verhalten sowie seine Wahnvorstellungen, die in vielen Interpretationen als Träume angesehen werden, markieren den Protagonisten zwar als ‚Irren‘, als Geisteskranken. Gleichzeitig wird aber noch ein anderes Bild von ihm vermittelt, was maßgeblich durch die wechselnde Fokalisierung und die oft abrupt wechselnde Distanz erreicht wird: das Bild des Opfers. Dieses Bild wird einerseits durch seine Erinnerungen erzeugt, andererseits durch seine Außenseiterrolle und sein Fremd-Sein in der Großstadt. In Schönerts Analyse wird seine Vorgeschichte bzw. deren Schilderung sehr gut analysiert: Aufgrund der Beziehung seiner Frau zu einem „Schlafburschen“ schlägt er sie. Daraufhin zeigt sie ihn bei der Polizei an, wo er aufgrund seines Verhaltens in die Irrenanstalt eingewiesen wird. Tatsächlich ‚irre‘ wird er erst in der Anstalt aufgrund der bestialischen und menschenverachtenden Behandlung (beschrieben wird die Gewalt der Wärter, wie sie Insassen verbrühen und sogar, wie die Wärter einen Toten ‚verwurstet‘ hätten). Das kann man daran ablesen, dass seine Gewalttaten am Tag der Entlassung die geschilderten Taten vor der Einweisung in die Anstalt weit übertreffen.

Soweit die Aussagen des ‚Irren‘ selbst, die die These unterstüzen, der Protagonist der Erzählung sei erst in der Anstalt irre geworden, und zwar durch die Behandlung der Wärter, was wieder perfekt zur Interpretation als sozialkritische Erzählung passt.

Dieser Analyse schließt sich allerdings die Frage nach der Glaubwürdigkeit der ‚Erinnerung‘ des Geisteskranken an. Es stellt sich also nicht nur die Frage nach dem unzuverlässigen Erzähler, sondern tatsächlich auch nach dem unzuverlässigen Protagonisten, dessen ‚Erinnerungen‘ ja schließlich (zumindest teilweise) in erlebter Rede verfasst sind.

Natürlich haben wir nicht die Möglichkeit, das Gesagte zu überprüfen (was natürlich wieder auf den Erzähler zurückzuführen ist, der die wenigen vorhandenen nullfokalisierten Stellen nicht auf einen nullfokalisierten Rückblick in die Zeit vor der Entlassung ausdehnt), lediglich die Unsicherheit des ‚Irren‘ („Drei Jahre oder vier Jahre, wie lange hatte er da eigentlich gesessen […]“) lässt Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen zu. Daher muss die Frage nach der Zuverlässigkeit des Protagonisten, mit den Ergebnissen dieser Analyse verknüpft, als unbeantwortbar fallen gelassen werden: da keine psychologische Studie vorliegt, können wir auch nicht in Erfahrung bringen, ob die Gewalt der Pfleger in der Erinnerung nicht lediglich eine Verdrehung der Tatsachen im Kopf eines Geisteskranken ist; wir müssen den Text als das lesen, was er ist: ein expressionistisches Bild über einen Menschen, halb Opfer, halb Täter, in einer ihm fremden Welt.

Fazit

Georg Heyms „Der Irre“ ist eine antipsychologische Erzählung über den Tag der Entlassung eines Geisteskranken. Anhand der drei genettschen Kategorien Zeit, Modus und Stimme lässt sich aufzeigen, wie ein mehrschichtiges und nicht psychologisch analysiertes Bild eines Irren gezeichnet wird, das zu wenige Informationen liefert, um den Protagonisten zu beurteilen bzw. ihn zu analysieren.

Insbesondere die fehlenden Zeitangaben sowie das Fehlen von Ortsbezeichnungen (obgleich in Schwarz‘ Analyse die verschiedenen Orte in Berlin und Umgebung genau rekonstruiert werden), die – oftmals schnellen und nahtlosen – Wechsel der Distanz und Fokalisierung und nicht zuletzt die Verbindung eines heterodiegetischen Erzählers mit dem Protagonisten auf der Ebene der expressionistischen Vergleiche, also des expressionistischen Bildbereiches, der nicht nur inhaltlich eine bedeutende Rolle spielt (beispielsweise bei der Ankündigung der Morde durch Tierbilder), sondern auch in der gesamten Erzählung eine homogene expressionistische Welt schafft, erzeugen diesen Effekt.

All dies führt unweigerlich zu einer Entpsychologisierung des Themas ‚Wahnsinn‘ bzw. ‚Geisteskrankheit‘, da durch die erzähltechnischen Mittel eine eindeutige oder auch nur analytische Darstellung des ‚Irren‘ vermieden wird. Stattdessen wird der Irre als Außenseiter in einer ihm fremden Welt gezeigt, der seinen Geistesregungen ebenso ausgesetzt ist wie seine Opfer.

Das Motiv der Freiheit (im Gegensatz etwa zu dem anfangs zitierten Gedicht) schafft dabei erst explizit das gesellschaftskritische Moment, da erst in der Freiheit die wahren Zwänge der modernen Gesellschaft deutlich werden, die angebliche Freiheit also als ihr Gegenteil enttarnt wird.

Quellen

Heym, Georg: Der Irre, In: Georg Heym. Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe von Karl Ludwig Schneider. Band 2: Prosa und Dramen, Hamburg und München, 1962

Martínez, Matías; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, 9., aktualisierte und überarbeitete Auflage, München 2012

Sekundärquellen

Edith Ihekweazu: Wandlung und Wahnsinn. Zu expressionistischen Erzählungen von Doblin, Sternheim, Benn und Heym, In: Orbis Litterarum (1982), 31, 321-344

Schönert, Jörg: „Der Irre“ von Georg Heym, In: Der Deutschunterricht, 42 (1990)

Sulzgruber, Werner: Georg Heym „Der Irre“. Einblicke in die Methoden und Kunstgriffe expressionistischer Prosa. Erzählen aus der Perspektive des Wahnsinns, Wien 1997

Schwarz, Waltraut: Von Wittenau ins Kaufhaus Wertheim. ‚Der Irre‘ von Georg Heym. Expressionismus durch Weglassen, In: Neue Deutsche Hefte 26 (1979)

[1] Die Theorie und Begrifflichkeiten Genettes sind in dieser Arbeit Martinez‘ und Scheffels Zusammenfassung „Einführung in die Erzähltheorie“ entnommen

[2] Heym, Georg: Der Irre, In: Georg Heym. Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe von Karl Ludwig Schneider. Band 2: Prosa und Dramen, Hamburg und München, 1962, S. 24

[3] Sulzgruber, Werner: Georg Heym „Der Irre“. Einblicke in die Methoden und Kunstgriffe expressionistischer Prosa. Erzählen aus der Perspektive des Wahnsinns, Wien 1997, S. 25

[4] Ebd., S. 25

[5] Ebd., S. 27

[6] Ebd., S. 44

[7] Heym: Der Irre, S. 20

[8] Ebd., S. 19, S. 21

[9] Ebd., S. 25

[10] Ebd., S. 21

[11] Ebd., S. 21

[12] Ebd., S. 23

[13] Ebd., S: 23

[14] Ebd., S. 27

[15] Siehe z.B.: Schönert, Jörg: „Der Irre“ von Georg Heym, In: Der Deutschunterricht, 42 (1990) 2, S. 88

[16] Heym: Der Irre, S. 25

[17] Ebd., S. 25

[18] Ebenso wie Zeitangaben fehlen der Erzählung auch sämtliche genauen bzw. genauer bestimmten Ortsangaben. Waltraut Schwarz bestimmt jedoch in ihrem Aufsatz zu Heyms Erzählung mit dem Titel „Von Wittenau ins Kaufhaus Wertheim. ‚Der Irre‘ von Georg Heym. Expressionismus durch Weglassen“ sämtliche Orte von der Irrenanstalt bis hin zum Kaufhaus als Orte in Berlin und Umgebung. Das Irrenhaus „Dalldorf“ befindet sich in Wittenau, das Stadtzentrum stellt den Leipziger Platz dar und das Kaufhaus identifiziert sie als Kaufhaus Wertheim

[19] Schwarz: Von Wittenau ins Kaufhaus Wertheim, S. 82

[20] Schwarz: Von Wittenau ins Kaufhaus Wertheim, S. 80

Fascism in interwar Central Europe

Fascism can without doubt be called one of the most difficult terms to use, since there are innumerable definitions, both those already existing during its existence and after 1945[1]. This essay, however, pursues the question of what made the various movements of the extreme right so popular in the time between 1918 and 1945, rather than discussing the different definitions. In geographical terms, the answer to this question is limited to Central Europe, a region of which also a variety of definitions exists. In general terms, the essay examines the successor states of the Habsburg Monarchy. In particular, the fascist movements of Hungary and Romania will be analysed, for two simple reasons: for one thing, only in those two countries, except for Austria, the fascist movements became mass movements, and for another, the argument of fascism being only successful in the countries defeated in the First World War and territorial ambitions resulting from this defeat is weakened.

Although not even the variety of historiographical definitions and theories on fascism can be summarized here, a working definition of fascism is necessary, both to define the object of the study and to give a theoretical background to the concrete arguments. On the one hand, Roger Griffin’s concept of fascism as a “palingenetic form of populist ultra-nationalism” shows how all fascist movements are built around the idea of a resurrection of the nation in times in which the old order seems doomed and should thus be replaced by a nation which is not based on any tradition of Enlightenment humanism or any form of “traditional” or “rational” forms of politics.[2] On the other hand, Noël O’Sullivan’s concept of fascism as an “activist style of politics” provides an important addition to the idea of re-building the nation: it is based on the cult of violence and performed in a theatrical way, which should help replace rational politics with a political myth based on emotion.[3]

In addition, antisemitism is understood as an integral part of fascism in Central Europe. According to Stephen Beller, it was part of a social and economic modernization. By rejecting both the socialist and the capitalist versions of modernity, which they both associated with “Judaism”, antisemites built their own irrational modernity. The rebirth of the nation did in Central Europe per se entail the exclusion of the Jewish fellow citizens, since they were, in the eyes of the antisemite movement, part of another “race”, whose rational modernity was rejected.[4] Yet, fascism was not only exclusive in respect to Jews, it also included all classes of society and intended to combine a worker’s cult with a capitalist nationalism (thus National Socialism). This claim of reuniting the alienated parts of society explains the support of fascism by intellectuals, workers, peasants and, most importantly, members of the petty bourgeoisie.

To begin with, the appeal of fascism cannot be explained without the First World War, which was used to generate a cult of violence and the new concept “that war itself would be the mother of radical transformation and revolution by achieving mass mobilization, the shattering of institutional barriers, and an opening for new social and cultural forces.”[5] In this concept, war was a liberating, positive force which revealed the power of the state. In addition, the war had brought broad domestic alliances, or “truces”, which were then, in the fascist reading, destroyed by the “stab-in-the-back” by communists and Jews.

The war also entailed communist uprisings in both Hungary and Romania and can generally be seen as a time of mass political culture, in which modern political and social ideologies became mass movements. In both cases, the identification of the short left-wing uprisings, especially Béla Kun’s Hungarian Soviet Republic, with “Judeo-Bolshevism” is crucial to understand the importance of anti-Communism for the appeal of fascism. As Payne puts it, fascism thrived “on its opposition to socialism and communism, to such an extent that it is appropriate to inquire whether fascism could have succeeded without the opportunity to play off that opposition.”[6] This fear of communism was in Romania even strengthened by a fear of the Soviet Union’s territorial ambitions.[7]

Apart from anti-Communism, the appeal of fascism consisted to a large extent of the unsolved land question in mostly rural Central Europe. The problem remained unsolved by the conservatives after the war and the Left was unable to solve it, since Communist parties – in consequence of the left-wing uprisings – were prohibited and the Social Democrats, although in Hungary part of the parliament until 1944, did not even try to organize the agricultural labourers due to their weak position.[8] In this situation, the extreme Right seemed the only possibility for the mass of impoverished peasants to improve their situation. In Romania, Codreanu’s Iron Guard depicted the peasantry as the essence of Romania and thus used the social situation to announce the palingenesis of the (peasant) nation.[9] In addition, the absence of a communist or powerful social-democrat alternative in the political spectrum of both countries can also explain the support of the various fascist movements by workers. A part of the appeal of fascism might thus for some simply have been the absence of an alternative.

Especially in Hungary also the success of Germany in its foreign policy from 1938 onwards contributed to the popularity of fascism, since Germany was – not only by the fascists – seen as the force which could help Hungary reverse the terms of the treaty of Trianon and regain at least parts of its pre-war territories. Interestingly, even in Romania, where fascism arose before the loss of territories due to the Second Vienna Award in 1940, the Legion as pro-German force gained strength after France’s defeat and thus the loss of Romania’s traditional protective power.

Yet, the appeal of fascism in Central Europe was not its importation from and its links to Italy and Germany, but rather that it appeared native and natural from within, which is essential for the fascist’s argument that they would rebuild the eternal nation, which of course only Hungarians or Romanians, respectively, could do.

To understand the above mentioned concept of antisemitism as a rejection of a supposedly Jewish rational modernity, we must have a closer look at the history of pre-war anti-Jewish thought in both countries and Central Europe in general. Most importantly, in the nineteenth century a shift occurred from the Enlightenment idea of Jewish emancipation by means of losing a Jewish identity and gaining a new national identity instead to a racial thinking, underpinned by biological “science”, that Jews were a separate “race” which could by no means participate in the national project. In broader terms, the definition of modernity had shifted to a more collectivist model and race had become the defining category of the idea of the nation state. In Hungary this kind of antisemitic and proto-fascist propaganda had been tackled by the elites before the war, which saw the Jews as the economic backbone of modernization and a means of gaining a Magyar majority in Transleithania. After 1919, however, Jews were seen – not only by fascists – as communist traitors and no longer needed to be labelled Magyars, and thus became the main victim of the fascist propaganda. In Romania, Codreanu could build on the discrimination against Jews of pre-war governments, which declared that most Jews in Romania were foreign and hence not citizens. This exclusion of one group of the Romanian society became even more radical after the gain of new territories in 1920, where many only Yiddish-speaking Jews were living.[10] The idea of Jews not being part of the nation emerged thus in both cases in the long nineteenth century and can be – in spite of the different reaction to Jews of pre-war governments – considered a central part of the building of a new society.

In conclusion, the appeal of fascism can be explained not only by the direct effects of the war – the short-lived communist uprisings and the economic situation –, but rather in the fascist modernity with its roots in pre-war European thought and its association of both capitalist and Marxist modernity with the “Jewish question”. In addition, long-term problems as the land question remained unsolved in the rural societies of Central Europe and an argument for the fascist revolution, which would rise phoenix-like out of the ashes of the old state. Jews could by racial definition not be part of this new and at the same time eternal Volksgemeinschaft.

Bibliography

Beller: Antisemitism. A Very Short Introduction, Second Edition (Oxford: Oxford University Press, 2015).

Carsten, F. L.: The Rise of Fascism, Second Edition (Berkeley: University of California Press, 1980).

Griffin, Roger: The Nature of Fascism (London: Routledge, 1993).

O’Sullivan, Noel: Fascism (London: Dent, 1983).

Passmore, Kevin: Fascism. A Very Short Introduction (Oxford: Oxford University Press, 2002).

Payne, Stanley G.: Civil War in Europe, 1905-1949 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011).

[1] For an overview see: Griffin, Roger: The Nature of Fascism (London: Routledge, 1993), pp. 1-8.

[2] Ibid.

[3] O’Sullivan, Noël: Fascism (London: Dent, 1983).

[4] Beller: Antisemitism. A Very Short Introduction, Second Edition (Oxford: Oxford University Press, 2015).

[5] Payne, Stanley G.: Civil War in Europe, 1905-1949 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), p. 18.

[6] Ibid, p. 68.

[7] Passmore, Kevin: Fascism. A Very Short Introduction (Oxford: Oxford University Press, 2002), p. 85.

[8] Carsten, F. L.: The Rise of Fascism, Second Edition (Berkeley: University of California Press, 1980), p. 172.

[9] Passmore: Fascism, p. 83.

[10] Beller: Antisemitism, p. 11-87.

