Wohnungsbau in Rom und Moskau in den 1920er Jahren im Vergleich

Der gewaltige „Palast der Sowjets“ (oder vielmehr dessen Plan) inmitten stalinistischer Prunkarchitektur auf der einen Seite, die freigelegte Via dell’Impero oder die Città Universitaria auf der anderen Seite. Das könnten die ersten Assoziationen zum Städtebau im sozialistischen Moskau und dem faschistischen Rom sein. So bedeutend diese propagandistischen Großprojekte auch sind, reicht ein Blick auf sie bei weitem nicht aus, um den politischen Gehalt der städtebaulichen Hauptstadtpolitik zu erschließen. Gerade vom vielleicht marginal erscheinenden Bereich des alltäglichen Wohnens und des dafür nötigen Wohnungsbaus geht also diese Arbeit aus und sucht durch eine vergleichende Perspektive einen breiteren Blickwinkel zu erreichen.

Interessant macht den Vergleich gerade Moskaus und Roms die fast zeitgleiche Machtergreifung der beiden neuen, jeweils auf ihre Weise revolutionären und sicherlich durch den 1. Weltkrieg erst ermöglichten und durch ihn geprägten Regierungen. Sowohl die Bolschewiki unter Lenin also auch die italienischen Faschisten unter Mussolini wollten einen neuen Staat mit einem neuen Menschen, beide verstanden sich als Befreier vom Alten, auch wenn dies in Italien mit einem Antikekult verbunden war. Im Bereich des Wohnungsbaus spiegelt sich dies wie wir sehen werden durch unterschiedliche Herangehensweisen mit trotzdem teilweise ähnlichen Resultaten wieder.

In dieser Arbeit soll dieser Vergleich anhand der Fragestellung durchgeführt werden, was der Wohnungsbau über die jeweiligen Legitimations- und Herrschaftsmechanismen aussagt. Der betrachtete Zeitraum beschränkt sich dabei auf die 1920er Jahre, also von 1917/1922 bis ca. 1930. Dies ist nicht nur des Umfangs der Arbeit geschuldet, sondern auch der Präzision der Fragestellung auf die Etablierungsphase der beiden Systeme. Der betrachtete Gegenstand ist – um die gestellte Frage beantworten zu können – der gesamte Wohnungsbau, es handelt sich also nicht allein um einen Vergleich nur der sozialen Wohnungsbaumaßnahmen. Dies bezieht sich freilich vor allem auf das Beispiel Rom.

Zunächst soll – nach einem kurzen Überblick über die allgemeine Bedeutung des Wohnungsbaus für beide Regime – der ideengeschichtliche Hintergrund verglichen werden, den der Bereich des Wohnens umfasste, um die ideologischen Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Anschließend sollen die Planungen den tatsächlich umgesetzten wohnungsbaulichen Maßnahmen entgegengestellt werden, um die sich im konkreten Handeln ergebenden Herrschaftsmechanismen zu analysieren.

Geschichtlicher Überblick

Zentral für das Verständnis des Faschismus, gerade auch in Bezug auf den Bereich des Wohnungsbaus, ist seine Konzentration auf die die Bewegung tragenden Mittelschichten, deren Kern die „qualitativ stark zunehmenden Angestellten der neu geschaffenen oder ausgebauten staatlichen Institutionen“[1] waren. Bereits in den ersten Jahren nach der Machtergreifung der Faschisten erkennt man in den wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen, die der Bewegung zwar Sympathien beim bürgerlichen Lager einbrachten, jedoch zu Lasten der Arbeiterschaft gingen, die mit Lohnkürzungen konfrontiert wurden, dass sich das Regime in der Hauptstadt vor allem unter den Beamten seine loyalsten Anhänger suchte und fand.[2] Damit verbunden ist die Tatsache, dass der Wohnungsbau in Rom weit mehr als in Moskau von einer Heterogenität geprägt war, die sich durch die später vorgestellten verschiedenen Institute und die nicht wie im sowjetischen Fall aktiv umgestaltete Sozialstruktur ergab. Gleichermaßen wurden Arbeiter- wie Villenviertel für die Oberschicht gebaut, kurz: Die Idee des neuen faschistischen Menschen bedeutete nicht, Klassenunterschiede im Bereich des Wohnens aufzulösen. Vielmehr bestand die Trennung der verschiedenen Schichten weiter, gerade auch, wie wir sehen werden, im Wohnungsbau. Dennoch sollten sie durch die Klammer der faschistischen Partei zusammengehalten werden.

Allgemein gesprochen stand in den ersten Jahren des Regimes der Umbau der Innenstadt im Vordergrund, während die gezielte Stadterweiterung eher in die dreißiger Jahre fällt. Dies wird am Piano Regolatore von 1931 deutlich, der erstmals konkrete Planungen für den Bau neuer Stadtviertel im Erweiterungsgebiet Roms vorsah. Eine erste wichtige, wenn auch mehr oder minder offensichtliche Tendenz im Städtebau Roms war die starke Konzentration auf Repräsentanz und Antikenkult. Der Wohnungsbau spielt zwar auch immer eine für die Legitimation des Regimes wichtige Rolle, dennoch erkennen wir im Unterschied zu Moskau bereits in den 20er Jahren, also noch in der Konsolidierungsphase des neues Regimes, zahlreiche repräsentative Maßnahmen und den Umbau der Innenstadt zu propagandistischen Zwecken.

Moskau bildet ein sehr unterschiedliches Bild, obgleich auch Gemeinsamkeiten vorliegen, die den Vergleich nahelegen. Die wohl wichtigsten Unterschiede zum Fall Rom sind zum einen die soziale Beschaffenheit Moskaus als Industriestadt mit den damit einhergehenden Problemen bzw. der schlechten Wohnsituation der Arbeiterschaft vor dem Krieg und zum anderen die radikalen gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Bolschewiki, die sich bereits in den ersten Jahren nach der Revolution zeigten und in Moskau bemerkbar wurden. Lebten vor 1917 viele Arbeiter in überfüllten Baracken neben den Fabriken am Stadtrand oder im Fall der Unfähigkeit, die Miete im Voraus zu bezahlen, in sogenannten Nachtasylen, verbesserte sich durch die Enteignungen der Bürgerhäuser nach der Revolution zumindest für einige Angehörige der Arbeiterklasse die Wohnsituation. Zudem bestand der Großteil der Häuser noch immer aus Holz und verfügte über keinerlei sanitären Komfort, eine Folge des vor dem Krieg so gut wie kaum realisierten sozialen Wohnungsbaus.[3]

Eine erste allgemeine Tendenz ist der in den zwanziger Jahren vorherrschende Unterschied zwischen Theorie und tatsächlicher Umsetzung wohnungsbaupolitischer Maßnahmen. Die bekannte Planungseuphorie der jungen Avantgarde spiegelt sich auch in den ambitionierten Plänen zur Umgestaltung Moskaus wieder. Zwar finden wir später vorgestellte Ideen des Kommunehauses und der großen Grünanlagen bereits bis 1930 teilweise realisiert, die großen Abrissarbeiten im Zentrum finden jedoch erst im Zuge des Generalplans zur Rekonstruktion Moskaus des Jahres 1935 statt. Mit dem Verbot der Avantgarde und dem Richtungswechsel zum Sozrealismus blieben auch die meisten der Pläne aus den 20er Jahren unverwirklicht.

Der Wohnungsbau steht in der Sowjetunion nicht nur in der Theorie unter einem anderen Vorzeichen als in Italien. Getrieben von der Wohnungsnot und den oft untragbaren hygienischen Bedingungen in der Hauptstadt stehen hygienisch-ökonomische Maßnahmen im Fokus der Baupolitik des Mossowjet[4]. Eine Parallele zur Bevorzugung der staatstragenden Schichten in Italien – im sowjetischen Fall der Parteielite und Spezialisten der Industrie – bildet sich im Bereich des Wohnungsbaus erst im Generalplan der 30er Jahre, als die größeren Wohnungen an den neu erschlossenen Moskva-Ufern diesen Schichten vorbehalten waren.[5]

Planerische Ansätze

Institutionelle Ebene

In Rom setzte das faschistische Regime zunächst auf die großen öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften: Neben dem Istituto per le Case Popolari (PCI), der vor allem im sozialen Wohnungsbau aktiv war wurde das Römische Wohnungsbauinstitut für Staatsbedienstete (IRCIS) für den faschistischen Wohnungsbau eingespannt, das Ende der 1920er Jahre im 1924 gegründeten Nationalen Wohnungsbauinstitut für Staatsbedienstete (INCIS) aufging. Der 1923 gleichgeschaltete ICP war sowohl an den anfänglichen Gartenstädten wie am Bau kompakter urbaner Stadtviertel beteiligt. Neben den eigentlichen Sozialwohnungen für subproletarische und Arbeiterschichten war das Institut aber auch am Bau von preisgünstigeren Wohnungen für den römischen Mittelstand beteiligt. Bis 1929 war das ICP vor allem in den Stadterweiterungsgebieten aktiv, so beispielsweise in der bekannten und später noch zu besprechenden „Garten-borgata“ Garbatella.[6] Der Bau der urbanen Mietshäuser für die Mittelschichten durch das INCIS sollte bevorzugt in hochwertigen innerstädtischen Lagen geschehen. Das Institut sollte – gefördert durch staatliche Mittel – gut ausgestattete Mietwohnungen errichten.[7] Oftmals wurden diese öffentlichen Gesellschaften auch zur Förderung privaten Wohnungsbaus benutzt, zu einem sogenannten „Brückenkopf-Wohnungsbau“[8].

