Die „proletarisch-revolutionäre“ Literatur und die KPD

„Proletarisch-revolutionäre Literatur ist nicht Armeleutepoesie oder Mitleidsdichtung, sie bewimmert nicht tränenbeflissen das Elend des Proletariats […]. Im Trommelfeuer und in Straßenkämpfen ist sie geboren, sie ist unter dem Druck der Zensur groß geworden. Die Antwort, die sie auf die Ausbeutung und auf den Krieg gibt, ist eine aktive Lösung.“[1] Dieses Zitat Johannes R. Bechers aus dem Jahre 1929 beschreibt beispielhaft die Haltung der KPD zu Fragen der Literatur. Die „proletarisch-revolutionäre“ Literatur – der Begriff steht im Kontrast zur sozialdemokratischen ‚Arbeiterliteratur‘ – ist aus Sicht der KPD gegen Ende der Weimarer Republik eine Waffe im Klassenkampf und, wie Alfred Döblin es treffend sarkastisch auf den Punkt bringt, „im Besitz der Unfehlbarkeit“[2], was allein schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass Bechers seine Proklamation nicht einmal mehr mit einer ‘soll’ oder ‘muss’-Form verkleidet, sondern sie als feststehende Tatsachen darstellt.

Bechers Aufsatz steht jedoch nur beispielhaft für die KPD-Kulturpolitik in der Endphase der Republik. Bis 1929 hat die Partei bereits andere Ansichten verworfen und durch ihre Macht als größte kommunistische Organisation bereits Einfluss genommen auf die vielseitigen Ausdrucksformen der neuen Literatur in der ersten Demokratie auf deutschem Boden; und sie wird es auch in den letzten Jahren bis 1933 weiter tun.

Die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung positioniert sich um den Kulturbegriff der KPD in den verschiedenen Phasen der Weimarer Republik. Gefragt werden soll nach der Beziehung zwischen der Partei und den „linken“ Schriftstellern. Vor allem anhand der Theaterszene soll festgestellt werden, wie groß der Einfluss der Partei auf die jeweiligen Organisationsformen proletarischen Theaters war und wie die Wechselwirkung zwischen den beiden Polen zu bewerten ist: Richten sich die Autoren, Spielgemeinschaften und Inszenierungen nach den Parteivorgaben oder propagieren die Parteivorgaben nicht eher nur die bereits vorhandenen Kunstformen?

Da die Fragestellung ein sehr breites Themenfeld betrifft, sollen in dieser Arbeit wie bereits gesagt vor allem die Spielgruppen und allgemein die Theaterszene betrachtet werden, jedoch sollen auch allgemeine kultur- bzw. kunstpolitische Entwicklungen mitberücksichtigt werden.

Nach einer Einführung in die kulturpolitischen Positionen der KPD in der Frühphase der Weimarer Republik werden verschiedene Tendenzen des kommunistischen Theaters betrachtet bzw. die Einflussnahme der Partei darauf, um im Zweiten Teil auf den BPRS, die Agitprop-Bewegung und die sich gewandelte Einstellung der KPD einzugehen.

Die Auftrennung in zwei Blöcke rührt von den großen Unterschieden in der Kulturpolitik der KPD zum Anfang und Ende der Republik her.

Anfangsphase der Weimarer Republik

Haltung der KPD

Die Haltung der KPD zur Kultur ist anfangs noch stark von den Vorkriegspositionen der SPD geprägt. Franz Mehrings Ansicht, eine eigene Kultur der Arbeiterklasse dürfe erst nach dem „ökonomisch-politischen Siege des Proletariats“ entstehen, kann man in den Anfangsjahren auch in den KPD-Leitlinien in Fragen der Kultur wiederfinden.[3] Bestärkt wird diese Linie nicht nur von Leo Trotzki, der 1923 in mehreren in der „Prawda“ veröffentlichten Artikeln die Ablehnung einer proletarisch-revolutionären Literatur im kapitalistischen System proklamiert, da eine solche klassenspezifische Literatur dem Endziel, also der Zerstörung der Klassengesellschaft entgegenwirke und somit konterrevolutionär sei.[4] Zwar widerspricht beispielsweise Clara Zetkin bereits 1911 dieser Haltung mit dem Argument, Kunst müsse als Ausdruck eines revolutionären Bewusstseins die Vorherrschaft der bürgerlichen Ideologie herausfordern[5], jedoch kann man eine kulturkonservative Linie innerhalb der KPD bis in die 20er Jahre hinein beobachten.[6]