Brechts “Trommeln in der Nacht” – ein modernes Revolutionsstück

„Glotzt nicht so romantisch!“[1] Kaum eine Aufforderung bringt die Grundidee von Brechts Epischem Theater kürzer und treffender auf den Punkt, nämlich die Auflösung der Illusion im Theater, die Aufforderung an das Publikum, sich mit dem Geschehen auf der Bühne kritisch auseinander zu setzen und aus den vorgeführten Umständen ebenjene in der Realität zu ändern. Dennoch zählt das Stück, zu dessen Uraufführung an den Münchner Kammerspielen im Jahre 1922 Plakate mit unter anderem ebenjener Aufforderung auf Brechts Wunsch hin im Zuschauerraum hingen, nämlich „Trommeln in der Nacht“ – ursprünglich hatte Brecht dem Stück den Namen „Spartakus“ gegeben – nicht zur Gattung des Epischen Theaters, das in der Forschung zum ersten Mal in „Mann ist Mann“ in Erscheinung tritt.[2]  Hin und hergerissen ist die Wissenschaft, wenn es um die Einordnung des Stückes in eine Theatergattung geht: Konrad Feilchenfeldt etwa fasst das Stück als ‘Zeitstück’ auf[3], Hans Kaufmann hebt das Komödienhafte bei seiner Einordnung hervor[4], Werner Hecht will es als Auseinandersetzung mit dem Expressionismus wissen[5], Manfred Voigts mit der Romantik.[6]

Doch nicht nur dass das Stück in der Forschung nicht recht in eine bestimmte Gattung einzuordnen ist, es entbehrt auch generell eines allzu großen Interesses: „Überhaupt liegt Trommeln in der Nacht der gegenwärtigen Forschung etwas fern. Wie Hans Kaufmann richtig bemerkt, steht ‘das Stück des Zwanzigjährigen […] in der heutigen Brecht-Debatte im Schatten der späteren Werke des Dichters.’“[7] Dennoch meint jener Hans Kaufmann eben auch, dass in den „Trommeln“[8] „[…] so bedeutende Ansätze der Erneuerung eines realistischen Dramas [stecken], daß man von seinem Erscheinen eine neue Phase in der Geschichte des deutschen Dramas datieren kann.”[9]

Die dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung ist, in welchem Maße Elemente aus Brechts epischem Theater in „Trommeln in der Nacht“ bereits vorhanden sind. Dabei geht es von bühnentechnischen Mitteln wie den bereits erwähnten Plakaten sowie der Nutzung von Musik über spezifisch antiillusionistische Mittel in der Sprache und der bewusste Zerstörung der romantischen Emotion in den Gesprächen hin zur von Brecht in frühem wie spätem Stadium benutzten Gestik. Daran soll deutlich werden, dass es in dem Stück zwar schon – entgegen Brechts eigenem späteren Urteil – eine Verfremdung des Vorgangs auf der Bühne gibt, diese aber noch in ihren Grundzügen steckt bzw. in einer anderen Art und Weise vorhanden ist als in den späteren Stücken, die die Forschung zur Gattung des epischen Theaters zählt.

Epische Elemente in “Trommeln in der Nacht”

Hintergrund/Umwelt

Eines der markantesten Mittel Brechts, bereits in den „Trommeln“ durch das Bühnenbild und die  Umwelt der dramatischen Konstellation Einfluss auf den Zuschauer zu nehmen, sind Plakate im Zuschauerraum, die bereits zu Beginn erwähnt wurden. Diese erinnern den Zuschauer nicht nur daran, das Geschehen nicht zu romantisieren und ihm somit die politische Relevanz und Reflexion auf die eigene Wirklichkeit zu nehmen, sondern kündigen auch die Handlung des kommenden Aktes an, zwar nicht wie beispielsweise im Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“ durch konkrete Angaben des kommenden Geschehens zwecks Vernichtung der Spannung und Konzentration auf die Art der Darstellung, doch durch Vorausdeutungen der Thematik bzw. durch inhaltliche Anregungen, durch die der Zuschauer das Geschehen unter ebendiesen Aspekten betrachten kann. Es wird somit Einfluss auf die Betrachtungsweise des Zuschauers genommen, seine Wahrnehmung soll in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, ebenso wie der Zuschauer beispielsweise im „Guten Mensch von Sezuan“ durch die Apostrophen der Schauspieler ans Publikum zu einer ganz spezifischen Deutung gelangen soll, nur dass dieser Effekt in den „Trommeln“ noch schwach zu erkennen ist. Am deutlichsten wird die Einflussnahme auf den Zuschauer im vierten Akt, der mit dem Plakat „Es kommt ein Morgenrot“ den Morgen der Revolution beschreibt, denn die Bezeichnung Morgenrot nimmt voraus, dass die ‘rote’ Revolution – wie das Morgenrot des Tages am Mittag vergangen ist – sich ebenso wandeln bzw. vergehen wird wie Kraglers revolutionäre Haltung am Ende des Stückes.

Für Astrid Oesmann sind nicht nur die Schilder Teil eines „[…] complex network of epic components that simultaneously support and interrupt the fable of the play. The stage directions, for example, call for signs bearing the title of each act to serve as part of the set. The sign simultaneously announces the title of the act and imports Kragler’s fragmented past into the bourgeois present “[10] Meiner Meinung nach bieten sie jedoch nicht allein Einblick in seine Vergangenheit, sondern sind auch – wie gerade geschildert – eine konkrete Einflussnahme auf den Zuschauer.

Doch nicht allein die Plakate bezeugen ein ‘unterbewusstes’, zumindest aber noch nicht konzeptionalisiertes Benutzen epischer Elemente in den „Trommeln“. Vor allem der Rote Mond aus Pappe, der sinnbildich für die Revolution beim Auftauchen Kraglers rot aufglüht und den er am Ende mit einer Trommel vom ‘Himmel’ wirft, parodiert sowohl die romantische Sicht auf die Revolution als auch auf das Theater selbst. Guy Stern meint dazu: „Der rote Mond dient also nicht nur dem politischen Engagement, wenn von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, sondern in erster Linie der Darstellungstechnik: Er ist meines Erachtens das erste Beispiel einer Brechtschen Verfremdung. So wird dieses Stilmittel auch von Marianne Kesting aufgefaßt: ‘Die Sprüche im Zuschauerraum, in deutlicher Absicht des épater le bourgeois angebracht, enthielten zugleich einen Angriff auf die Wirklichkeitsidentifikation der naturalistischen Bühne. Durch allerlei Verfremdungen wie das Aufglühen des roten Monds . . . übertrug Brecht die Vorgänge auf eine parabolische Ebene und betonte das Spiel als Spiel.’“[11] Die Auffassung des Mondes als erstes Verfremdungsmittel ist insofern gerechtfertigt, als dass der Mond nicht nur ein parodistisches Bühnenelement ist, durch das eine Romantisierung der Bühnenvorgänge verhindert werden soll, sondern sich auch in den Dialogen widerspiegelt: Kragler meint etwa, als Anna ihm gesteht, schecht zu sein, da sie nicht bis zuletzt auf ihn gewartet habe: „Ich weiß nicht, was du sagst. Aber vielleicht ist es der rote Mond.“[12] Der Kellner Manke meint später auch: „Er hat den Mond im Kopf.“[13] und verwendet somit wieder die bühnentechnische ‘Umwelt’ Kraglers, um seinen Zustand zu beschreiben. Der Bühnenhintergrund greift also sowohl in die inhaltliche als auch in die rezeptionelle Ebene ein, indem den Zuschauern deutlich gemacht wird, dass Kraglers revolutionäres Verhalten lediglich den ‘roten Umständen’ der Zeit geschuldet sind, ihm ein tiefes revolutionäres Denken jedoch fehlt.

Musik

Zahlreiche Lieder durchbrechen das Geschehen des Stückes bzw. begleiten es, zwar noch nicht in epischer Weise von den Schauspielern den Erzählfluss unterbrechend vorgetragen, doch Brecht selbst schreibt 1935 in einer Abhandlung Über die Verwendung von Musik für ein episches Theater: „Für episches Theater wurde, soweit es meine eigene Produktion betrifft, in folgenden Stücken Musik verwendet: „Trommeln in der Nacht“, „Lebenslauf des asozialen Baal“, […]. In den ersten paar Stücken wurde Musik in ziemlich landläufiger Form verwendet; es handelte sich um Lieder oder Märsche, und es fehlte kaum je eine naturalistische Motivierung dieser Musikstücke. Jedoch wurde durch die Einführung der Musik immerhin mit der damaligen dramatischen Konvention gebrochen […]“[14]

Neben den politisch motivierten Liedern, also des Deutschlandliedes zur Verdeutlichung der nationalistischen Haltung der Balickes (Balicke meint über das Lied: „Das ergreift mich immer wieder.“[15]) sowie die Marseillaise als Ankündigung der Revolution, die Brecht in der zweiten Fassung durch die Internationale ersetzt[16], begleiten auch vor allem religiöse Lieder wie „Ich bete an die Macht der Liebe“ oder Gounods „Ave Maria“ die Handlung. Deutlich wird dabei, dass durch die Lieder ebenso wie bereits beim Bühnenbild bzw. den Plakaten Einfluss auf die Rezeption des Zuschauers genommen wird, das Stück geht also über den Text hinaus und bildet eine Vorform der späteren Verwendung von Musik für Brechts Theater.

Lediglich gegen Ende hin, im vierten Akt, kommen songmäßige Elemente im Stück auf: So singt ‘Der besoffene Mensch’ zwei mal gegen Ende des vierten Aktes die Zeilen:

„Meine Brüder, die sind tot

Und ich selbst wär’s um ein Haar

Im November war ich rot

Aber jetzt ist Januar“[17]

Zwar wird hierdurch die Handlung nicht wie später etwa in der Dreigroschenoper unterbrochen, um das Geschehen zu kommentieren, doch ebenso wie das gleich auf diese Zeilen folgende von Kragler vorgetragene Lied „Ein Hund ging in die Küche“, das jedoch nicht an einem Stück, sondern bis zum Ende des Aktes strophenweise die Trialoge unterbricht, nimmt es Stellung zur Handlung und unterbricht diese zeitweise.

Illusion/Antiillusion

Obwohl Brecht selbst später schreibt, das Mittel der Verfremdung habe ihm nicht zur Verfügung gestanden, kann man zusätzlich zu den bereits genannten Mitteln der Bühnentechnik auch in der Sprache Tendenzen erkennen, die eine antiillusionistische Tendenz erkennen lassen. An mehreren Stellen wird so deutlich, dass manche Äußerungen der Schauspieler auch an das Theaterverständnis der Zuschauer gerichtet sind: Balicke sagt beispielsweise im ersten Akt, um Anna davon zu überzeugen, Murk zu heiraten: „Also mach du nur keine Oper!“[18]. Im zweiten Akt wird wieder auf die Oper angespielt: „Kellner tritt vor[zu Murk]: Waren Sie beim Militär? Murk: Nee. Ich gehöre zu den Leuten, die eure Heldentaten bezahlen sollen. Die Walze ist kaputtgegangen. Babusch: Reden Sie doch keine Oper! Das ist ja ekelhaft. Schließlich haben Sie doch verdient, nicht? […] Balicke: Sehen Sie, das ist es, worauf es ankommt. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Das ist keine Oper. Das ist Realpolitik.“[19]

Gegensätzlich dazu stehen jedoch die steten Anspielungen auf Kraglers ‘gespenstische’ Gestalt: Bei seinem Erscheinen meint er etwa: „Na, was schauen Sie denn so überirdisch? Auch Geld für Kränze hinausgeschmissen? Schade drum! Melde gehorsamst: habe mich in Algier als Gespenst etabliert.“[20] Deutlicher wird es sogar noch später, als Balicke ihm vorwirft: „Sie sind überhaupt nur aus einem Roman. Wo haben Sie ihren Geburtsschein?“[21] oder als ihn die Prostituierte Auguste im Fünften Akt fragt: „Hast du eine Erscheinung?“[22] Diese scheinbar gegensätzlichen Tendenzen lassen sich dadurch erklären, dass er nicht „[…] den Helden der Revolution [verkörpert], den er gar nicht verkörpern will, sondern den Helden des Kriegs als Überlebenden.“[23], wie Konrad Feilchenfeldt meint. Dem stimme ich insofern zu, als dass Kraglers illusionistische Darstellung, die noch dadurch verstärkt wird, dass sich Kragler mit dem exakten Wortlaut vorstellt, den Anna vorausgesagt hatte, seiner Existenz als Kriegsheimkehrer geschuldet ist und an dieser Stelle einen rein inhaltlichen Bezug herstellt, keinen zur dramentechnischen Form, was deutlich macht, dass ein antiillusionistischer Verfremdungseffekt im Stück noch in den Kinderschuhen steckt und nicht durchgängig Verwendung findet.

Der deutlichste Angriff auf die Illusion des Theaters findet sich jedoch ganz am Ende des Stückes, als Kragler in bereits epischer Weise dem Publikum entgegen ruft: „Es ist gewöhnliches Theater. Es sind Bretter und ein Papiermond und dahinter die Fleischbank, die allein ist lebhaftig.“[24] und mit seiner Trommel den Papiermond vom ‘Himmel’ wirft. Erneut spricht er das Publikum direkt an: „Glotzt nicht so romantisch! Ihr Wucherer! Trommelt. Ihr Halsabschneider! Aus vollem Halse lachend, fast erstickend: Ihr blutdürstigen Feiglinge, ihr!“[25] Es ist kaum zu leugnen, dass es sich hierbei um epische Elemente handelt. Das Theater wird als solches enttarnt, die (romantische) Illusion zerstört, was sogar noch durch die Regieanweisungen unterstrichen wird, die an dieser Stelle deutlich machen, dass der Mond „[…] ein Lampion war […]“ und der Fluss „[…] kein Wasser hat.“[26]

Werner Hecht meint zum Thema der Illusion im Stück, dass Brecht „Von vornherein versuchte, […] ein Wirklichkeitsabbild zu geben ohne Illusionen über diese Wirklichkeit, ohne Illusionen über die Möglichkeiten des bürgerlichen Menschen.“[27] Dies ist – wie dargestellt – nur insofern richtig, als dass es zwar deutliche und weniger deutliche Angriffe auf die Illusion der Bühne gibt, jedoch auch in der Gestalt des Kragler diese Tendenzen teilweise revidiert werden.

Emotion

Eine der durchgängigsten Tendenzen des Stückes ist die systematische Zerstörung der Emotionen. Dies kann man einerseits als Parodie auf den romantischen Pathos ansehen, andererseits aber auch als antiillusionistisches Element, das dem Zuschauer die romantische Indentifizierung mit den Personen erschweren soll. Schon im ersten Akt, als Balicke seiner Tochter die (romantische) Erinnerung an Kragler nehmen will und sie von Murk überzeugen will – „Balicke: Na, er [Murk] bringt dich schon rum, er braucht nur gewisse Vollmachten, so was wird am besten in der Ehe geschmissen. Ich kann dir das nicht so erklären, du bist zu jung dazu! Kitzelt sie. Also: es gilt? Anna: lacht schleckig: Ich weiß gar nicht, ob der Friedrich will!“[28] – wird die Vorstellung einer romantischen Liebesbeziehung zerstört, ebenso als Anna Murk anschließend sagt: „Das zwischen uns, das ist nichts!“[29] und Murk sie dann „[…] mit Gelassenheit“[30] küsst. Neben dem Vater, der immer wieder zotenreich die Beziehung zwischen den beiden kommentiert und der sehr unromantisch und merkwürdig geschilderten Liebesbeziehung zwischen Anna und Murk ist beispielsweise auch Annas erste Reaktion auf Kraglers Ankunft, auf den sie vier Jahre lang gewartet hat: „Anna nimmt eine Kerze auf, steht ohne Haltung, leuchtet ihm ins Gesicht: Haben dich nicht die Fische gefressen?“ und kurz darauf „Haben Sie dich nicht ins Gesicht geschossen?“[31] ebenso ’emotionslos’ wie Kraglers Antwort auf Annas Geständnis, sie hätte auf ihn warten sollen: „Kragler: Du hättest eine Photographie gebraucht.“[32] Die Emotion wird zerredet, sobald sie aufkommt. Ein noch drastischeres Beispiel ist das Gelächter aller Personen in der Kneipe, als Kragler Anna seine Liebe gesteht. Das an sich romantische Wiederfinden Kraglers und Annas endet mit Kraglers Worten: „Das Geschrei ist alles vorbei, morgen früh, aber ich liege im Bett morgen früh und vervielfältige mich, daß ich nicht aussterbe.“[33] An diesen wenigen Beispielen wird deutlich, wie jedes emotionelle Moment bewusst zerstört wird, um die Zuschauer an der Einfühlung in die Personen zu hindern. Wiederum wird hier die Tendenz deutlich, dass eine Verfremdung bzw. antiillusionistische Absicht in anderer Form als in den späteren Stücken vorherrscht, man diese Tendenzen aber in ihrer Wirkung dennoch nicht abstreiten kann.