Gegen Ende der 20er Jahre wird eine Wende hin zum privaten geförderten Wohnungsbau deutlich, der private Sektor konnte nun ICP und INCIS durch staatliche Anreize vom Wohnungsmarkt verdrängen.[9] Der ICP konzentrierte sich in dieser Phase nur noch auf den Bau von Wohnungen für die ärmsten Schichten der Bevölkerung.

Die starke Trennung zwischen urban angesiedelter Mittelschicht und der Verdrängung ärmerer Schichten an die Peripherie ist auch auf die liberalistischen Maßnahmen der Regierung wie der partiellen Aufhebung der Mietpreisbindung oder der Abschaffung der Besteuerung von Bauland ein Jahr nach dem Marsch auf Rom zurückzuführen. Eine weitere Verschärfung dieser Tendenz findet sich in der vollständigen Aufhebung des Mietpreisstopps im Jahre 1928, der zwar der Immobilienwirtschaft half, jedoch die Kündigung zahlreicher nicht zahlungskräftiger Mieter zur Folge hatte.[10]

In Moskau unterscheidet sich die institutionelle Situation sehr stark von der vor allem gegen Ende der 20er Jahre stark auf die private Wirtschaft setzenden faschistischen Verwaltung. Hauptverantwortlich für den Wohnungsbau ist der Mossowjet[11], der bereits im April 1918, einen Monat nach der Erklärung Moskaus zur neuen Hauptstadt, die Gründung einer Architekturwerkstatt, die sich mit der Ausarbeitung von Plänen zur Umgestaltung der Stadt beschäftigen sollte, veranlasste.[12] 1921 folgte die Berufung der Sonderkommissionen „Neues Moskau“ und „Groß-Moskau“, die sich jeweils mit der Umgestaltung der Innenstadt und der Peripherie Moskaus befassen sollten.[13] Genau in der hier betrachteten Zeitspanne, von 1920 bis 1930, setzte sich auch die Kunsthochschule WChUTEMAS[14] mit den neuen Formen revolutionärer Architektur auseinander. Die hier erarbeiteten avantgardistischen Pläne – vor allem im Zeichen des Konstruktivismus – flossen beispielsweise in Form von Diplomarbeiten in reale Projektierungen ein. So war etwa die Diplomarbeit „Der Landsitz in Ostankino – Gartenstadt“ Teil des Projekts „Neues Moskau“, auch wenn der Arbeit ein Skizzendasein vorbehalten blieb. Auch studentische Pläne bezogen sich neben vielen anderen Projekten auf den Wohnungsbau, beispielsweise in der Planung für sozialen Wohnraum im „Kommunalen Wohnviertel des Stadtbezirks Chamownitscheski“.[15]

Finanziell wurde der Wohnungsbau durch die 1925 gegründete Zentrale Bank für Kommunal- und Wohnungshaushalt („Zekombank“) gefördert, die den Beginn des Massenwohnungsbaus ab 1925 ermöglichte.[16] Zudem kam es im Zuge der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) auch zur Förderung privaten Wohnungsbaus, was jedoch fast ausschließlich zum Bau eingeschossiger Holzhäuser führte.[17]

Eine allgemeine Tendenz in der institutionellen Struktur des Wohnungs- und Städtebaus in Moskau sind die zahlreichen Wettbewerbsausschreibungen, die mal nur einzelne Wohnblöcke betrafen, mal ganze Stadtviertel. Beispielsweise wurde der 1922 „unter der Schirmherrschaft des Mossowjet von der ‚Moskauer Architekturorganisation‘ MAO ausgeschriebene Wettbewerb zur ‚Erstellung von Arbeitermusterhäusern‘“[18] richtungsweisend für die folgende Bauperiode. Ein anderes Beispiel ist der Wettbewerb um die ‚Grüne Stadt‘ an der Moskauer Peripherie von 1929/30: der letztlich gescheiterte Wettbewerb zeigt trotz des am Ende ausgeblieben Erfolgs durch die zahlreichen unterschiedlichen eingereichten Pläne die offene Debatte und zugleich die Wichtigkeit des grünen, besseren Wohnens und Lebens zumindest in den Planungen der Stadt.[19]

Bereits im Vergleich der institutionellen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau in Rom und Moskau zeigen sich elementare Unterschiede. Dem sozialistischen Stadtrat mit seinen Wettbewerben, in denen sich die Avantgarde mit ihren Vorstellungen über die neue Stadt und das neue Leben einbringen können, stehen zwar ebenso öffentliche Wohnungsbaugesellschaften entgegen, die jedoch immer mehr vom Markt verdrängt werden und dem kapitalistischen Wohnungsbau weichen müssen. Zudem wird bereits aus der Aufteilung der Gesellschaften für sozialen und bürgerlichen Wohnungsbau der Charakter des faschistischen Italiens als weiterhin kapitalistisch geprägte Nation deutlich, dem sich zumindest in den ersten Jahren der bolschewistischen Herrschaft im Bereich des Wohnungsbaus in Moskau keine vergleichbare Hierarchie als Vergleichsgegenstand anbietet.

Das Konzept der Gartenstadt

Eine interessante Parallele in der Konzeption des Wohnungsbaus bildet die Idee der Gartenstadt, die in beiden betrachteten Fällen zu Beginn der 20er Jahre eine Rolle spielt. In beiden Fällen ist die Idee kein neues, für das jeweilige Regime spezifisches Konzept. Die ursprünglich aus England übernommene Idee der ‚Garden-City‘[20] ist bereits vor der Etablierung der beiden neuen Regime in beiden Staaten anzutreffen.

In Rom beschränkt sich das Konzept auf die beiden Garten-Vororte Garbatella und Aniene, die beide bereits vor 1922 begonnen und von den Faschisten fertig gebaut wurden. Die Idee hinter diesen beiden Garten-Vororten war eine Dezentralisierungspolitik, die jedoch aufgrund massiver Kritik an dem Vorhaben schon bald ihr Ende fand. Das bekannte und oft zitierte Beispiel Garbatella wird später genauer betrachtet.

In Moskau gewinnt das Konzept Gartenstadt mehr an Bedeutung als in Italien. Die Idee, das Problem der Wohnungsnot durch außerhalb der Stadt liegende kleine Städte im Grünen zu lösen, bestimmte die Planungen um das neue Moskau in der ersten Hälfte der 20er Jahre maßgeblich. Zahlreiche Pläne und beispielsweise der bereits zitierte Wettbewerb um die ‚Grüne Stadt‘ Ende der 20er Jahre greifen auf das Konzept zurück, das in Russland bereits durch die Gründung einer Gartenstadtbewebung 1913 seine Fürsprecher besaß. Die Stärke der Idee der Gartenstadt erwuchs dabei aus den sozialen und ökonomischen Faktoren, die nach dem Bürgerkrieg in der Stadt vorherrschten. Den Rückgang der Bevölkerung durch die Schließung vieler Fabriken, Hunger und Epidemien fassten viele Städtebauer als Beginn der Dezentralisation der Großstädte auf und wollten dem durch die neue Siedlungsform am Stadtrand begegnen.[21] Auch die Idee des kollektiven Lebens spiegelte sich in den ersten Jahren in dieser Art der eher bäuerlichen Gemeinschaft wieder.[22] Deutlich wird die beschriebene Tendenz daran, dass im Entwurf des Projekts ‚Neu-Moskau‘ von 1924 um die Stadt ein Ring an Gartenstädten vorgesehen war, der durch eine gute Verkehrsanbindung mit der Innenstadt verbunden sein sollte.[23]

Es wird deutlich, dass das Konzept der Gartenstadt im sowjetischen Fall für die weiteren Planungen von größerer Bedeutung war, was man auch im in den Planungen stets vorhandenen großen Fokus auf ausreichende Grünanlagen in und außerhalb der Stadt sieht, auch wenn gerade das Beispiel Garbatella in Rom zeigt, welche doch wichtigen Spuren die Idee im Stadtbild hinterließ. Interessant ist, dass die Idee, die Probleme der modernen Großstädte durch eine Auslagerung von Wohnraum an die Peripherie der Stadt, um bessere Wohnbedingungen zu erreichen – dies war in Garbatella und Aniene anders als bei vielen der borgate auch in Rom der Fall –, keine Tendenz eines spezifischen Systems war und auch von beiden Regimen nur übernommen wurde.