Die Anfangsjahre der Weimarer Republik sind indes von den verschiedensten literarischen Formen geprägt. Die Position der KPD, vorerst das Erbe der bürgerlichen progressiven Schriftsteller des 19. Jahrhunderts gegen die modernen Tendenzen des Expressionismus, Aktivismus und Dadaismus zu bewahren, wirkt wie ein verzweifelter antimodernistischer Versuch, die Kontrolle über eine vielschichtige und sich stark verändernde Literaturszene zu erlangen, in der die Zugehörigkeit zu den linken Kräften nicht so leicht auszumachen war.

So fallen in die Frühphase der Weimarer Republik neben die erwähnte KPD-Position auch ganz andere Proklamationen an „das Proletariat“. Kurt Eisner beispielsweise verfasst einen Monat vor seiner Ermordung, im Januar 1919, eine Schrift, in der er die Freiheit als Voraussetzung für das Gedeihen einer proletarischen Kunst darstellt. Der ideale Staat lässt für Eisner den Künstler frei seinen Trieben folgen, schränkt ihn also nicht in seiner Kreativität ein.[7] Vor allem im Kontrast zur Parteilinie in der Spätphase oder gar zur späteren Kulturpolitik der SED – auch wenn dies freilich kein Teil dieser Arbeit ist – gewinnt dieser Aufsatz an Relevanz.

Einfluss auf die Theaterszene

Das erste Beispiel der aktiven und erfolgreichen Einmischung der KPD in die Theaterszene findet sich bei der Bekämpfung des „Proletarischen Theaters“, einer Gegengründung zur sozialdemokratischen Volksbühne. Die ca. 5000 Mitglieder des „Proletarischen Theaters“ entstammen zwar kommunistischen Vereinigungen, jedoch solchen, welche die KPD ablehnt.[8] An einer Kritik an der Aufführung des Stückes „Rußlands Tag“ unter Erwin Piscator 1920 anlässlich des dritten Jahrestages der Oktoberrevolution wird die kulturkonservative Sicht der KPD in dieser Phase der Republik deutlich. Die KPD-Kulturkritikerin Gertrud Alexander kritisiert die Bezeichnung Kunst anstatt Propaganda. Theater verlange künstlerische Leistung, weshalb die bürgerliche Kunst dem vorzuziehen sei.[9]

Die ablehnende Haltung der KPD führt schließlich dazu, dass die Zuschüsse vonseiten der Partei ausbleiben und eine ausreichende Massenbasis gar nicht erst geschaffen werden kann. Dies führt 1921 zur Auflösung des „Proletarischen Theaters.“

Ebenso wird der 1919 gegründete „Bund für proletarische Kultur“ von der KPD-Presse stark kritisiert.[10] Obwohl KPD-Mitglieder zu den Initiatoren des Bundes gehören, erscheint im KPD-Presseorgan „Freiheit“ eine vernichtende Kritik.