Gestik

Ein Element, das man sowohl in Brechts frühen als auch in den späten epischen Stücken in gleicher Form erkennen kann ist das der Gestik. Für Brecht selbst „[…] zeichnet [der Gestus] die Beziehungen von Menschen zueinander. Eine Arbeitsverrichtung zum Beispiel ist kein Gestus, wenn sie nicht eine gesellschaftliche Beziehung enthält wie Ausbeutung oder Kooperation.“[34] Auch Astrid Oesmann sieht in den „Trommeln“ bereits Brechts spätere gestische Theorie verwirklicht: „Epic components and Gestus combine in a system of internal quotation that constitutes both Kragler’s presence and the presentation of his past. These components, usually associated with Brecht’s later work, serve here the aesthetic fragmentation of the subject.“[35]

Die in den Regieanweisungen angegebene Gestik zeigt besonders an einem Beispiel den Einfluss auf die inhaltliche Ebene: Das Sitzen wird als gestische Metapher für die gescheiterte Revolution benutzt: Balicke meint etwa im zweiten Akt: „Balicke gedämpft: Bring ihn [Kragler] zum Sitzen! Er ist schon halb eingeseift. Im Sitzen gibt es kein Pathos. Laut: Setzt euch alle!“[36] Babusch bringt Kragler daraufhin tatsächlich zum Sitzen, muss ihn jedoch ein zweites Mal niederdrücken, weil dieser erneut aufgestanden ist. Immer wieder im Laufe des zweiten Aktes setzt er sich und steht wieder auf. Als Anna ihn im vierten Akt erneut auffordert, sich zu setzen, bleibt Kragler jedoch in der Tür stehen, was wiederum ein zweites Stilmittel ist, das sich im Stück immer wieder findet und durch das die Zerrissenheit Kraglers zwischen Revolution und kleinbürgerlicher Reaktion verdeutlicht wird. Zugespitzt und parodisiert wird dieses Stilmittel dann im letzten, mit dem Untertitel „Das Bett“ versehenen Akt und Kraglers Worten „Jetzt kommt das Bett, das große, weiße, breite Bett, komm!“[37] Später wird die Symbolik auch auf Murk übertragen: „Murk: Braut! Ist sie das? Ist sie meine Braut? Bricht sie nicht schon aus? Ist er wieder da? Liebst du ihn? Schwimmt die grüne Nuß hinunter? Juckt’s dich nach afrikanischen Schenkeln? Weht der Wind daher? Babusch: Das hätten Sie in einem Stuhl nicht gesagt!“[38]

Außer diesem eher darstellungstechnischen Gestus wimmeln die Regieanweisungen jedoch auch ansonsten von sehr deutlichen und demonstrativen gestischen Anweisungen, die die Intention des Gesagten deutlich unterstreichen. Werner Hecht meint zudem: „Das Gestische, Mimische, auch Akustische lobte Brecht, wenn darin mehr zum Ausdruck, zur Anschauung gebracht wurde, als der bloße Texte besagte.“[39] Dies ist insofern richtig, als dass gestischen Regieanweisungen oft alltägliche Dinge dastellen wie Balickes Rasur am Anfang, das viele Trinken oder das Wasserlassen zweier unbekannter Männer, wodurch eine natürliche, alltägliche Stimmung vermittelt wird, was wiederum einem abgehobenen romantischen Theaterkonzept entgegengesetzt ist.

Fazit

Sucht man gezielt nach epischen Elementen in „Trommeln in der Nacht“, so kann man diese durchaus an vielen Stellen und auf unterschiedliche Art und Weise feststellen: Von den Schildern, die den Zuschauer ihre romantischen Sichtweisen an den Kopf werfen und die Thematik des folgenden Aktes ankündigen über musikalische Unterbrechungen und Einflussnahme auf den Inhalt und die Betrachtungsweise der Zuschauer, die in der Sprache zutage tretende antiillusionistische Tendenz – Kraglers Gestalt ausgenommen – und der Zerstörung der romantischen Emotion hin zur brechtschen Gestik findet sich ein reiches Repertoir an Stilmitteln, die man einem ‘frühen’, noch nicht entwickelten Verfremdungseffekt zuordnen kann. Was die Resultate dieser Arbeit jedoch nicht rechtfertigen ist eine Zuordnung des Stückes in die Reihe der epischen Werke Brechts, insofern widerspricht sie in diesem Punkt nicht der Forschungslage. Selbst wenn viele Tendenzen erstaunlich antiillusionistisch anmuten, so bleiben es Elemente in einem Stück, das an sich nicht die Verfremdung als oberstes Ziel hat und die Handlung über ebenjenes Konzept des epischen Theaters an den Zuschauer heranführt. Zudem steht einer solchen Einordnung in Brechts spätere – marxistisch orientierte – Werke im Wege, dass es keine eindeutige politische Botschaft enthält, was Brecht sebst auch Jahre später an seinem frühen Werk bemängelt. Es fehlt der lehrstückhafte Charakter, das Deutlichmachen bestimmter ökonomischer oder machtpolitischer Strukturen wie etwa in der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ oder dem „Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“. Brecht ist in Fragen der Revolution in jenen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ebenso zerrissen wie sein Protagonist in den „Trommeln“, Andreas Kragler, der Artillerist aus Afrika.

Bibliographie

Werke und Quellen

Brecht, Bertolt: Trommeln in der Nacht, Frankfurt am Main 1967

Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke 15. Schriften zum Theater 1. Über Bühnenbau und Musik des epischen Theaters, Frankfurt am Main 1967

Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke 16. Schriften zum Theater 2. Neue Technik der Schauspielkunst. Gestik, Frankfurt am Main 1967

Sekundärliteratur

Feilchenfeldt, Konrad: Bertolt Brecht. „Trommeln in der Nacht“ Materialien, Abbildungen, Kommentar, München, Wien 1976

Hecht, Werner: Brechts Weg zum epischen Theater. Beitrag zur Entwicklung des epischen Theaters 1918 bis 1933, Berlin 1962

Kaufmann, Hans (Philologe): Bertolt Brecht – Tragödie, Komödie, Episches Theater, Ost-Berlin 1962

Kaufmann, Hans (Philologe): “Drama der Revolution und des Individualismus: Brechts Drama ‘Trommeln in der Nacht’“,  In: Weimarer Beiträge, VII (1961)

Oesmann, Astrid: The Theatrical Destruction of Subjectivity and History: Brecht’s Trommeln in der Nacht, In: The German Quarterly 70 (1997)

Stern, Guy: Brechts “Trommeln in der Nacht” als literarische Satire, In: Monatshefte 61 (1969)

Van Laak, Lothar: Medien und Medialität des Epischen in Literatur und Film des 20. Jahrhunderts. Bertolt Brecht – Uwe Johnson – Lars von Trier, München 2009

Voigts, Manfred: Brechts Theaterkonzeptionen. Entstehung und Entfaltung bis 1931, München 1977

[1]Bertolt, Brecht: Trommeln in der Nacht, Frankfurt am Main 1967

[2]Siehe hiezu: Lothar Van Laak: Medien und Medialität des Epischen in Literatur und Film des 20. Jahrhunderts. Bertolt Brecht – Uwe Johnson – Lars von Trier, München 2009, S. 187

[3]Konrad Feilchenfeldt: Bertolt Brecht. „Trommeln in der Nacht“ Materialien, Abbildungen, Kommentar, München, Wien 1976

[4]Hans Kaufmann (Philologe): Bertolt Brecht – Tragödie, Komödie, Episches Theater, Ost-Berlin 1962, S. 136

[5]Werner Hecht: Brechts Weg zum epischen Theater. Beitrag zur Entwicklung des epischen Theaters 1918 bis 1933, Berlin 1962, S. 9

[6]Manfred Voigts: Brechts Theaterkonzeptionen. Entstehung und Entfaltung bis 1931, München 1977, S. 58

[7]Guy Stern: Brechts “Trommeln in der Nacht” als literarische Satire, In: Monatshefte 61 (1969), S. 241-260, hier S. 241

[8]Im Folgenden soll hier das Stück – wie in der Forschung üblich – lediglich als „Trommeln“ genannt werden

[9]Hans Kaufmann, “Drama der Revolution und des Individualismus: Brechts Drama ‘Trommeln in der Nacht’“,  Weimarer Beiträge, VII (1961), S. 316

[10]Astrid Oesmann: The Theatrical Destruction of Subjectivity and History: Brecht’s Trommeln in der Nacht, In: The German Quarterly 70 (1997), S. 136-150, hier S. 138

[11]Stern: Brechts “Trommeln in der Nacht” als literarische Satire, S. 251

[12]Brecht: Trommeln, S. 25

[13]Ebd. S. 40

[14]Bertolt Brecht: Gesammelte Werke 15. Schriften zum Theater 1. Über Bühnenbau und Musik des epischen Theaters, Frankfurt am Main 1967, S. 472

[15]Brecht: Trommeln, S. 14

[16]Sieh hierzu etwa: Stern: Brechts „Trommeln in der Nacht“, S. 250

[17]Brecht: Trommeln, S. 48

[18]Ebd., S. 8

[19]Ebd., S. 30

[20]Ebd., S. 18

[21]Ebd., S. 37

[22]Ebd., S. 52

[23]Feilchenfeldt: Bertolt Brecht. „Trommeln in der Nacht“, S. 95

[24]Ebd., S.59

[25]Ebd., S. 59

[26]Ebd., S. 59

[27]Hecht: Brechts Weg zum epischen Theater, S. 10

[28]Brecht: Trommeln, S. 10

[29]Ebd., S. 11

[30]Ebd., S. 11

[31]Ebd., S. 24

[32]Ebd., S. 25

[33]Ebd., S. 59

[34]Bertolt Brecht: Gesammelte Werke 16. Schriften zum Theater 2. Neue Technik der Schauspielkunst. Gestik, S. 753

[35]Oesmann: The theatrical destruction, S. 138

[36]Brecht: Trommeln, S. 27

[37]Brecht: Trommeln, S: 59

[38]Ebd., S. 35

[39]Hecht: Brechts Weg zum epischen Theater, S. 16

Wohnungsbau in Rom und Moskau in den 1920er Jahren im Vergleich

Der gewaltige „Palast der Sowjets“ (oder vielmehr dessen Plan) inmitten stalinistischer Prunkarchitektur auf der einen Seite, die freigelegte Via dell’Impero oder die Città Universitaria auf der anderen Seite. Das könnten die ersten Assoziationen zum Städtebau im sozialistischen Moskau und dem faschistischen Rom sein. So bedeutend diese propagandistischen Großprojekte auch sind, reicht ein Blick auf sie bei weitem nicht aus, um den politischen Gehalt der städtebaulichen Hauptstadtpolitik zu erschließen. Gerade vom vielleicht marginal erscheinenden Bereich des alltäglichen Wohnens und des dafür nötigen Wohnungsbaus geht also diese Arbeit aus und sucht durch eine vergleichende Perspektive einen breiteren Blickwinkel zu erreichen.

Interessant macht den Vergleich gerade Moskaus und Roms die fast zeitgleiche Machtergreifung der beiden neuen, jeweils auf ihre Weise revolutionären und sicherlich durch den 1. Weltkrieg erst ermöglichten und durch ihn geprägten Regierungen. Sowohl die Bolschewiki unter Lenin also auch die italienischen Faschisten unter Mussolini wollten einen neuen Staat mit einem neuen Menschen, beide verstanden sich als Befreier vom Alten, auch wenn dies in Italien mit einem Antikekult verbunden war. Im Bereich des Wohnungsbaus spiegelt sich dies wie wir sehen werden durch unterschiedliche Herangehensweisen mit trotzdem teilweise ähnlichen Resultaten wieder.

In dieser Arbeit soll dieser Vergleich anhand der Fragestellung durchgeführt werden, was der Wohnungsbau über die jeweiligen Legitimations- und Herrschaftsmechanismen aussagt. Der betrachtete Zeitraum beschränkt sich dabei auf die 1920er Jahre, also von 1917/1922 bis ca. 1930. Dies ist nicht nur des Umfangs der Arbeit geschuldet, sondern auch der Präzision der Fragestellung auf die Etablierungsphase der beiden Systeme. Der betrachtete Gegenstand ist – um die gestellte Frage beantworten zu können – der gesamte Wohnungsbau, es handelt sich also nicht allein um einen Vergleich nur der sozialen Wohnungsbaumaßnahmen. Dies bezieht sich freilich vor allem auf das Beispiel Rom.

Zunächst soll – nach einem kurzen Überblick über die allgemeine Bedeutung des Wohnungsbaus für beide Regime – der ideengeschichtliche Hintergrund verglichen werden, den der Bereich des Wohnens umfasste, um die ideologischen Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Anschließend sollen die Planungen den tatsächlich umgesetzten wohnungsbaulichen Maßnahmen entgegengestellt werden, um die sich im konkreten Handeln ergebenden Herrschaftsmechanismen zu analysieren.

Geschichtlicher Überblick

Zentral für das Verständnis des Faschismus, gerade auch in Bezug auf den Bereich des Wohnungsbaus, ist seine Konzentration auf die die Bewegung tragenden Mittelschichten, deren Kern die „qualitativ stark zunehmenden Angestellten der neu geschaffenen oder ausgebauten staatlichen Institutionen“[1] waren. Bereits in den ersten Jahren nach der Machtergreifung der Faschisten erkennt man in den wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen, die der Bewegung zwar Sympathien beim bürgerlichen Lager einbrachten, jedoch zu Lasten der Arbeiterschaft gingen, die mit Lohnkürzungen konfrontiert wurden, dass sich das Regime in der Hauptstadt vor allem unter den Beamten seine loyalsten Anhänger suchte und fand.[2] Damit verbunden ist die Tatsache, dass der Wohnungsbau in Rom weit mehr als in Moskau von einer Heterogenität geprägt war, die sich durch die später vorgestellten verschiedenen Institute und die nicht wie im sowjetischen Fall aktiv umgestaltete Sozialstruktur ergab. Gleichermaßen wurden Arbeiter- wie Villenviertel für die Oberschicht gebaut, kurz: Die Idee des neuen faschistischen Menschen bedeutete nicht, Klassenunterschiede im Bereich des Wohnens aufzulösen. Vielmehr bestand die Trennung der verschiedenen Schichten weiter, gerade auch, wie wir sehen werden, im Wohnungsbau. Dennoch sollten sie durch die Klammer der faschistischen Partei zusammengehalten werden.

Allgemein gesprochen stand in den ersten Jahren des Regimes der Umbau der Innenstadt im Vordergrund, während die gezielte Stadterweiterung eher in die dreißiger Jahre fällt. Dies wird am Piano Regolatore von 1931 deutlich, der erstmals konkrete Planungen für den Bau neuer Stadtviertel im Erweiterungsgebiet Roms vorsah. Eine erste wichtige, wenn auch mehr oder minder offensichtliche Tendenz im Städtebau Roms war die starke Konzentration auf Repräsentanz und Antikenkult. Der Wohnungsbau spielt zwar auch immer eine für die Legitimation des Regimes wichtige Rolle, dennoch erkennen wir im Unterschied zu Moskau bereits in den 20er Jahren, also noch in der Konsolidierungsphase des neues Regimes, zahlreiche repräsentative Maßnahmen und den Umbau der Innenstadt zu propagandistischen Zwecken.