Gesamtplanung

1923 wurde aufgrund des unkontrollierten Wachstums der außerhalb des Regulierungsplans von 1909 liegenden Peripherie von Rom eine Kommission einberufen, die einen neuen, den Umständen entsprechenden Regulierungsplan erstellten sollten. Dieser trat 1931 in Kraft und sah erstmals eine Einteilung der Neubauten in verschiedene Typen vor. „Nur 15 % des Neubestandes verteilten sich auf eine intensive Blockbebauung, 30 % gingen auf einzeln stehende Mehrfamilienhäuser und 28 % auf Ein- und Zweifamilienhäuser. Die restlichen 27 % des gesamten Wohnbauvolumens waren für Villen und Reihenhäuser vorherbestimmt worden.“[24] Für den Zeitraum bis 1931 kann man jedoch noch keinen faschistischen Gesamtplan mit festen Vorgaben erkennen.

Zu erwähnen in diesem Zusammenhang ist auch die Haltung der Faschisten und hierbei insbesondere Mussolinis zur Stadt insgesamt. Eine allgemeine Skepsis in Bezug auf große Menschenansammlungen in Metropolen und die Sympathien für das dörfliche Leben hatten jedoch auf Rom keinen großen Einfluss. Zwar erkennt man in den 30er Jahren teilweise den Willen, den Zuzug vor allem ärmerer Einwohner aus dem Süden Italiens zu stoppen, im hier betrachteten Zeitraum war jedoch Rom als Hauptstadt den großtstadtfeindlichen Tendenzen nicht ausgesetzt. Vielmehr sollte die Stadt, um in Konkurrenz zu den andern europäischen Metropolen treten zu können, stark anwachsen und die 2 Mio.-Einwohner-Marke erreichen.

Franz Bauer vertritt in seinem Buch „Rom im 19. und 20. Jahrhundert“ die These, Mussolini sei am Wohnungsbau nichts gelegen gewesen und er betreffe nur ein allgemeines Problem jedes Staates: „Die Wohnungsfrage gehörte zu jener Kategorie von Aufgaben, die Mussolini als problemi della necessità klassifiziert hatte: Imperative des politischen und administrativen Handelns, […], die aus elementaren Bedürfnislagen kommen, Handlungszwänge, die letztlich ideologieunabhängig sind und bei denen Pragmatik vor Dogmatik geht.“[25] Natürlich ist es richtig, dass der Bau von Wohnungen zur Aufgabe jedes Staates gehört oder gehören sollte, jedoch wird meiner Ansicht nach durch diese Sichtweise nicht berücksichtigt, dass die Entscheidung, welche Art von Wohnungen in welchem Umfang an welcher Stelle gebaut werden, einen großen Einfluss auf die Bevölkerung hat. Natürlich sind die großen Monumente im Zentrum, die Città Universitaria oder die freigelegten antiken Bauten von größerer propagandistischer Wirkung. Über Konsens und Machtsicherung sagen die verschiedenen Wohnbauten, gerade in Rom, jedoch mehr aus. In Bezug auf den Gesamtplan bedeutet dies, dass das Fehlen von allumfassenden Plänen einer Neugestaltung der Hauptstadt vor allem im Wohnungsbereich, wie wir sie in Moskau gleich sehen werden, auch der nicht allumfassenden Herrschaft Mussolinis und der faschistischen Partei neben König und auch Papst und dem klassenstrukturierten Gesellschaftsmodell entsprach.

In Moskau gewinnt die Gesamtplanung durch die bereits erwähnte Hauptstadtwerdung 1918 eine neue Bedeutung. Nachdem die ersten Maßnahmen der neuen Machthaber reine Strukturveränderungen sind – so etwa die bereits erwähnten Umsiedlungen von Arbeitern in Häuser der ehemaligen Oberschichten[26] – wird bereits in den ersten Jahren mit der Neuplanung Moskaus begonnen. Der erste Plan der 1918 gegründeten, bereits erwähnten Architekturwerkstatt, wurde bereits im Dezember 1918 einem Gremium der Abteilung für Stadtplanung des VSNCH[27] vorgelegt und positiv aufgenommen. Neben dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere der Metro, sollten neue Wohnbauflächen erschlossen werden. Wichtig für diese Arbeit ist auch der Fokus auf eine Verbesserung der allgemeinen hygienischen Bedingungen, die u.a. durch zahlreiche Grünanlagen in der Innenstadt erreicht werden sollte.[28] Natürlich ist der Fokus auf die Verbesserung der Lebensbedingungen zu Beginn der bolschewistischen Herrschaft auf die Situation in der Stadt zurückzuführen, die wohl keinem Vergleich mit Rom genügen. Dennoch ist meiner Meinung nach wichtig zu betonen, dass die ersten Planungen bis Ende der 20er Jahre von repräsentativen Ideen, die mit der Freilegung der antiken Bauten in Rom vergleichbar wären, zugunsten der Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation der Arbeiter absahen. Wie im Fall Roms kann hier ebenfalls das Argument angeführt werden, dass sich die neue Regierung ebenso wie die Faschisten auf die Bevölkerungsgruppe stützten, durch die sie ihre Herrschaft durchsetzten und legitimierten, also die Arbeiterschaft.

Auch das Projekt ‚Neues Moskau‘ sah eine allgemeine Entlastung der Innenstadt vor. Neben dem Ring aus Gartenstädten sollten auch die Bahnhöfe in einen Entlastungsring außerhalb der Innenstadt verlegt werden. 1923 schließlich fiel nicht nur der Beschluss des Baus der Moskauer Metro, deren erste Planungen um 1900 fallen, als man sich bereits vor der Elektrifizierung der Straßenbahnen Gedanken über die Errichtung von Untergrundbahnen machte[29], und deren Idee im Verlauf der zwanziger Jahre bis zur politischen Entscheidung 1931 immer präsent blieb[30]. Es wird auch durch die ‚Erste Allrussische Landwirtschaftsausstellung‘, so viel sei hier vorweggenommen, ein erster Ansatz des Planentwurfs ‚Neues Moskau‘ zur Begrünung der Stadt vorgenommen. Durch die Ausstellung wurde ein „mehr als 65 Hektar umfassendes Gebiet städtebaulich erschlossen, gestaltet und begrünt. […] Die Ausstellung, die eine Ausdehnung der Stadt nach Süden in den Bereich der Sperlingsberge vorsah, ‚war als Anfang einer aktiven und ausgedehnten Bautätigkeit in der Hauptstadt der Republik gedacht.‘ Sie sollte der Anfang des ‚Neuen Moskau‘ sein.“[31]

Das parallel laufende Projekt ‚Groß-Moskau‘, „das im Auftrag der Moskauer Kommunalwirtschaft (MKCH) von einer Kommission unter dem Vorsitz von Sergej S. Žestakov ab 1921 bearbeitet wurde und parallel zu den Planungen des ‚Neuen Moskau‘ entstand, wurde 1925 in Form einer Broschüre veröffentlicht.“[32] Darin hieß es:

‚Moskau wurde wieder staatliches Zentrum […]. Deshalb besteht Grund zu der Annahme, dass Moskau sich in Zukunft in eine der größten Städte der Welt verwandeln wird […]. Die natürliche Entwicklung der Stadt und die erforderliche Erweiterung ihres Territoriums muss früh genug bedacht werden […]. Die Bevölkerung Moskaus wird in 20 Jahren, d.h. 1945, auf vier Millionen anwachsen.‘“[33]

Aufgrund des hohen Sanierungsbedarfs sollte die Stadt nicht komplett neu gebaut werden, sondern vielmehr durch Auflockerung dicht besiedelter Bezirke sowie Straßenregulierungen in der Altstadt und Gartenstädten in der Stadtrandzone umgebaut werden.[34]