Aber auch Kritik an Stücken wie Tollers „Die Wandlung“ oder „Freiheit“ von Herbert Kranz, die in der KPD-Presse als gegenrevolutionär beschrieben werden, sind in diese Reihe einzufügen. Diese seien in ihrer Tendenz ‘bürgerlich’ und ‘pazifistisch’.[11]

Wichtig für die Fragestellung sind zudem die „Leitsätze zur Bildungsarbeit der KPD“ anlässlich der ersten Reichsbildungskonferenz 1922. Darin werden „proletarische Sport- und Gesangvereine, dramatische Klubs, Freidenker- u. Proletkultbestrebungen, freie Schulgesellschaften, Volksbühnen, proletarische Theater usw.“[12] als Leitlinien der Kulturpolitik vorgegeben. Es handelt sich dabei also „zunächst lediglich um den Zugriff auf bereits existente kulturelle, bzw. subkulturelle Zusammenhänge und nicht um eigene Konzeptionen.“[13]

Entwicklung des Sprechchores

Bereits 1922 kann man jedoch auch Tendenzen erkennen, die hin zu einer neuen Kultur führen sollen. Im Bereich des Sprechchores kann man bereits einen starken Einfluss der Partei erkennen. Der Wandel in der Kulturpolitik verläuft dabei parallel mit dem Beginn der wirtschaftlichen Stabilisierung der Republik. In den im Januar 1922 herausgegebenen „Leitsätzen zur Bildungsarbeit der KPD“ wird die Notwendigkeit eines kulturpolitischen Kampfes proklamiert.[14] Zetkins Vorkriegsposition scheint sich nun doch durchzusetzen: zum Zwecke der Gewinnung größerer Teile der Bevölkerung soll der bürgerlichen Kultur nun doch eine Arbeiterkultur entgegengesetzt werden. Vor allem der Sprechchor und generell das Theater soll dabei die bevorzugte Rolle spielen.

Von der bereits erwähnten, im Allgemeinen ‘kulturkonservativen’ Gertrud Alexander finden sich über den Sprechchor lobende Worte. Ihrer Meinung nach gebe er dem Proletariat die „Möglichkeit einer gefühlsmäßigen Präsentation des Kampfwillens; die individuelle Leistung eines Künstlers werde durch die kollektive Darbietungsform aufgehoben, was qualitativ eher dem Bewusstsein der Arbeiterklasse entspräche.“[15]

Der erste Sprechchor der Partei, der „Zentrale Sprechchor der KPD“, wird im Frühjahr 1922 gegründet. Die Form des Sprechchores war jedoch weder von der KPD erfunden worden noch wird er nur von „proletarisch-revolutionären“ Gruppen verwendet. Etwa im Stück „Der Moloch“ von Bruno Schönlank aus dem Jahre 1923 wird ebenfalls die Form des Sprechchores verwendet, hier sogar in ein Konzept des Bewegungssprechchores eingebettet. Und das, obwohl sowohl Schönlank als auch die Aufführung dem sozialdemokratischen Arbeitertheater zuzurechnen sind.[16]

Durch den Sprechchor erlangt die KPD nun nicht nur Einfluss auf die Zuschauer, sondern auch auf wichtige Autoren. Von Wangenheim und ab 1924 auch Piscator sind dafür sicherlich die bekanntesten Beispiele.

Erwin Piscator

Anhand der Person Erwin Piscators lässt sich die sich verändernde Sicht der KPD in Kulturfragen exemplarisch ablesen. Wurde er in den Anfangsjahren der Republik noch für sein Wirken im „Proletarischen Theater“ kritisiert, bekam er schon 1924 einen Parteiauftrag zu einer Propagandaveranstaltung anlässlich der Reichstagswahlen.[17] Diesen Auftrag kann man als Brückenschlag in die Zweite Phase der KPD-Kulturpolitik ansehen, die innerhalb der sich stabilisierenden wirtschaftlichen Verhältnisse einerseits die Arbeiterkorrespondentenbewegung[18] durchzusetzen sucht, und zum anderen beispielsweise im Bereich des Theaters nun auch eine eigene „klassenspezifische“ Kunst zulässt bzw. sie fördert.