Moskau bildet ein sehr unterschiedliches Bild, obgleich auch Gemeinsamkeiten vorliegen, die den Vergleich nahelegen. Die wohl wichtigsten Unterschiede zum Fall Rom sind zum einen die soziale Beschaffenheit Moskaus als Industriestadt mit den damit einhergehenden Problemen bzw. der schlechten Wohnsituation der Arbeiterschaft vor dem Krieg und zum anderen die radikalen gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Bolschewiki, die sich bereits in den ersten Jahren nach der Revolution zeigten und in Moskau bemerkbar wurden. Lebten vor 1917 viele Arbeiter in überfüllten Baracken neben den Fabriken am Stadtrand oder im Fall der Unfähigkeit, die Miete im Voraus zu bezahlen, in sogenannten Nachtasylen, verbesserte sich durch die Enteignungen der Bürgerhäuser nach der Revolution zumindest für einige Angehörige der Arbeiterklasse die Wohnsituation. Zudem bestand der Großteil der Häuser noch immer aus Holz und verfügte über keinerlei sanitären Komfort, eine Folge des vor dem Krieg so gut wie kaum realisierten sozialen Wohnungsbaus.[3]

Eine erste allgemeine Tendenz ist der in den zwanziger Jahren vorherrschende Unterschied zwischen Theorie und tatsächlicher Umsetzung wohnungsbaupolitischer Maßnahmen. Die bekannte Planungseuphorie der jungen Avantgarde spiegelt sich auch in den ambitionierten Plänen zur Umgestaltung Moskaus wieder. Zwar finden wir später vorgestellte Ideen des Kommunehauses und der großen Grünanlagen bereits bis 1930 teilweise realisiert, die großen Abrissarbeiten im Zentrum finden jedoch erst im Zuge des Generalplans zur Rekonstruktion Moskaus des Jahres 1935 statt. Mit dem Verbot der Avantgarde und dem Richtungswechsel zum Sozrealismus blieben auch die meisten der Pläne aus den 20er Jahren unverwirklicht.

Der Wohnungsbau steht in der Sowjetunion nicht nur in der Theorie unter einem anderen Vorzeichen als in Italien. Getrieben von der Wohnungsnot und den oft untragbaren hygienischen Bedingungen in der Hauptstadt stehen hygienisch-ökonomische Maßnahmen im Fokus der Baupolitik des Mossowjet[4]. Eine Parallele zur Bevorzugung der staatstragenden Schichten in Italien – im sowjetischen Fall der Parteielite und Spezialisten der Industrie – bildet sich im Bereich des Wohnungsbaus erst im Generalplan der 30er Jahre, als die größeren Wohnungen an den neu erschlossenen Moskva-Ufern diesen Schichten vorbehalten waren.[5]

Planerische Ansätze

Institutionelle Ebene

In Rom setzte das faschistische Regime zunächst auf die großen öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften: Neben dem Istituto per le Case Popolari (PCI), der vor allem im sozialen Wohnungsbau aktiv war wurde das Römische Wohnungsbauinstitut für Staatsbedienstete (IRCIS) für den faschistischen Wohnungsbau eingespannt, das Ende der 1920er Jahre im 1924 gegründeten Nationalen Wohnungsbauinstitut für Staatsbedienstete (INCIS) aufging. Der 1923 gleichgeschaltete ICP war sowohl an den anfänglichen Gartenstädten wie am Bau kompakter urbaner Stadtviertel beteiligt. Neben den eigentlichen Sozialwohnungen für subproletarische und Arbeiterschichten war das Institut aber auch am Bau von preisgünstigeren Wohnungen für den römischen Mittelstand beteiligt. Bis 1929 war das ICP vor allem in den Stadterweiterungsgebieten aktiv, so beispielsweise in der bekannten und später noch zu besprechenden „Garten-borgata“ Garbatella.[6] Der Bau der urbanen Mietshäuser für die Mittelschichten durch das INCIS sollte bevorzugt in hochwertigen innerstädtischen Lagen geschehen. Das Institut sollte – gefördert durch staatliche Mittel – gut ausgestattete Mietwohnungen errichten.[7] Oftmals wurden diese öffentlichen Gesellschaften auch zur Förderung privaten Wohnungsbaus benutzt, zu einem sogenannten „Brückenkopf-Wohnungsbau“[8].

Gegen Ende der 20er Jahre wird eine Wende hin zum privaten geförderten Wohnungsbau deutlich, der private Sektor konnte nun ICP und INCIS durch staatliche Anreize vom Wohnungsmarkt verdrängen.[9] Der ICP konzentrierte sich in dieser Phase nur noch auf den Bau von Wohnungen für die ärmsten Schichten der Bevölkerung.

Die starke Trennung zwischen urban angesiedelter Mittelschicht und der Verdrängung ärmerer Schichten an die Peripherie ist auch auf die liberalistischen Maßnahmen der Regierung wie der partiellen Aufhebung der Mietpreisbindung oder der Abschaffung der Besteuerung von Bauland ein Jahr nach dem Marsch auf Rom zurückzuführen. Eine weitere Verschärfung dieser Tendenz findet sich in der vollständigen Aufhebung des Mietpreisstopps im Jahre 1928, der zwar der Immobilienwirtschaft half, jedoch die Kündigung zahlreicher nicht zahlungskräftiger Mieter zur Folge hatte.[10]

In Moskau unterscheidet sich die institutionelle Situation sehr stark von der vor allem gegen Ende der 20er Jahre stark auf die private Wirtschaft setzenden faschistischen Verwaltung. Hauptverantwortlich für den Wohnungsbau ist der Mossowjet[11], der bereits im April 1918, einen Monat nach der Erklärung Moskaus zur neuen Hauptstadt, die Gründung einer Architekturwerkstatt, die sich mit der Ausarbeitung von Plänen zur Umgestaltung der Stadt beschäftigen sollte, veranlasste.[12] 1921 folgte die Berufung der Sonderkommissionen „Neues Moskau“ und „Groß-Moskau“, die sich jeweils mit der Umgestaltung der Innenstadt und der Peripherie Moskaus befassen sollten.[13] Genau in der hier betrachteten Zeitspanne, von 1920 bis 1930, setzte sich auch die Kunsthochschule WChUTEMAS[14] mit den neuen Formen revolutionärer Architektur auseinander. Die hier erarbeiteten avantgardistischen Pläne – vor allem im Zeichen des Konstruktivismus – flossen beispielsweise in Form von Diplomarbeiten in reale Projektierungen ein. So war etwa die Diplomarbeit „Der Landsitz in Ostankino – Gartenstadt“ Teil des Projekts „Neues Moskau“, auch wenn der Arbeit ein Skizzendasein vorbehalten blieb. Auch studentische Pläne bezogen sich neben vielen anderen Projekten auf den Wohnungsbau, beispielsweise in der Planung für sozialen Wohnraum im „Kommunalen Wohnviertel des Stadtbezirks Chamownitscheski“.[15]

Finanziell wurde der Wohnungsbau durch die 1925 gegründete Zentrale Bank für Kommunal- und Wohnungshaushalt („Zekombank“) gefördert, die den Beginn des Massenwohnungsbaus ab 1925 ermöglichte.[16] Zudem kam es im Zuge der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) auch zur Förderung privaten Wohnungsbaus, was jedoch fast ausschließlich zum Bau eingeschossiger Holzhäuser führte.[17]

Eine allgemeine Tendenz in der institutionellen Struktur des Wohnungs- und Städtebaus in Moskau sind die zahlreichen Wettbewerbsausschreibungen, die mal nur einzelne Wohnblöcke betrafen, mal ganze Stadtviertel. Beispielsweise wurde der 1922 „unter der Schirmherrschaft des Mossowjet von der ‚Moskauer Architekturorganisation‘ MAO ausgeschriebene Wettbewerb zur ‚Erstellung von Arbeitermusterhäusern‘“[18] richtungsweisend für die folgende Bauperiode. Ein anderes Beispiel ist der Wettbewerb um die ‚Grüne Stadt‘ an der Moskauer Peripherie von 1929/30: der letztlich gescheiterte Wettbewerb zeigt trotz des am Ende ausgeblieben Erfolgs durch die zahlreichen unterschiedlichen eingereichten Pläne die offene Debatte und zugleich die Wichtigkeit des grünen, besseren Wohnens und Lebens zumindest in den Planungen der Stadt.[19]

Bereits im Vergleich der institutionellen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau in Rom und Moskau zeigen sich elementare Unterschiede. Dem sozialistischen Stadtrat mit seinen Wettbewerben, in denen sich die Avantgarde mit ihren Vorstellungen über die neue Stadt und das neue Leben einbringen können, stehen zwar ebenso öffentliche Wohnungsbaugesellschaften entgegen, die jedoch immer mehr vom Markt verdrängt werden und dem kapitalistischen Wohnungsbau weichen müssen. Zudem wird bereits aus der Aufteilung der Gesellschaften für sozialen und bürgerlichen Wohnungsbau der Charakter des faschistischen Italiens als weiterhin kapitalistisch geprägte Nation deutlich, dem sich zumindest in den ersten Jahren der bolschewistischen Herrschaft im Bereich des Wohnungsbaus in Moskau keine vergleichbare Hierarchie als Vergleichsgegenstand anbietet.

Das Konzept der Gartenstadt

Eine interessante Parallele in der Konzeption des Wohnungsbaus bildet die Idee der Gartenstadt, die in beiden betrachteten Fällen zu Beginn der 20er Jahre eine Rolle spielt. In beiden Fällen ist die Idee kein neues, für das jeweilige Regime spezifisches Konzept. Die ursprünglich aus England übernommene Idee der ‚Garden-City‘[20] ist bereits vor der Etablierung der beiden neuen Regime in beiden Staaten anzutreffen.

In Rom beschränkt sich das Konzept auf die beiden Garten-Vororte Garbatella und Aniene, die beide bereits vor 1922 begonnen und von den Faschisten fertig gebaut wurden. Die Idee hinter diesen beiden Garten-Vororten war eine Dezentralisierungspolitik, die jedoch aufgrund massiver Kritik an dem Vorhaben schon bald ihr Ende fand. Das bekannte und oft zitierte Beispiel Garbatella wird später genauer betrachtet.

In Moskau gewinnt das Konzept Gartenstadt mehr an Bedeutung als in Italien. Die Idee, das Problem der Wohnungsnot durch außerhalb der Stadt liegende kleine Städte im Grünen zu lösen, bestimmte die Planungen um das neue Moskau in der ersten Hälfte der 20er Jahre maßgeblich. Zahlreiche Pläne und beispielsweise der bereits zitierte Wettbewerb um die ‚Grüne Stadt‘ Ende der 20er Jahre greifen auf das Konzept zurück, das in Russland bereits durch die Gründung einer Gartenstadtbewebung 1913 seine Fürsprecher besaß. Die Stärke der Idee der Gartenstadt erwuchs dabei aus den sozialen und ökonomischen Faktoren, die nach dem Bürgerkrieg in der Stadt vorherrschten. Den Rückgang der Bevölkerung durch die Schließung vieler Fabriken, Hunger und Epidemien fassten viele Städtebauer als Beginn der Dezentralisation der Großstädte auf und wollten dem durch die neue Siedlungsform am Stadtrand begegnen.[21] Auch die Idee des kollektiven Lebens spiegelte sich in den ersten Jahren in dieser Art der eher bäuerlichen Gemeinschaft wieder.[22] Deutlich wird die beschriebene Tendenz daran, dass im Entwurf des Projekts ‚Neu-Moskau‘ von 1924 um die Stadt ein Ring an Gartenstädten vorgesehen war, der durch eine gute Verkehrsanbindung mit der Innenstadt verbunden sein sollte.[23]

Es wird deutlich, dass das Konzept der Gartenstadt im sowjetischen Fall für die weiteren Planungen von größerer Bedeutung war, was man auch im in den Planungen stets vorhandenen großen Fokus auf ausreichende Grünanlagen in und außerhalb der Stadt sieht, auch wenn gerade das Beispiel Garbatella in Rom zeigt, welche doch wichtigen Spuren die Idee im Stadtbild hinterließ. Interessant ist, dass die Idee, die Probleme der modernen Großstädte durch eine Auslagerung von Wohnraum an die Peripherie der Stadt, um bessere Wohnbedingungen zu erreichen – dies war in Garbatella und Aniene anders als bei vielen der borgate auch in Rom der Fall –, keine Tendenz eines spezifischen Systems war und auch von beiden Regimen nur übernommen wurde.

Gesamtplanung

1923 wurde aufgrund des unkontrollierten Wachstums der außerhalb des Regulierungsplans von 1909 liegenden Peripherie von Rom eine Kommission einberufen, die einen neuen, den Umständen entsprechenden Regulierungsplan erstellten sollten. Dieser trat 1931 in Kraft und sah erstmals eine Einteilung der Neubauten in verschiedene Typen vor. „Nur 15 % des Neubestandes verteilten sich auf eine intensive Blockbebauung, 30 % gingen auf einzeln stehende Mehrfamilienhäuser und 28 % auf Ein- und Zweifamilienhäuser. Die restlichen 27 % des gesamten Wohnbauvolumens waren für Villen und Reihenhäuser vorherbestimmt worden.“[24] Für den Zeitraum bis 1931 kann man jedoch noch keinen faschistischen Gesamtplan mit festen Vorgaben erkennen.

Zu erwähnen in diesem Zusammenhang ist auch die Haltung der Faschisten und hierbei insbesondere Mussolinis zur Stadt insgesamt. Eine allgemeine Skepsis in Bezug auf große Menschenansammlungen in Metropolen und die Sympathien für das dörfliche Leben hatten jedoch auf Rom keinen großen Einfluss. Zwar erkennt man in den 30er Jahren teilweise den Willen, den Zuzug vor allem ärmerer Einwohner aus dem Süden Italiens zu stoppen, im hier betrachteten Zeitraum war jedoch Rom als Hauptstadt den großtstadtfeindlichen Tendenzen nicht ausgesetzt. Vielmehr sollte die Stadt, um in Konkurrenz zu den andern europäischen Metropolen treten zu können, stark anwachsen und die 2 Mio.-Einwohner-Marke erreichen.

Franz Bauer vertritt in seinem Buch „Rom im 19. und 20. Jahrhundert“ die These, Mussolini sei am Wohnungsbau nichts gelegen gewesen und er betreffe nur ein allgemeines Problem jedes Staates: „Die Wohnungsfrage gehörte zu jener Kategorie von Aufgaben, die Mussolini als problemi della necessità klassifiziert hatte: Imperative des politischen und administrativen Handelns, […], die aus elementaren Bedürfnislagen kommen, Handlungszwänge, die letztlich ideologieunabhängig sind und bei denen Pragmatik vor Dogmatik geht.“[25] Natürlich ist es richtig, dass der Bau von Wohnungen zur Aufgabe jedes Staates gehört oder gehören sollte, jedoch wird meiner Ansicht nach durch diese Sichtweise nicht berücksichtigt, dass die Entscheidung, welche Art von Wohnungen in welchem Umfang an welcher Stelle gebaut werden, einen großen Einfluss auf die Bevölkerung hat. Natürlich sind die großen Monumente im Zentrum, die Città Universitaria oder die freigelegten antiken Bauten von größerer propagandistischer Wirkung. Über Konsens und Machtsicherung sagen die verschiedenen Wohnbauten, gerade in Rom, jedoch mehr aus. In Bezug auf den Gesamtplan bedeutet dies, dass das Fehlen von allumfassenden Plänen einer Neugestaltung der Hauptstadt vor allem im Wohnungsbereich, wie wir sie in Moskau gleich sehen werden, auch der nicht allumfassenden Herrschaft Mussolinis und der faschistischen Partei neben König und auch Papst und dem klassenstrukturierten Gesellschaftsmodell entsprach.

In Moskau gewinnt die Gesamtplanung durch die bereits erwähnte Hauptstadtwerdung 1918 eine neue Bedeutung. Nachdem die ersten Maßnahmen der neuen Machthaber reine Strukturveränderungen sind – so etwa die bereits erwähnten Umsiedlungen von Arbeitern in Häuser der ehemaligen Oberschichten[26] – wird bereits in den ersten Jahren mit der Neuplanung Moskaus begonnen. Der erste Plan der 1918 gegründeten, bereits erwähnten Architekturwerkstatt, wurde bereits im Dezember 1918 einem Gremium der Abteilung für Stadtplanung des VSNCH[27] vorgelegt und positiv aufgenommen. Neben dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere der Metro, sollten neue Wohnbauflächen erschlossen werden. Wichtig für diese Arbeit ist auch der Fokus auf eine Verbesserung der allgemeinen hygienischen Bedingungen, die u.a. durch zahlreiche Grünanlagen in der Innenstadt erreicht werden sollte.[28] Natürlich ist der Fokus auf die Verbesserung der Lebensbedingungen zu Beginn der bolschewistischen Herrschaft auf die Situation in der Stadt zurückzuführen, die wohl keinem Vergleich mit Rom genügen. Dennoch ist meiner Meinung nach wichtig zu betonen, dass die ersten Planungen bis Ende der 20er Jahre von repräsentativen Ideen, die mit der Freilegung der antiken Bauten in Rom vergleichbar wären, zugunsten der Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation der Arbeiter absahen. Wie im Fall Roms kann hier ebenfalls das Argument angeführt werden, dass sich die neue Regierung ebenso wie die Faschisten auf die Bevölkerungsgruppe stützten, durch die sie ihre Herrschaft durchsetzten und legitimierten, also die Arbeiterschaft.