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre erkennt man ein Hineinwachsen in den Gesamtwirtschaftsplan des Landes. Die Industrialisierung spielte nun eine immer wichtigere Rolle, vor allem ab Beginn des ersten Fünfjahrplans 1928. Trotz eines Entgegenwirkens blieb der Wohnungsbau immer mehr hinter dem Industrieaufbau zurück. Die 1927 erfolgte ‚Verordnung über Maßnahmen zur Verwirklichung von Arbeiterwohnungen‘ und der Beschluss ‚Über die Wohnungspolitik‘ von 1928 sollten der Wohnungsnot, die durch den massiven Zuzug vom Land in die neuen Industrien der großen Städte, insbesondere Moskaus, vorherrschte, entgegenwirken, brachten jedoch keine endgültige Lösung des Wohnungsproblems.[35]

Bei der Betrachtung der Gesamtplanung der beiden Städte fällt auf, dass der Wohnungsbau in der Gesamtplanung eine sehr unterschiedliche Rolle einnimmt. Natürlich muss jedoch zunächst die sehr unterschiedliche soziale und ökonomische Situation betont werden. Während in Rom zwar durch den Zuzug aus dem Süden, die Vergrößerung des Verwaltungsapparats und nicht zuletzt durch die Pläne, Roms Einwohnerzahl auf 2 Mio. zu erhöhen, stets Wohnungsknappheit vorherrschte, ist die Lage im durch Bürgerkrieg, Hungersnot und Rückgang der Bevölkerung in den ersten Jahren der bolschewistischen Herrschaft geprägten Moskau doch durchaus dramatischer. So beginnen die ersten Wettbewerbe um Entwürfe des Palasts der Sowjets erst in den dreißiger Jahren, nach der Konsolidierung des neuen Staates und der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, während in Rom bereits in den 20er Jahren mit den repräsentativen Maßnahmen im Zentrum begonnen wird.

Detailplanungen

Neben der Gesamtplanung lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Pläne bezüglich der verschiedenen Häusertypen und kleineren Wettbewerbe zu werfen. Auffällig ist die Breite an verschiedenen Gebäudeklassen im römischen Wohnungsbau, die neben der erwähnten Unterscheidung in Bevölkerungsschichten auch eine architektonische Vielfalt mit sich brachten.

Anders als der erste Blick auf die Baracken am Stadtrand vermuten lässt sollten die borgate zumindest in der Theorie eine Verbesserung der Lebens- und Wohnbedingungen mit sich bringen und zudem zur Rurifizierung beitragen[36], was jedoch in den meisten Fällen nicht zutraf. Neben dem bekannten Beispiel der borgate wurden im Bereich des sozialen Wohnungsbaus auch sogenannte case pololari errichtet, die bereits vor 1922 gebaut worden waren, als nach der Hauptstadtwerdung 1870 Arbeiterwohnungen benötigt wurden. Diese Sozialbauten, die vor allem vom ICP gebaut wurden, konnten verschiedene Formen annehmen und konnten oft nicht von Mittelklasse-Häusern unterschieden werden. Nach der Machtübernahme Mussolinis wurden diese Sozialbauten von den Faschisten weitergeführt.[37] Neben den meist eingeschossigen borgate in der Peripherie gab es also auch mehrgeschossige Häuser bis hin zu den ‚superblocchi‘ genannten dicht bewohnten Mietskasernen für die ärmeren bzw. Arbeiterschichten.[38]

Im Wohnungsbau für die eher bürgerlichen Schichten kann man zunächst den Siegeszug des Haustyps palazzine erkennen, einzuordnen zwischen den Intensivbauten und den kleineren villini, die bisher den Großteil der Wohnhäuser in Rom bildete. Im Rahmen des Generalbebauungsplans von 1909 wurde erstmals der Bautyp villino festgelegt, ein maximal dreigeschossiges freistehendes Gebäude. 1920 wurde die Bauordnung durch ein Dekret modifiziert, das 1925 von den Faschisten bestätigt wurde. Dadurch wurde auch der Bautyp der palazzine festgelegt. Entscheidend ist die erhöhte Geschosshöhe von fünf Geschossen, was eine intensivere Bebauung der städtischen Gebiete ermöglichte. „Die palazzine wurde zum dominanten Bautyp für bürgerliche Schichten und prägte ganz neue Stadtteile.“[39]

Dennoch muss betont werden, dass sich in vielen Fällen auch beim Bau kompakter urbaner Quartiere keine vollständige Trennung in Bewohner der Mittel- und Unterschicht erkennen lässt. Eine solche Trennung lässt sich vielmehr zwischen den Bewohnern der abgelegenen Borgate und den urbanen Quartieren ziehen, innerhalb derer es natürlich Abstufungen gab. „Im sozialen Wohnungsbau wurden keineswegs vorrangig hoch verdichtete Bautypen errichtet, sondern – wie beim mittelschichtsorientierten Wohnungsbau – palazzine, während für Wohlhabende neben palazzine auch villini und richtige Villen gebaut wurden.“[40] Die These des rein auf die Bindung an den Mittelstand setzenden Wohnungsbaupolitik muss also ein wenig abgeschwächt werden: Zwar erkennt man in der Idee der Borgate Verdrängungsmechanismen des Subproletariats, jedoch kann nicht davon gesprochen werden, dass die unteren Schichten im Ganzen aus der Stadt verdrängt und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden sollten.

Ein bisher noch nicht erwähnter Punkt ist die Parallele der Idee des kollektiven Lebens, die in beiden Regimen, wenn auch in Rom nur in kleinem Ausmaße, existierte. Soll im Fall von Moskau darauf gleich intensiver eingegangen werden, muss hier das Beispiel Garbatella genügen, in dessen zum temporären Aufenthalt vorgesehenen ‚alberghi collettivi‘ oder ‚alberghi popolari‘ kollektive Einrichtungen wie Gemeinschaftsküchen errichtet wurden.[41] Franz Bauer meint dazu:

„Ähnliche Ideen eines mit Gemeinschaftseinrichtungen kombinierten sozialen Wohnungsbaus hatten damals Konjunktur in der europäischen Architektenavantgarde […]; sie entsprachen dem kollektivistischen Menschenbild der Zeit und ihren Vorstellungen von der Wünschbarkeit oder Notwendigkeit sozialer Disziplinierung und ökonomischer Rationalisierung der Lebensführung der industriellen Massen. Der von ‚linken‘ und ‚rechten‘ Ideologien und Regimen der Zwischenkriegszeit gleichermaßen propagierte Idealtypus eines selbstlos gemeinschaftsorientierten, seine Individualität bereitwillig dem Kollektiv unterordnenden ‚Neuen Menschen‘ wies dabei erstaunliche Parallelen auf.“[42]

Das auch bald gescheiterte Projekt der ‚alberghi collettivi‘ jedoch mit den vielfältigen, gleich zu besprechenden Plänen und auch Umsetzungen in der UdSSR auf eine Linie zu stellen, finde ich angesichts der großen gesellschaftlichen Unterschiede in Italien, die wie gesehen vom Regime auch gewollt waren, eine etwas zu steile These.

Im Fall Moskau steht bei den Detailplänen die Frage des neuen, sozialistischen und kollektiven Lebens im Vordergrund. Drei Wettbewerbe sind hierfür von besonderer Bedeutung. Im ersten, 1922/23 ausgeschrieben, wurden „Wohnkomplexe mit einem Netz von Versorgungseinrichtungen auf begrenzter Fläche inmitten vorhandener Bebauung [gefordert]. Nach dem Programm sollten beide Wohnviertel aus zwei Wohnbautypen (separate Wohnungen für Familien und Gemeinschaftswohnungen für Alleinstehende) bestehen, aus Klub, Kindergarten und Krippe, Gemeinschaftsküche mit Kantine, Bädern, Wäscherei, Garage usw.“[43] Die Breite der verschiedenen eingereichten Entwürfe von Cottagehäusern, Sektionsbau oder Kommunehäusern zeigt, wie offen die Debatte zu dieser Zeit war. Zugleich macht der Wettbewerb die Abkehr vom Konzept des Einzelanwesens deutlich, das von den Vertretern der Gartenstadt bevorzugt wurde sowie das „Suchen nach neuen Gebäudetypen, die Wohnräume und solche für kommunale und gesellschaftliche Zwecke besaßen.“[44]