Den Höhepunkt des Einflusses der KPD auf zumindest bestimmte Theatergruppen und Inszenierungen, man könnte auch sagen der Verbindung von Politik und Kunst, sind in der Anfangsphase der Republik Erwin Piscators Aufführungen „Roter Rummel“ 1924 und seine Inszenierung beim Parteitag 1925. Letztere Aufführung ist ein riesiges Massenspektakel, bei dem insgesamt mehr als 2000 Personen mitwirken. Die Organisation, also zum Beispiel das Zusammenbringen der vielen verschiedenen mitwirkenden Gruppen – die Schauspieler rekrutieren sich unter anderem aus dem Rotfrontkämpferbund, dem kommunistischen Sängerbund sowie proletarischen Sprechchören und Spielgemeinschaften – wird direkt von der Partei übernommen.[19]

„Oppositionelle“ Tendenzen

Der hier beschriebene Einfluss der Partei auf bestimmte Theatergruppen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Bereich der linksgerichteten Kunst besonders in der Frühphase Tendenzen gegen die Parteilinie und auch parteikritische Werke gibt. Beispielsweise im 1924 verfassten Gedicht Oskar Kanehls unter dem Titel „Antreten zum Kommunismus“ wird der Ordnungswahn der Partei angegriffen. Nicht die Sipo (Sittenpolizei) oder Reichswehr  stellt nach Demonstration, Hungerrevolte und Arbeitslosigkeit die Ordnung wieder her, sondern die Genossen selbst.[20]

Eine Gruppe junger bürgerlicher Intellektueller, die sich dem Kommunismus immer weiter zuwendet, lehnt die Parteipositionen ab und verwirklicht sich in Formen wie „Spontaneismus und Massenaktion“[21]. Durch schnell auftretende Konflikte mit der KPD gründet die Gruppe um Wieland Herzfelde eigene Organisationen. Vor allem die KPD-Position der Bewahrung von Teilen des bürgerlichen Kulturerbes lehnt die Gruppe ab und wendet sich neben Spontaneismus auch dem russischen „Proletkult“ zu.[22]

Endphase der Weimarer Republik

Bestimmend für die Endphase der Republik ist eine zunehmende Institutionalisierung und Kontrolle der Partei über die verschiedenen Spielgemeinschaften und Bühnen. Und auch hier ist die Rolle der Partei – vor allem in der Selbstsicht – wichtig für die Kulturpolitik der KPD. Die Gründung des BPRS (Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller) 1928 fällt kurz vor die Weltwirtschaftskrise und soll bürgerliche, sich der KPD zugewandte Schriftsteller mit neu zu gewinnenden Arbeiterschriftstellern zusammenbringen.

In der Weltwirtschaftskrise wird durch den BPRS zudem die Vorgabe, Literatur nur für Proletarier zu schaffen, ausgeweitet, sodass nun auch die Mittelschicht für die Parolen der KPD gewonnen werden soll, was eine Ausweitung des Themenspektrums der Literatur über die des Arbeitskampfes hinaus bedeutet.[23]

Kontrolle über andere Kulturorganisationen

Jedoch kann man sogar bereits vor der Gründung des Bundes Tendenzen der Partei zur Kontrolle anderer Kulturorganisationen erkennen. Nicht nur dass auf dem Parteitag der KPD 1927 eine „Rote Kulturfront“ gegründet wird, die auf ein Zusammenwirken der KPD mit bereits bestehenden proletarischen Kulturorganisationen abzielen soll und aus der der BPRS quasi hervorgeht, sondern auch die seit den Anfangsjahren der Republik von der Sozialdemokratie kontrollierte Volksbühne wird seit 1926 immer mehr von der KPD unterwandert.[24] In diesen beiden Punkten, besonders in der „Roten Kulturfront“, kann man also eine Bewegung von der Partei aus zu bereits bestehenden Kultureinrichtungen hin erkennen. Zu der Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von Parteilinie und Kunst sind also bis jetzt verschiedene Aspekte deutlich geworden: Einerseits greift die Partei in manche Bereiche, wie im Fall des „Proletarischen Theaters“, aktiv in die Kulturszene ein und verändert diese aus ihren parteipolitischen Kulturvorstellungen heraus. Andererseits gibt es aber auch eine Bewegung hin zur Kontrolle oder zumindest zu einer institutionellen Einbindung von bestehenden Organisationen.