Auch das Projekt ‚Neues Moskau‘ sah eine allgemeine Entlastung der Innenstadt vor. Neben dem Ring aus Gartenstädten sollten auch die Bahnhöfe in einen Entlastungsring außerhalb der Innenstadt verlegt werden. 1923 schließlich fiel nicht nur der Beschluss des Baus der Moskauer Metro, deren erste Planungen um 1900 fallen, als man sich bereits vor der Elektrifizierung der Straßenbahnen Gedanken über die Errichtung von Untergrundbahnen machte[29], und deren Idee im Verlauf der zwanziger Jahre bis zur politischen Entscheidung 1931 immer präsent blieb[30]. Es wird auch durch die ‚Erste Allrussische Landwirtschaftsausstellung‘, so viel sei hier vorweggenommen, ein erster Ansatz des Planentwurfs ‚Neues Moskau‘ zur Begrünung der Stadt vorgenommen. Durch die Ausstellung wurde ein „mehr als 65 Hektar umfassendes Gebiet städtebaulich erschlossen, gestaltet und begrünt. […] Die Ausstellung, die eine Ausdehnung der Stadt nach Süden in den Bereich der Sperlingsberge vorsah, ‚war als Anfang einer aktiven und ausgedehnten Bautätigkeit in der Hauptstadt der Republik gedacht.‘ Sie sollte der Anfang des ‚Neuen Moskau‘ sein.“[31]

Das parallel laufende Projekt ‚Groß-Moskau‘, „das im Auftrag der Moskauer Kommunalwirtschaft (MKCH) von einer Kommission unter dem Vorsitz von Sergej S. Žestakov ab 1921 bearbeitet wurde und parallel zu den Planungen des ‚Neuen Moskau‘ entstand, wurde 1925 in Form einer Broschüre veröffentlicht.“[32] Darin hieß es:

‚Moskau wurde wieder staatliches Zentrum […]. Deshalb besteht Grund zu der Annahme, dass Moskau sich in Zukunft in eine der größten Städte der Welt verwandeln wird […]. Die natürliche Entwicklung der Stadt und die erforderliche Erweiterung ihres Territoriums muss früh genug bedacht werden […]. Die Bevölkerung Moskaus wird in 20 Jahren, d.h. 1945, auf vier Millionen anwachsen.‘“[33]

Aufgrund des hohen Sanierungsbedarfs sollte die Stadt nicht komplett neu gebaut werden, sondern vielmehr durch Auflockerung dicht besiedelter Bezirke sowie Straßenregulierungen in der Altstadt und Gartenstädten in der Stadtrandzone umgebaut werden.[34]

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre erkennt man ein Hineinwachsen in den Gesamtwirtschaftsplan des Landes. Die Industrialisierung spielte nun eine immer wichtigere Rolle, vor allem ab Beginn des ersten Fünfjahrplans 1928. Trotz eines Entgegenwirkens blieb der Wohnungsbau immer mehr hinter dem Industrieaufbau zurück. Die 1927 erfolgte ‚Verordnung über Maßnahmen zur Verwirklichung von Arbeiterwohnungen‘ und der Beschluss ‚Über die Wohnungspolitik‘ von 1928 sollten der Wohnungsnot, die durch den massiven Zuzug vom Land in die neuen Industrien der großen Städte, insbesondere Moskaus, vorherrschte, entgegenwirken, brachten jedoch keine endgültige Lösung des Wohnungsproblems.[35]

Bei der Betrachtung der Gesamtplanung der beiden Städte fällt auf, dass der Wohnungsbau in der Gesamtplanung eine sehr unterschiedliche Rolle einnimmt. Natürlich muss jedoch zunächst die sehr unterschiedliche soziale und ökonomische Situation betont werden. Während in Rom zwar durch den Zuzug aus dem Süden, die Vergrößerung des Verwaltungsapparats und nicht zuletzt durch die Pläne, Roms Einwohnerzahl auf 2 Mio. zu erhöhen, stets Wohnungsknappheit vorherrschte, ist die Lage im durch Bürgerkrieg, Hungersnot und Rückgang der Bevölkerung in den ersten Jahren der bolschewistischen Herrschaft geprägten Moskau doch durchaus dramatischer. So beginnen die ersten Wettbewerbe um Entwürfe des Palasts der Sowjets erst in den dreißiger Jahren, nach der Konsolidierung des neuen Staates und der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, während in Rom bereits in den 20er Jahren mit den repräsentativen Maßnahmen im Zentrum begonnen wird.

Detailplanungen

Neben der Gesamtplanung lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Pläne bezüglich der verschiedenen Häusertypen und kleineren Wettbewerbe zu werfen. Auffällig ist die Breite an verschiedenen Gebäudeklassen im römischen Wohnungsbau, die neben der erwähnten Unterscheidung in Bevölkerungsschichten auch eine architektonische Vielfalt mit sich brachten.

Anders als der erste Blick auf die Baracken am Stadtrand vermuten lässt sollten die borgate zumindest in der Theorie eine Verbesserung der Lebens- und Wohnbedingungen mit sich bringen und zudem zur Rurifizierung beitragen[36], was jedoch in den meisten Fällen nicht zutraf. Neben dem bekannten Beispiel der borgate wurden im Bereich des sozialen Wohnungsbaus auch sogenannte case pololari errichtet, die bereits vor 1922 gebaut worden waren, als nach der Hauptstadtwerdung 1870 Arbeiterwohnungen benötigt wurden. Diese Sozialbauten, die vor allem vom ICP gebaut wurden, konnten verschiedene Formen annehmen und konnten oft nicht von Mittelklasse-Häusern unterschieden werden. Nach der Machtübernahme Mussolinis wurden diese Sozialbauten von den Faschisten weitergeführt.[37] Neben den meist eingeschossigen borgate in der Peripherie gab es also auch mehrgeschossige Häuser bis hin zu den ‚superblocchi‘ genannten dicht bewohnten Mietskasernen für die ärmeren bzw. Arbeiterschichten.[38]

Im Wohnungsbau für die eher bürgerlichen Schichten kann man zunächst den Siegeszug des Haustyps palazzine erkennen, einzuordnen zwischen den Intensivbauten und den kleineren villini, die bisher den Großteil der Wohnhäuser in Rom bildete. Im Rahmen des Generalbebauungsplans von 1909 wurde erstmals der Bautyp villino festgelegt, ein maximal dreigeschossiges freistehendes Gebäude. 1920 wurde die Bauordnung durch ein Dekret modifiziert, das 1925 von den Faschisten bestätigt wurde. Dadurch wurde auch der Bautyp der palazzine festgelegt. Entscheidend ist die erhöhte Geschosshöhe von fünf Geschossen, was eine intensivere Bebauung der städtischen Gebiete ermöglichte. „Die palazzine wurde zum dominanten Bautyp für bürgerliche Schichten und prägte ganz neue Stadtteile.“[39]

Dennoch muss betont werden, dass sich in vielen Fällen auch beim Bau kompakter urbaner Quartiere keine vollständige Trennung in Bewohner der Mittel- und Unterschicht erkennen lässt. Eine solche Trennung lässt sich vielmehr zwischen den Bewohnern der abgelegenen Borgate und den urbanen Quartieren ziehen, innerhalb derer es natürlich Abstufungen gab. „Im sozialen Wohnungsbau wurden keineswegs vorrangig hoch verdichtete Bautypen errichtet, sondern – wie beim mittelschichtsorientierten Wohnungsbau – palazzine, während für Wohlhabende neben palazzine auch villini und richtige Villen gebaut wurden.“[40] Die These des rein auf die Bindung an den Mittelstand setzenden Wohnungsbaupolitik muss also ein wenig abgeschwächt werden: Zwar erkennt man in der Idee der Borgate Verdrängungsmechanismen des Subproletariats, jedoch kann nicht davon gesprochen werden, dass die unteren Schichten im Ganzen aus der Stadt verdrängt und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden sollten.

Ein bisher noch nicht erwähnter Punkt ist die Parallele der Idee des kollektiven Lebens, die in beiden Regimen, wenn auch in Rom nur in kleinem Ausmaße, existierte. Soll im Fall von Moskau darauf gleich intensiver eingegangen werden, muss hier das Beispiel Garbatella genügen, in dessen zum temporären Aufenthalt vorgesehenen ‚alberghi collettivi‘ oder ‚alberghi popolari‘ kollektive Einrichtungen wie Gemeinschaftsküchen errichtet wurden.[41] Franz Bauer meint dazu:

„Ähnliche Ideen eines mit Gemeinschaftseinrichtungen kombinierten sozialen Wohnungsbaus hatten damals Konjunktur in der europäischen Architektenavantgarde […]; sie entsprachen dem kollektivistischen Menschenbild der Zeit und ihren Vorstellungen von der Wünschbarkeit oder Notwendigkeit sozialer Disziplinierung und ökonomischer Rationalisierung der Lebensführung der industriellen Massen. Der von ‚linken‘ und ‚rechten‘ Ideologien und Regimen der Zwischenkriegszeit gleichermaßen propagierte Idealtypus eines selbstlos gemeinschaftsorientierten, seine Individualität bereitwillig dem Kollektiv unterordnenden ‚Neuen Menschen‘ wies dabei erstaunliche Parallelen auf.“[42]

Das auch bald gescheiterte Projekt der ‚alberghi collettivi‘ jedoch mit den vielfältigen, gleich zu besprechenden Plänen und auch Umsetzungen in der UdSSR auf eine Linie zu stellen, finde ich angesichts der großen gesellschaftlichen Unterschiede in Italien, die wie gesehen vom Regime auch gewollt waren, eine etwas zu steile These.

Im Fall Moskau steht bei den Detailplänen die Frage des neuen, sozialistischen und kollektiven Lebens im Vordergrund. Drei Wettbewerbe sind hierfür von besonderer Bedeutung. Im ersten, 1922/23 ausgeschrieben, wurden „Wohnkomplexe mit einem Netz von Versorgungseinrichtungen auf begrenzter Fläche inmitten vorhandener Bebauung [gefordert]. Nach dem Programm sollten beide Wohnviertel aus zwei Wohnbautypen (separate Wohnungen für Familien und Gemeinschaftswohnungen für Alleinstehende) bestehen, aus Klub, Kindergarten und Krippe, Gemeinschaftsküche mit Kantine, Bädern, Wäscherei, Garage usw.“[43] Die Breite der verschiedenen eingereichten Entwürfe von Cottagehäusern, Sektionsbau oder Kommunehäusern zeigt, wie offen die Debatte zu dieser Zeit war. Zugleich macht der Wettbewerb die Abkehr vom Konzept des Einzelanwesens deutlich, das von den Vertretern der Gartenstadt bevorzugt wurde sowie das „Suchen nach neuen Gebäudetypen, die Wohnräume und solche für kommunale und gesellschaftliche Zwecke besaßen.“[44]

Im 1925 ausgeschriebenen ‚2. Wettbewerb zur Erstellung eines kommunalen Haustypes‘ war die Idee des kommunalen Wohnens ebenfalls vorhanden. In dem geplanten Wohnkomplex für 750 bis 800 Personen sollten die Individualhaushalte keine eigenen Küchen erhalten. Die Aufteilung in Wohnungen für Alleinstehende, Paare und Familien war genau vorgegeben. Der ausgewählte Entwurf sah Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen in einem Gesamtgebäudekomplex in unterschiedlichen Stockwerken vor und wurde zwischen 1926 und 1928 tatsächlich realisiert.[45]

In den sowjetischen Planentwürfen wird nicht nur die Zukunftseuphorie in der jungen Sowjetunion deutlich, sondern durch die Vorgaben der von staatlicher Seite ausgeschriebenen Wettbewerbe auch die Tendenz der Verwirklichung des neuen sozialistischen Lebens. Natürlich ist der Vergleich mit den tatsächlich vollzogenen Bauvorhaben im anschließenden Kapitel wichtig, um diesem Punkt kein zu großes Gewicht zu geben, dennoch kann man festhalten, dass die Idee des neuen Menschen in den 20er Jahren eine große Rolle spielte. Ernüchterung macht sich freilich breit, betrachtet man die Schnittmenge zwischen den Plänen in den 20er Jahren, gerade auch denen in gesamtplanerischer Hinsicht – geradezu grotesk wirkt auf uns heute die Idee der „Fliegenden Stadt“ mit beweglichen Kommunehäusern in der 1928 vorgelegten Diplomarbeit „Stadt der Zukunft“ von G. Krutikov[46] –, mit der Umsetzung dieser Pläne in den 30er Jahren und dem ‚Ende der sozialistischen Stadt‘[47] im Generalbebauungsplan von 1935.

Im Vergleich mit Rom möchte ich hervorheben, dass hier eine Gleichsetzung der beiden neuen, durch den 1. Weltkrieg ermöglichten ‚Gewaltregime‘ auf Grundlage einer wie auch immer gearteten Totalitarismus-Theorie nicht wirklich greift. Im betrachteten Zeitraum erkennen wir deutliche Unterschiede zwischen dem auf Klassenunterschiede setzenden faschistischen Regime mit seiner die römische Antike rezipierenden Propagandabaupolitik und dem leninistisch organisierten Moskau mit seinen Umsiedlungsmaßnahmen, Maßnahmen für bessere und hygienischere Wohnbedingungen und seinen ersten Ansätzen des kommunalen Wohnens. Mit Gewissheit lässt sich jedenfalls sagen, dass die beiden Regime ihre Herrschaft primär auf unterschiedliche Gruppen stützten und auch auf diese ausrichteten. Dabei möchte ich aber ebenso nicht behaupten, die Wohnungsprobleme im sozialistischen Moskau seien durch die Maßnahmen der Bolschewiki und die avantgardistischen Ideen des kollektiven Wohnens gelöst worden und die Situation in der Sowjetunion der 20er Jahre oder die von den Bolschewiki ausgehende Gewalt in irgendeiner Art und Weise schönreden oder rechtfertigen, schließlich wurde in diesem Kapitel auch erst die Theorie und Planung hinter dem Wohnungsbau betrachtet.

Die Wende um 1931

Gegen Ende der von uns betrachteten Periode, also in einer Phase der bereits geschehenen Etablierung beider neuer Systeme – auch wenn wir im Falle der Sowjetunion natürlich die Errichtung der stalinistischen Diktatur berücksichtigen müssen –, kommt es zu einem Wandel im Städte- und Wohnungsbau. Harald Bodeschatz sieht in seiner vergleichenden Perspektive in der Hinwendung zu mehr repräsentativen Bauten, auch im Wohnungsbau, einen Wettbewerb der drei Staaten Deutschland, Italien und Sowjetunion bzw. der Systeme Stalinismus, Nationalsozialismus bzw. Faschismus.[48] Weniger interessant als die bekannten Repräsentationsbauten wie der geplante Palast der Sowjets oder die EUR, die Città Universitaria oder die Sportstadt in Rom ist für unsere Herangehensweise zumindest ein kurzer Ausblick auf den Wohnungsbau der 30er Jahre, der sich in vielem von jenem in den ersten etwa zehn Jahren der beiden Regime vollzieht. Am Eindrücklichsten dabei sind neben dem Bau der Metro, deren erste Linie bereits 1935 in Betrieb genommen wird und dem lange geplanten Moskva-Volga-Kanals freilich die neuen, im Zuge des Generalplans an den freigelegten Moskva-Ufern entstandenen besseren Wohnungen für die neue Eliten des stalinistischen Systems, die für die Industrialisierung unabdingbar waren. Es entsteht also eine interessante Parallele zur Fixierung auf den staats- bzw. systemtragenden Mittelstand in Italien. Hier kann man in den 30er Jahren zunächst einen noch stärkeren Unterschied zwischen Barackenbewohnern und reichen Stadtbewohnern ausmachen, obgleich das Problem der – oft auch illegalen – Borgate nun erstmals konkret, auch von Mussolini selbst, angegangen wird und der Bau neuer, besser ausgestatteter borgate die zunehmenden illegalen Baracken ersetzen soll.[49] Eine weitere interessante Parallele in diesem Zusammenhang ist der zunehmende Drang zur Begrenzung des Zuzugs neuer Bevölkerungsgruppen, der die bestehende Wohnungsnot noch verstärkte. In Moskau versuchte man dem durch den Fünfjahrplan entstandenen massiven Zuzug ehemaliger Dorfbewohner in die großen Städte durch die Einführung eines Inlandspasses begegnet[50], in Rom kam in den 30er Jahren die Idee auf, Zuwanderer aus anderen Teilen Italiens in ihre Herkunftsorte zurückzuschicken, was jedoch nur sehr begrenzt funktionierte.[51]

Umgesetzte wohnungsbauliche Maßnahmen

Sagt der planerische und ideengeschichtliche Aspekt des Wohnungsbaus zwar viel über die jeweiligen Legitimationsgrundlagen aus, so bedarf es zur Analyse der tatsächlichen Herrschaftsausübung auf diesem Feld auch der Betrachtung der umgesetzten Maßnahmen, die sich vor allem in Moskau teils stark von den zahlreichen Planungen unterschied.