Im 1925 ausgeschriebenen ‚2. Wettbewerb zur Erstellung eines kommunalen Haustypes‘ war die Idee des kommunalen Wohnens ebenfalls vorhanden. In dem geplanten Wohnkomplex für 750 bis 800 Personen sollten die Individualhaushalte keine eigenen Küchen erhalten. Die Aufteilung in Wohnungen für Alleinstehende, Paare und Familien war genau vorgegeben. Der ausgewählte Entwurf sah Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen in einem Gesamtgebäudekomplex in unterschiedlichen Stockwerken vor und wurde zwischen 1926 und 1928 tatsächlich realisiert.[45]

In den sowjetischen Planentwürfen wird nicht nur die Zukunftseuphorie in der jungen Sowjetunion deutlich, sondern durch die Vorgaben der von staatlicher Seite ausgeschriebenen Wettbewerbe auch die Tendenz der Verwirklichung des neuen sozialistischen Lebens. Natürlich ist der Vergleich mit den tatsächlich vollzogenen Bauvorhaben im anschließenden Kapitel wichtig, um diesem Punkt kein zu großes Gewicht zu geben, dennoch kann man festhalten, dass die Idee des neuen Menschen in den 20er Jahren eine große Rolle spielte. Ernüchterung macht sich freilich breit, betrachtet man die Schnittmenge zwischen den Plänen in den 20er Jahren, gerade auch denen in gesamtplanerischer Hinsicht – geradezu grotesk wirkt auf uns heute die Idee der „Fliegenden Stadt“ mit beweglichen Kommunehäusern in der 1928 vorgelegten Diplomarbeit „Stadt der Zukunft“ von G. Krutikov[46] –, mit der Umsetzung dieser Pläne in den 30er Jahren und dem ‚Ende der sozialistischen Stadt‘[47] im Generalbebauungsplan von 1935.

Im Vergleich mit Rom möchte ich hervorheben, dass hier eine Gleichsetzung der beiden neuen, durch den 1. Weltkrieg ermöglichten ‚Gewaltregime‘ auf Grundlage einer wie auch immer gearteten Totalitarismus-Theorie nicht wirklich greift. Im betrachteten Zeitraum erkennen wir deutliche Unterschiede zwischen dem auf Klassenunterschiede setzenden faschistischen Regime mit seiner die römische Antike rezipierenden Propagandabaupolitik und dem leninistisch organisierten Moskau mit seinen Umsiedlungsmaßnahmen, Maßnahmen für bessere und hygienischere Wohnbedingungen und seinen ersten Ansätzen des kommunalen Wohnens. Mit Gewissheit lässt sich jedenfalls sagen, dass die beiden Regime ihre Herrschaft primär auf unterschiedliche Gruppen stützten und auch auf diese ausrichteten. Dabei möchte ich aber ebenso nicht behaupten, die Wohnungsprobleme im sozialistischen Moskau seien durch die Maßnahmen der Bolschewiki und die avantgardistischen Ideen des kollektiven Wohnens gelöst worden und die Situation in der Sowjetunion der 20er Jahre oder die von den Bolschewiki ausgehende Gewalt in irgendeiner Art und Weise schönreden oder rechtfertigen, schließlich wurde in diesem Kapitel auch erst die Theorie und Planung hinter dem Wohnungsbau betrachtet.

Die Wende um 1931

Gegen Ende der von uns betrachteten Periode, also in einer Phase der bereits geschehenen Etablierung beider neuer Systeme – auch wenn wir im Falle der Sowjetunion natürlich die Errichtung der stalinistischen Diktatur berücksichtigen müssen –, kommt es zu einem Wandel im Städte- und Wohnungsbau. Harald Bodeschatz sieht in seiner vergleichenden Perspektive in der Hinwendung zu mehr repräsentativen Bauten, auch im Wohnungsbau, einen Wettbewerb der drei Staaten Deutschland, Italien und Sowjetunion bzw. der Systeme Stalinismus, Nationalsozialismus bzw. Faschismus.[48] Weniger interessant als die bekannten Repräsentationsbauten wie der geplante Palast der Sowjets oder die EUR, die Città Universitaria oder die Sportstadt in Rom ist für unsere Herangehensweise zumindest ein kurzer Ausblick auf den Wohnungsbau der 30er Jahre, der sich in vielem von jenem in den ersten etwa zehn Jahren der beiden Regime vollzieht. Am Eindrücklichsten dabei sind neben dem Bau der Metro, deren erste Linie bereits 1935 in Betrieb genommen wird und dem lange geplanten Moskva-Volga-Kanals freilich die neuen, im Zuge des Generalplans an den freigelegten Moskva-Ufern entstandenen besseren Wohnungen für die neue Eliten des stalinistischen Systems, die für die Industrialisierung unabdingbar waren. Es entsteht also eine interessante Parallele zur Fixierung auf den staats- bzw. systemtragenden Mittelstand in Italien. Hier kann man in den 30er Jahren zunächst einen noch stärkeren Unterschied zwischen Barackenbewohnern und reichen Stadtbewohnern ausmachen, obgleich das Problem der – oft auch illegalen – Borgate nun erstmals konkret, auch von Mussolini selbst, angegangen wird und der Bau neuer, besser ausgestatteter borgate die zunehmenden illegalen Baracken ersetzen soll.[49] Eine weitere interessante Parallele in diesem Zusammenhang ist der zunehmende Drang zur Begrenzung des Zuzugs neuer Bevölkerungsgruppen, der die bestehende Wohnungsnot noch verstärkte. In Moskau versuchte man dem durch den Fünfjahrplan entstandenen massiven Zuzug ehemaliger Dorfbewohner in die großen Städte durch die Einführung eines Inlandspasses begegnet[50], in Rom kam in den 30er Jahren die Idee auf, Zuwanderer aus anderen Teilen Italiens in ihre Herkunftsorte zurückzuschicken, was jedoch nur sehr begrenzt funktionierte.[51]

Umgesetzte wohnungsbauliche Maßnahmen

Sagt der planerische und ideengeschichtliche Aspekt des Wohnungsbaus zwar viel über die jeweiligen Legitimationsgrundlagen aus, so bedarf es zur Analyse der tatsächlichen Herrschaftsausübung auf diesem Feld auch der Betrachtung der umgesetzten Maßnahmen, die sich vor allem in Moskau teils stark von den zahlreichen Planungen unterschied.

Rom

In Rom sticht, verglichen mit Moskau, wie wir gesehen haben die Fülle an verschiedenen Häusertypen im Wohnungsbau hervor. Nach der im vorigen Kapitel vorgenommenen eher theoretischen Unterteilung ist nun auch von Bedeutung, welche dieser Typen in welchem Umfang an welcher Stelle gebaut wurden. Um den sozialen Wohnungsbau richtig verstehen zu können, muss zunächst noch auf die bisher noch nicht erwähnte Verdrängung vieler Römer aus der Innenstadt verwiesen werden. Durch die Abrissarbeiten im Rahmen der Freilegung antiker Monumente und allgemein die Innenstadtrekonstruktion wurden zahlreiche ehemalige Innenstadtbewohner an die Peripherie verdrängt.[52] Die 1924 errichtete borgate Acilia beispielsweise wurde für jene Menschen errichtet, die durch die Abrissarbeiten um das Nationaldenkmal ihre Wohnung verloren hatten.[53]

Bei der Verteilung der Investitionen des ICP fällt auf, dass im Zeitraum von 1922 bis 1926 9% direkt auf den Bau von Wohnungen in Schnellbauweise für diese aufgrund der Abrissarbeiten im Zentrum verdrängten Familien und 8% auf reguläre Wohnungen für Gekündigte entfallen. Neben diesen auf durch die faschistische Politik selbst herbeigeführte Wohnungsnot antwortenden Maßnahmen wurde ein Großteil der Investitionsmittel des ICP für kostengünstigen Wohnungsbau (22%) und den Bau von ‚Volkswohnungen‘ (34%) verwandt.[54] Die Form der vom ICP errichteten Gebäude nahm dabei in den 20er Jahren vor allem die der Blockbebauung an. Vor allem nach der Abkehr von der Idee der Gartenstadt „konzentrierte sich der öffentlich geförderte Wohnungsbau nun auf die Anlage kompakter urbaner Wohnanlagen in Blockbauweise. Diese Anlagen waren von unterschiedlicher Größe: Sie konnten Teil eines Baublocks sein, einen ganzen Baublock oder mehrere umfassen beziehungsweise ein ganzes Quartier prägen.“[55] Vor allem in den Quartieren Garbatella, Testaccio und Trionfale erbaute der ICP in den 20er Jahren über 12.000 Wohnungen, einige davon außerhalb des damals gültigen Generalbebauungsplans.[56] Doch auch im Fall der Wohnungen für Beamte durch den INCIS findet sich die Blockbebauung in den 20er Jahren, wenn auch hier ausgestattet mit einem großen Innenhof, Gemeinschaftseinrichtungen und in großbürgerlicher Manier gestaltet. Insgesamt fielen etwa 15% der im Zeitraum 1924 bis 1928 erstellten Lizenzen auf den Bautyp intensivo, also deutlich mehr als auf palazzine (5,5%) und villino (2,8%).[57] Letztere Bautypen fand man ebenso im Zentrum wie in den Neubaugebieten in unmittelbarer Nähe des historischen Stadtkerns. Besonders der Aventin und das Viertel Parioli in bester Lage wurden durch diese Bautypen geprägt.[58]