Bertolt Brecht

Die in dieser Arbeit beschriebenen Tendenzen treffen natürlich nicht auf alle Autoren zu. Bertolt Brecht beispielsweise kann man erst ab ca. 1927 als „Sozialisten“ bezeichnen (obwohl er beispielsweise von Thomas Mann schon viel früher als ein solcher bezeichnet wird), und selbst in den letzten Jahren der Republik kann man ihn nie auf die Parteilinie beschränken. Er ist weder Parteimitglied noch im BPRS aktiv. Dennoch ist sein Theater für die zu untersuchende Gruppe eminent wichtig. Nicht nur dass beispielsweise sein Stück „Die Maßnahme“ 1930 vom „Arbeiterchor Groß-Berlin“, also einer Laienspielgruppe uraufgeführt wird, sondern auch sein theoretisches Konzept des Epischen Theaters, dessen Elemente auch in vielen anderen linken Theatergruppen und Inszenierungen zu finden sind, bezeugen seine Rolle im „linken“ Kulturleben der Weimarer Republik. Brechts Werke in der Spätphase der Weimarer Republik lassen zwar eine starke Hinwendung zur kommunistischen Propaganda erkennen, dennoch ist Brecht vor allem an der Umsetzung seiner theoretischen Überlegungen und seines Konzeptes des Epischen Theaters gelegen.

Johannes R. Becher und die Kulturpolitik der KPD in der Endphase der Republik

Klare Richtungsweisungen zur Art und Weise der neu zu schaffenden „proletarisch-revolutionären“ Kunst finden sich unter anderem in „Die Linkskurve“, der Zeitschrift des BPRS, die sich bis zum Ende ihres Bestehens 1932 zum zentralen kulturpolitischen Organ der KPD entwickelt.

In einem Beitrag darin unter dem Titel „Unsere Front“ macht Johannes R. Becher seine Ansichten der proletarischen Kultur deutlich. Der Aufsatz betont durch den Titel sowie die durchgehaltene Wir-Form die Einheit und Geschlossenheit der proletarischen Klasse und auch Literatur und stellt die proletarisch-revolutionäre Literatur als Kampfmittel gegen die bürgerliche Klasse und gegen den Kapitalismus dar. Besonders betont er die Abgrenzung zur bürgerlichen Literatur, die die „Tatsachen“ als „Schicksal beschwatze“ und darauf verzichte, „Geschichte mitzuschaffen.“

Die neue proletarische Literatur dagegen singe „Klassenliebe und Klassenhaß. Sie marschiert mit unter der Parole ‘Krieg dem Krieg!’“.

Der Aufsatz steht beispielhaft für die Kulturpolitik der KPD gegen Ende der Weimarer Republik: Die anfangs beschriebene Ansicht, klassenspezifische Kunst sei im Kapitalismus abzulehnen oder die kulturkonservativen Ansichten etwa Gertrud Steins zur Bewahrung des bürgerlichen Kulturerbes sind nun ersetzt durch eine Absage an bürgerliche Kunst und durch die Propagierung der Einbindung von Kunst in den Klassenkampf und die revolutionären Bemühungen. Nicht umsonst endet der Artikel mit den Worten „UdSSR funkt die rote Melodie der Welt.“[25]

Auf die Theaterebene bezogen betont er durch den Anspruch an Realismus, die Negierung des Schicksals und die Absage an „Maskeraden“ und andere Verklärungen sowie durch den Aufruf zur Tat durch die Mittel der Kunst die Richtlinien des Agitprop, des propagandistischen Theaters und letztendlich auch des Epischen Theaters Bertolt Brechts.