Rom

In Rom sticht, verglichen mit Moskau, wie wir gesehen haben die Fülle an verschiedenen Häusertypen im Wohnungsbau hervor. Nach der im vorigen Kapitel vorgenommenen eher theoretischen Unterteilung ist nun auch von Bedeutung, welche dieser Typen in welchem Umfang an welcher Stelle gebaut wurden. Um den sozialen Wohnungsbau richtig verstehen zu können, muss zunächst noch auf die bisher noch nicht erwähnte Verdrängung vieler Römer aus der Innenstadt verwiesen werden. Durch die Abrissarbeiten im Rahmen der Freilegung antiker Monumente und allgemein die Innenstadtrekonstruktion wurden zahlreiche ehemalige Innenstadtbewohner an die Peripherie verdrängt.[52] Die 1924 errichtete borgate Acilia beispielsweise wurde für jene Menschen errichtet, die durch die Abrissarbeiten um das Nationaldenkmal ihre Wohnung verloren hatten.[53]

Bei der Verteilung der Investitionen des ICP fällt auf, dass im Zeitraum von 1922 bis 1926 9% direkt auf den Bau von Wohnungen in Schnellbauweise für diese aufgrund der Abrissarbeiten im Zentrum verdrängten Familien und 8% auf reguläre Wohnungen für Gekündigte entfallen. Neben diesen auf durch die faschistische Politik selbst herbeigeführte Wohnungsnot antwortenden Maßnahmen wurde ein Großteil der Investitionsmittel des ICP für kostengünstigen Wohnungsbau (22%) und den Bau von ‚Volkswohnungen‘ (34%) verwandt.[54] Die Form der vom ICP errichteten Gebäude nahm dabei in den 20er Jahren vor allem die der Blockbebauung an. Vor allem nach der Abkehr von der Idee der Gartenstadt „konzentrierte sich der öffentlich geförderte Wohnungsbau nun auf die Anlage kompakter urbaner Wohnanlagen in Blockbauweise. Diese Anlagen waren von unterschiedlicher Größe: Sie konnten Teil eines Baublocks sein, einen ganzen Baublock oder mehrere umfassen beziehungsweise ein ganzes Quartier prägen.“[55] Vor allem in den Quartieren Garbatella, Testaccio und Trionfale erbaute der ICP in den 20er Jahren über 12.000 Wohnungen, einige davon außerhalb des damals gültigen Generalbebauungsplans.[56] Doch auch im Fall der Wohnungen für Beamte durch den INCIS findet sich die Blockbebauung in den 20er Jahren, wenn auch hier ausgestattet mit einem großen Innenhof, Gemeinschaftseinrichtungen und in großbürgerlicher Manier gestaltet. Insgesamt fielen etwa 15% der im Zeitraum 1924 bis 1928 erstellten Lizenzen auf den Bautyp intensivo, also deutlich mehr als auf palazzine (5,5%) und villino (2,8%).[57] Letztere Bautypen fand man ebenso im Zentrum wie in den Neubaugebieten in unmittelbarer Nähe des historischen Stadtkerns. Besonders der Aventin und das Viertel Parioli in bester Lage wurden durch diese Bautypen geprägt.[58]

Gegen Ende der 20er Jahre kommt zudem der erwähnte geförderte private Wohnungsbau in Form sogenannter case convenzionate zum Tragen, wodurch sowohl in bereits bestehenden als auch komplett neuen Vierteln eine große Zahl neuer Häuser gebaut wird, wodurch viele von der Aufhebung des Mietpreisstopps von 1917 im Jahre 1928 aus ihren Wohnungen verdrängte eher ärmere Familien eine neue Wohnung fanden.[59]

Den wohl bekanntesten Teil der faschistischen Wohnungsbaupolitik stellen die borgate dar, die in den meisten Untersuchungen einen großen Platz einnehmen. Das Problem existierte schon im liberalen Vorkriegsitalien, als Neuankömmlinge, die in der Stadt auch nicht temporär Fuß fassen konnten, sich eigene Baracken außer Sichtweite der großen Straßen bauen mussten.[60] Nach 1918 lebten wohl 45.000 bis 100.000 Einwohner in Baracken.[61] Fand also bereits vor 1922 eine teilweise Verdrängung subproletarischer Schichten aus dem Stadtzentrum statt, bildete diese Siedlungsform eine auch politische Lösung der Wohnungsnot unter Mussolini. Ursprünglich sollten diese Barackensiedlungen außerhalb der Stadt nur temporären Charakter besitzen, dienten dem Regime jedoch bald zur Ausgrenzung von in der Innenstadt nicht erwünschten Bevölkerungsschichten. „Als Begründung für die soziale Segregation wurde die nötige Anpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse genannt, d. h. dass die geplante Verlegung von Industrieanlagen in das Umland, den Zuzug von Arbeitskräften nach sich ziehen musste. Da Rom aber ohne bedeutende Industrieanlagen war, konnte die angetriebene Entwicklung nur in Verbindung mit spekulativen Interessen gebracht werden.“[62]

Die sich aus der Wohnungsnot ergebenden Barackensiedlungen wurden zum einen so weit außerhalb der Stadt und ohne eine entsprechende verkehrsinfrastrukturelle Anbindung erbaut, dass die Bewohner meist ihrer Arbeit im Zentrum nicht länger nachgehen konnten.[63] Viele dieser Verdrängten waren eher links eingestellte Arbeiter, die dadurch besser kontrolliert werden konnten.[64] Gleichzeitig hatten die Siedlungen jedoch auch keinen Bezug zum sie umgebenden Land und können auch als gescheiterter Versuch der Rurifizierung gesehen werden, bei dem Arbeiter in Bauern verwandelt werden sollten.[65] Zum anderen waren die Lebensbedingungen in den meisten Fällen überaus schlecht. Neben den schlechten Baumaterialien fehlten teilweise Wasserleitungen und eigene Toiletten.[66]

Am schlimmsten waren die Wohnbedingungen in den sogenannten case minime der provisorischen borgate. Die Wohnungen bestanden dort meist aus einem Raum von ca. 4m² und einer Küche und verfügten über keine eigenen sanitären Anlagen. Daneben gab es aber auch sogenannte konsolidierte borgate mit festen, 1-2-stöckigen Bauten und sogenannte urbane Borgate mit 3-4-stöckigen Wohngebäuden.[67]

Anders als oft dargestellt wohnten in den borgate jedoch nicht nur die Opfer der Abrissarbeiten im Zentrum. Laut der neueren Forschung sammelte sich in den borgate „eine jeweils sehr unterschiedliche Mischung aus sehr armen Menschen, die Opfer der Aufgabe der Mietpreisbindung waren, Bewohner illegaler Behausungen und Hütten, arme Zuwanderer aus ländlichen Regionen („Landflüchtige“), Arbeitslose oder Teilzeitbeschäftigte, später auch Rückwanderer aus dem italienischen ‚Ausland‘ und viele andere.“[68] Auch die Lebensverhältnisse in den borgate seien nicht so homogen gewesen wie oft dargestellt.[69]

Ebenso bekannt wie die borgate als Ausdruck der faschistischen Verdrängung der ärmsten Bevölkerungsschichten aus der Stadt ist das bereits kurz erwähnte Viertel Garbatella, bei dem sich verschiedene der vorgestellten Konzepte bzw. Gebäudetypen des sozialen Wohnungsbaus zeigen. Bereits 1920 begonnen, befand die Siedlung sich zunächst isoliert an einer möglichen Entwicklungsachse nach Ostia und erfuhr bis Ende der 20er Jahre verschiedene Bauphasen. Auch an der Bebauung anhand einer Reihe von Detailplänen anstelle eines einheitlichen, von vornherein festgelegten Gesamtplans, zeigt sich, wie das Regime im Bereich des Wohnungsbaus für ärmere Schichten der zunehmenden Wohnungsnot lediglich nach und nach entgegenwirkte und keine genügenden Maßnahmen zur Lösung dieses Problems ergriff. Der erste Bauabschnitt wurde noch vor dem Marsch auf Rom verwirklicht und bestand, der Idee der Gartenstadt verpflichtet, aus 204 Wohnungen des Bautyps villino. Ab 1923, vor allem zwischen 1925 und 1927, wurden in Garbatella dann stärker verdichtete Bauformen verwandt, u.a. für Barackenbewohner und Abriss-Verdrängte. Von 1926 bis 1928 entstanden schließlich die vier bereits erwähnten alberghi suburbani. Aufgrund des fehlenden Gesamtplans besaß Garbatella eine große architektonische Vielfalt – vom barocchetto bis zum Realismus – und gilt als ‚Exerzierfeld des Wohnungsbaus‘.[70]

Die bisher mehr oder weniger vertretene These der bewussten Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus durch die faschistische Regierung, da diese lediglich an einer Bindung der staatstragenden Mittelschichten an die Stadt und das System interessiert waren, muss jedoch durch einen Blick auf die Situation in anderen europäischen Großstädten der Zeit zumindest ergänzt werden, um nicht den Anschein der Einmaligkeit der italienischen Situation auf diesem Gebiet zu erwecken. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass die Wohnungsnot ein Problem der Zeit sei, verschärft durch den 1. Weltkrieg, der in Rom einen faktischen Baustopp bewirkte. In einer vergleichenden Studie zur europäischen Wohnungspolitik von 1900 bis 1939 heißt es etwa:

„There are striking similarities in the development of both theory and practice of housing policy in the European countries. One of the most significant examples is the break-through towards state intervention in housing policy during World War I […]. The years after the end of World War I, during which ‘war socialism’ had generally advanced, marked the transition from paradigmatic and sectoral concepts towards broadly based public housing schemes, although not in all the countries investigated.”[71]

Außerdem muss auf den bedeutenden Bevölkerungszuwachs verwiesen werden. Von 1921 bis 1941 stieg die Einwohnerzahl von 560.000 auf 1,4 Mio. Dass dieser Zuwachs ohne die Ansiedlung von Industriebetrieben geschah, ist auch ein Grund für die Armut der Barackenbewohner, die im aufgeblähten Verwaltungsapparat keine Erwerbstätigkeiten fanden und denen somit nur die äußerste Peripherie als Wohnort blieb.[72]

Betrachtet man die für uns relevanten Jahre 1921-1930 in einem größeren Rahmen, so sieht man, dass 43% des von 1911 bis 1951 gebauten Neubauvolumens auf jene neun Jahre entfallen, also überdurchschnittlich viel.[73] Dies macht deutlich, welchen großen Anteil der Bereich des Wohnens – nicht allein für die Mittelschichten, aber in besonderer Weise für diese – in der Machtausübung und Konsensgestaltung in den ersten Jahren der faschistischen Herrschaft ausmacht.

Moskau

Die Situation in Moskau nach Welt- und Bürgerkrieg ist wie bereits beschrieben ungleich schwieriger als in Rom. Neben den erwähnten Umsiedlungsmaßnahmen bestehen die praktischen wohnpolitischen Maßnahmen deshalb zunächst in speziellen staatlichen Krediten zur Renovierung von Arbeiterwohnungen. Dies war vor allem durch den Verfall vieler Wohnungen aufgrund der zunächst erfolgten völligen Befreiung von jeder Miete erforderlich.[74] In den ersten Jahren nach der Revolution führte dies zu einem Verlust von schätzungsweise 10-20% des gesamten Wohnungsbestandes.[75]

Nachdem in Moskau zunächst das für Metropolen ungewöhnliche, kriegsbedingte Phänomen des Rückgangs der Bevölkerung vorherrschte, wuchs die Bevölkerung von 1923 und 1926 wieder um ein Drittel, u.a. bedingt durch die zumindest teilweise bereits einsetzenden Industrialisierungsmaßnahmen. In diese Periode fällt auch der Beginn des Massenwohnungsbaus, der auf 1924/25 datiert wird.[76] Bei den nach dem wieder einsetzenden Zuzug dringend benötigten Wohnungen wurde vor allem auf Rentabilität gesetzt.[77]

Die Idee des kommunalen Lebens findet zwar in einigen Fällen seine praktische Umsetzung – 1921 waren in Moskau 865 Kommunehäuser registriert –, bei der Realisierung der ersten kooperativen Siedlungen am Stadtrand war jedoch nach wie vor die Erstellung hygienischen und billigen Wohnraums entscheidend. Erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre erfolgte die kategorische Verbindung mit Gemeinschaftseinrichtungen, ebenso wie die funktionale Zuordnung der Wohnungen zum Arbeitsplatz und die Tendenz zum Massivbau. Im Rahmen der ersten Industrieförderungen und des Beginns des Massenwohnungsbaus kann man allgemein die Tendenz der Hinwendung vom siedlungsorientierten zum städtischen Wohnen erkennen. „Die Konsequenzen schlugen sich in Materialwahl, Größe und Standort der Häuser nieder. Eindeutig zeigte sich gegen Mitte der 20er Jahre, dass der mehrgeschossige Massenwohnungsbau den ‚Individuellen‘ Holzwohnungsbau verdrängte und die Standorte sich auf innerstädtische Randgebiete verlagerten.“[78] In diesem Zusammenhang soll auch noch einmal an die zuvor beschriebenen Wettbewerbe erinnert werden, die bei Beginn der Bauphase ab 1925 zumindest in abgeänderter Form verwirklicht wurden und die Idee der Gemeinschaftseinrichtungen vorangetrieben hatten.

In gewisser Weise kann man in der nicht nur theoretischen Abkehr vom Konzept der Gartenstadt, sondern auch in der praktischen Umsetzung des städtischen bzw. stadtnahen mehrstöckigen Wohnungsbaus eine Parallele zu Rom feststellen, zumindest in Bezug auf die herrschaftstragenden Schichten. Mit Ausnahme der borgate als zunächst provisorisch gedachter Verdrängungsmechanismen entsprechen doch die superblocchi bzw. palazzine in gewisser Weise der sowjetischen Blockbebauung.