Gegen Ende der 20er Jahre kommt zudem der erwähnte geförderte private Wohnungsbau in Form sogenannter case convenzionate zum Tragen, wodurch sowohl in bereits bestehenden als auch komplett neuen Vierteln eine große Zahl neuer Häuser gebaut wird, wodurch viele von der Aufhebung des Mietpreisstopps von 1917 im Jahre 1928 aus ihren Wohnungen verdrängte eher ärmere Familien eine neue Wohnung fanden.[59]

Den wohl bekanntesten Teil der faschistischen Wohnungsbaupolitik stellen die borgate dar, die in den meisten Untersuchungen einen großen Platz einnehmen. Das Problem existierte schon im liberalen Vorkriegsitalien, als Neuankömmlinge, die in der Stadt auch nicht temporär Fuß fassen konnten, sich eigene Baracken außer Sichtweite der großen Straßen bauen mussten.[60] Nach 1918 lebten wohl 45.000 bis 100.000 Einwohner in Baracken.[61] Fand also bereits vor 1922 eine teilweise Verdrängung subproletarischer Schichten aus dem Stadtzentrum statt, bildete diese Siedlungsform eine auch politische Lösung der Wohnungsnot unter Mussolini. Ursprünglich sollten diese Barackensiedlungen außerhalb der Stadt nur temporären Charakter besitzen, dienten dem Regime jedoch bald zur Ausgrenzung von in der Innenstadt nicht erwünschten Bevölkerungsschichten. „Als Begründung für die soziale Segregation wurde die nötige Anpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse genannt, d. h. dass die geplante Verlegung von Industrieanlagen in das Umland, den Zuzug von Arbeitskräften nach sich ziehen musste. Da Rom aber ohne bedeutende Industrieanlagen war, konnte die angetriebene Entwicklung nur in Verbindung mit spekulativen Interessen gebracht werden.“[62]

Die sich aus der Wohnungsnot ergebenden Barackensiedlungen wurden zum einen so weit außerhalb der Stadt und ohne eine entsprechende verkehrsinfrastrukturelle Anbindung erbaut, dass die Bewohner meist ihrer Arbeit im Zentrum nicht länger nachgehen konnten.[63] Viele dieser Verdrängten waren eher links eingestellte Arbeiter, die dadurch besser kontrolliert werden konnten.[64] Gleichzeitig hatten die Siedlungen jedoch auch keinen Bezug zum sie umgebenden Land und können auch als gescheiterter Versuch der Rurifizierung gesehen werden, bei dem Arbeiter in Bauern verwandelt werden sollten.[65] Zum anderen waren die Lebensbedingungen in den meisten Fällen überaus schlecht. Neben den schlechten Baumaterialien fehlten teilweise Wasserleitungen und eigene Toiletten.[66]

Am schlimmsten waren die Wohnbedingungen in den sogenannten case minime der provisorischen borgate. Die Wohnungen bestanden dort meist aus einem Raum von ca. 4m² und einer Küche und verfügten über keine eigenen sanitären Anlagen. Daneben gab es aber auch sogenannte konsolidierte borgate mit festen, 1-2-stöckigen Bauten und sogenannte urbane Borgate mit 3-4-stöckigen Wohngebäuden.[67]

Anders als oft dargestellt wohnten in den borgate jedoch nicht nur die Opfer der Abrissarbeiten im Zentrum. Laut der neueren Forschung sammelte sich in den borgate „eine jeweils sehr unterschiedliche Mischung aus sehr armen Menschen, die Opfer der Aufgabe der Mietpreisbindung waren, Bewohner illegaler Behausungen und Hütten, arme Zuwanderer aus ländlichen Regionen („Landflüchtige“), Arbeitslose oder Teilzeitbeschäftigte, später auch Rückwanderer aus dem italienischen ‚Ausland‘ und viele andere.“[68] Auch die Lebensverhältnisse in den borgate seien nicht so homogen gewesen wie oft dargestellt.[69]

Ebenso bekannt wie die borgate als Ausdruck der faschistischen Verdrängung der ärmsten Bevölkerungsschichten aus der Stadt ist das bereits kurz erwähnte Viertel Garbatella, bei dem sich verschiedene der vorgestellten Konzepte bzw. Gebäudetypen des sozialen Wohnungsbaus zeigen. Bereits 1920 begonnen, befand die Siedlung sich zunächst isoliert an einer möglichen Entwicklungsachse nach Ostia und erfuhr bis Ende der 20er Jahre verschiedene Bauphasen. Auch an der Bebauung anhand einer Reihe von Detailplänen anstelle eines einheitlichen, von vornherein festgelegten Gesamtplans, zeigt sich, wie das Regime im Bereich des Wohnungsbaus für ärmere Schichten der zunehmenden Wohnungsnot lediglich nach und nach entgegenwirkte und keine genügenden Maßnahmen zur Lösung dieses Problems ergriff. Der erste Bauabschnitt wurde noch vor dem Marsch auf Rom verwirklicht und bestand, der Idee der Gartenstadt verpflichtet, aus 204 Wohnungen des Bautyps villino. Ab 1923, vor allem zwischen 1925 und 1927, wurden in Garbatella dann stärker verdichtete Bauformen verwandt, u.a. für Barackenbewohner und Abriss-Verdrängte. Von 1926 bis 1928 entstanden schließlich die vier bereits erwähnten alberghi suburbani. Aufgrund des fehlenden Gesamtplans besaß Garbatella eine große architektonische Vielfalt – vom barocchetto bis zum Realismus – und gilt als ‚Exerzierfeld des Wohnungsbaus‘.[70]

Die bisher mehr oder weniger vertretene These der bewussten Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus durch die faschistische Regierung, da diese lediglich an einer Bindung der staatstragenden Mittelschichten an die Stadt und das System interessiert waren, muss jedoch durch einen Blick auf die Situation in anderen europäischen Großstädten der Zeit zumindest ergänzt werden, um nicht den Anschein der Einmaligkeit der italienischen Situation auf diesem Gebiet zu erwecken. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass die Wohnungsnot ein Problem der Zeit sei, verschärft durch den 1. Weltkrieg, der in Rom einen faktischen Baustopp bewirkte. In einer vergleichenden Studie zur europäischen Wohnungspolitik von 1900 bis 1939 heißt es etwa:

„There are striking similarities in the development of both theory and practice of housing policy in the European countries. One of the most significant examples is the break-through towards state intervention in housing policy during World War I […]. The years after the end of World War I, during which ‘war socialism’ had generally advanced, marked the transition from paradigmatic and sectoral concepts towards broadly based public housing schemes, although not in all the countries investigated.”[71]

Außerdem muss auf den bedeutenden Bevölkerungszuwachs verwiesen werden. Von 1921 bis 1941 stieg die Einwohnerzahl von 560.000 auf 1,4 Mio. Dass dieser Zuwachs ohne die Ansiedlung von Industriebetrieben geschah, ist auch ein Grund für die Armut der Barackenbewohner, die im aufgeblähten Verwaltungsapparat keine Erwerbstätigkeiten fanden und denen somit nur die äußerste Peripherie als Wohnort blieb.[72]

Betrachtet man die für uns relevanten Jahre 1921-1930 in einem größeren Rahmen, so sieht man, dass 43% des von 1911 bis 1951 gebauten Neubauvolumens auf jene neun Jahre entfallen, also überdurchschnittlich viel.[73] Dies macht deutlich, welchen großen Anteil der Bereich des Wohnens – nicht allein für die Mittelschichten, aber in besonderer Weise für diese – in der Machtausübung und Konsensgestaltung in den ersten Jahren der faschistischen Herrschaft ausmacht.