Die Tendenzen des Artikels machen den Anspruch der Partei in der Endphase der Republik deutlich. Nicht nur dass nun eine eigene proletarische Kunst gewollt ist, sie ist von der Parteiseite aus – Becher hatte innerhalb der KPD, vor allem in Fragen der Kultur, eine wichtige Rolle inne – die einzige akzeptierte Kunst im Sinne des Klassenkampfes und stellt somit ein Bestreben zur Kontrolle oder zumindest Einflussnahme dar sowie den Wunsch, die normsetzende Rolle in der proletarischen Kunst zu sein – entgegen beispielsweise dem anfangs erwähnten, in der Vorkriegs-SPD einflussreichen Kurt Eisner, der für eine Freiheit der Kulturschaffenden und ihrer Ausdrucksformen plädiert. Diese kontrollierenden Bestrebungen werden auch in den Zielen des BPRS deutlich, der durch Anwerbung und Schulung potentieller Arbeiterschriftsteller Einfluss vor allem in den noch nicht etablierten Kulturkreisen erlangen möchte.[26]

Einfluss auf Agitprop-Bewegung

Im Bereich des Theaters wird dies 1928 deutlich, als sich die Zentrale der KPD Einfluss auf die Agitprop-Bewegung sichert. Die Agitprop-Bewegung existiert seit den frühen 20er Jahren, erfolgreich und massenwirksam wird das Konzept jedoch erst unter Anleitung der KPD 1926/27.[27]

Dies reiht sich in die anderen Beobachtungen ein, nämlich dass die Partei in organisatorischen Fragen in der kommunistischen Kunstszene großen Einfluss besaß, jedoch im Theaterbereich eher wenig bis gar keine künstlerischen Vorgaben schuf.

Durch Unterwanderung und Reorganisation des „Deutschen Abeitertheaterbundes“ (DAThB) erlangt die Partei in der von ihr zum „Arbeiter-Theater-Bund Deutschlands“ (ATBD) umbenannten Organisation die Kontrolle oder zumindest Einfluss auf wichtige Agitproptruppen. Zusammen mit dem „Internationalen Arbeiter-Theater-Bund“ in Moskau werden auf gemeinsamen Konferenzen wichtige Beschlüsse zur Agitprop-Bewegung gefasst. Auch durch Schulungen und Wettbewerbe soll die Bewegung gestärkt werden.[28]

Auf die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung bezogen heißt das, die Partei versucht in der Spätphase der Republik einerseits, durch Stellungnahmen wie die Bechers eine klare Leitlinie in der Arbeiterkultur vorzugeben, verschafft sich andererseits aber auch Einfluss auf bereits bestehende Kultureinrichtungen, etwa im zuletzt beschriebenen Fall der Zusammenfassung der Agitproptruppen.

Nun bleibt jedoch die Frage, wie stark der Einfluss der Parteivorgaben auf die Literatur bzw. die Literaturschaffenden war. Anders gefragt, ob sich die Leitlinien wie die Bechers nicht doch in die bereits bestehende Tendenz des klassenbewussten Schreibens einbetten und somit nur mit dem Strom der Zeit schwimmen und sich trotzdem stilschaffend gebärden.

Der Einfluss der Partei bzw. der Parteilinien auf einzelne Schriftsteller ist schwer auszumachen. Neben der organisatorischen Unterstützung für manche Bereiche der Kultur ist hier vor allem die Schulung bzw. Ausbildung von Arbeiterschriftstellern im BPRS wichtig. Im Fall der Agitpropbewegung kann man feststellen, dass die Partei dieser durch ihre Unterstützung zum großen Erfolg verhilft, ebenso wie sie anderen Tendenzen durch Kritik oder ausbleibende organisatorische Unterstützung schadet. Von der Parteilinie weitgehend unabhängig agieren literarische Größen wie Bertolt Brecht, der zwar mit seinen Lehrstücken klar zum kommunistischen Theater tendiert, jedoch nie Parteimitglied ist.

Allein die zunehmende Zahl an Publikationen und auch Bühnen gegen Ende der Weimarer Republik macht eine macht eine komplette Kontrolle der Partei über alle linksgerichteten Theater- und allgemein Kunstprojekte unmöglich.