Die auch schon vor dem ersten Fünfjahrplan einsetzende Industrialisierung prägte zwar den Neubau von Wohnungen, die mit 4-6 Geschossen an Wohndichte zunahmen, jedoch änderte dies trotzdem wenig an der Gesamtstruktur Moskaus. Noch immer waren über 50% aller Wohnbauten Holzhäuser, die Hälfte aller Wohnhäuser war eingeschossig.[79]

Trotz der wohnungsbaulichen Maßnahmen verschlechterte sich die Wohnungssituation zunehmend. Beim Vergleich mit den dreißiger Jahren ist zwar die Höhe der neugebauten qm-Zahl an Wohnraum von 1925 bis 1930 relativ hoch. Auch erkennt man den beschriebenen Beginn des Massenwohnungsbaus ab 1925: Während 1924 noch 58.000 qm neu gebaut wurden, sind es 1927 404.000 qm und 1930 bereits 516.000 qm. Berücksichtigt man aber das bis 1924/25 nur marginale Neubauvolumen, die ab 1922 abnehmende und erst in den 1960er Jahren wieder tatsächlich ansteigende qm-Anzahl je Einwohner (1922: 7,4; 1925: 5,9; 1930: 5,5) und das starke Anwachsen der Bevölkerung (vom Tiefpunkt 1920 mit knapp einer Mio. auf 2,46 Mio. im Jahre 1930), so erkennt man die sich abzeichnende Wohnungsnot.[80]

Interessanterweise können wir in Moskau die genaue Gegenbewegung zu Rom im privaten bzw. staatlichen Anteil am Wohnungsbau erkennen. Während 1923/24 noch knapp 23% aller Neubauten privat finanziert wurde – ab 1922 war dies aufgrund der Maßnahmen der NEP wieder möglich –, waren es 1928/29 noch 7,6%. Der Anteil der Moskauer Regierung wächst im selben Zeitraum von 34% auf 51%, jener des Staates und von Kooperativen verändert sich nur gering.[81]

Eine dauerhafte Errungenschaft aus den 20er Jahren, die mit dem Wohnungsbau nur indirekt zu tun hat und im Theorie-Kapitel bereits vorgestellt wurde, ist die Etablierung von großen Grünanlagen zur Verbesserung der allgemeinen Wohnbedingungen. “To this day no township in the former Soviet Union is so small that it does not have its Park of Culture and Rest. Of all the basic tenets, the greening of towns is probably the one that has most widely and successfully implemented.”[82]

Ebenso nur indirekt mit dem Wohnungsbau verbunden und hier nur am Rande erwähnenswert sind jene Einrichtungen wie Arbeiterklubs, Kulturhäuser oder öffentliche Bäder, die nicht direkt in Wohnkomplexe eingebunden waren, aber ebenso der Idee des kommunalen, sozialistischen Lebens dienten.[83] Das 1925 von Alexander Rodtschenko geplante und realisierte „Arbeiterclubhaus für den Pavillon der UdSSR auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris“[84] repräsentierte diese Tendenz sogar nach außen hin.

Im Fall Moskaus ist also eine eindeutige und klare Beurteilung schwierig, zu sehr sind die 20er Jahre noch Aufbau- und Etablierungsphase. Zwar können wir bereits einige erste Umsetzungen der neuen Ideen und Planungen beobachten, jedoch obsiegt in den meisten Fällen der tatsächlich in dieser Periode gebauten Wohnungen der Pragmatismus und die Verbesserung der hygienischen Bedingungen. Dennoch werden die 20er Jahre auch gesehen als „a period when within less than ten years all the most productive concepts of modern city planning were first advanced, when innumerable designs were produced, and when a not inconsiderable number of buildings, including some of the highest quality, were built in the face of the severest technical and material difficulties.“[85]

Fazit

Vergleiche zwischen zwei so verschiedenen Systemen wie dem Leninismus und dem Faschismus und auch zwischen zwei so unterschiedlichen Städten wie Moskau und Rom unterliegen der Schwierigkeit, gemeinsame Kriterien zu finden und nicht allein die offensichtlich großen Unterschiede aneinander zu reihen. In dieser Arbeit konnten jedoch aufgrund der engen thematischen wie zeitlichen Eingrenzung einige interessante Ergebnisse erarbeitet werden und die Betrachtung der jeweiligen Situation durch den Vergleich erweitert werden.

Die anfangs gestellte Frage nach den im Wohnungsbau der Etablierungsphase der beiden Regime erkennbaren Legitimations- wie Herrschaftsmechanismen bzw. nach den in einem Vergleich stets naheliegenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede darin ist – was nicht anders zu erwarten war – nicht so eindeutig zu beantworten, wie man es bei einem solchen Systemvergleich gern hätte. Wie wir gesehen haben, macht die recht klare These des auf die staatstragenden Mittelschichten fixierten faschistischen Staates im Gegensatz zum auf den Arbeiterwohnungsbau mit kollektiven Gemeinschaftseinrichtungen setzenden sozialistischen Staat generell durchaus Sinn. Argumente hierfür sind die unterschiedlichen Institute für sozialen und eher bürgerlichen Wohnungsbau und die damit verbundene klassenspezifische Trennung im Bereich des Wohnens zusammen mit der auf die Privatwirtschaft setzenden und den Mietpreisstopp kündigenden Politik Ende der 1920er Jahre. Auch die Abrissarbeiten im Zentrum, die propagandistische Wirkung höher setzten als das Wohl der dadurch wohnungslos gewordenen ehemaligen Innenstadtbewohner, unterstreicht dies. Allerdings darf man sich vom dauerpräsenten Bild der borgate auch nicht blenden lassen, schließlich gab es auch zahlreiche innerstädtische Blockbauten für Arbeiter. Außerdem zeigt das Beispiel Garbatella, dass auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus in der Peripherie verschiedene architektonische Formen Verwendung fanden und das Bild der Baracken darum bereichert werden muss.

Ebenso muss die These des sozialistischen Musterwohnungsbaus abgeschwächt werden. Die Idee des Kommunehauses versinnbildlicht zwar die Idee des neuen Menschen, ebenso wie die allumfassenden Planungen für den Umbau Moskaus den Neuanfang und die avantgardistische nachrevolutionäre Aufbruchstimmung deutlich machen. Eine Vergrößerung der Wohnungsnot ist dennoch trotz der Umsiedlungs- wie Baumaßnahmen in den 20er Jahren auszumachen.

Definitiv deutlich geworden ist, dass der Wohnungsbau keine unbedeutende Randerscheinung des Städtebaus in der Zwischenkriegszeit war, sondern dass wir an ihr aufgrund der Einflussmöglichkeiten der beiden Regime in diesem Bereich ablesen können, welche Bevölkerungsgruppen in welchem Maße in die Gesellschaft einbezogen wurden. Auch in der Theorie und Planung – sei sie verwirklicht worden oder nicht – des für jede Bevölkerung zentralen Bereich des Wohnens erkennen wir Präferenzen und Legitimationsmuster der beiden Systeme.

Literaturverzeichnis

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[1] Bodenschatz, Harald: Diktatorischer Städtebau in der Zwischenkriegszeit. Besonderheiten Italiens mit Blick auf das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion, In: Mattioli, Aram und Steinacher, Gerald (Hg.): Für den Faschismus bauen, Zürich 2009, S. 61

[2] Woller, Hans: Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 95 ff.

[3] Kreis, Barbara: Moskau 1917-35. Vom Wohnungsbau zum Städtebau, Dissertation an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg 1985, S. 14 ff.

[4] Моссовет (Московский городской совет) = Moskauer Stadtrat, oberstes staatliches Organ in Moskau von 1917-1993

[5] Bodenschatz, Harald/Post, Christiane (Hg.): Städtebau im Schatten Stalins. Die internationale Suche nach der sozialistischen Stadt in der Sowjetunion 1929-1935, Berlin 2003, S. 95

[6] Bodenschatz, Harald: Städtebau für Mussolini. Auf dem Weg zu einem neuen Rom, Berlin 2013, S. 25, 61, 70

[7] Ebd., S. 25f., 68, 72

[8] Ebd., S. 73

[9] Ebd., S. 129

[10] Bauer, Franz J.: Rom im 19. und 20. Jahrhundert. Konstruktion eines Mythos, Regensburg 2009, S. 260

[11] Kreis: Moskau 1917-35, S. 54

[12] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 64

[13] Ebd., S. 65f.

[14] Akronym für „Höhere Künstlerisch-Technische Werkstätten“; von 1927 bis 1930 WChUTEIN (Künstlerisch-Technische Hochschule)

[15] Tschepkunowa, Irina: Die WChUTEMAS. Ein russisches Labor der Moderne. Architekturentwürfe 1920-1930, In: WChUTEMAS. Ein russisches Labor der Moderne. Architekturentwürfe 1920-1930. Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, 5. Dezember 2014 bis 6. April 2015, S. 6-13

[16] Kreis: Moskau 1917-35, S. 33

[17] Osterwold, Matthias: Moskau, In: Friedrichs, Jürgen (Hg.): Stadtentwicklungen in kapitalistischen und sozialistischen Ländern, Hamburg 1978, S. 259

[18] Kreis: Moskau 1917-35, S. 35

[19] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 79 ff.

[20] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 215

[21] Chan-Magomedow, Selim O.: Pioniere der sowjetischen Architektur. Der Weg zur neuen sowjetischen Architektur in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre, Dresden 1983, S. 273 ff.

[22] Kreis: Moskau 1917-35, S. 30

[23] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 65

[24] Graben, Helga beim: Die Entwicklung des Wohnungswesens von Rom unter den Prozessen der Urbanisierung. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Naturwissenschaften im Department für

Geowissenschaften der Universität Hamburg, Hamburg 2008, S. 66

[25] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 220f.

[26] Bis Mitte 1920 wurde dadurch der Anteil der Arbeiter an Einwohnern in der Innenstadt von 3-5% auf 40% erhöht. Siehe Kreis: Moskau 1917-35, S. 20

[27] ВСНХ (Высший совет народного хозяйства) = Oberster Rat für Volkswirtschaft; von 1917-32 oberstes Organ der sowjetischen Volkswirtschaft

[28] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 65

[29] Neutatz, Dietmar: Die Moskauer Metro. Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus (1897-1935), Köln (u.a.) 2001, S. 28

[30] Ebd., S. 45-68

[31] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 69

[32] Ebd., S. 70

[33] Ebd., S. 70; zitiert nach: Sestakov, S.S.: Bol’saja Moskva [Groß-Moskau], Moskva 1925

[34] Ebd., S. 70

[35] Kreis: Moskau 1917-35, S. 53 f.

[36] Painter, Borden W.: Mussolini’s Rome. Rebuilding the Eternal City, New York 2007, S. 94

[37] Painter: Mussolini’s Rome, S. 95 ff.

[38] Graben: Die Entwicklung des Wohnungswesens, S. 71

[39] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 27 f.

[40] Ebd., S. 28

[41] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 75 ff.

[42] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 218

[43] Chan-Magomedow: Pioniere der sowjetischen Architektur, S. 277

[44] Ebd., S. 277

[45] Kreis: Moskau 1917-35, S. 42

[46] Kreis, Barbara: Zwischen „Lebendiger Klassik“, Rationalismus und Konstruktivismus – Die Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten WChUTEMAS in Moskau 1920-1930, In: WChUTEMAS, S. 22, 27

[47] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 95

[48] Bodenschatz: Diktatorischer Städtebau in der Zwischenkriegszeit, S. 45-64

[49] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 132 ff.

[50] Ebd., S. 94

[51] Ebd., S. 133

[52] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 83

[53] Borden: Mussolini’s Rome, S. 94

[54] Graben: Entwicklung des Wohnungswesen, S. 74

[55] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 26

[56] Ebd., S. 61

[57] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S, 86ff.

[58] Painter: Mussolini’s Rome, S. 105ff.

[59] Painter: Mussolini’s Rome, S. 98 ff.

[60] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 264 f.

[61] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 24

[62] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 79

[63]Ebd., S. 78

[64] Painter: Mussolini’s Rome, S. 95

[65] Ebd., S. 94

[66] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 27

[67] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 80 ff.

[68] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 83. Bodenschatz bezieht sich hier auf folgende Studie: Villani, Luciano: Le borgate des fascismo. Storia urbana, politica e sociale della periferia romana. Wissenschaftliche Untersuchung an der Università di Torino. Mailand 2012

[69] Ebd.

[70] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 61 ff.

[71] Zimmermann, Clemens: Introduction, In: Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939, hg. Von Clemens Zimmermann, Stuttgart 1997, S. 1

[72] Harlander, Tilman: Notwohnen und Selbsthilfe in der Großstadtperipherie der 20er und 30er Jahre. Beispiele aus Österreich, Deutschland, Italien und Griechenland, In: Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939, hg. Von Clemens Zimmermann, Stuttgart 1997, S. 75

[73] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 93 ff.

[74] Kreis: Moskau 1917-35, S. 32 f.

[75] Osterwold: Moskau, S. 259

[76] Kreis: Moskau 1917-35, S. 32 f.

[77] Chan-Magomedow: Pioniere der sowjetischen Architektur, S. 277

[78] Kreis: Moskau 1917-35, S. 43 ff.

[79] Kreis: Moskau 1917-35, S. 58 f.

[80] Diese Zahlen sind dem statistischen Anhang entnommen aus: Colton, Timothy J.: Moscow. Governing the Socialist Metropolis, Cambridge/London 1995, S. 757 f., 796 ff.

[81] Colton: Moscow, S. 164 ff.

[82] French, R. Antony: Plans, pragmatism and people. The legacy of Soviet planning for today’s cities, London 1995, S. 47

[83] Ebd., S. 44

[84] Projektaufgaben der Architekturfakultät, In: WChUTEMAS, S. 158

[85] Kopp, Anatole: Town and Revolution. Soviet Architecture and City Planning 1917-1935, New York 1970, S. 233

World War I in a global perspective

The so-called “First World War” was by far not the first war fought on several continents simultaneously: most famously, the Seven Years’ War from 1756 to 1763 affected Europe, both North and Central America, West Africa, India, and the Philippines. And, as the Crimean War shows, the “Great War”, as it is called in many Western Countries, was not even the first war in which non-European soldiers fought for European powers in a European theatre of war.[1] Still, the name is legitimate, given not only its global scale, but also the participation of non-European powers in a primarily European conflict, most importantly Japan and the USA, to a certain extent the British Dominions (given their still close constitutional relations to the UK), and, in a more supportive way, states like China, Portugal or Brazil.

In the following the global aspect of the war shall be analysed. Therefore, it shall be argued that the war served as a catalyst for phenomena of globalisation which in some ways had occurred already before 1914 and to which it added some new aspects, and that it can without doubt be considered a global war because of its global dimensions and the resulting global consequences.

After giving an overview over the international world order before 1914, in the first part of the essay the global scale of the war – most of all labor migration and the employment of non-European soldiers –  shall be examined. In a second part, the global consequences of these aspects of the war shall be analysed on the basis of primary sources from France, China and Australia, all of which relate to the Paris Peace Conference in 1919. Apart from showing the deviating conceptions of the post-war world order of the British, French and U.S. governments, on the one hand, and the Chinese government and public, on the other hand, in this second part the emergence of new local centres of power and the beginning of a more multipolar world shall be outlined, using the example of “sub-imperialist” Australia. Thus, in geographical terms the essay focuses on the British Empire, including its Dominions, especially Australia, as well as France, China and Japan.

In order to stress the consequences of the war, it is also necessary to adjust the periodization to a global understanding of the war and include the directly resulting wars in Central Europe in 1919, the war between Turkey and Greece from 1919-1922, as well as the numerous conflicts resulting from the collapse of the Tsarist Empire, which, understood as one connected bloodshed ranged from Warsaw to Vladivostok – and which was itself a truly global conflict due to the American and Japanese interventions in the Far East – to the war breaking out in July 1914. This “Long First World War” thus lasted until 1922, when Vladivostok fell to the Red Army.[2] In this understanding, the conference in Versailles was taking place while numerous conflicts which directly resulted from the war the conference was supposed to end were still being fought.

The World before 1914 was in many ways more global than one might expect, given the popular understanding of the beginning of Globalisation after 1945 or even in the 1990s. In terms of international relations, the imperial powers had created a “web of fragile and unstable regional security zones”[3], which meant that imperial rule was difficult to maintain in a global dimension, even more so after the so-called “Scramble for Africa” and the distribution of most parts of Asia among the Western imperial powers and Japan came to their end and the only remaining source for further acquisition of power became China and the Ottoman Empire, both of which were failing empires having missed a modernization of their economy and society.[4] This insecure network enabled regional conflicts to become global processes. The best example is clearly the July crisis of 1914: the regional conflict in the Balkans between Vienna and St. Petersburg immediately turned into a war of global dimensions which affected every single continent and ocean. One part of this mechanism of globalizing a local conflict was the structure of the then most powerful Empire on earth itself: the defence of London’s vast colonial rule and its trade routes relied on the acceptance of the “Pax Britannica” by the other imperial powers. The European conflict between the German and the British governments became thus automatically a global conflict since it was easier to cut the British supply lines than to attack its mainland.[5]

Within the scope of this essay there is no space to discuss the complex reasons of the outbreak of the war. What is important, though, is to recognize that the post-war order was, in many respects, an intensification of the insecure pre-war order, by offering no solution for long-term conflicts like the one between China and Japan, but rather worsening them. I thus accept Bayly’s thesis of the birth of a “multinational, more dangerous world”[6] before 1914 and aim to extend it in the following to the argument of the war being a catalyst transforming the insecure structure of imperial power to an even more fragile multipolar world without a powerful international body of world politics – which the League of Nations was clearly not.