Moskau

Die Situation in Moskau nach Welt- und Bürgerkrieg ist wie bereits beschrieben ungleich schwieriger als in Rom. Neben den erwähnten Umsiedlungsmaßnahmen bestehen die praktischen wohnpolitischen Maßnahmen deshalb zunächst in speziellen staatlichen Krediten zur Renovierung von Arbeiterwohnungen. Dies war vor allem durch den Verfall vieler Wohnungen aufgrund der zunächst erfolgten völligen Befreiung von jeder Miete erforderlich.[74] In den ersten Jahren nach der Revolution führte dies zu einem Verlust von schätzungsweise 10-20% des gesamten Wohnungsbestandes.[75]

Nachdem in Moskau zunächst das für Metropolen ungewöhnliche, kriegsbedingte Phänomen des Rückgangs der Bevölkerung vorherrschte, wuchs die Bevölkerung von 1923 und 1926 wieder um ein Drittel, u.a. bedingt durch die zumindest teilweise bereits einsetzenden Industrialisierungsmaßnahmen. In diese Periode fällt auch der Beginn des Massenwohnungsbaus, der auf 1924/25 datiert wird.[76] Bei den nach dem wieder einsetzenden Zuzug dringend benötigten Wohnungen wurde vor allem auf Rentabilität gesetzt.[77]

Die Idee des kommunalen Lebens findet zwar in einigen Fällen seine praktische Umsetzung – 1921 waren in Moskau 865 Kommunehäuser registriert –, bei der Realisierung der ersten kooperativen Siedlungen am Stadtrand war jedoch nach wie vor die Erstellung hygienischen und billigen Wohnraums entscheidend. Erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre erfolgte die kategorische Verbindung mit Gemeinschaftseinrichtungen, ebenso wie die funktionale Zuordnung der Wohnungen zum Arbeitsplatz und die Tendenz zum Massivbau. Im Rahmen der ersten Industrieförderungen und des Beginns des Massenwohnungsbaus kann man allgemein die Tendenz der Hinwendung vom siedlungsorientierten zum städtischen Wohnen erkennen. „Die Konsequenzen schlugen sich in Materialwahl, Größe und Standort der Häuser nieder. Eindeutig zeigte sich gegen Mitte der 20er Jahre, dass der mehrgeschossige Massenwohnungsbau den ‚Individuellen‘ Holzwohnungsbau verdrängte und die Standorte sich auf innerstädtische Randgebiete verlagerten.“[78] In diesem Zusammenhang soll auch noch einmal an die zuvor beschriebenen Wettbewerbe erinnert werden, die bei Beginn der Bauphase ab 1925 zumindest in abgeänderter Form verwirklicht wurden und die Idee der Gemeinschaftseinrichtungen vorangetrieben hatten.

In gewisser Weise kann man in der nicht nur theoretischen Abkehr vom Konzept der Gartenstadt, sondern auch in der praktischen Umsetzung des städtischen bzw. stadtnahen mehrstöckigen Wohnungsbaus eine Parallele zu Rom feststellen, zumindest in Bezug auf die herrschaftstragenden Schichten. Mit Ausnahme der borgate als zunächst provisorisch gedachter Verdrängungsmechanismen entsprechen doch die superblocchi bzw. palazzine in gewisser Weise der sowjetischen Blockbebauung.

Die auch schon vor dem ersten Fünfjahrplan einsetzende Industrialisierung prägte zwar den Neubau von Wohnungen, die mit 4-6 Geschossen an Wohndichte zunahmen, jedoch änderte dies trotzdem wenig an der Gesamtstruktur Moskaus. Noch immer waren über 50% aller Wohnbauten Holzhäuser, die Hälfte aller Wohnhäuser war eingeschossig.[79]

Trotz der wohnungsbaulichen Maßnahmen verschlechterte sich die Wohnungssituation zunehmend. Beim Vergleich mit den dreißiger Jahren ist zwar die Höhe der neugebauten qm-Zahl an Wohnraum von 1925 bis 1930 relativ hoch. Auch erkennt man den beschriebenen Beginn des Massenwohnungsbaus ab 1925: Während 1924 noch 58.000 qm neu gebaut wurden, sind es 1927 404.000 qm und 1930 bereits 516.000 qm. Berücksichtigt man aber das bis 1924/25 nur marginale Neubauvolumen, die ab 1922 abnehmende und erst in den 1960er Jahren wieder tatsächlich ansteigende qm-Anzahl je Einwohner (1922: 7,4; 1925: 5,9; 1930: 5,5) und das starke Anwachsen der Bevölkerung (vom Tiefpunkt 1920 mit knapp einer Mio. auf 2,46 Mio. im Jahre 1930), so erkennt man die sich abzeichnende Wohnungsnot.[80]

Interessanterweise können wir in Moskau die genaue Gegenbewegung zu Rom im privaten bzw. staatlichen Anteil am Wohnungsbau erkennen. Während 1923/24 noch knapp 23% aller Neubauten privat finanziert wurde – ab 1922 war dies aufgrund der Maßnahmen der NEP wieder möglich –, waren es 1928/29 noch 7,6%. Der Anteil der Moskauer Regierung wächst im selben Zeitraum von 34% auf 51%, jener des Staates und von Kooperativen verändert sich nur gering.[81]

Eine dauerhafte Errungenschaft aus den 20er Jahren, die mit dem Wohnungsbau nur indirekt zu tun hat und im Theorie-Kapitel bereits vorgestellt wurde, ist die Etablierung von großen Grünanlagen zur Verbesserung der allgemeinen Wohnbedingungen. “To this day no township in the former Soviet Union is so small that it does not have its Park of Culture and Rest. Of all the basic tenets, the greening of towns is probably the one that has most widely and successfully implemented.”[82]

Ebenso nur indirekt mit dem Wohnungsbau verbunden und hier nur am Rande erwähnenswert sind jene Einrichtungen wie Arbeiterklubs, Kulturhäuser oder öffentliche Bäder, die nicht direkt in Wohnkomplexe eingebunden waren, aber ebenso der Idee des kommunalen, sozialistischen Lebens dienten.[83] Das 1925 von Alexander Rodtschenko geplante und realisierte „Arbeiterclubhaus für den Pavillon der UdSSR auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris“[84] repräsentierte diese Tendenz sogar nach außen hin.

Im Fall Moskaus ist also eine eindeutige und klare Beurteilung schwierig, zu sehr sind die 20er Jahre noch Aufbau- und Etablierungsphase. Zwar können wir bereits einige erste Umsetzungen der neuen Ideen und Planungen beobachten, jedoch obsiegt in den meisten Fällen der tatsächlich in dieser Periode gebauten Wohnungen der Pragmatismus und die Verbesserung der hygienischen Bedingungen. Dennoch werden die 20er Jahre auch gesehen als „a period when within less than ten years all the most productive concepts of modern city planning were first advanced, when innumerable designs were produced, and when a not inconsiderable number of buildings, including some of the highest quality, were built in the face of the severest technical and material difficulties.“[85]

Fazit

Vergleiche zwischen zwei so verschiedenen Systemen wie dem Leninismus und dem Faschismus und auch zwischen zwei so unterschiedlichen Städten wie Moskau und Rom unterliegen der Schwierigkeit, gemeinsame Kriterien zu finden und nicht allein die offensichtlich großen Unterschiede aneinander zu reihen. In dieser Arbeit konnten jedoch aufgrund der engen thematischen wie zeitlichen Eingrenzung einige interessante Ergebnisse erarbeitet werden und die Betrachtung der jeweiligen Situation durch den Vergleich erweitert werden.

Die anfangs gestellte Frage nach den im Wohnungsbau der Etablierungsphase der beiden Regime erkennbaren Legitimations- wie Herrschaftsmechanismen bzw. nach den in einem Vergleich stets naheliegenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede darin ist – was nicht anders zu erwarten war – nicht so eindeutig zu beantworten, wie man es bei einem solchen Systemvergleich gern hätte. Wie wir gesehen haben, macht die recht klare These des auf die staatstragenden Mittelschichten fixierten faschistischen Staates im Gegensatz zum auf den Arbeiterwohnungsbau mit kollektiven Gemeinschaftseinrichtungen setzenden sozialistischen Staat generell durchaus Sinn. Argumente hierfür sind die unterschiedlichen Institute für sozialen und eher bürgerlichen Wohnungsbau und die damit verbundene klassenspezifische Trennung im Bereich des Wohnens zusammen mit der auf die Privatwirtschaft setzenden und den Mietpreisstopp kündigenden Politik Ende der 1920er Jahre. Auch die Abrissarbeiten im Zentrum, die propagandistische Wirkung höher setzten als das Wohl der dadurch wohnungslos gewordenen ehemaligen Innenstadtbewohner, unterstreicht dies. Allerdings darf man sich vom dauerpräsenten Bild der borgate auch nicht blenden lassen, schließlich gab es auch zahlreiche innerstädtische Blockbauten für Arbeiter. Außerdem zeigt das Beispiel Garbatella, dass auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus in der Peripherie verschiedene architektonische Formen Verwendung fanden und das Bild der Baracken darum bereichert werden muss.