Fazit

Festzuhalten ist, dass die Partei in organisatorischen Fragen durchaus Einfluss auf die Literatur-, besonders auf die Theaterszene hatte, nicht nur im Bereich der Theaterorganisationen, sondern auch in der Anwerbung und Schulung von Arbeiterschriftstellern im BPRS. Deutlich wird dies am Beispiel des „Proletarischen Theaters“, das durch die Bekämpfung durch die KPD untergeht.

Im künstlerischen Bereich kann man dies nicht so stark beobachten, hier schwimmt die Partei mehr mit dem Strom, als dass sie tatsächlich künstlerische Akzente setzt. Beispiele sind die Agitprop-Truppen, die zwar erst durch die organisatorische Hilfe der Partei zu ihrem großem Erfolg gelangen, jedoch auch – sogar in der SPD, man denke an Bruno Schönlank – schon vor der Inanspruchnahme der KPD existieren.

Und natürlich gibt es neben den Parteipositionen auch immer abweichende Meinungen und Organisationen wie jener erwähnte Kreis junger Intellektueller in den Anfangsjahren der Republik oder die großen Namen der Literaturszene, die ebenfalls dem linken (Brecht oder auch Tucholsky) oder einfach dem gesellschaftskritischen Spektrum der Literatur angehörten.

Primärquellen

Alfred Döblin: Katastrophe in einer Linkskurve. In: Das Tagebuch 11 (2. Mai 1930) H. 18

Kurst Eisner: Der sozialistische Staat und der Künstler. In: „Die Republik 2, Nr. 17, 17. Januar 1919

Johannes R. Becher: Unsere Front. In: Die Linkskurve 1 (Agugust 1929), Nr. 1

Alle Primärquellen nachzulesen in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, hrsg. Von Anton Kaes, Stuttgart 1983

Sekundärquellen

Bendel, Oliver: Das revolutionäre Arbeitertheater der Weimarer Zeit. Theater als Instrument kommunistischer Propaganda, Konstanz 2004

Burns, Rob: Theorie und Organisation der proletarisch-revolutionären Literatur in der Weimarer Republik, In: Bullivant, Keith (Hrsg.): Das literarische Leben in der Weimarer Republik, Königstein/Ts., 1978

Hartung, Günter: Der Dichter Bertolt Brecht: zwölf Studien, Leipzig 2004

Hein, Anna Elisabeth; Hein, Peter Urlich: Kunstpolitische Konzepte der deutschen Arbeiterbewegung. Eine Darstellung am Beispiel von Literatur und Theater, Münster 1983

Safranski, Rüdiger; Fähnders, Walter: Proletarisch-revolutionäre Literatur. In: Literatur der Weimarer Republik 1918-1933. Herausgegeben von Bernhard Weyergraf, München 1995

Stieg, Gerald: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, In: Stieg, Gerald/Witte, Bernd: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, Stuttgart 1977

[1]Zitiert nach: Johannes R. Becher: Unsere Front. In: Die Linkskurve 1 (Agugust 1929), Nr. 1, S. 1-3. Der Artikel findet sich auch in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, hrsg. Von Anton Kaes, Stuttgart 1983, S. 610

[2]Alfred Döblin: Katastrophe in einer Linkskurve. In: Das Tagebuch 11 (2. Mai 1930) H. 18, S. 694-698

[3]Burns, Rob: Theorie und Organisation der proletarisch-revolutionären Literatur in der Weimarer Republik, In: Bullivant, Keith (Hrsg.): Das literarische Leben in der Weimarer Republik, Königstein/Ts., 1978, S. 224

[4]Burns: Theorie und Organisation, S. 222

[5]Auch ein 1905 in Russland veröffentlichter Aufsatz Lenins mit dem Titel „Partei und Proletariat“, der eine der klarsten Formulierungen der Notwendigkeit und der Bedingungen einer proletarischen Literatur darstellt, ändert diese Haltung anfangs nicht. Dies könnte auch daran liegen, dass der Aufsatz erst 1924 übersetzt und in Deutschland publiziert wurde; nachzulesen in: Burns: Theorie und Organsiation, S. 223