Before discussing the global scale of the war, it is important to recognize the growing global consciousness emerging in many areas before 1914. Although one must not overestimate the role of anticolonial movements in the Western Empires before the war, the Chinese claims at the Peace Conference of 1919 can only be understood if examined in a longer perspective. In China, the revolution of 1911 can be considered a “sharp reaction to the apparently inexorable expansion of European and American economic and political influence around the world.”[7] After the proclamation of a Chinese republic in 1912 this anti-Imperial reaction was expressed in the emerging public sphere, most importantly in new founded newspapers and magazines. Confucianism was replaced by the new ideology of nationalism, the intellectual and bourgeois elite pushed for change both in China and its relations to the world. The World War then played an important part in this pre-war mind-set because it presented the opportunity to accomplish these aims in its nature of changing the international system.[8]

The war which broke out in 1914 was not only fought between the armies of the Entente and the Central Powers, but also between two competing economic blocs. The Allied nations benefited from their vast colonial resources, while the German economy was cut off from both the commodity and finance world market. In addition, the colonies supplied the “mother countries” even financially, India alone contributed £146 million to the British war costs.[9] In this respect, the United States indirectly participated in the war even before 1917 by supplying both the British and the French with credit, while Germany’s “demand for dollars” was restricted by the blockade.[10] For Japan, the economy boomed during the war, “not least on the back of Japanese investment in China […] and exploitation of China’s labour and raw materials.”[11] Another advantage of the Allied position of controlling the world oceans was the availability of labour migration from Africa, the West Indies and Indochina for the British and French armies.[12]

The most important labour market for the Allies, however, was China, which sent around 130,000 workers to France. Xu Guoqi describes the voyage of these workers to Europe and shows how harsh they were treated by their British and French employers. In short, the “voluntary” recruited workers were seen as children and forced to live in barbed-wired camps near the front-line, were they had to fulfil hard and dangerous tasks like digging the trenches. Xu also states that the experiences of these Chinese had a significant impact on the political development of China after the war, since they brought knowledge about Europe to their country of origin.[13] Although these consequences stay rather vaguely in his book, the racist and condescending attitude of the British and the French authorities towards the Chinese is revealing for the subsequent treatment of the Chinese delegation and their claims at the peace conference.

The British and French armies, however, did not only employ workers from other continents, they also deployed about 650,000 colonial soldiers on the European battlefields. In addition, Britain mobilized about 1,5 million Indian soldiers, whose majority fought in Mesopotamia against the Ottoman army. France, however, even used enlistment in some cases to support her struggle against the Germans with troops from West and North Africa, Madagascar and even Indochina.[14]

The racist attitude of the French government concerning these colonial troops is as revealing for the post-war order as the one towards the Chinese labourers. This becomes clear in a speech of Prime Minister George Clemenceau on 20 February 1918 to the French Senate:

We are going to offer civilisation to the Blacks. They will have to pay for that. […] I would prefer that ten Blacks are killed rather than one Frenchman – although I immensely respect those brave Blacks –, for I think that enough Frenchmen are killed anyway and that we should sacrifice as few as possible![15]

Apart from this large-scale global labour and military migration from other parts of the world to Europe and the resulting European reactions to this cross-continental contact – both on the Western and the Eastern side of the Western Front[16] – the war had also direct and long-term influences on the African theatre of war itself. In general, over two million Africans served in the war, most of them as packers rather than soldiers due to the insufficient infrastructure and the death of many pack animals by the tsetse fly. Over one million carriers were recruited by the British alone for their operations against the German colonial troops, which had a very different duration: While the German colonies of Togo, Cameroon and Namibia were conquered relatively quickly, the troops of General Paul von Lettow-Vorbeck in German East Africa involved the British and their Allies to a guerrilla war which lasted until 1918.[17] All in all, 10% of all Africans recruited during the war died, among the labourers maybe even 20%. Moreover, the German guerrilla war devastated large parts of East Africa.[18]

The war which had affected and killed millions of people, devastated whole regions in Europe and Africa and which had been fought on land and on sea, was tried to transform into a lasting peace at the Paris peace conference in 1919, while the fighting – as we have seen – continued in large parts of Eurasia. The opening speeches of the Western Leaders, based on the example of the French President Raymond Poincaré at this assembly of representatives from all six continents are an interesting source to analyse the Western understanding of the global dimension of the war shown above. Poincaré opens the negotiations which influenced the whole inter-war period in a degree probably no negotiator had imagined in 1919 by explaining the spread of the war to a global scale with the “pressure of the Central Powers”[19], which according to Poincaré made Portugal, China, and Siam join the war and thus depicting only the German imperialism as threatening world peace, while himself being the head of a global empire which was erected by means of violence. The entrance of the US and several Latin American countries was in his reading an act of “indignation” at the aggression which the Central Powers carried on “with fire, pillage, and massacre of inoffensive beings”, with which the world rose “from north to south”. The war is thus depicted as a moral struggle and a defence of humanity, in which the smaller nations as well as the United States helped the Allied Nations to protect civilisation. Apart from that, he presents the Allies as guarantors of freedom and independence of oppressed peoples:

While the conflict was gradually extending over the entire surface of the earth the clanking of chains was heard here and there, and captive nationalities from the depths of their age-long jails cried out to us for help.[20]

Since he does not only refer to Poles and Czecho-Slovaks, Jugoslavs and Armenians, but also to the Syrians and Lebanese, this speech can only be considered cynically, given the fact that Syria and the Lebanon became French mandatories of the League of Nations, which had already been agreed in a slightly different way in the Sykes–Picot Agreement of 1916.[21] In the light of this agreement his description of imperialism clearly shows that France and Britain were only interested in the maintenance or even expansion of their imperial power:

What justice banishes is the dream of conquest and imperialism, contempt for national will, the arbitrary exchange of provinces between states as though peoples were but articles of furniture or pawns in a game.[22]

For our argument it is important to note that the war was depicted as global in front of the future signatories of the treaty, but that in his view Britain and France– together with the United States – remained the active players or the subject of a future global order, while other nations only joined in the war against “Imperialism”.

The Chinese reaction to the peace treaty, by contrast, opens up quite a different perspective on the global dimension of the war. Even the organisational frame of the negotiations was perceived as humiliating by the Chinese government and the delegation in Paris: while China was treated as a minor power, its rival Japan was considered a major power and was part of the “Council of Ten”, existing of the main Allied nations. In the end, Japan received the former German province Shandong, which made the Chinese delegation boycott the treaty. The above mentioned new established Chinese public also closely followed the negotiations in Paris and was shocked by China’s treatment.[23] The example of the South China Morning Post illustrates this process. The paper was founded in 1903 as the first English-language newspaper in Hong-Kong. Unlike other Chinese newspapers in Hong-Kong it enjoyed a freedom of expression and thus played an important role in “consensus building”.[24] The fact that it is an English-language newspaper in a British colony does not strip it of its relevance for the Chinese discourse; on the contrary, it shows the truly global dimension of the debate about the post-war order by taking part in the discourse on a multinational level by expressing Chinese national claims in a possession of one of the opponents of these claims. In 1919, it published several articles on the negotiations, in which the feeling of injustice and the demand for sovereignty of Chinese politicians and the delegation in Paris were reported.

In April it quotes a message from the National Assembly of China to all delegations in Paris, which says that the “unequal diplomatic relations between China and Japan have caused the Oriental question to an obstacle to permanent world peace”. These unequal relations have their origin in the “forcible occupation of Tsingtau”, the “infamous twenty-one demands” from 1915 as well as in the “secret treaties Japan concluded with China since 1917”. Further the message deals with a Chinese delegate at the conference who in the eyes of the authors is a pro-Japanese traitor whom should not be trusted, which shows how important the conference is for the Chinese politicians.[25] Two things are remarkable here: for one thing, the accusations reflect the new self-perception of China as being a democratic nation, having global claims (in which we can see the long-term developments which started before the war) which were important for world peace. For another, this global consciousness seems significant enough to print it down in a newspaper addressed to English-speaking readers. Other articles stress the importance of Shantung for China – the delegation is quoted calling the province “China’s Holy Land”[26]. Finally, the delegation is cited as having two reasons to refuse the treaty: a definite guarantee that Japan would return Shandong to China and the “public opinion of the world [both] are not given”[27].

China’s case, however, was just one out of numerous claims of colonised elites in Africa and Asia, which were rejected at the Paris Peace Conference. Erez Manela shows impressively how also other national aspirations were created in the so-called “Wilsonian Moment”.[28] Still, one must by no means overestimate the direct impact of the First World War on anticolonial movements. While colonised elites developed the idea of their own nationalism during the war, anticolonial uprisings did not occur in a large scale during or immediately after the war.[29]

Apart from a grown global consciousness in different parts of the world the war also brought a change in the international order with it and created a more multipolar world. In addition to Japan, which gained the most at very little expense – in fact Japan was the only nation whose soldiers were “home at Christmas” and it lost less than 2000 men[30] – Australia is a good example for this development. The British dominion took part in the war on the British side without choice, since it was still constitutionally bound to do so.[31] Having already developed a sense of nationhood before 1914[32], the war was an important step for the country to gain its full independence and an own national identification. The role of the country in the war and its part in creating the post-war order are illustrative examples of the global dimension of the war. Australian soldiers were not only sent to a global journey – they were trained in Egypt, then fought in Transjordan and Gallipoli and finally at the Western Front –, Australia also became a so-called “sub-imperialist” power by gaining control over German Papua New-Guinea after the war.[33]

In a speech for the national elections in 1919, prime minister Hughes (1915-1923) describes this global campaign as a moment of national community. Yet, for him the main reason for Australia joining the war was to safeguard the Empire. He criticizes the Labour Party for its attempts to stop further Australian participation in the war in 1915/16 and links Australia’s and global freedom: had Labour been successful, “Australia would have been a German colony today”. Since the voters decided against conscription, he states, volunteers had to be shipped to the Western Front, who protected “civilisation”. This moral argument of volunteers protecting freedom he then uses to justify the colonisation of Papua New Guinea. The peace conference, where the country had “the right of separate representation”, Hughes even describes as a moment of nation-building: “This marks an epoch in our history. We were, by the assembled nations of the earth, granted the status of a nation.”[34]

In fact, Australia had no interest in weakening the British position in Asia and the Pacific since the British Empire was the only security against emerging Japan.[35] Still, Australia can be considered a more independent power after the war, now being an imperial power itself. Australia had thus not only an impact on the war in a far off region of the world and as a sub-imperialist power on the post-war order and the creation of a more multipolar world, but the global war had also a decisive impact on domestic politics and the national identification. The importance of this influence becomes clear if one looks at the annual commemoration of Anzac-Day in Australia today.[36]

To conclude, the “First World War” had not only global dimensions in terms of labourers and soldiers from Africa, China or Australia participating in a war between European Imperial powers either in their continent of origin or in another, but this global aspect of the war had truly global consequences. It resulted in a more multipolar world and raised national aspirations in many parts of the world, although in most cases these claims became only successful in the long run. As we have seen, in France, China and Australia, the war was understood as global, although rather different conclusions were drawn out of this global consciousness of the bloodshed. It can thus definitely be considered a global war: it transformed a fragile world order to an even more unstable postwar order and created or worsened all territorial, economic, political, ideological and intellectual conflicts of the 20th century.

Finally, the year 1917 can be seen as the beginning of the end of European rule. The entry of the US into the war on the one hand and the October Revolution in Petrograd on the other hand is, in the long term, the natal hour of the future bipolar world in which both France and the UK only played a minor role and Germany was divided. In 1917 also two ideas had emerged which further influenced not only Europe, but literally the whole world and which both dealt with the term “self-determination”: Lenin’s idea of a socialist world union and Wilson’s – copied – concept of a capitalist and liberal “League of Nations”.

Bibliography

Primary sources

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  • Chinese at Peace Conference. Peace Delagate Accused of Treason, South China Morning Post, 14.04.1919, p. 11.
  • Over-Night Cables: The Council of Four. Last Week’s Discussions. The Kiaochau Question, South China Morning Post, 09.05.1919, p. 7.
  • China and the Treaty, Paris, Sept. 15, South China Morning Post, 18.09.1919, p. 7

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Secondary sources

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[1] Koller, Christian: The Recruitment of Colonial Troops in Africa and Asia and their Deployment in Europe during the First World War, Immigrants & Minorities, 26 (2008), pp. 111-133, here p. 118.

[2] Payne, Stanley G.: Civil War in Europe, 1905-1949 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), pp. 33-95.

[3] Overy, Richard: Global war 1914-45, in McNeill, John and Pomeranz, Kenneth (Ed.): The Cambridge World History. Volume 7: Production, Destruction and Connection 1750–Present, Part 2: Shared Transformations (Cambridge: Cambridge University Press, 2015), pp. 299-320, here p. 301.

[4] Ibid, p. 301.

[5] Strachan, Hew: The First World War. A New Illustrated History (London: Simon & Schuster, 2003), p. 70.

[6] Bayly, Christopher: The Birth of the Modern World 1780-1914 (Oxford: Blackwell, 2004), p. 461.

[7] Bayly: Modern World, p. 463.

[8] Xu, Guoqi: Strangers on the Western Front. Chinese Workers in the Great War (Harvard: Harvard University Press, 2011), pp. 10-37.

[9] Koller: Recruitment, p. 112.

[10] Strachan, Hew: Economic Mobilization: Money, Munitions, and Machines, in Strachan, Hew (Ed.): The Oxford Illustrated History of the First World War (Oxford: Oxford University Press, 2014), pp. 134-148, here p. 137.

[11] Strachan: First World War, p. 75.

[12] Koller: Recruitment, p. 113.

[13] Xu: Strangers.

[14] Koller: Recruitment, pp. 113-14.

[15] Cited in Koller: Recruitment, p. 120.

[16] The deployment of African troops in the French army even had an influence on the German propaganda, which depicted black soldiers as beasts, while the Central Powers were presented as friends of Islam in order to recruit Muslim POWs for the Ottoman Army. See Koller: Recruitment, p. 123.

[17] Strachan: First World War, pp. 80-95.

[18] Koller: Recruitment, p. 112.

[19] The Opening of the Peace Conference. The Allies’ effort at the reconstruction of the world. January 18, 1919, in Source records of World War I, Volume VII, 1918-1919. Reconstruction and the Peace Treaty (Lewiston, N.Y.: E. Mellen Press, 1998), pp. 36-43, here p. 39.

[20] Ibid., p. 40.

[21] Smith, Leonard V.: Post-war Treaties (Ottoman Empire/ Middle East), in: 1914-1918-online.

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[22] The Opening of the Peace Conference, p. 42.

[23] Manela, Erez: The Wilsonian Moment. Self-Determination and the International Origins of Anticolonial Nationalism (Oxford: Oxford University Press, 2007), pp. 99-117.

[24]  Yizheng Zou: English newspapers in British colonial Hong Kong: the case of the South China Morning Post (1903–1941), Critical Arts, 29:1 (2015), pp. 26-40.

[25] Chinese at Peace Conference. Peace Delagate Accused of Treason, South China Morning Post, 14.04.1919, p. 11.

[26] Over-Night Cables: The Council of Four. Last Week’s Discussions. The Kiaochau Question, South China Morning Post, 09.05.1919, p. 7.

[27] China and the Treaty, Paris, Sept. 15, South China Morning Post, 18.09.1919, p. 7.

[28] Manela: The Wilsonian Moment.

[29] Strachan: First World War, p. 94; see also: Bayly: Modern World, p. 466.

[30] Strachan: First World War, p. 73.

[31] Macintyre, Stuart: A Concise History of Australia (Cambridge: Cambridge University Press, 2009), p. 157.

[32] Bayly: Modern World, p. 462.

[33] Macintyre: Australia, pp. 159-167.

[34] Hughes, Billy: Election speech delivered at Bendigo, Vic on October 30th, 1919. http://electionspeeches.moadoph.gov.au/speeches/1919-billy-hughes.

[35] Macintyre: Australia, p. 167.

[36] See for instance the official Australian website of the commemoration of Anzac-Day: https://www.awm.gov.au/commemoration/anzac/anzac-tradition/.