Ebenso muss die These des sozialistischen Musterwohnungsbaus abgeschwächt werden. Die Idee des Kommunehauses versinnbildlicht zwar die Idee des neuen Menschen, ebenso wie die allumfassenden Planungen für den Umbau Moskaus den Neuanfang und die avantgardistische nachrevolutionäre Aufbruchstimmung deutlich machen. Eine Vergrößerung der Wohnungsnot ist dennoch trotz der Umsiedlungs- wie Baumaßnahmen in den 20er Jahren auszumachen.

Definitiv deutlich geworden ist, dass der Wohnungsbau keine unbedeutende Randerscheinung des Städtebaus in der Zwischenkriegszeit war, sondern dass wir an ihr aufgrund der Einflussmöglichkeiten der beiden Regime in diesem Bereich ablesen können, welche Bevölkerungsgruppen in welchem Maße in die Gesellschaft einbezogen wurden. Auch in der Theorie und Planung – sei sie verwirklicht worden oder nicht – des für jede Bevölkerung zentralen Bereich des Wohnens erkennen wir Präferenzen und Legitimationsmuster der beiden Systeme.

Literaturverzeichnis

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[1] Bodenschatz, Harald: Diktatorischer Städtebau in der Zwischenkriegszeit. Besonderheiten Italiens mit Blick auf das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion, In: Mattioli, Aram und Steinacher, Gerald (Hg.): Für den Faschismus bauen, Zürich 2009, S. 61

[2] Woller, Hans: Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 95 ff.

[3] Kreis, Barbara: Moskau 1917-35. Vom Wohnungsbau zum Städtebau, Dissertation an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg 1985, S. 14 ff.

[4] Моссовет (Московский городской совет) = Moskauer Stadtrat, oberstes staatliches Organ in Moskau von 1917-1993

[5] Bodenschatz, Harald/Post, Christiane (Hg.): Städtebau im Schatten Stalins. Die internationale Suche nach der sozialistischen Stadt in der Sowjetunion 1929-1935, Berlin 2003, S. 95

[6] Bodenschatz, Harald: Städtebau für Mussolini. Auf dem Weg zu einem neuen Rom, Berlin 2013, S. 25, 61, 70

[7] Ebd., S. 25f., 68, 72

[8] Ebd., S. 73

[9] Ebd., S. 129

[10] Bauer, Franz J.: Rom im 19. und 20. Jahrhundert. Konstruktion eines Mythos, Regensburg 2009, S. 260

[11] Kreis: Moskau 1917-35, S. 54

[12] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 64

[13] Ebd., S. 65f.

[14] Akronym für „Höhere Künstlerisch-Technische Werkstätten“; von 1927 bis 1930 WChUTEIN (Künstlerisch-Technische Hochschule)

[15] Tschepkunowa, Irina: Die WChUTEMAS. Ein russisches Labor der Moderne. Architekturentwürfe 1920-1930, In: WChUTEMAS. Ein russisches Labor der Moderne. Architekturentwürfe 1920-1930. Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, 5. Dezember 2014 bis 6. April 2015, S. 6-13

[16] Kreis: Moskau 1917-35, S. 33

[17] Osterwold, Matthias: Moskau, In: Friedrichs, Jürgen (Hg.): Stadtentwicklungen in kapitalistischen und sozialistischen Ländern, Hamburg 1978, S. 259

[18] Kreis: Moskau 1917-35, S. 35

[19] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 79 ff.

[20] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 215

[21] Chan-Magomedow, Selim O.: Pioniere der sowjetischen Architektur. Der Weg zur neuen sowjetischen Architektur in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre, Dresden 1983, S. 273 ff.

[22] Kreis: Moskau 1917-35, S. 30

[23] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 65

[24] Graben, Helga beim: Die Entwicklung des Wohnungswesens von Rom unter den Prozessen der Urbanisierung. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Naturwissenschaften im Department für

Geowissenschaften der Universität Hamburg, Hamburg 2008, S. 66

[25] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 220f.

[26] Bis Mitte 1920 wurde dadurch der Anteil der Arbeiter an Einwohnern in der Innenstadt von 3-5% auf 40% erhöht. Siehe Kreis: Moskau 1917-35, S. 20

[27] ВСНХ (Высший совет народного хозяйства) = Oberster Rat für Volkswirtschaft; von 1917-32 oberstes Organ der sowjetischen Volkswirtschaft

[28] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 65

[29] Neutatz, Dietmar: Die Moskauer Metro. Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus (1897-1935), Köln (u.a.) 2001, S. 28

[30] Ebd., S. 45-68

[31] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 69

[32] Ebd., S. 70

[33] Ebd., S. 70; zitiert nach: Sestakov, S.S.: Bol’saja Moskva [Groß-Moskau], Moskva 1925

[34] Ebd., S. 70

[35] Kreis: Moskau 1917-35, S. 53 f.

[36] Painter, Borden W.: Mussolini’s Rome. Rebuilding the Eternal City, New York 2007, S. 94

[37] Painter: Mussolini’s Rome, S. 95 ff.

[38] Graben: Die Entwicklung des Wohnungswesens, S. 71

[39] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 27 f.

[40] Ebd., S. 28

[41] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 75 ff.

[42] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 218

[43] Chan-Magomedow: Pioniere der sowjetischen Architektur, S. 277

[44] Ebd., S. 277

[45] Kreis: Moskau 1917-35, S. 42

[46] Kreis, Barbara: Zwischen „Lebendiger Klassik“, Rationalismus und Konstruktivismus – Die Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten WChUTEMAS in Moskau 1920-1930, In: WChUTEMAS, S. 22, 27

[47] Bodenschatz: Städtebau im Schatten Stalins, S. 95

[48] Bodenschatz: Diktatorischer Städtebau in der Zwischenkriegszeit, S. 45-64

[49] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 132 ff.

[50] Ebd., S. 94

[51] Ebd., S. 133

[52] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 83

[53] Borden: Mussolini’s Rome, S. 94

[54] Graben: Entwicklung des Wohnungswesen, S. 74

[55] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 26

[56] Ebd., S. 61

[57] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S, 86ff.

[58] Painter: Mussolini’s Rome, S. 105ff.

[59] Painter: Mussolini’s Rome, S. 98 ff.

[60] Bauer: Rom im 19. und 20. Jahrhundert, S. 264 f.

[61] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 24

[62] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 79

[63]Ebd., S. 78

[64] Painter: Mussolini’s Rome, S. 95

[65] Ebd., S. 94

[66] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 27

[67] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 80 ff.

[68] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 83. Bodenschatz bezieht sich hier auf folgende Studie: Villani, Luciano: Le borgate des fascismo. Storia urbana, politica e sociale della periferia romana. Wissenschaftliche Untersuchung an der Università di Torino. Mailand 2012

[69] Ebd.

[70] Bodenschatz: Städtebau für Mussolini, S. 61 ff.

[71] Zimmermann, Clemens: Introduction, In: Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939, hg. Von Clemens Zimmermann, Stuttgart 1997, S. 1

[72] Harlander, Tilman: Notwohnen und Selbsthilfe in der Großstadtperipherie der 20er und 30er Jahre. Beispiele aus Österreich, Deutschland, Italien und Griechenland, In: Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939, hg. Von Clemens Zimmermann, Stuttgart 1997, S. 75

[73] Graben: Entwicklung des Wohnungswesens, S. 93 ff.

[74] Kreis: Moskau 1917-35, S. 32 f.

[75] Osterwold: Moskau, S. 259

[76] Kreis: Moskau 1917-35, S. 32 f.

[77] Chan-Magomedow: Pioniere der sowjetischen Architektur, S. 277

[78] Kreis: Moskau 1917-35, S. 43 ff.

[79] Kreis: Moskau 1917-35, S. 58 f.

[80] Diese Zahlen sind dem statistischen Anhang entnommen aus: Colton, Timothy J.: Moscow. Governing the Socialist Metropolis, Cambridge/London 1995, S. 757 f., 796 ff.

[81] Colton: Moscow, S. 164 ff.

[82] French, R. Antony: Plans, pragmatism and people. The legacy of Soviet planning for today’s cities, London 1995, S. 47

[83] Ebd., S. 44

[84] Projektaufgaben der Architekturfakultät, In: WChUTEMAS, S. 158

[85] Kopp, Anatole: Town and Revolution. Soviet Architecture and City Planning 1917-1935, New York 1970, S. 233