[6]Safranski, Rüdiger; Fähnders, Walter: Proletarisch-revolutionäre Literatur. In: Literatur der Weimarer Republik 1918-1933. Herausgegeben von Bernhard Weyergraf, München 1995, S. 184

[7]Wörtlich heißt es darin: „Der Staat kann dem Bürger nichts anders raten, als dass er frei und unabhängig seinem innersten Triebe folgt, und das ist die größte Förderung, die der Staat der Kunst angedeihen lassen kann: dass er dem Künstler die vollkommene Freiheit seiner künstlerischen Betätigung gibt.“. Die zitierte Schrift „Der sozialistische Staat und der Künstler“ erschien in: „Die Republik 2, Nr. 17, 17. Januar 1919, S. 1-2

[8]Bendel, Oliver: Das revolutionäre Arbeitertheater der Weimarer Zeit. Theater als Instrument kommunistischer Propaganda, Konstanz 2004, S. 14

[9]In der Kritik heißt es wörtlich: „Im Programm steht […] dies solle keine Kunst sein, sondern Propaganda. Man wolle die proletarische, kommunistische Idee auf der Bühne zum Ausdruck bringen, um propagandistisch und erzieherisch zu wirken. Man will nicht „Kunst genießen“. Dazu ist zu sagen: Dann wähle man nicht den Namen Theater, sondern nenne das Kind bei seinem rechten Namen: Propaganda. Der Name Theater verpflichtet zu Kunst, zu künstlerischer Leistung! […] Kunst ist eine zu heilige Sache, als daß sie ihren Namen für Propagandamachwerk hergeben dürfte! […] Was der Arbeiter heute braucht, ist eine starke Kunst […] solche Kunst kann auch bürgerlichen Ursprungs sein, nur sei es Kunst.“ Nachzulesen in: Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 21

[10]Safranski; Fähnders: Proletarisch-revolutionäre Literatur, S. 179

[11]Hein, Anna Elisabeth; Hein, Peter Urlich: Kunstpolitische Konzepte der deutschen Arbeiterbewegung. Eine Darstellung am Beispiel von Literatur und Theater, Münster 1983, S. 40

[12]Hein: Kunstpolitische Konzepte, S. 40

[13]Ebd., S. 40

[14]Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 24

[15]Hein: Kunstpolitische Konzepte, S. 39f.

[16]Stieg, Gerald: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, In: Stieg, Gerald/Witte, Bernd: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, Stuttgart 1977 , S. 100

[17]Nach: Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 37

[18]Diese Bewegung stellt den Versuch dar, Arbeitern die Möglichkeit zu geben, selbst journalistisch tätig zu werden und ist verbunden mit der allgemeinen Parteistrategie, sich in „Betriebszellen“ umzuorganisieren

[19]Stieg: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, S. 110

[20]Nachzulesen in: Safranski; Fähnders: Proletarisch-revolutionäre Literatur, S. 189

[21]Burns: Theorie und Organisation, S. 225f.

[22]Burns: Theorie und Organisation, S. 225f.

[23]Burns: Theorie und Organisation, S. 236

[24]Stieg: Das Arbeitertheater in der Weimarer Republik, S. Ca. 99

[25]Zitiert nach: Johannes R. Becher: Unsere Front. In: Die Linkskurve 1 (Agugust 1929), Nr. 1, S. 1-3. Der Artikel findet sich auch in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, hrsg. Von Anton Kaes, Stuttgart 1983, S. 610

[26]Burns: Theorie und Organisation, S. 227f.

[27]Hartung, Günter: Der Dichter Bertolt Brecht: zwölf Studien, Leipzig 2004, S. 138

[28]Bendel: Das revolutionäre Arbeitertheater, S. 67f.

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